Transkript
&K U R Z B Ü N D I G
Schizophrenietherapie
Fortschritte in der psychosozialen Funktionsfähigkeit mit atypischem Antipsychotikum
Schizophrenie ist eine chronische, behindernde und progressive Erkrankung mit heterogenen Symptomen und Krankheitsverläufen. Mit zunehmender Erkrankungsschwere steigt das Risiko für Nonadhärenz und psychiatrisch bedingter Hospitalisierung. Brexpiprazol ist ein partieller Serotonin(5-HT)1A- und Dopamin-D2-Rezeptoragonist mit gleichzeitig antagonistischer Wirkung auf 5-HT2A- und Noradrenalin-α1B/α1CRezeptoren. Die Wirksamkeit dieses atypischen Antipsychotikums wurde in 3 6-wöchigen plazebokontrollierten Studien sowie in 2 offenen Verlängerungsstudien bis zu 52 Wochen belegt. In einer Post-hoc-Analyse wurde nun der Kurzzeit- sowie der Langzeiteffekt bei Patienten mit schweren Schizophreniesymptomen anhand von gepoolten Daten aus den 3 plazebokontrollierten und randomisierten Kurzzeitstudien VECTOR, BEACON und LIGHTHOUSE und aus den 2 offenen Verlängerungsstudien ZENITH und 14644B untersucht. In die Kurzzeitstudien eingeschlossen wurden Patienten, die eine akute Exazerbation ihrer Schizophrenie erlitten hatten. Sie erhielten doppelblind randomisiert entweder Plazebo oder Brexpiprazol in unterschiedlichen Dosierungen zwischen 2 und 4 mg je nach Studie. Die Patienten aus den Studien VECTOR und BEACON wurden in die offene ZENITH-Langzeitstudie übernommen, Patienten aus der Studie LIGHTHOUSE in die Langzeitstudie 14644B. In den Langzeitstudien erhielten die Patienten Dosen zwischen 1 und 4 mg/Tag bis
zu 52 Wochen. Endpunkte der Studien waren die Veränderungen in den Scores der PANSS (positive and negative syndrome scale), der CGI-S und -I (clinical global scale – severity of illness [S] und improvement [I]) und der ärztlich beurteilten psychosozialen Funktionsfähigkeit PSP (personal and social performance scale). Die Nebenwirkungen wurden periodisch bei den Patienten abgefragt.
Wirkung anhaltend Von den 1405 Patienten in den Kurzzeitstudien erhielten 878 Patienten Brexpiprazol und 527 Plazebo. Nach Analyse der Daten zeigte sich in der Brexpiprazolgruppe nach 6 Wochen bei Patienten mit schwerer Erkrankung (PANSS > 95) eine signifikant grössere Reduktion im PANSS-Score als unter Plazebo, das galt auch für Patienten mit weniger schwerer Erkrankung (PANSS ≤ 95). Signifikante Verbesserungen waren unter Brexpiprazol auch in verschiedenen PANSS-Subskalen und der CGI-S sichtbar. Die Ansprechraten waren unter der Studienmedikation signifikant höher als unter Plazebo. Der PSP-Score verbesserte sich unter dem Verum ebenfalls signifikant, bei schwer Erkrankten in allen Domänen, bei weniger schwer Erkrankten in allen ausser jener hinsichtlich aggressiven Verhaltens. In den Langzeitstudien hielt die PANSS-Verbesserung bis zur 58. Woche an, das sowohl bei den schwer als auch bei den weniger schwer erkrankten Patienten. Die seit Baseline erreichten Verbesserungen in allen anderen Endpunkten konnten ebenfalls von beiden
Subgruppen über 58 Wochen aufrechterhalten werden. Die Inzidenz der Nebenwirkungen war ungeachtet der Erkrankungsschwere in der Verumwie auch in der Plazebogruppe (59 vs. 63%) ähnlich. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Insomnie, Kopfschmerzen, Agitiertheit, Schizophrenie, Akathisie und Gewichtszunahme (bis 3,5 kg). Die Verschlechterung der Schizophrenie als Nebenwirkung kam unter Plazebo häufiger vor, in der Langzeittherapie öfter als in den Kurzzeitstudien. Das gilt ebenfalls für die Gewichtszunahme, die in der Langzeittherapie grösser war (bis 7,8 kg) als in den Kurzzeitstudien.
