Transkript
SYMPOSIUM
Schizophrenie
Wie halte ich den Patienten im Arbeitsprozess?
Bei Patienten mit gravierenden psychischen Störungen werden die Chancen einer Tätigkeit im ersten Arbeitsmarkt deutlich verbessert, wenn die Arbeit als Rehabilitation eingesetzt wird, anstatt den Schritt in den Arbeitsmarkt erst nach einer Rehabilitation vorzunehmen. Das erklärte Prof. Dr. med. Wolfram Kawohl, Chefarzt und Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Dienste Aargau AG, an einer Fortbildungsveranstaltung in Zürich.
A rbeit sichert den Lebensunterhalt. Aber darüber hinaus bietet sie auch ein Sinnerleben und eine Tagesstruktur, und schliesslich spielt sie bei der sozialen Einordnung eine wichtige Rolle, für welche die «meritokratische Triade» aus Bildung, Stellung im Erwerbsleben sowie Einkommen sehr bedeutsam ist. Wie wichtig die Arbeit im persönlichen Erleben ist, unterstreicht die Beobachtung, dass die Suizidrate schon sechs Monate vor einem Anstieg der Arbeitslosigkeit erhöht ist, also zu dem Zeitpunkt, da die Betroffenen realisieren, dass ihnen der Verlust der Stelle droht (1).
Arbeit als Rehabilitation Den hohen Stellenwert der Arbeit berücksichtigen auch die Empfehlungen zur Rehabilitation der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) (2), die als Ziel die Förderung der Integration und Inklusion mit einer Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt und mit einem Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt formuliert. Andere Staaten (Deutschland, USA) gehen sogar noch weiter und haben die Teilhabe am Erwerbsleben als Rehabilitationsziel gesetzlich definiert. So komme vonseiten der Patienten oft die Rückmeldung, dass sie gern arbeiten würden, dass man sie aber nicht arbeiten liesse und dass die Therapeuten in ihrer Einschätzung, ob jemand arbeiten könne, sehr pessimistisch seien, erwähnte Prof. Kawohl. In der Alltagspraxis erhalten gerade Schizophreniepatienten sehr rasch ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis, oft auch über längere Zeiträume und mit dem Ergebnis, dass sie im geschützten Arbeitsmarkt enden. Wie liessen sich die ambitionierten Rehabilitationsziele in der Praxis erreichen? Bisher galt die Maxime «Rehabilitation vor Arbeit», inzwischen hat sich der Grundsatz «Arbeit als Rehabilitation» etabliert. Grundlage ist das Konzept des «Individual Placement and Support» (IPS) (3). Es sieht IPS-Coaches als Teil des klinischen Teams vor und fordert die direkte Suche eines Arbeitsplatzes ohne vorheriges Training. Damit ist Arbeit ein integraler Teil des Behandlungsplans, und die Arbeitsplatzsuche ist auch abhängig
von den Wünschen des Patienten. Jobcoaches können in der Schweiz zum Beispiel von der Invalidenversicherung im Rahmen einer Früherfassung finanziert werden. Sie müssen mit den behandelnden Ärzten in Austausch stehen, die Wünsche und Möglichkeiten des Patienten ausloten und bei der Stellensuche helfen. Darüber hinaus begleiten sie die Patienten während des Stellenantritts und stehen auch anschliessend noch beratend zur Verfügung. Aus der Arbeitslosigkeit soll also mit Unterstützung ein direkter Weg in den ersten Arbeitsmarkt führen, wofür der Begriff Supported Employment (SE) steht. Ein Cochrane-Review fand anhand von 14 randomisierten, kontrollierten Studien, dass mit SE die Arbeitsplatzvermittlung besser und rascher gelingt und dass das Arbeitsverhältnis im ersten Arbeitsmarkt länger dauert. Eine neuere Netzwerk-Metaanalyse bezeichnet SE als effektivste Methode, um Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen eine Arbeit zu verschaffen und sie in dieser Arbeit zu halten (4).
