Transkript
FORTBILDUNG
Interview mit Fabian Kraxner
«Der Psychiater trägt eine grosse Verantwortung»
In der Schweiz gibt es im Verhältnis zur Nachfrage zu wenige Psychiater. Aufgrund der Demografie wird sich das Problem in den nächsten Jahren weiter verschärfen, wenn nichts dagegen unternommen wird. Wie das Steuer herumgerissen werden kann und was im Hintergrund schon passiert, um den Psychiaterberuf für Assistenzärzte und Studierende attraktiver zu machen, erklärt Fabian Kraxner, Psychiater am Spital Affoltern und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP), Ressort Nachwuchs, im Interview.
Foto: zVg
Fabian Kraxner
Sie engagieren sich stark für junge Psychiater. Was motiviert Sie? Die Psychiatrie ist ein unglaublich reichhaltiges, diverses Fach, und psychische Störungen betreffen alle Altersbereiche. Das Problem dabei ist, dass diese Vielseitigkeit für Medizinstudierende nicht unbedingt auf Anhieb sichtbar ist. Zudem ist es aufgrund der verschiedenen komplexen Einflüsse sehr anspruchsvoll, psychiatrische Erkrankungen abzuklären. Es gibt auch keine Verlaufswerte, anhand derer man den Erfolg einer Behandlung sehen könnte. Aber gerade die bio-psycho-sozialen Aspekte psychischer Störungen machen das Fach sehr spannend. Damit verbunden sind zahlreiche Entwicklungsmöglichkeiten und Spezialisierungen. Dieses Bewusstsein möchte ich beim ärztlichen Nachwuchs schärfen.
Worin besteht die Unterstützung? In der Nachwuchsförderung arbeiten die Schweizerische Vereinigung psychiatrischer Assistenzärzte (SVPA) sowie die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) eng zusammen. Die jährliche Teilnahme am grössten Karrierekongress für Medizinstudenten (Medifuture) sensibilisiert die jungen Kolleginnen und Kollegen, frühzeitig Einblick in die Tätigkeit des Psychiaters, der Psychiaterin zu erhalten. Die Förderung von Psychiatrie im Wahlstudienjahr oder im Mantelstudium ist ebenso zentral. Auf der Ebene der Assistenzärzte ist es wichtig, die reichhaltigen Wahl- und Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des psychiatrischen Fachs selbstbewusst und engagiert zu kommunizieren. Von der klinischen Tätigkeit, von Jugend- bis Alterspsychiatrie ist alles möglich, ebenso in der Versorgungs- sowie innovativen neuropsychiatrischen Forschung. Auch eine Lehrtätigkeit kann eine Option sein.
Seit 1. Januar 2022 offeriert zudem die SGPP den Assistenzärztinnen und Assistenzärzten respektive den Facharztkandidierenden eine Gratismitgliedschaft, der Jahresbeitrag wird erst nach Erhalt des Facharzttitels fällig. Die Vorteile einer Mitgliedschaft sind immens. Der Verband setzt sich nicht nur berufspolitisch für die Anliegen der Psychiatrie ein und informiert die Mitglieder regelmässig mittels Newsletter, er bietet ihnen auch kostenlose Beratungen an, beispielsweise in tarifarischen Fragen oder im Umgang mit Krankenversicherungen. Auf der Ebene der Oberärzte ist es unser grosses Anliegen, sie auf dem neusten Stand zu halten. So werden Workshops zu praxisrelevanten Themen, wie dem Wechsel von ICD-10 zu ICD-11 angeboten, ebenso zum Anordnungsmodell in der psychologischen Psychotherapie, da dieses das Delegationsmodell per 1. Januar 2023 definitiv abgelöst hat. Die SGPP führt zu all diesen Themen immer wieder Online-Fortbildungen durch.
Was muss besser kommuniziert werden? Dass der Psychiater der spezialisierte Grundversorger der psychischen Gesundheit ist und er damit eine grosse Verantwortung trägt. Diese vielfältige Tätigkeit erfordert sehr viel Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, und sie macht deshalb viel Freude.
