Transkript
PORTRAIT
Wir stellen vor:
Prof. Dr. med. Leo Bonati
Chefarzt und medizinischer Direktor, Reha Rheinfelden
Prof. Bonati befasst sich schon seit Langem mit Hirnschlägen, war Leiter des Stroke Centers Basel und ist heute in der Reha Rheinfelden. Er ist fasziniert von der Entwicklung im Bereich Hirnschlag, die die Neurologie von einer beobachtenden zu einer therapeutisch aktiven Disziplin gemacht hat.
Sie beschäftigen sich schon seit Jahren mit Hirnschlägen. Haben diese in den letzten 20 Jahren eher zu- oder abgenommen? Was ist Ihre Einschätzung? Man weiss, dass durch Fortschritte in der Prävention und durch einen gesünderen Lebensstil die alterskorrigierte Inzidenz beziehungsweise das Auftreten von Hirnschlägen zu einem bestimmten Alter zurückgegangen ist. Da die Menschen jedoch immer älter werden, nimmt die absolute jährliche Anzahl der Hirnschläge zu. Dank verbesserter Therapiemöglichkeiten im Akutfall und in der Nachsorge sterben immer weniger Patienten an einem Hirnschlag, sodass immer mehr Patienten von einer Rehabilitation profitieren.
Sie sehen in der Reha vor allem die Konsequenzen eines Hirnschlags. Lassen sich diese besser beherrschen als noch vor 20 Jahren? Wie sehen Sie diese Entwicklung? Die Erkenntnisse in der Hirnschlagrehabilitation haben in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen. Fortschritte wurden insbesondere hinsichtlich des Verständnisses der neuronalen Plastizität beziehungsweise der Anpassungsfähigkeit des Gehirns an lokale Schädigungen erzielt. Man hat gesehen, dass andere Hirnareale entsprechende Fähigkeiten übernehmen können, und es wuchsen die Erkenntnisse darüber,
Beruflicher Werdegang kurz und knapp
Prof. Bonati studierte in Basel Medizin und spezialisierte sich anschliessend zum Facharzt für Neurologie. Nach einem Forschungsaufenthalt im Departement of Brain Repair and Rehabilitation des Queen Square Institute of Neurology in London nahm er seine klinische Tätigkeit am Universitätsspital Basel in der Stroke Unit auf, wo er 2011 zum Thema Hirnschlag habilitierte und bis 2021 die Leitung des Stroke Centers innehatte. Seit einem Jahr ist er Chefarzt und medizinischer Direktor der Reha Rheinfelden.
wie unterstützende Funktionen trainiert werden können, um mit einem bestimmten Ausfall oder einer bestimmten Behinderung besser umgehen zu können. Das hatte zur Folge, dass heute bereits sehr früh mit einer intensiven Trainingstherapie begonnen wird, wie zum Beispiel mit Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie, und dies differenziert nach Krankheitsbild. Dank der technischen Fortschritte stehen heute ausgeklügelte Hilfsmittel aus der Robotik für das Training zur Verfügung sowie zum Beispiel computergestützte Verfahren oder Virtual Reality. Das alles trägt dazu bei, dass man heute gezielter, intensiver und mit besseren Resultaten therapieren kann als noch vor 20 Jahren.
Sie haben sich nach dem Studium für die Neurologie entschieden. Was gab dazu den Ausschlag? Mich interessierte das Gebiet schon während des Studiums. Nach dem Staatsexamen wollte ich den Facharzt für Innere Medizin machen und hatte als erste Station eine wissenschaftliche Stelle in der Neurologie, die sich mit der Hirnschlagmedizin beschäftigte, was mich sehr faszinierte. Im Jahr darauf absolvierte ich die Rotation für die Innere Medizin. Dabei wurde mir immer klarer, dass ich mich auf die Neurologie konzentrieren möchte. Faszinierend bei diesem Gebiet sind die Komplexität des Nervensystems und die Tatsache, dass man mit einer guten Anamnese beziehungsweise einer sorgfältigen Untersuchung des Patienten schon viele diagnostische Hinweise erhält, wenn man diese Komplexität versteht. Im Bereich des Hirnschlags fand in der Akuttherapie in den letzten 20 Jahren eine enorme Entwicklung statt, um den Patienten zu helfen. Das geht von der medikamentösen Wiedereröffnung von verschlossenen Hirnarterien, der mechanischen Wiedereröffnung in Zusammenarbeit mit den Neuroradiologen bis hin zur verbesserten Prävention eines ersten oder zweiten Hirnschlags. Diese Fortschritte machten die Neurologie im Bereich des Hirnschlags zu einer sehr therapieorientierten Disziplin. Das trug auch dazu bei, dass sich die ganze Neurologie von einer eher diagnostischen, beobachtenden Disziplin zu einem therapeutischen, aktiv behandelnden Fach gewandelt hat.
Womit können Sie am besten entspannen, was tun Sie für Ihren Aus-
gleich?
Der wichtigste Ausgleich für mich ist, Zeit mit meiner Familie zu ver-
bringen. Wir haben beispielsweise angefangen, zusammen Golf zu spie-
len, im Winter fahren wir gern Ski. Ansonsten besuche ich gern Konzerte
und Museen. Wenn noch Zeit bleibt, lese ich gern.
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Das Interview führte Valérie Herzog.
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
1/2023