Fazit
Die Autoren schliessen aus diesen Resultaten,
dass Brexpiprazol 2 bis 4 mg/Tag eine wirksame
und gut verträgliche Therapie der Schizophre-
nie darstellt, und zwar sowohl bei Patienten mit
schweren als auch weniger schweren Sympto-
men. Zudem scheint das Medikament in der
Dosierung von 1–4 mg einen anhaltenden Nut-
zen über die Zeitspanne von 1 Jahr zu zeigen.
Verbesserungen zeigten sich nicht nur bei posi-
tiven und negativen Symptomen, die verhält-
nismässig schnell ansprechen, sondern auch
bei der psychosozialen Funktionsfähigkeit
(PSP), was aber mehr Zeit in Anspruch nimmt.
In dieser Untersuchung verbesserte sich das
Funktionieren simultan mit der Verbesserung in
der PANSS.
vh l
Quelle: Meade N et al.: Efficacy and safety of brexpiprazole in patients with schizophrenia presenting with severe symptoms: Post-hoc analysis of short- and long-term studies. J Psychopharmacol. 2020;34(8):829-838.
Clusterkopfschmerzen
CGRP-Antikörper auch für chronische Clusterkopfschmerzen
Resultate einer Fallserie legen nahe, dass CGRP-Hemmer unter Praxisbedingungen nicht nur bei Migräne-, sondern auch bei Clusterkopfschmerzen eine gute Wirkung zeigen. Bei 22 austherapierten Patienten mit chronischen Clusterkopfschmerzen reduzierten die CGRP-Antikörper die Anfallsfrequenz bereits im ersten Monat signifikant. Die Patienten stammten aus 8 Zentren und waren zuvor mit 6,5 präventiven Kopfschmerzmedikationen (6,5 ± 2,4) behandelt worden. Sie erhielten mindestens eine Dosis eines
CGRP-Antikörpers. Die Anfallshäufigkeit hielten sie in einem Kopfschmerztagebuch fest. Im ersten Behandlungsmonat sanken die Attacken von ursprünglich 23,3 (± 16,4) um 9,2 (± 9,7) signifikant (p < 0,001). 55 Prozent der Patienten sprachen in Bezug auf die Attackenfrequenz zu 50 Prozent an, 36 Prozent der Patienten zu 75 Prozent. Eine signifikante Reduktion erfolgte gleich in der ersten Behandlungswoche. Die Resultate wurden zusätzlich durch einen signifikanten Rückgang der Schmerzintensität und durch die in geringerem Ausmass benutzte Kopfschmerzmedikation untermauert. Im zwei- ten und dritten Monat war die Attackenreduk- tion (–8 und –9,1) noch immer signifikant. Diese Resultate zeigen, dass eine individuelle Off-label-Behandlung mit CGRP-Antikörpern bei Patienten mit chronischen Clusterkopf- schmerzen, die auf andere Therapien ungenü- gend ansprechen, eine Lösung darstellen können. vh l Quelle: Ruschewey R et al.: Effect of calcitonin gene-related peptide (-receptor) antibodies in chronic cluster headache: Results from a retrospective case series support individual treatment attempts. Cephalgia. 2020;40(14):1574-1584. 38 PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE 1/2021 &K U R Z B Ü N D I G Migränetherapie Reversion von chronischer zu episodischer Migräne unter Erenumab Migräne ist weltweit die zweithäufigste medizinische Ursache für Behinderung, bei Mädchen und Frauen zwischen 10 und 49 Jahren ist sie sogar die häufigste. Bei einer chronischen Migräne treten seit mehr als 3 Monaten während > 15 Tagen pro Monat Kopfschmerzen auf, davon > 8 Tage migränebedingt. Sinken die Kopfschmerztage unter diese Werte, kann von einer Reversion zu einer episodischen Migräne gesprochen werden. Üblicherweise ist der Verlauf der Migräne jedoch umgekehrt: Die Migräne progrediert von einer episodischen zu einer chronischen Migräne mit einer jährlichen Progressionsrate zwischen 2,5 und 14 Prozent, je nach Studie. Ziel einer Therapie sind die Senkung der Anfallsfrequenz und die Reversion der chronischen zu einer episodischen Migräne. Mit dem CGRP-Antikörpertherapeutikum (CGRP: calcitonin gene-related peptide) Erenumab scheint das anhaltend zu gelingen: Patienten, deren Migräne in den ersten 3 Monaten mit Erenumab vom chronischen zum episodischen Typ mutiert, haben sogar gute Chancen, dass das auch so bleibt. Das zeigte eine Post-hoc-Analyse der 12-wöchigen plazebo-
