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FORTBILDUNG
Stressmanagement und Burn-out-Prävention
In der Psychiatrie haben sowohl junge Berufseinsteiger als auch erfahrene Fachpersonen, die viel Verantwortung tragen müssen, ein besonderes Risiko für Burn-out. Was ist auf persönlicher oder institutioneller Ebene zu ändern, damit ärztliches Personal nicht zu schnell ausbrennt? Ein Interview mit Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wulf Rössler, Direktor der Klinik für Soziale Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie Zürich West der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich.
Psychiatrie & Neurologie: Wie häufig erkranken Psychiater an einem Burn-out? Prof. Wulf Rössler: Zahlen zur genauen Häufigkeit nur unter Psychiatern fehlen. Daten von Bergner aus dem Jahr 2004 zeigen, dass rund 20 Prozent aller Ärzte an manifesten Beschwerden im Sinne eines Burn-outs leiden. Insgesamt sind junge Ärzte stärker von einem Burn-out betroffen oder Burn-out-gefährdet. Das hängt damit zusammen, dass sie ihre eigene professionelle Identität noch finden müssen. Das ist oft mit Problemen verbunden, beispielsweise der Angst, die erforderliche Rolle nicht erfüllen oder ausfüllen zu können. Für Psychiater ist beispielsweise der Suizid eines Patienten der Super-GAU; die «Krone des Versagens». Viele Psychiater denken dann, ihnen sei etwas entgangen. Der Suizid wird aber fast nie als Entscheidung des Patienten akzeptiert, die dieser getroffen hat. Ältere Mediziner oder Psychiater hingegen sind weitestgehend im Beruf etabliert. Sie haben die Probleme der Identitätsfindung überwunden.
Dann ist Burn-out mehr als nur ein populäres Wort? Wulf Rössler: Burn-out ist keine Krankheit, sondern ein Konzept. Burn-out ist durch drei wesentliche Merkmale gekennzeichnet: durch emotionale Erschöpfung, einen Abfall der Leistungsfähigkeit und durch das Auftreten von Entfremdungsgefühlen bei der Arbeit. Menschen können besser mit dem Begriff des Burn-outs umgehen als mit einer Depression, weil es die Ursachen in die Umwelt verlagert. Eine Depression wiederum wird als Persönlichkeitsstörung wahrgenommen, man ist quasi «selbst schuld». Das ist mit einem Stigma behaftet. Das Burn-out hingegen wird gerne erschwerten Rahmenbedingungen zugeschrieben. Der Begriff ist deshalb einfacher zu akzeptieren.
Welche Methoden sind hilfreich, um das eigene Stressrisiko zu erfassen? Wulf Rössler: In der Therapie sollte der subjektive Umgang mit Stress im Mittelpunkt stehen. Jeder Mensch geht anders mit Stress um. Es gibt neugierige Men-
Wulf Rössler
schen, die neue Umstände als Herausforderung empfinden. Andere Personen fühlen sich durch Neues eher gestresst und empfinden Angst. Deshalb muss jeder sein persönlich empfundenes Mass an Arbeitslast entdecken, das er ertragen kann. Dann ist der Entscheidungsspielraum entscheidend: Kann ich selber Prioritäten setzen und mitentscheiden? Wenn das nicht der Fall ist, wirkt das wie ein Brandbeschleuniger für Burnout. Die Arbeit wird dann als Sklavenarbeit wahrgenommen.
Was belastet in der Psychiatrie am meisten: das Team, der Patient, die Organisation? Wulf Rössler: In der Schweiz sind institutionell betrachtet die Rahmenbedingungen in der Psychiatrie insgesamt noch immer gut – ganz im Gegensatz zu Deutschland. Dort stresst der enorme administrative Aufwand; das Ausgeliefertsein den Krankenkassen gegenüber. Was bei uns stresst, ist der Arztberuf an sich, der administrative Aufwand hält sich gegenüber dem Nachbarn noch in Grenzen. Aber es wird viel Verantwortung übernommen, die Diensteinsätze sind unregelmässig, die Arbeitszeiten lang, häufig muss eingesprungen werden, sodass ein permanenter Druck
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vorhanden ist. Hinzu kommen innere oder persönliche Faktoren, die Stress verursachen. Burn-out-gefährdet sind Personen mit grossem Engagement und grosser Erwartung an den Beruf. Insgesamt gilt: Je emotionaler der berufliche Kontakt, desto anfälliger sind die betroffenen Personen für ein Burn-out, je technischer ein Beruf, desto geringer ist das Risiko.