Die Weiterbildung zum Facharzt der Psychiatrie und Psychotherapie kann kostspielig sein und die Attraktivität vermindern. Viele Kliniken bieten hier Unterstützung und übernehmen die Kosten und/oder stellen die Zeit zur Verfügung, um die Kurse zu absolvieren. Das verschafft ihnen einen Vorteil. Aber man muss ganz klar sagen, dass hohe Weiterbildungskosten und eine lange Weiterbildungsdauer mit mindestens 6 Jahren für die Erlangung des Facharzt-
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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FORTBILDUNG
Der Weg zum Facharzt Psychiatrie – eine Wegbeschreibung
Mein Weg in die Psychiatrie zeichnete sich schon früh ab, viel zu früh eigentlich. Denn wer weiss schon nach dem Grundstudium, welche Spezialisierung er einschlagen möchte? Ich wusste es schnell. Dank eines Sommerferienkurses «Innere Medizin und Psychiatrie» an meiner damaligen Universität in München, Deutschland. Zwei Harvard-Professoren leiteten den Kurs und ich war sofort begeistert. Praktika in der Psychiatrie und Kongressbesuche folgten, und mir wurde immer klarer – das ist mein Fach. Der Weg war also schon früh klar. Aber wie findet man die richtige Stelle für die Weiterbildung? Glücklicherweise fand ich eine Klinik in der Schweiz, die alles bot, was ich mir wünschte, den Schweizer Facharzt inklusive. Dass man bei diesem Facharzt ein Jahr länger benötigt, störte mich nicht, im Gegenteil: Der Reiz des Doppeltitels und die grössere Wahlfreiheit beim Fremdjahr (es muss ja nicht immer Neurologie sein) machte das wett. Überfordert fühlte ich mich mit den vielen Möglichkeiten für die Psychotherapieausbildung. Wo sollte ich sie am besten machen, wo ich ohnehin der Typ bin, der sich nur schlecht für eine Richtung entscheiden kann? Am Ende hatte ich Glück und landete im «DAS Ärztliche Psychotherapie Studiengang» der Universität Zürich, der integrativ drei Schwerpunkte vereint. Die erste und zweite Facharztprüfung zeigte mir dann, dass man in der Psychiatrie auch nicht alles einfach bestehen kann. Das Fachwissen wird gründlich abgeprüft und der Lernaufwand ist alles andere als gering. In Erinnerung bleiben einem die besonderen Momente in der Ausbildungszeit. Zum Beispiel wenn man sehen kann, dass man mit seiner Arbeit einen Unterschied gemacht hat und sich gemeinsam mit den Patienten über Fortschritte freuen kann. Genauso bleiben die schwierigen Momente in Erinnerung, bei denen es nicht so läuft, wie man es sich wünscht. Umso beeindruckender ist es zu sehen, wie schnell sich die Psychiatrie weiterentwickelt. Vom Einbezug über Peer-Mitarbeitende zu digitalen Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen der Coronavirus-Pandemie zeigt die Psychiatrie ihre Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit. Diesen Prozess selbst aktiv mitgestalten zu können, im Rahmen der aktiven Teilnahme an verschiedenen nationalen und internationalen Vereinen, sich dort mit anderen Weiterzubildenden zu vernetzen, auszutauschen und Freundschaften zu schliessen, war sicher das grösste Highlight meiner Weiterbildung und hat mich fachlich wie menschlich geprägt. Ich empfehle daher allen, die sich für Psychiatrie und Psychotherapie interessieren: Nutzt die Möglichkeiten zur Vernetzung, um Euch ein Bild zu machen, was Psychiatrie ist und was eben nicht. Und nein, man muss keine Angst davor haben, durch den Kontakt mit Patienten selbst psychisch krank zu werden, um nur eines von vielen Vorurteilen über die Psychiatrie zu nennen. Im Gegenteil, man kann gut lernen, wie man am besten selber psychisch gesund bleibt – ein Leben lang. Ich freue mich auf meine Zeit als Facharzt mit vielen neuen Herausforderungen.
Michael Wallies Praxis Therapie auf Augenhöhe Winterthurerstrasse 23 8180 Bülach E-Mail: therapie-auf-augenhoehe@hin.ch
titels sicher eine Erschwernis darstellen. Doch gibt es mittlerweile innovative Weiterbildungsinstitutionen, die Facharztkandidierende mit modernen, flexiblen und attraktiven Anstellungsbedingungen fördern. Ein weiterer erschwerender Umstand sind allerdings die vergleichsweise tiefen Saläre bei den niedergelassenen Psychiaterinnen und Psychiatern. Sie befinden sich an zweitletzter Stelle; nur die Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater verdienen leider noch weniger.
Ist das Stigma dieses Fachs ein Hindernis? Die Corona-Pandemie hat viele Menschen dafür sensibilisiert, wie wichtig die psychische Gesundheit ist, und dass eine psychische Erkrankung jeden treffen kann, auch ohne psychiatrische Vorgeschichte. Aber so wie psychische Krankheiten nach wie vor stigmatisiert sind, ist dies auch der Beruf des Psychiaters. Ich bin jedoch sehr zuversichtlich, dass zumindest das Verständnis gewachsen ist, wie wichtig das Wirken der Psychiater als spezialisierte Grundversorger ist. Und die Zahl der Facharztanwärterinnen und Facharztanwärter ist sogar leicht gestiegen. Trotzdem: Es braucht von allen Seiten mehr Anstrengungen, um die Attraktivität des Psychiaterberufs zu erhöhen.
Was ist in diesem Zusammenhang sonst noch wichtig?
2020 waren 11 Prozent aller Ausbildungsstellen nicht
besetzt. Gleichzeitig stehen wir vor einer Pensionie-
rungswelle. Es braucht deshalb dringend eine quantita-
tive und qualitative Nachwuchsförderung, um auch in
Zukunft die erhöhte Nachfrage nach psychiatrischen
Behandlungen decken zu können. Die Schweiz muss
mehr Medizinerinnen und Mediziner selber ausbilden,
statt sie in fernen Ländern wie Griechenland, Polen, Ru-
mänien usw. zu rekrutieren. Dies nicht nur, weil sich
sprachliche Hürden stellen. Diese Trittbrettfahrerei ist
auch aus ethischen Gründen nicht vertretbar: Es ist nicht
akzeptabel, dass die Schweiz den Braindrain in anderen
Ländern befördert und davon profitiert, dass diese die
Ausbildungskosten zu tragen haben.
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Das Interview führte Valérie Herzog.
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