Welche Faktoren beeinflussen den Erfolg von Supported Employment? Eine randomisierte Studie an verschiedenen Zentren, darunter Zürich, hat dieses Vorgehen bei Patienten mit Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis oder mit bipolarer affektiver Störung untersucht (5). Alle waren länger als ein Jahr arbeitslos und hatten den Wunsch nach einer Tätigkeit in der freien Wirtschaft. Im Vergleich zu Kontrollpersonen waren bei Patienten nach IPS Lebensqualität und Arbeitszufriedenheit signifikant höher. Zudem waren psychotische Symptome und Hospitalisationen signifikant seltener, die Arbeit führte also keineswegs zu einer stärkeren psychischen Belastung. Die Art der psychiatrischen Diagnose beeinflusst den Erfolg von SE nicht. Die Arbeitsvermittlung funktioniert auch bei Patienten mit Schizophrenie oder affektiven Störungen, ist aber schwieriger bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen. Wichtige Patientencharakteristika sind hingegen die Motivation, die Arbeitserfahrung und positive Erwartungen (6). Für den
Erfolg begünstigend ist es, wenn der Arbeitgeber über das Jobcoaching informiert ist, was aber von vielen Patienten abgelehnt wird. Gemäss einer amerikanischen Studie, welche die Offenlegung gegenüber dem Arbeitgeber mit Nichtoffenlegung verglich, kann SE aber unter beiden Bedingungen funktionieren (7). Eine Studie aus Zürich befasste sich mit der Frage, ob Personen, die seit einem Jahr aufgrund einer psychischen Störung eine IV-Rente zugesprochen bekamen, mithilfe des IPS-Ansatzes wieder eine Arbeitsstelle im ersten Arbeitsmarkt finden können. 250 Teilnehmende erhielten zufällig entweder ein Jobcoaching oder das normale Eingliederungsvorgehen (8). Über einen Zeitraum von 24 Monaten ergab sich ein signifikanter Vorteil bei der Anstellung im Arbeitsmarkt zugunsten des IPS-Ansatzes. Zu den wichtigen Determinanten für einen Eingliederungserfolg im Arbeitsmarkt gehören auch das vorhandene soziale Netz und die Motivation. Die Motivation unterliegt der Erwartungshaltung und dem Wert, der dem Ziel beigemessen wird (Kasten). Hier können auch Ärzte unterstützend ansetzen, indem sie nicht auf Schonung pochen, sondern die Erwartung betonen, dass das Jobcoaching ein Erfolg wird. Für die Prognose mitentscheidend ist auch die Selbststigmatisierung und ihre Abhängigkeit vom Arbeitsklima. Finden Patienten eine Arbeit, in der sie vom Umfeld stigmatisiert werden, bleibt die Selbststigmatisierung im Vergleich zur Ausgangslage hoch, verhält sich das Umfeld hingegen nicht ausgrenzend, sinkt das Selbststigma. Auf diesen Aspekt können Jobcoaches zusammen mit dem Arbeitgeber Einfluss nehmen.
Jobcoaching, bevor der Arbeitsplatz weg ist Durch SE können Patienten auch besser in einem bestehenden Arbeitsverhältnis gehalten
Kasten:
Ein Modell zur Beschreibung der Motivation
Motivation = Erwartung mal Wert
Implikationen: ● Ein hoher Wert des Ziels kann eine
niedrige Erwartung ausgleichen. ● Eine hohe Chance, das Ziel zu errei-
chen, kann einen niedrigen Wert ausgleichen. ● Wenn einer der Faktoren 0 beträgt, ist die Motivation ebenfalls 0.
38 4/2019
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
SYMPOSIUM
werden. In einer randomisierten Studie wurden
bei grossen Unternehmen Mitarbeiter mit
psychiatrischer Belastung rekrutiert und erhiel-
ten randomisiert entweder eine Intervention mit
8 bis 12 Sitzungen über 3 Monate oder bildeten
die Kontrollgruppe (9). Die Intervention basierte
auf dem IPS-Konzept, setzte jedoch viel früher
ein, nicht erst nach dem Verlust des Arbeitsplat-
zes. In der Interventionsgruppe traten weniger
Arbeitsabsenzen auf, und die Symptomatik war
geringer. Ausserdem gelang es den Teilnehmern
besser, sich von der Arbeit zu distanzieren, und
sie zeigten weniger Resignation und Erschöp-
fung sowie eine bessere Lebensqualität.
