Transkript
E D I T O R I A L Epilepsie möglichst früh
diagnostizieren
E pilepsie stellt eine der häufigsten chronischen Krankheiten im Kindes- und Erwachsenenalter dar. Fast ein Prozent der Bevölkerung ist von Epilepsie betroffen – in der Schweiz sind das rund 80 000 Menschen, davon etwa 15 000 Kinder. Fünf bis zehn Prozent aller Menschen erleiden in ihrem Leben einen epileptischen Anfall. Bei Kindern und Jugendlichen ist Epilepsie die häufigste chronische neurologische Erkrankung mit teilweise wesentlichem Einfluss auf die Lebensqualität nicht nur der Kinder, sondern auch deren Familien. Ich bin daher sehr froh, dass in dieser Ausgabe umfassend auf das gesamte Gebiet der Epilepsien im Kindes- und Jugendalter von der Klassifikation und korrekten diagnostischen Einordnung bis hin zu den modernsten Therapieformen eingegangen wird.
Für eine bestmögliche Behandlung ist eine korrekte Diagnosestellung unter Berücksichtigung sämtlicher Differenzialdiagnosen wichtige Voraussetzung. Insbesondere gilt es, epileptische von nicht-epileptischen Anfällen abzugrenzen, sowohl im Kindes- wie auch im Erwachsenenalter. Wann ist welche Untersuchung auch unter Berücksichtigung des zunehmenden Kostendrucks sinnvoll und erforderlich, wann sind Verlaufskontrollen wirklich angezeigt?
Ungefähr zwei Drittel der Menschen mit Epilepsie werden schon bei der Behandlung mit dem ersten richtig ausgewählten Medikament anfallsfrei, oft schon innerhalb des ersten Jahres der Behandlung. Anders sieht es für die zirka 30% der Patienten und Patientinnen aus, die trotz jahrelanger Behandlung mit oft mehreren Medikamenten weiter unter Anfällen leiden – es liegt eine therapieresistente Epilepsie vor. Nach dem erfolglosen Einsatz von zwei in der Indikation korrekt gewählten anfallssuppressiven Medikamenten (ASM) in adäquater Dosierung sollte eher früher als später an die Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Eingriffs gedacht werden.
sert. Im Lauf der Zeit ergab sich daraus ein Rückgang des Einsatzes von Valproat (VPA) und Carbamazepin bei der Behandlung von Frauen im gebärfähigen Alter, während Lamotrigin und Levetiracetam zunehmend häufiger verordnet werden. Parallel dazu zeigt sich ein Rückgang grosser Fehlbildungen. In den letzten Jahren wurden zunehmend negative kognitive und psychische Auswirkungen auf die Kinder von Müttern bekannt, die während der Schwangerschaft VPA eingenommen haben. Die Folsäuresupplementierung vor und während der Schwangerschaft hat einen wichtigen Stellenwert im Hinblick auf eine gesunde Kindsentwicklung. Die richtige Dosierung für Patientinnen mit Epilepsie wird nun aufgrund einer aktuellen Studie in Frage gestellt und ist in den Fokus der Diskussionen geraten. Der entsprechende Artikel in der vorliegenden Ausgabe gibt hier pragmatische Hilfestellungen unter Berücksichtigung der aktuellen Evidenzen.
Die Beziehungen zwischen Epilepsie, ADHS und ihren kognitiven Symptomen sind enger und komplexer als es auf den ersten Blick scheint und finden bislang zumeist noch zu wenig Beachtung. Daher ist es wichtig, dass Menschen mit Epilepsie und ADHS-ähnlichen kognitiven Symptomen umfassend epileptologisch, psychiatrisch und neuropsychologisch betreut werden.
Ich hoffe, dass Sie bei der Lektüre der vorliegenden
Ausgabe einiges Wissenswertes über ansonsten oft
nicht erwähnte Aspekte der Epileptologie erfahren,
und wünsche allen Kolleginnen und Kollegen viel
Freude beim Lesen!
l
Prof. Dr. Barbara Tettenborn Präsidentin Schweizerische Epilepsie-Liga
Präsidentin Women in Neurology Editor-in-chief e-Learning EAN
E-Mail: Barbara.tettenborn@gmail.com
Grosse prospektive Schwangerschaftsregister wie z. B. EURAP (European Registry of Anticonvulsants in Pregnancy) haben unsere Kenntnis über teratogene Effekte von ASM in den letzten Jahren deutlich verbes-
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
Foto: zVg
Barbara Tettenborn