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SYMPOSIUM
Vitamine, Ernährung und neuropsychiatrische Erkrankungen
Welche Rolle Vitamine bei neuropsychiatrischen Erkrankungen spielen, erörterten Experten am Symposium «Vitamine, Ernährung und neuropsychiatrische Erkrankungen» in Zürich. So sind Demenzen mit einer Hyperhomocysteinämie assoziiert. Ein Mangel an Vitamin B12 kann bei Kleinkindern schwerste Entwicklungsverzögerungen verursachen. Aber auch Medikamente beeinflussen den Vitaminspiegel stark.
D ie Anzahl demenziell Erkrankter nimmt in den Industrieländern stetig zu. «Ab dem 65. Lebensjahr verdoppelt sich die Anzahl Betroffener», sagte Prof. Dr. Michael Linnebank, leitender Arzt Neurologie am Universitätsspital Zürich. Könnte man die demenzielle Entwicklung um 5 Jahre verzögern, dann würde sich die Prävalenz bereits halbieren. Risikofaktoren für eine Demenz vom Typ Alzheimer sind unter anderen Diabetes mellitus, das Apo-E4-Allel, ein Mangel an hochwertigen Fettsäuren und die Hyperhomocysteinämie. Der Ernährung kommt bei der Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen dementsprechend eine wichtige Rolle zu. Der Neurologe stellte einige Ernährungsfaktoren und deren Wirkung im Körper vor. Omega-3-Fettsäuren: Sie sind eine Untergruppe innerhalb der Omega-n-Fettsäuren und zählen zu den ungesättigten Verbindungen, die für den Menschen essenziell sind. Omega-3-Fettsäuren sind in Algen, Pflanzen oder Fischen enthalten. Pflanzen enthalten fast ausschliesslich Alpha-Linolensäure, während in Fettfischen und Algen vorwiegend Docohexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA) vorkommen. Die ungesättigten Fettsäuren sind wichtig für den Amyloidstoffwechsel, da sie die Zellmembran-Fluidität fördern und so den Transport von Abfallstoffen aus den Zellen verbessern. DHA kann beispielsweise Amyloidplaques verhindern und deren Clearance erhöhen. Für Vegetarier sei es allerdings schwierig, den DHASpiegel zu erhöhen, sagte Dr. Linnebank. Neben einer positiven Beeinflussung auf die Gefässe haben EPA und DHA auch günstige Effekte auf das Lipidprofil, indem sie LDL und das Gesamtcholesterin senken. Die Hyperhomocysteinämie ist ein eigenständiger Risikofaktor für die Entstehung der Atherosklerose und könnte somit vaskuläre Demenzen mitbedingen. Homocystein ist allerdings auch direkt neurotoxisch, wodurch sich die Assoziation erhöhter Homocysteinspiegel mit Neurodegeneration erklärt. Im gesunden Stoffwechsel wird Homocystein umgehend unschädlich gemacht: entweder durch Remethylierung zu Methionin oder durch Um-
wandlung in Cystein. Die Metabolisierung von Homocystein läuft mithilfe der B-Vitamine Folsäure (B9), Riboflavin, B6 und B12. Eine intrazelluläre Unterversorgung mit diesen Vitaminen stört die Verstoffwechslung, und es kommt zu erhöhten Homocysteinspiegeln im Plasma. Folglich lassen sich hohe Homocysteinspiegel durch Vitamingabe senken. Derzeit gelten Blutspiegelkonzentrationen bis 12 µmol/l als normal. Es gibt Hinweise, dass zwischen dem Verlust kognitiver Fähigkeiten und einem Mangel an Folsäure, Vitamin B6 und B12 Zusammenhänge bestehen. Die VITACOG-Studie zeigt beispielsweise, dass B-Vitamine den kognitiven und klinischen Abbau bei einem Mild Cognitive Impairment verzögern (Int. J Geriatr. Psychiatry 2012, 27, 592–600). Auswertungen der Framingham-Studie zeigen, dass bei der Demenz vom Alzheimer-Typ der Homocysteinspiegel erhöht ist, kombiniert mit einem Mangel an Folsäure und Vitamin B12. «Das Demenzrisiko verdoppelte sich bei einer Erhöhung des Baseline-Homocystein-Plasmaspiegels über 14 µmol/l», so Dr. Linnebank. Auch die Rotterdam-Scan-Studie bestätigt die Rolle von erhöhtem Homocystein als Risikofaktor für Alzheimer. Die Abnahme der Gehirnsubstanz war bei Vitamineinnahme um 29,6 Prozent geringer als in der Plazebogruppe und verlangsamte sich mit der Abnahme des Homocysteinspiegels. Bei Parkinson-Patienten wird diskutiert, ob die Hyperhomocysteinämie einen Beitrag zur Neurodegeneration liefert.
