Transkript
FORTBILDUNG
Migration als Herausforderung unseres Fachs:
Brauchen wir eine kultursensitive Psychiatrie und Psychotherapie?
Migration ist eine Realität. Die Zahlen haben sich laut WHO seit 1975 verdoppelt (19). Auch in der Schweiz greift das Problem der umgekehrten Alterspyramide, bei der junger Arbeitsnachwuchs zunehmend weniger ausreicht, um den wachsenden Anteil der älteren Bevölkerung zu versorgen. Humanitäre Faktoren und weltweite Krisengebiete tun ihr Übriges, um den traditionell deutlich höheren Anteil an Migranten in der Schweiz im Vergleich zu den europäischen Nachbarn hoch zu halten und tendenziell noch zu erhöhen. Damit gewinnen allgemein Fragen von erfolgreicher Integration und multikultureller Gesellschaft an Bedeutung und speziell auch Aspekte der Gesundheitsprävention und -versorgung von Migranten – nicht nur bei psychischen Störungen.
Roland Vauth
Von Roland Vauth
M oderne psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung folgt einem evidenzbasierten Mehrebenenansatz störungsspezifischer Pharmakotherapie und kombinierter störungsspezifischer, manchmal auch problemspezifischer Behandlung. Das Vorgehen legen Leitlinien (Guidelines) der Fachgesellschaften auf der Basis des empirischen Forschungsstands und der klinischen Wertung fest. Eine Revision der Leitlinien erfolgt rund alle zwei Jahre (3). Hier stellt sich die drängende Frage: Können wir die an Majoritätskulturmitgliedern gewonnenen Erkenntnisse 1:1 auf Menschen mit psychischen Störungen und Migrationshintergrund übertragen? Oder braucht es spezifische Anpassungen des Vorgehens? In den USA wurden immerhin «Guidelines on Multicultural Education, Training, Research, Practice, and Organizational Change for Psychologists» von der American Psycholgical Association entwickelt (1). Für den deutschsprachigen Bereich der Sektion Transkulturelle Psychiatrie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) liegt zumindest ein Positionspapier vor (4), das interessante Rahmenaspekte skizziert. Der vorliegende Artikel will Position beziehen und Anregungen geben. Wichtige Aspekte, die es im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage innerhalb des «Cultural Influences on Mental Health (CIMH)-Model» (5) – einem Modell zum besseren Verständnis der Einflüsse von Kultur auf die mentale Gesundheit – zu streifen gilt, sind Prävalenzunterschiede, Migration als Vulnerabilitätsfaktor, Unterschiede in der Erscheinungsform psychischer Störungen bei Menschen aus anderen Kulturen, Probleme der Diagnostik, Bewältigungsstile, Hilfesuchverhalten sowie Besonderheiten der Behandlung.
Dass Handlungsbedarf besteht, kann man aus den international einheitlichen Befunden über das Hilfesuchverhalten herleiten: Migranten nehmen bei psychischen Problemen häufig erst sehr spät fachliche Hilfe in Anspruch (5). Oftmals ist die Symptomatik dann deutlich schwerer oder chronifizierter (5). Das Aufsuchen von hausärztlicher versus psychologischer versus alternativmedizinischer versus spiritueller Hilfe und so weiter hängt wesentlich vom Krankheits- und Behandlungsmodell des Patienten ab (6, 7). Sinnvollerweise wird dieses in den ersten Konsultationen erarbeitet, da es unmittelbar mit der Frage der Behandlungsmotivation und Aufnahmebereitschaft für bestimmte therapeutische Interventionen zusammenhängt (6). Psychische Störungen werden in der hausärztlichen Versorgung bei Migranten oft gar nicht beziehungsweise erst sehr spät erkannt.