Zusammenfassend forderte Prof. Kawohl, nicht
zu warten, bis das Arbeitsverhältnis aufgelöst
ist, sondern zusammen mit der IV früh einzu-
greifen. Eine IV-Früherfassung kann schon nach
30 Tagen mit Arbeitsunfähigkeit beantragt wer-
den oder auch schon früher, wenn zu erwarten
ist, dass eine längere Arbeitsunfähigkeit droht.
Jobcoaching wirkt auch bei schon berenteten
Patienten. Wegleitend sollte die Vorstellung
sein, dass oft mehr möglich ist, als Patient und
Arzt meinen. Zudem wirkt SE auch während
bestehender Anstellungen.
G
Halid Bas
Literatur: 1. Nordt C et al.: Modelling suicide and unemployment: a
longitudinal analysis covering 63 countries, 2000-11. Lancet Psychiatry. 2015; 2(3): 239–245. 2. https://www.psychiatrie.ch/sgpp/fachleute-und-kommissionen/behandlungsempfehlungen/ 3. Becker DR et al.: Individual Placement and Support: a community mental health center approach to vocational rehabilitation. Community Ment Health J. 1994; 30(2): 193–206. 4. Suijkerbuijk YB et al.: Interventions for obtaining and maintaining employment in adults with severe mental illness, a network meta-analysis. Cochrane Database Syst Rev. 2017 Sep 12; 9: CD011867. 5. Burns T et al.: The effectiveness of supported employment for people with severe mental illness: a randomised controlled trial. Lancet. 2007; 370(9593): 1146–1152. 6. Viering S et al.: Welche Faktoren beeinflussen den Erfolg von Supported Employment? Psychiatr Prax. 2015; 42(6): 299–308. 7. Allott KA et al.: Managing disclosure following recentonset psychosis: utilizing the individual placement and support model. Early Interv Psychiatry. 2013; 7(3): 338– 344. 8. Viering S et al.: Supported employment for the reintegration of disability pensioners with mental illnesses: a randomized controlled trial. Front Public Health. 2015; 3: 237. 9. Kawohl W et al.: Job maintenance by supported employment: an overview of the Supported Employment Plus trial. Front Public Health. 2015; 3: 140.
Quelle: Vortrag Prof. Dr. med. Wolfram Kawohl am Fortbildungssymposium «Psychiatrie und Somatik im Dialog 2018», 13. September 2018 in Zürich. Hauptsponsor war die Mepha Pharma AG, die keinen Einfluss auf den Inhalt des wissenschaftlichen Programms nahm.
* Halid Bas ist Medizinjournalist BR und freier Mitarbeiter beim Verlag Rosenfluh Publikationen.
Merkpunkte:
● Bei Bemühungen, Patienten mit psychischen Störungen in Arbeit zu halten, verspricht das Konzept des «Individual Placement and Support» (IPS) mehr Erfolge.
● Aus der Arbeitslosigkeit soll mit Unterstützung eines Jobcoaches ein direkter Weg in den ersten Arbeitsmarkt führen (supported employment, SE).
● Je früher SE einsetzt, desto besser – also nicht warten, bis der Job weg ist.
● SE wirkt auch bei schon berenteten Patienten und auch während bestehender Anstellungen.
● Motivation und Soziales sind wichtige Wirkfaktoren, bei denen die ärztliche Haltung unterstützend ansetzen kann.
Link: Wolfram Kawohl, Wulf Rössler: Arbeit und Psyche – Grundlagen, Therapie, Rehabilitation, Prävention. Ein Handbuch. Kohlhammer 2018, ISBN 9783170257627.