B-Vitamine, Homocystein und zerebrovaskuläre Erkrankungen Zur Prävention zerebrovaskulärer Erkrankungen sei es wichtig, die Endothelfunktion zu erhalten, sagte Prof. Dr. Uwe Till, Pathobiochemie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Welche Rolle in diesem Zusammenhang das Homocystein und die B-Vitamine B6, B9 und B12 haben, erklärte Prof. Till in seinem Vortrag. Danach wirken sich insbesondere mangelnde Folsäurezufuhr und erhöhte Homocysteinspiegel Endothel-schädigend aus. Homocystein ist ein Stoffwechselzwischenprodukt, das ohne die drei genannten Vitamine nicht abgebaut wer-
den kann. Der Homocysteinspiegel im Blutplasma ist daher ein empfindlicher Indikator für einen zellulären Mangel an diesen Vitaminen. Aus einer Metaanalyse aus über 70 epidemiologischen Einzelstudien wurde errechnet, dass eine Erhöhung des plasmatischen Homocysteinspiegels um 5 μmol/l das Schlaganfallrisiko um etwa 60 Prozent erhöht. Prof. Till unterzog die dazu vorliegenden Interventionsstudien einer kritischen Analyse, mit dem Ergebnis, dass diese nahezu alle sekundär präventiv angelegt wurden. So wurde etwa geprüft, ob nach einem ischämisch bedingten Schlaganfall die Vitaminsubstitution das Auftreten eines zweiten Schlaganfalls reduziert. Er machte deutlich, dass eine Endothel-protektive Wirkung dann gar nicht mehr möglich ist. Primär präventiv angelegte Interventionsstudien sind im Ergebnis jedoch eindeutig. Die Schlaganfallinzidenz wird durch die Vitamine um 25 bis 30 Prozent gesenkt. Als Beispiel wurde die JAVIS-Studie gezeigt, mit einem Rückgang der Intima-Media-Dicke der Halsschlagadern durch die Vitamine. Als Fazit hält Prof. Till deshalb fest, dass diese Vitamine zur Prävention des ischämischen Schlaganfalls sinnvoll sind.