Ursachen für Nicht- oder Fehlinanspruchnahme von Behandlung Die Gründe für eine Nicht- oder Fehlbeanspruchung von Behandlung sind vielfältig: sprachliche, kulturelle und religiöse Verständigungsschwierigkeiten mit dem Behandler, der in der Regel der Mehrheitskultur angehört, Schwierigkeiten beim Aufbau einer tragfähigen Behandler-Patient-Beziehung (z.B. durch Schwierigkeiten in der Kommunikation, Wertorientierung, Erwartung aneinander), ein höherer Arbeitsaufwand für die Behandler (sozialpsychiatrische Vernetzungsarbeit), mangelnde interkulturelle Kompetenz der Behandler beziehungsweise des Behandlerteams und fehlende strukturelle Rahmenbedingungen in der Versorgung und Behandlung der Migranten (z.B. Dolmetscherverfügbarkeit). Andere Aspekte des mangelnden Zugangs zu therapeutischer Hilfe sind natürlich auch in bestimmten Ländern fehlende oder
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unzureichende Krankenversicherungen bei schlechten sozioökonomischen Verhältnissen, die bei ethnischen Minoritäten häufiger anzutreffen sind, oder auch kulturell unterschiedliche Stigmatisierung von psychischen Störungen mit der Folge von Scham und Angst vor sozialer Ausgrenzung bei in der Regel höherem Konformitätsdruck bei Migranten (5, 8, 9). Zu den strukturellen Massnahmen, die man durchführen kann, gehören bessere Servicevernetzungen und vor allem die Schaffung transkultureller Kompetenzzentren, die frühzeitig den Kontakt zum Hilfesuchenden kultursensitiv gestalten können und so die Rate der «Nicht-Anbindbarkeit» oder des frühzeitigen Behandlungsabbruchs reduzieren helfen können (5).
Migration ist einschneidend Migration ist für die Entstehung psychischer Erkrankungen ein bedeutsamer Risikofaktor. Kaum eine Veränderung ist im Leben so einschneidend (10). Nahezu alle Umgebungsaspekte ändern sich für den Migranten. Dies reicht von Nahrung, sozialen Beziehungen und Familie bis hin zu Sprache und Klima. Vulnerable emotionale Prozesse reichen von emotionalem Verlust der kulturellen und zwischenmenschlichen Wurzeln in der Heimat (Veränderung als Trauerprozess) bis zu enttäuschten Hoffnungen im neuen «Paradies», allgemeinen Akkulturationsproblemen sowie Erfahrung von Diskriminierung (5). Bezüglich des Risikos, seelische Störungen zu entwickeln (13), kann man Migranten nicht als homogene Risikogruppe betrachten: Die Motivation zur Migration (z.B. Gastarbeiter vs. Flüchtling), die Fremdheit der Gastlandkultur, auch vermittelnde Instanzen haben einen moderierenden Einfluss, nicht zuletzt auch die Ethnie selbst. Diese stressinduzierende Wirkung des «Trauerprozesses Heimatverlust» ist abhängig von dessen Länge und Intensität, wie dem Verlust von Familie, Freunden oder Status. Dieser Trauerprozess wird oft reaktiviert durch Kontakt mit der Heimat (1) oder/und durch Schwierigkeiten, dieser Trauer angemessen Ausdruck zu verleihen. Bei der Integration können sie dann zu manifesten seelischen Störungen wie (10) dem Ulysses-Syndrom führen (10). Und depressive Syndrome mit Angst-, somatoformen und dissoziativen Symptomen, Anpassungsstörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen aufgrund zurückliegender Gewalterfahrungen können die Folge sein (11). Auch liegen aus den USA Befunde vor, dass die Prävalenz mancher psychischer Störungen wie die der Schizophrenie bei bestimmten Migrationsgruppen um das Zwei- bis Dreifache erhöht ist (5). Die genauen Gründe hierfür sind unklar, wobei Migration als Vulnerabilitätsfaktor diskutiert wird (18). Auch die rückfallprovozierenden Risikofaktoren unterscheiden sich, zum Beispiel bei schizophrenen Störungen: Während bei weissen Amerikanern Bevormundung und abwertende Kritik (sog. «High Expressed Emotion») Hauptrückfallfaktoren waren, waren es bei mexikanisch-stämmigen Amerikanern der Verlust von emotionaler Wärme und emotionale Distanz (5). Ein anderes Beispiel für kulturabhängig unterschiedliche Prävalenzraten bestimmter psychischer Störungen ist das vermehrte Auftreten von Essstörungen wie Anorexie oder Bulimie in westlichen Kulturen (5).
