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KONGRESS AKTUELL
SGPP 2021
Schizophrenie: Negativsymptome bestimmen Lebensqualität
Bei Patienten mit Schizophrenie sind es vor allem negative und kognitive Symptome, die ihre Lebensqualität beeinflussen. Prof. Ion-George Anghelescu, Mental Health Institute Berlin, erläuterte am virtuellen PSY-Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, wie diese Symptome verbessert werden können.
E ine schizophrene Störung beginnt schon sehr früh. Subklinische funktionelle Störungen entstehen oft bereits in der Kindheit und der Adoleszenz, bevor sie sich im Zuge einer Symptomverstärkung mit Stress, Drogenabusus oder sozialer Isolation bemerkbar machen. Mit der ersten Episode treten zuerst meist positive Symptome auf, es können zu diesem Zeitpunkt aber auch bereits Negativsymptome und eine affektive Verflachung dabei sein und sich auf den Alltag der Patienten auswirken.
Gemäss ICD-11 würden bei einer Schizophrenie mit rezidivierenden Episoden während einer aktuellen Episode häufig Negativsymptome auftreten, die sich je nach Stärke massgeblich auf die Lebensqualität auswirkten, so Anghelescu. In den letzten Dekaden haben sich die Outcomekriterien der Behandlung gewandelt, die Lebensqualität als Therapieziel ist dabei immer mehr in den Vordergrund gerückt. Dazu gehören auch die Verbesserung der Kognition, die Integration in den primären Arbeitsmarkt sowie Remission und Recovery. Letzteres ist ein Konzept zur Führung eines Lebens mit der Krankheit mit dem Ziel der Genesung. Je besser sich die Patienten fühlten, umso weniger suizidal seien sie, so Anghelescu. Hauptansatzpunkte einer Behandlung sind die Reduktion von Frequenz und Schwere von psychotischen Episoden sowie die Verbesse-
rung der funktionellen Kapazität und der Lebensqualität. Die medikamentöse antipsychotische Therapie sollte im Rahmen eines multimodalen Behandlungsplans integriert werden. Dazu gehören beispielsweise Psychotherapie, Kreativtherapien, Psychoedukation und soziales Kompetenztraining.
Zur Medikation sind Antipsychotika der zweiten Generation jenen der ersten vorzuziehen, sie sind zwar laut dem Experten in der Wirksamkeit vergleichbar, doch beim Parameter Lebensqualität, gemessen anhand des SF-36Fragebogens, schnitten die neueren Präparate gemäss einer doppelblind randomisierten Studie klar besser ab (1). Wichtig sind auch die Nebenwirkungen, die je nach Perspektive anders gewichtet werden: Aus ärztlicher Sicht wiegen Rückfälle, extrapyramidale Symptome und metabolische Konsequenzen schwer (2), für Patienten sind Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Somnolenz/Insomnie und kognitive Probleme sehr belastend (3), und die Betreuer finden schliesslich Sedierung und Gewichtszunahme am störendsten (4).
Antipsychotika der dritten Generation, wie beispielsweise Aripiprazol, Brexpiprazol und Cariprazin, haben mit ihrem partiellen Dopaminagonismus ein günstiges Nebenwirkungsprofil. Sie wirken auf unterschiedliche Subtypen der Dopaminrezeptoren, die im Gehirn auch unterschiedlich lokalisiert sind. Die Blockierung
von D3-Rezeptoren führt zu einer potenziellen
Verbesserung der negativen und kognitiven
Symptome, während die Blockade von D2-
Rezeptoren eher auf die psychotischen Sym-
ptome wirkt. Die höchste Affinität zum D3-
Rezeptor besitzt Cariprazin, während Brexpi-
prazol und Aripiprazol vorwiegend auf den
D2-Rezeptor wirken (5).
Unter Cariprazin war gemäss einer Post-
hoc-Analyse von gepoolten Daten von Patien-
ten mit akuter Schizophrenie und moderaten
bis schweren Negativsymptomen die Res-
ponserate gegenüber Plazebo nach 6 Wochen
signifikant höher, während das unter Risperidon
und Aripiprazol nicht der Fall war (6).
Weil die Lebensqualität bei schizophrenen
Patienten mit dem Vorhandensein von Nega-
tivsymptomen und kognitiver Beeinträchti-
gung zusammenhänge, sollten diese Sym-
ptome differenziert und in einen multidiszipli-
nären Handlungsplan integriert werden, so
Anghelescu abschliessend.
l
Valérie Herzog
Quelle: «State of the Art: Schizophrenie». PSY-Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP), 25. bis 27. August 2021, virtuell.
Referenzen: 1. Gründer G et al:. Effects of first-generation antipsychotics
versus second-generation antipsychotics on quality of life in schizophrenia: a double-blind, randomised study. Lancet Psychiatry. 2016;3(8):717-729. doi:10.1016/S22150366(16)00085-7 2. Briggs A et al.: Impact of schizophrenia and schizophrenia treatment-related adverse events on quality of life: direct utility elicitation. Health Qual Life Outcomes. 2008;6:105. doi:10.1186/1477-7525-6-105 3. McIntyre RS: Understanding needs, interactions, treatment, and expectations among individuals affected by bipolar disorder or schizophrenia: the UNITE global survey. J Clin Psychiatry. 2009;70 Suppl 3:5-11. doi:10.4088/JCP.7075su1c.02 4. Angermeyer MC et al.: Neuroleptika im Urteil der Angehörigen. Psychiatr Prax. 1999;26(4):171-174. 5. Stahl SM: Drugs for psychosis and mood: unique actions at D3, D2, and D1 dopamine receptor subtypes. CNS Spectr. 2017;22(5):375-384. doi:10.1017/ S1092852917000608 6. Earley W, Guo H, Daniel D et al.: Efficacy of cariprazine on negative symptoms in patients with acute schizophrenia: A post hoc analysis of pooled data. Schizophr Res. 2019;204:282-288. doi:10.1016/j.schres.2018.08.020
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
5/2021