Homocystein als Biomarker angeborener Stoffwechselerkrankungen Wie bedeutsam Vitamine der B-Gruppe in der Schwangerschaft und für die Entwicklung des Kindes sind, verdeutlichte Prof. Barbara Plecko, Abteilungsleiterin der Neurologie am Kinderspital Zürich, sehr anschaulich. So kamen die Eltern eines knapp 1-jährigen Jungen wegen einer Entwicklungsverzögerung in ihre Sprechstunde. Schwangerschaft und Geburt waren unkompliziert gewesen, und anfänglich verlief die Entwicklung des Kindes normal. Der Junge konnte mit 7 Monaten frei sitzen, doch danach kam es zum Entwicklungsstillstand. Auffallend war bei der klinischen Untersuchung die Blässe des Kindes. Im Blutbild zeigte sich eine Anämie, das Homocystein lag bei 120 µmol/l (–14), der B12-Serumwert bei 45 pg/ml (180–914). Nach 3-maliger Gabe von Hydroxylcobolamin 1000 µg i.m. verbesserte sich der Zustand rasch. Die Mutter des Kindes hatte sich seit mehreren Jahren vegan ernährt. Dadurch kam es zu einem tiefen B12-Gehalt der Muttermilch und zu einem alimentären Vitamin-B12-Mangel des Säuglings. Bei verzögerter Diagnose kann hieraus eine dauerhafte Lernschwäche zurückbleiben. Auch bei einem anderen Kind verlief die frühe Entwicklung problemlos, jedoch bestand eine primäre Ataxie. Das Blutbild und der MCV waren zu dem Zeitpunkt unauffällig. Mit 3 Jah-
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ren wurde der Junge aufgrund einer Pneumonie ins Kinderspital eingewiesen. Im Blutbild zeigte sich eine Panzytopenie. Er entwickelte eine Sinus-Venen-Thrombose und musste beatmet werden. Der Homocysteinspiegel lag bei 188 µmol/l (6–15) und Methionin bei 3 µmol/l (7–47). Der zugrunde liegende Defekt lag auf Stufe der Methioninsynthase mit einer daraus resultierenden Störung im zytosolischen Methylgruppentransfer und Thromboseneigung. Unter Therapie mit Betain, Folinsäure und Cobalamin kam es zu einer raschen klinischen Besserung, jedoch verblieb eine spastische Paraparese durch irreversible Schädigung des Myelons.
Protonenpumpen-Inhibitoren: Interferenz mit Vitamin B12 und dessen Folgen PD Dr. Olaf Stanger, Herz- und Gefässchirurgie am Universitätsspital Bern, sprach über die
Interferenz von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) und Vitamin B12 und die daraus folgenden Störungen. Bei einer Gesunduntersuchung eines beschwerdefreien Nicht-Vegetariers im mittleren Alter fiel ein zufällig entdeckter extrem hoher Homocysteinwert von 108,4 µmol/l auf. Beim im Übrigen beschwerdefreien «Patienten» konnte trotz Therapie mit Folsäure der Homocysteinwert nicht unter 54 µmol/l gesenkt werden. Weiterführende Analysen ergaben schliesslich einen ursächlichen Vitamin-B12Mangel, der die Verwertbarkeit von Folat zum Homocysteinabbau verhinderte («Folat- bzw. Methylgruppenfalle»). Die intramuskuläre Gabe von Cobalamin (Vitamin B12) hatte das Stoffwechselproblem vorderhand vollständig gelöst, die Ursache für den Mangel fiel aber trotz umfangreicher Diagnostik (Genetik, Gastroskopien etc.) eher zufällig auf: Der Betroffene nahm einen Protonenpumpeninhibitor (PPI) mit dem
Wirkstoff Esomeprazol gegen Sodbrennen ein.
Für die Abspaltung von Cobalamin vom
Nahrungseiweiss wird allerdings der niedrige
ph-Wert der Magensäure benötigt. Erst die
freie Form wird weitertransportiert und letztlich
nach Bindung an den Intrinsic factor (IF) vom
Körper aufgenommen und verstoffwechselt.
Dieser Fallbericht wurde unterdessen durch um-
fangreiche Populationsuntersuchungen (JAMA
2013; 310: 2435–2442) und auch mit einer ran-
domisierten, doppelblinden Interventionsstu-
die der Arbeitsgruppe des Redners bestätigt.
Es bleibt die Empfehlung, PPI entweder nicht
grundlos über lange Zeit einzunehmen oder
die benötigte – relativ geringe Menge – in
Tablettenform zu substituieren, denn freies
Cobalamin wird zum Teil passiv und ph-
unabhängig aufgenommen.
G
Annegret Czernotta
Quelle: Symposium «Vitamine, Ernährung und neuropsychiatrische Erkrankungen» vom 5. Februar 2015 am Universitätsspital Zürich.
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