Schutz- und Risikofaktoren Das Gesundheitsmonitoring der Schweizer Migrationsbevölkerung (14) zeigt, dass das Inanspruchnahmeverhalten gegenüber ärztlicher Hilfe bei psychischen Störungen (z.B. Anzahl Arztbesuche/Jahr) nicht nur von der Ethnie, sondern auch stark von Alter und Geschlecht abhängig ist, wobei generell mit dem Alter die Konsultationsfrequenz steigt. Besonders bei türkischen Frauen und Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien zwischen dem 5. und 6. Lebensjahrzehnt zeigt sich eine stärkere Zunahme der Arztbesuche. Und insgesamt zeigt sich bei türkischen Migranten eine höhere Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe als bei Migranten aus Italien, Portugal, Sri Lanka oder auch der Schweizer Bevölkerung. Dabei sind höhere Sprachkompetenz und Migration vor dem 15. Lebensjahr protektive Faktoren bezüglich eines schlechten allgemeinen Gesundheitsstatus, Mangel an emotionaler Ausgeglichenheit oder einer Inanspruchnahme von fachpsychiatrischer Hilfeleistung. International konnte man folgende Schutz- (+) beziehungsweise Risikofaktoren (–) für psychische Gesundheit bei Migranten identifizieren (15): G Arbeit und Stabilität der ökonomischen Situation (+) G Kulturelle und soziale Marginalisierung (–) G Entfremdung von der Familie (–) G Druck der Familie, in die Heimat Geld zu schicken (–) G Diskriminierung als Ausländer (–) G Auseinandersetzung mit gesetzlichen Bestimmun-
gen (–).
Herkunftsethnie und Ausdruck von Stress bei psychischer Störung Auch wenn die Kernaspekte der wichtigsten psychischen Störungen kulturübergreifend übereinstimmen, kann kulturabhängig die Erscheinungsform des durch die psychische Störung hervorgerufenen Stresses durch die Herkunftsethnie moduliert werden: So zeigen sich etwa bei den häufig auftretenden depressiven Störungen bei Menschen, die aus mediterranen Anrainerstaaten oder Asien stammen, in Europa stärkere Ausprägungen somatischer Depressionsäquivalente oder auch häufiger Elemente des somatischen Syndroms wie Kopfschmerz oder Bauchweh, die klassischerweise nicht im DSM respektive im ICD aufgeführt werden. Ein anderes Beispiel ist die Präsentation von Panikstörungen mit unkontrolliertem Herumschreien, Zittern und psychogenen Krampfanfällen bei lateinamerika-stämmigen Amerikanern. Möglicherweise liegt dies daran, dass psychologische Symptome – etwa der Depression – in bestimmten Kulturen eher als zum Beispiel bei Westeuropäern als Schwäche bewertet werden oder andere sprachliche Kategorien vorliegen, um die Probleme zu interpretieren, zu bewerten oder zu kommunizieren (5). Auch kann die soziale Resonanz hierauf die Ursache für die Unterschiede der Störungspräsentation sein, zum Beispiel können psychologische Symptome eher soziale Distanz aufbauen, während körperliche Symptome eher Empathie hervorrufen und keine Stigmatisierung. Solche Unterschiede in der Beschwerdepräsentation können Quelle vermehrter Fehldiagnosen psychischer Störungen bei ethnischen Minoritäten sein. Als klinisches Beispiel sei etwa die Verkennung einer Schmerzstörung als psychotische Störung mit Ko-Anästhesien
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Kasten:
ADRESSING-Algorithmus als Leitfaden interkulturellen psychiatrisch-psychotherapeutischen Arbeitens (Hays, 2001)
G (A) Age and generational influences G (D) Developmental or acquired disabilities G (R) Religion and spiritual orientation G (E) Ethnicity G (S) Socioeconomic status G (S) Sexual orientation G (I) Indigenous heritage G (N) National origin G (G) Gender
bei einer türkischen Migrantin aus ländlicher Region genannt. Die Frau hatte eine lediglich 5-jährige Schulbildung erfahren und erklärte sich ihre Schmerzen mit Körpergeistern (Dschins).