kontrollierten Studie mit anschliessend offener Verlängerung um 52 Wochen. In dieser doppelblind randomisierten Multizenterstudie erhielten 667 Patienten mit chronischer Migräne subkutan entweder Erenumab 70 mg oder 140 mg oder Plazebo alle 4 Wochen über einen Zeitraum von 12 Wochen. Als primärer Endpunkt war die Veränderung der monatlichen Anzahl Migränetage gegenüber Baseline definiert. Beide Erenumabdosierungen reduzierten die monatlichen Migränetage im Vergleich zu Plazebo signifikant (beide Dosen –6,6 vs. –4,2 Tage; p < 0,0001). Das Nebenwirkungsprofil in den Erenumabgrupen war jenem der Plazebogruppe ähnlich. Die häufigsten Nebenwirkungen waren injektionsbedingt lokal, Infekte der oberen Atemwege und Nausea. 634 von 667 Patienten beendeten die Studie, je 2 in jeder Gruppe brachen sie wegen Nebenwirkungen vorzeitig ab (1). In der nun publizierten Post-hoc-Analyse wurde die Frage der Reversion von einer chronischen zu einer episodischen Migräne beleuchtet. Dazu wurden die Daten der ersten 12 Wochen herangezogen und die Rever- sionsraten errechnet. In dieser doppelblinden Studienphase erreichten 53,1 Prozent der Pa- tienten unter Erenumab eine Reversion zu einer episodischen Migräne, mit höheren Raten unter der höheren Dosierung. Unter den Patienten, die bis Studienende (64 Wochen) Erenumab erhielten, erfuhren 54,1 Prozent eine Reversion in den ersten 12 Wochen, die bei nahezu allen (96,8%) bis zur 64. Woche anhielt. Eine verspätete Rever- sion (nach mehr als 12 Wochen) erreichten 43,4 Prozent der Patienten, sie hielt zu 77,8 Prozent bis zum Studienende an. Diese Resultate zeigen, dass unter Erenumab eine Konversion von einer chronischen zu einer episodischen Migräne bei mehr als der Hälfte der Patienten möglich und dann in den meisten Fällen über längere Zeit anhal- tend ist (2). vh l Referenzen: 1. Tepper S et al.: Safety and efficacy of erenumab for preventive treatment of chronic migraine: a randomised, double-blind, placebo-controlled phase 2 trial. Lancet Neurol. 2017;16(6):425-434. 2. Lipton RB et al.: Reversion from chronic migraine to episodic migraine following treatment with erenumab: Results of a post-hoc analysis of a randomized, 12-week, double-blind study and a 52-week, open-label extension. Cephalalgia. 2020;333102420973994. Multiple Sklerose Einschneidende Lebensereignisse begünstigen MS Unerwartete einschneidende Lebensereignisse können die Immunfunktionen verändern und die Empfindlichkeit für Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose (MS) erhöhen. Bis jetzt stand aber die Rolle von Stress bei der Entstehung von MS auf epidemiologisch widersprüchlichen Beinen. Die bislang grösste bevölkerungsbasierte Fallkontrollstudie soll da Klarheit schaffen. Bei 2930 neu an MS erkrankten Patienten wurden mittels Fragebogen die Lebensumstände mit einer Auswahl von schweren Ereignissen vor Krankheitsbeginn erhoben. Ihnen wurden 6170 Kontrollen gegenübergestellt. Die Auswahl der einschneidenden Lebensereignisse beinhaltete: Konflikte mit Lebenspartner, Verwandten oder Freunden; Krankheit, Unfall oder Tod des Lebenspartners oder eines Kindes; Tod eines Verwandten oder Freundes; Armut, Konflikt an der Arbeitsstelle, Scheidung, Heirat, Arbeitslosigkeit. Die Auswertung der Fragebogen zeigte, dass die meisten der Ereignisse das Erkrankungsrisiko um 17 bis 30 Prozent signifikant erhöhen. Frauen sind bei gewissen Szenarien wie Konflikten bei der Arbeit oder innerhalb der Familie, Heirat, Krankheit oder Unfall von Familienmitgliedern einem höheren Erkrankungsrisiko ausgesetzt als Männer. Zudem wirkten sich die meisten Ereignisse, die erst kürzlich (≤ 5 Jahre) passierten, signifikant auf die Entwicklung einer MS aus. Das weist möglicherweise auf ein kritisches Zeitfenster für die Entwicklung einer MS hin. vh l Quelle: Jiang X et al.: Stressful life events are associated with the risk of multiple sclerosis. Eur J Neurol. 2020;27(12):25392548. 40 PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE 1/2021