Warum fühlen sich gerade Psychiater aber häufig benachteiligt? Wulf Rössler: In der institutionellen Psychiatrie stehen die Klienten oft in Opposition zur Behandlung – im Gegensatz zur somatischen Medizin, wo der Arzt Experte ist. Psychiatrische Patienten hinterfragen, ob man Medikamente nehmen muss, sie führen die Therapie nicht durch oder hinterfragen sie. Das widerspricht dem Ideal, weswegen man in der Psychiatrie arbeiten wollte, und schafft Unzufriedenheit. Auch der Lohn ist nicht unerheblich. Obwohl Psychiater noch immer gut verdienen, liegen sie im Quervergleich deutlich hinter den Ärzten der somatischen Medizin zurück. Für den gleichen Aufwand erhalten sie ihrer Meinung nach weniger Geld, entsprechend einem negativen Verhältnis von «Effort» und «Reward».
Sie waren verantwortlich für das Zürcher Empowerment-Programm? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Wulf Rössler: Die Erfahrungen sind zwiespältig. Mit dem Empowerment-Programm wollten wir die Mitarbeiter in der Psychiatrie unterstützen. Wie bereits erwähnt, gibt es selten positives Feedback seitens des Klienten, Feedback erfolgt in der Regel erst, wenn etwas schiefgeht. Mit dem Programm wollten wir die Mitarbeiter unterstützen und Trainingsmodule, inklusive organisatorischer Veränderungen in den beteiligten Kliniken, anbieten. Beteiligte weitere Unternehmen fühlten sich durch das Projekt eher an den Pranger gestellt. Die Gräben zwischen Arbeitnehmer und -geber wurden voreilig definiert, beispielsweise, indem Gewerkschaften von einer unglaublichen Belastung der Arbeitnehmer gesprochen haben. Die Arbeitgeber wiederum versuchten sich abzugrenzen, indem sie gesagt haben, dass sie keine Sozialinstitution seien und primär Geld verdienen müssten. Die Konfrontation verlief dementsprechend ungut.
Mittlerweile zeichnen Sie für das Supported-Employment-PLUS-Projekt an der Leuphana-Universität Lüneburg (D) verantwortlich. Inwiefern unterscheiden sich die Projekte? Wulf Rössler: Die Anzahl von Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund von psychischen Erkrankungen ist in den letzten zehn Jahren massiv angestiegen. Arbeitsunfähigkeit aufgrund von psychischen Belastungen oder Erkrankungen mündet zudem für den betroffenen Ar-
beitnehmer häufig in eine staatliche Erwerbsminderungsrente. Darüber hinaus ist die Arbeitslosenquote unter Menschen, die durch psychische Belastungen und Erkrankungen von der Erwerbstätigkeit ausgeschlossen sind, extrem hoch. Mit dem Forschungsvorhaben Supported Employment PLUS gehen wir einen neuen Weg: Arbeit wird nicht als Problem, sondern als Weg zur Verbesserung des Gesundheitszustandes betrachtet. Die betroffenen Personen werden durch fachlich versierte und speziell auf psychische Erkrankungen geschulte Supported-Employment-PLUS-Coaches individuell begleitet. Diese nehmen eine beratende und unterstützende Funktion für Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Kollegen und weitere Beteiligte des betrieblichen Umfeldes ein. Die Umsetzung erfolgt «on the job». Der Arbeitnehmer wird individuell begleitet. Das Konzept ist neu, obwohl es betriebliche Gesundheitsmanagements in fast allen Betrieben gibt. Dort erfolgt die Unterstützung allerdings weniger gezielt und fundiert. Oftmals fehlen Anleitungen bezüglich der Art und Weise, wie kommuniziert wird, warum etwas gemacht wird, wie Feedback gegeben oder auch akzeptiert wird. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sich Betriebe mit dem Thema Gesundheitsmanagement eher schmücken. Denn häufig ist es nicht mehr als Wellness.
Was können Sie Arbeitskollegen empfehlen, um ein Burn-out zu vermeiden? Wulf Rössler: Es ist wichtig, die eigene, persönliche Vulnerabilität zu erfassen, danach erfolgt die Analyse der negativen Stressoren am Arbeitsplatz. Es gibt Arbeitnehmer mit Hang zur Katastrophisierung. Auch eine geringe Arbeitslast wird dann als Stress empfunden. Depressive Patienten – auch Psychiater – hingegen verallgemeinern sehr stark und landen oftmals in einer Spirale der Selbstentwertung. Auf der praktischen Seite geht es dann darum, Zeitmanagementprobleme anzusprechen. Oftmals sind zu viele Termine in der Agenda eingetragen. Die betroffene Person hetzt Terminen hinterher. In der Regel sollte 60 Prozent der Zeit gefüllt sein, der Rest hingegen sollte zur freien Verfügung stehen. ●
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wulf Rössler
Psychiatrische Universitätsklinik Forschungsbereich Klinische und Soziale Psychiatrie
Militärstrasse 8 Postfach 1930
8021 Zürich E-Mail: roessler@dgsp.uzh.ch
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