Was heisst kultursensitiv? Doch was bedeutet es, kultursensitiv die psychiatrischpsychotherapeutische Versorgung zu organisieren? Hierzu müssen wir zunächst einmal begreifen, wie Kultur unsere Erfahrungen im Kontext psychischer Störungen formt (12). Kultur wird als fortschreitend in der individuellen Auseinandersetzung mit Lebenskontexten gebildetes Werte- und Erwartungsgefüge begriffen. Solche Auseinandersetzungen finden in für psychische Gesundheit respektive Krankheit kritischen Bereichen statt. Werte und Erwartungen im Zusammenhang mit Krankheit respektive Gesundheit haben Einfluss auf das Hilfesuchverhalten, die Behandlung und den Umgang mit psychischer Krankheit. Beispiele hierfür sind etwa Selbststigmatisierung, aktive versus passive Änderungserwartung, Akzeptanz, Einsatz von Bewältigungsstrategien, Zugang zu sozialer Unterstützung versus «Verheimlichung» und sozialer Rückzug und so weiter; auch die Entwicklung und Aufrechterhaltung verschiedener Aspekte von stress- und krankheitsprotektivem gesundem Lebensstil (z.B. Ernährung, Bewegung, selbstfürsorgerischer oder achtsamer Lebensstil etc.) sind hiervon abhängig. Entwicklungsaufgaben im Lebens- und Familienzyklus werden ebenfalls kulturell geprägt. Beispiele hierfür sind die Ablösung vom Elternhaus, Geburt, Trennung, Tod, Verlust, Aufbau von Freundeskreis und Intimpartnerschaften, Ausbildungsbeginn und -ende, Beginn und Entwicklung von Berufstätigkeit, Umgang mit beruflichem Auf- und Abstieg sowie Invalidisierung oder Ruhestand. Im kultursensitiven psychotherapeutischen Arbeiten müsste der Therapeut sich fragen, wie die Kultur den jeweiligen Phasenübergang vorsieht. Welche Riten markieren beispielsweise den jeweiligen Übergang und betten ihn ein in einen sozialen Rahmen? (12, S. 86). Kulturelle Werte und Erwartungen prägen zum Dritten auch das Rollenverhalten im Kontext von Familie, Beruf und Freundschaft beziehungsweise Geschlechterrollen (z.B. Rechte und Pflichten, Angemessenheit von Verhalten, wer gilt als Freund/Feind, Ausdruck von Respekt und Ärger). Hierdurch werden in der Ausein-
andersetzung mit der Majoritätskultur für Angehörige von Minoritäten Ressourcen bereitgestellt oder aber im Erwartungskonflikt bei divergierenden Werte- und emotional relevanten Referenzgruppen (z.B. Eltern vs. Peergroup) Vulnerabilitäten für psychische Störungen gesetzt beziehungsweise das (Hilfesuch- und Änderungs-)Verhalten und die Motivation im Kontext der Behandlung psychischer Störungen beeinflusst.
