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EDITORIAL
Sportpsychiatrie und -psychotherapie: Medizinische Spezialisierung und Tätigkeitsfelder
D ie Sportpsychiatrie und -psychotherapie ist eine noch junge medizinische Spezialisierung und Disziplin der beiden psychiatrischen Fachgebiete Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sowie Psychiatrie und Psychotherapie. Als Querschnittsfach bündelt die Sportmedizin das sportmedizinische Wissen der medizinischen Fachrichtungen und Disziplinen. Die Sportpsychiatrie und -psychotherapie bewegt sich somit inhaltlich auch im Querschnittsfach Sportmedizin. Sport und Bewegung bei psychischen Erkrankungen und psychische Gesundheit und Erkrankungen im Leistungssport sind als Tätigkeitsfelder der Sportpsychiatrie und -psychotherapie etabliert. Psychische Erkrankungen im Breitensport sind ein weiteres Tätigkeitsfeld von Sportpsychiatern und -psychotherapeuten.
Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie Die Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP) wurde am 29. März 2019 in Münchenbuchsee auf dem Klinikareal der Privatklinik Wyss AG gegründet, als erste nationale und zweite sportpsychiatrische Gesellschaft nach der International Society for Sports Psychiatry (ISSP). In den letzten Jahren wurden weitere nationale Gesellschaften, zum Beispiel in Österreich und Deutschland, gegründet. Der Zweck der SGSPP ist die Förderung der Sportpsychiatrie und -psychotherapie über die Lebensspanne in der Schweiz, im Leistungssport und in der Allgemeinbevölkerung. Dieser Zweck bildet sich auch im Vorstand der SGSPP ab, mit Ressorts für Kinderund Jugend-, Erwachsenen- und Alterspsychiatrie sowie -psychotherapie. Die Tätigkeitsfelder von Sportpsychiatern und -psychotherapeuten im Leistungssport und in der Allgemeinbevölkerung respektive im Gesundheits- und Breitensport sowie im Leistungssport werden durch die SGSPP gleichermassen aufgenommen und adressiert. Weitere Informationen und
*Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK), Universität Zürich (UZH), Privatklinik Wyss AG, Münchenbuchsee, Psychiatrische Dienste Graubünden
Foto: zVg
aktuelle Nachrichten zur SGSPP sind auf der Homepage www.sgspp.ch zu finden (siehe QR-Code). Themen aus den drei Tätigkeitsfeldern von Sportpsychiatern und -psychotherapeuten sowie die Aus- und Weiterbildung sind Teil der vorliegenden Ausgabe.
Gewalt und Missbrauch im Leistungssport Durch «Die Magglingen-Protokolle» im «Magazin» vom 31. Oktober 2020 rückten Gewalt und Missbrauch im Leistungssport Ende des letzten Jahres in die öffentliche und politische Wahrnehmung in der Schweiz. Gewalt und Missbrauch erschütterten in den letzten Jahren die ästhetischen Sportarten, aber auch international, zum Beispiel in den USA oder in Deutschland. Dass die Problematik keineswegs «nur» ein Thema des Turnsports oder der rhythmischen Sportgymnastik ist, wurde mit der kürzlichen Berichterstattung über den Deutschen Schwimmverband auch der Öffentlichkeit in Deutschland bewusst. Die Aufarbeitung in der Schweiz und die Erarbeitung entsprechender Schutzkonzepte haben erst begonnen, und es bleibt abzuwarten, ob die richtigen Schlüsse gezogen und die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Prävention, insbesondere im Umgang mit den schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen von Gewalt und Missbrauch, in Zukunft eingesetzt werden. Die SGSPP hat in verschiedenen Publikationen zum Thema Gewalt und Missbrauch im Leistungssport Position bezogen, zum Beispiel mit ihrer Stellungnahme in der «Schweizerischen Ärztezeitung» (1). Neben der nationalen Aufarbeitung ist aber auch eine internationale Initiative geboten. Massnahmen zum Schutz von Athletinnen und Athleten sowie Alters- und Gewichtsuntergrenzen werden langfristig und vermutlich nur international durchgesetzt werden können und stellen damit einen entscheidenden Beitrag im Umgang mit Gewalt und Missbrauch sowie zur Förderung der Gesundheit im Leistungssport dar. Der erste Artikel befasst sich mit den grundlegenden Aspekten von Gewalt und Missbrauch im Leistungssport, den schwerwiegenden Folgen für die psychische Gesundheit und dem gebotenen Umgang mit beidem, und zwar aus einer psychiatrisch-psycho-
Malte Christian Claussen*
https://sgspp.ch/cmf/
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therapeutischen sowie aus einer klinisch psychologischen Perspektive (2).