Hauptforderungen für eine transkulturelle Psychiatrie (16) Zunächst muss kultursensitiveres therapeutisches Arbeiten gefördert und weniger statisches und mehr dialogisches Kulturverständnis beim Therapeuten aufgebaut werden. Hinweise, wie dies umgesetzt werden kann, gibt der Ansatz der kulturellen Formulierung von Problem und Erkrankung durch den Patienten vor, der auf folgende Aspekte fokussiert (vgl. Rohloff et al. 2009): G Kulturelle Identität des Patienten: zum Beispiel «Ira-
ner, Muslim, Asylant, Schweizer (...)?» G Kulturspezifische Erklärung und Bedeutung der Er-
krankung: subjektive persönliche beziehungsweise kollektive Erklärungsmodelle in sozial bedeutsamen Referenzgruppen, zum Beispiel Schmerz als Wirkung von Körpergeistern, als Ausdruck von Schuldgefühlen gegenüber zu Tode gekommenen oder in Unsicherheit oder «ungerächt» zurückgelassenen Familienmitgliedern, Leiden als Kommunikation von Bitte um Unterstützung, Behandlungspräferenzen aufgrund bisheriger Erfahrungen und Erwartungen (...) G Kulturelle Einflussfaktoren aus dem Umfeld des Patienten: zum Beispiel «welche Symptome/Erkrankungen sind in der Heimat/Familie akzeptiert, welche stigmatisiert?» G Kulturelle Elemente in der Therapeut-Patient-Beziehung (Einnehmen einer Vogelperspektive notwendig): zum Beispiel Über- versus Unterschätzung von Werten, Rollenunterschieden, «wird der männliche arabische Patient mich als weiblichen Therapeuten überhaupt akzeptieren?», «will der Patient mich nicht nur missbrauchen für eine Transport- oder Arbeitsunfähigkeits- oder andere Bescheinigung?» (...) G Spezifische Schwierigkeiten bei dolmetschergestütztem Arbeiten: Desynchronisation von fraglichen Kanaldiskrepanzen (was der Patient inhaltlich mitteilt und ob das nonverbale Verhalten hierzu passend oder unpassend ist), Verhaltensbeobachtung (z.B. gestörtes formales Denken, auffällige Selbstinszenierungen oder Symptompräsentationen, Misstrauen gegenüber «Bespitzelung»/möglicher Indiskretion durch Landsleute) G Einstellung des Therapeuten zur Kultur des Patienten und seiner eigenen Kultur G Vorerfahrung des Patienten mit Diskriminierung und Unzugänglichkeit versus angemessen erlebte Hilfe, Einfluss von Geschlechtseffekten, bestimmten (Sub-) Kulturen.
Ein interessanter Ansatz, wie Kultursensitivität in psychiatrisch-psychotherapeutischer Versorgung umgesetzt werden kann, stammt von Hays. Sein ADRESSINGAlgorithmus (17, Kasten) sieht die Option von fragengeleitetem Vorgehen vor, das die Bedeutung evidenz-
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basierter Interventionen besser an den Patienten heranbringt: «Wie ist das denn in Ihrer Heimat, in Ihrem Dorf, wenn jemand in Ihrem Alter/Ihrer Generation dieses Problem hätte, was würden dann die Nachbarn denken, was da los ist, was zu tun ist ... und so weiter.»
Fazit Kultursensitive Psychiatrie ist eine Herausforderung für die heutige multikulturelle Gesellschaft. Sie führt den Patienten vor allem durch Fragen (Reduktion von Stereotypen gegenüber dem Migranten) und erfordert die präzise Kenntnis des Einflusses von anderer Kultur auf beispielsweise die Symptompräsentation. Aber: Die Gefahr auf Behandlerseite besteht nicht nur in einer Unterschätzung kultureller Unterschiede, sondern auch in deren Überschätzung, wenn er zum Beispiel in innere Resignation verfällt («Dem/der ist nicht zu helfen!») und plötzlich bestimmte durchaus geeignete Lösungsschritte gar nicht mehr versucht werden, weil der Patient so anders erscheint, dass Erfolg gar nicht erwartet wird. G
Korrespondenzadresse: Prof. Dr.med. Dipl.-Psych. Roland Vauth
Ärztlicher Leiter der Ambulatorien für Psychotische Erkrankungen
und Transkulturelle Psychiatrie Kornhausgasse 7 4051 Basel Tel. 061-325 81 00
E-Mail: roland.vauth@upkbs.ch
Merksätze:
G Migranten nehmen bei psychischen Problemen häufig erst sehr spät fachliche Hilfe in Anspruch.
G Migration ist für die Entstehung psychischer Erkrankungen ein bedeutsamer Risikofaktor.
G Die Prävalenz mancher psychischer Störungen ist bei bestimmten Migrationsgruppen um das Zwei- bis Dreifache erhöht.
G Die Erscheinungsform des durch die psychische Störung hervorgerufenen Stresses ist kulturabhängig und wird durch die Herkunftsethnie moduliert.
G International lassen sich Schutz- und Risikofaktoren für psychische Gesundheit bei Migranten identifizieren.
G Kultursensitiveres therapeutisches Arbeiten muss gefördert und weniger statisches und mehr dialogisches Kulturverständnis beim Therapeuten aufgebaut werden.
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