Psychische Gesundheit und COVID-19 Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betonte bereits in den ersten Wochen der Pandemie in ihrer Empfehlung «Coping with stress during the 2019nCoV outbreak» die Bedeutung von körperlicher Aktivität und der Beibehaltung eines gesunden Lebensstils. Ängste und Sorgen am Anfang der Pandemie und in der Folge weitere Belastungen und Aspekte für die psychische Gesundheit sind mittlerweile hinlänglich bekannt. Dazu gehören die Auswirkungen auf gewohnte Aktivitäten und Routinen, Einsamkeit und Depressionen oder schädlicher Alkohol- und Substanzgebrauch, Selbstschädigung, suizidales Verhalten und häusliche Gewalt. In einem Editorial für die «Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin» gingen wir im Frühjahr 2020 auf die Bedeutung der psychischen Gesundheit in Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie ein und legten dar, welchen positiven Beitrag Bewegung und Sport hier zu leisten vermögen (3). Dieses Editorial ist leider auch weiterhin hochaktuell, und die Empfehlungen zur körperlichen Aktivität in der Pandemie können nur nochmals betont werden (3). Die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie erlauben es auch weiterhin, körperlich aktiv zu bleiben und individuell Sport zu treiben. Der zweite Artikel in diesem Schwerpunkt Sportpsychiatrie und -psychotherapie nimmt den Gesundheitssport bzw. die körperliche Aktivität und die psychische Gesundheit während der Coronapandemie auf (4). Mittlerweile sind mehrere Studien zum Thema veröffentlicht worden, sodass, anders als noch im Frühjahr 2020, Daten zu Sport und Bewegung mit direktem Bezug zur Pandemie vorliegen und diskutiert werden können.
Breitensport und Bewegungssucht In unserer von Bewegungsmangel geprägten Gesellschaft kommt der gesundheitlich relevanten «Erhaltungsdosis an Bewegung» unter präventiven Gesichtspunkten für die psychische und körperliche Gesundheit eine immer grössere Bedeutung zu. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass ein zu ausgeprägtes Sport- und Bewegungsverhalten ebenfalls mit Risiken für die körperliche und psychische Gesundheit verbunden sein kann und sportspezifische psychische Erkrankungen im Breiten-
sport berücksichtigt werden müssen. Beispiele sind die Muskeldysmorphie und die Bewegungssucht sowie bestimmte Substanzgebrauchsstörungen, der Gebrauch sogenannter «image and performance enhancing drugs» (IPED). Bestimmte Aspekte gestörten Essverhaltens und Essstörungen müssen hierbei ebenfalls genannt werden. Zudem lassen sich Körperbildstörungen, gestörtes Essverhalten und Esstörungen sowie Sport und Bewegung häufig nicht voneinander trennen. Der Breitensport wird von der SGSPP in verschiedenen Projekten aufgenommen. So wurden beispielsweise zum IPED-Gebrauch im Breitensport zuletzt von SGSPP-Mitgliedern mehrere Publikationen, wie jüngst für das «Swiss Medical Forum», verfasst (5). Verschiedene Forschungsprojekte zum Thema befinden sich in Vorbereitung, und neben den Angeboten für Leistungssportler mittlerweile an verschiedenen Kliniken in der Schweiz, gibt es am Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) ein erstes und spezifisches Angebot für Freizeitsportler mit einem problematischen Medikamentengebrauch. Der dritte Artikel in diesem Schwerpunkt soll aber ein weiteres und nicht weniger wichtiges Tätigkeitsfeld der Sportpsychiatrie und -psychotherapie im Breitensport aufnehmen: Die Bewegungssucht und ihre komorbiden Störungen (6).
Curriculum Sportpsychiatrie und -psychotherapie Die systematische Aus- und Weiterbildung und die damit verbundene Qualitätssicherung ist für jede Fachdisziplin zentral. Von der ISSP wird seit wenigen Jahren das «ISSP Certificate of Additional Training in Sports Psychiatry» angeboten, das aber primär auf den Leistungssport abzielt. Die SGSPP begann 2020, ein dreistufiges Curriculum national und international zu implementieren, das als erstes seiner Art eine spezifische Expertise in den Tätigkeitsfeldern von Sportpsychiatern und -psychotherapeuten vermitteln möchte (7). Der letzte Artikel soll somit dem Aspekt der Aus- und Weiterbildung in Sportpsychiatrie und -psychotherapie für Kinder-, Jugend und Erwachsenenpsychiater und -psychotherapeuten und weiteren Fachdisziplinen vorbehalten sein (8).
Wir wünschen Ihnen mit diesem Schwerpunkt eine interessante Lektüre.
Bleiben Sie gesund!
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Dr. med. Malte Christian Claussen
Sportpsychiatrie und -psychotherapie, Klinik für Psychiatrie,
Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich Lenggstrasse 31 8032 Zürich
E-Mail: malte.claussen@pukzh.ch
Referenzen: 1. Claussen MC: Stellungnahme der SGSPP:
Gewalt und Missbrauch im Leistungssport. Schweiz Ärztezeitung. 2020;101:17251727. 2. Schneeberger AR et al.: Gewalt und Missbrauch im Leistungssport. Schw Z Psychiatr Neurol 2021;3:4-6. 3. Claussen MC et al.: Psyche und Sport in Zeiten von COVID-19. Dtsch Z Sportmed. 2020;71: E1-E2. 4. Imboden CM et al.: Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit im Kontext der SARS-CoV-2-Pandemie. Schw Z Psychiatr Neurol 2021;3:8-9. 5. Iff S et al.: Sportpsychiatrie und -psychotherapie: Image and Performance-Enhancing Drugs (IPEDs) im Freizeitsport. Swiss Med Forum. 2021; im Druck 6. Colledge F: Bewegungssucht und komorbide Störungen. Schw Z Psychiatr Neurol 2021;3:10-13. 7. Claussen MC et al.: SGSPP-Curriculum Sportpsychiatrie und -psychotherapie: Stufe 1. Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP). Swiss Arch Neurol Psychiatr Psychother. 2020;171:w03111. 8. Gonzalez Hofmann C et al.: Das dreistufe Curriculum Sportpsychiatrie und -psychotherapie. Schw Z Psychiatr Neurol 2021;3:14-17.
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