Transkript
Kongressbericht
mental health forum 2007:
Burn-out – Zeiterscheinung oder Krankheit?
Von Renate Bonifer
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Der Begriff Burn-out wird von Patienten wie Ärzten häufig benutzt, eine klar definierte Diagnose ist er indes nicht. Dies wurde am «mental health forum» in Bern deutlich, an dem vor vollem Haus Psychiater, Psychologen, Politiker und Ökonomen über ihre Sicht des Burn-outSyndroms berichteten. In einem Punkt waren sich jedoch alle einig: Burnout ist ein wachsendes Problem in der modernen Arbeitswelt.
B urn-out sei eine häufige Selbstdiagnose, mit der psychisch belastete Patienten zum Arzt kommen, sagte Profesor Erich Seifritz, ärztlicher Direktor des Sanatoriums Kilchberg, am «mental health forum» in Bern. Doch der Begriff ist nicht nur bei Patienten beliebt. Die grosse Mehrheit der anwesenden Ärztinnen und Ärzte meldete sich, als Kongressmoderatorin Professor Edith Holsboer-Trachsler nachfragte, wer in
seiner Praxis bereits einmal die Diagnose Burn-out gestellt habe. Dabei findet sich der Begriff weder im DSM noch im ICD-10 als eigenständige Krankheit; nur als sogenannte Z-Nummer kommt Burn-out im ICD-10 vor. Damit werden Faktoren definiert, die den Gesundheitszustand beeinflussen. In der Tat werde die grosse Aufmerksamkeit für das Phänomen Burn-out von der akademischen Psychiatrie mit vorsichtiger Zurückhaltung bis Skepsis betrachtet, sagte Professor Werner Strik, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik und Poliklinik Bern. Es stehe zwar ausser Zweifel, dass es unter bestimmten Bedingungen am Arbeitsplatz zu ausgeprägten psychischen Störungen mit behandlungsbedürftigem Krankheitswert kommen kann, doch liessen sich die individuell unterschiedlich ausgeprägten Symptome gut definierten psychiatrischen Diagnosen zuordnen. Da die Symptomatik von gedrückter Stimmung mit chronischer Erschöpfung und Selbstentwertung über querulatorische Entwicklungen bis hin zum sekundären Substanzmissbrauch reiche, sind Prognose und Therapie je nach Störungsbild und Entstehungsbedingungen sehr unterschiedllich. Darum erscheine es fragwürdig, den gemeinsamen Nenner für eine Erkrankung alleine aufgrund von Umgebungsfaktoren, in diesem Fall der Arbeitswelt, zu definieren: «Man stelle sich in einer vergleichbaren Situation in der somatischen Medizin vor, man würde bei einem Raucher nicht mehr die Diagnosen chronische Bronchitis, Herzinfarkt, vaskuläre Demenz oder Lungenkarzinom stellen, sondern stattdessen von einem Rauchersyndrom sprechen», sagte Strik. In seiner Abteilung wurden mit der vermeintlichen Diagnose
Burn-out beispielsweise schon Patienten mit Manie, schwerer phasischer oder saisonaler Depression oder langjähriger Alkoholabhängigkeit zugewiesen. Auf der anderen Seite sei der Begriff Burn-out aber durchaus nützlich, weil er auf ein Erkrankungsrisiko und die Notwendigkeit der Prävention aufmerksam macht, sagte Strik und war sich in diesem Punkt mit allen Referenten des Symposiums einig. Anders als beispielsweise die Depression ist Burn-out eine gesellschaftlich anerkannte «Krankheit»: Schliesslich heisst es, dass ihr bevorzugt idealistische Leistungsträger und Workaholics zum Opfer fielen, die für ihren Job «brennen». Obendrein liefert der Begriff auch gleich eine griffige, bildhafte Erklärung mit, warum man leidet: Man ist eben «ausgebrannt».
Mythen und Gesichertes zum Burn-out-Syndrom
Die gängigen Klischees zum Burn-out treffen im Einzelfall nicht unbedingt zu. Gleich mit mehreren davon räumte die Arbeitspsychologin Dr. Nicola Jacobshagen vom Institut für Psychologie an der Universität Bern auf: Nicht nur Workaholics sind betroffen, sondern auch zu wenig Arbeit kann zu Burn-out führen. Es braucht auch nicht viele Jahre, bis es dazu kommt, selbst Berufsanfänger können schon nach relativ kurzer Zeit darunter leiden. Auch sei das Unternehmen nicht an allem schuld, selbst wenn die heutige Berufswelt sicher ein wesentlicher Faktor ist. Vielmehr spielen auch persönliche Ansprüche und Erwartungen an den Beruf eine grosse Rolle. So steht Burn-out mit der sogenannten «Gratifikationskrise» in Verbindung,
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Professor Erich Seifritz, ärztlicher Direktor des Sanatoriums Kilchberg
Professor Edith Holsboer-Trachsler, Leiterin der Abteilung für Depressionsforschung, Schlafmedi-
zin und Neurophysiologie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel (li),
und Dr. med. Barbara Hochstrasser, Chefärztin an der Privatklinik Meiringen
Professor Werner Strik, Direktor der Univer-
sitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie Bern
einem Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen und Belohnungen am Arbeitsplatz. Dabei geht es primär nicht um die finanzielle Entlöhnung, sondern um Wertschätzung, Fairness und selbstbestimmtes Arbeiten. Der Begriff «Burn-out» ist übrigens älter als viele denken. Bereits in den Dreissigerjahren fand er sich im weitverbreiteten amerikanischen Wörterbuch «Merriam-Webster’s Dictionary» und bezeichnete damals ein Erschöpfungsphänomen in den Bereichen Profisport und darstellende Künste. 1969 verwendete der Psychologe H.B. Bradley den Begriff erstmals im Sinne einer Arbeitsüberlastung bei Gefängnispersonal. Doch erst der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger etablierte 1974 Burn-out als Forschungsgegenstand und zählte nicht weniger als 132 Symptome. Die Sozialpsychologin Christina Maslach systematisierte die Beobachtungen und definierte ein Jahr darauf die drei Dimensionen des Burn-outs. Ihre empirische Forschung mündete 1981 in den Maslach Burnout Inventory. Dieser ist bis heute als Instrument zur Erfassung des Burn-out-Syndroms gebräuchlich. Das Burn-out-Syndrom ist durch emotionale Erschöpfung, Depersonalisation (Zynismus) und reduzierte Leistungsfähigkeit charakterisiert. Burn-out wurde zunächst primär den helfenden
Berufen und Ehrenämtern zugeordnet, doch ist mittlerweile klar, dass Burn-out in jedem Beruf auftreten kann. Streng genommen, bezeichnet Burn-out ein Phänomen, das der Berufswelt zugeordnet wird. Allerdings weicht diese Grenzziehung bereits auf. So berichtet Erich Seifritz von einer Patientin, die ihn explizit darauf hingewiesen habe, dass ihr Burn-out keineswegs beruflich, sondern rein privat bedingt sei. Wie häufig Burn-out tatsächlich ist, weiss man nicht. Die Angaben schwanken je nach Umfrage und Berufsgruppe. Die Wahrscheinlichkeit, an Burn-out zu erkranken, wird für die sozialen Berufe auf rund 40 Prozent geschätzt; diese Grössenordnung gilt auch für Hausärzte. Jeder dritte Lehrer oder Erzieher wird als Burn-outgefährdet eingestuft, bei den Psychiatern und Psychotherapeuten sind es 15 bis 22 Prozent. In Verwaltung und Management gelten hingegen nur 9 Prozent der Berufstätigen als potenzielle Burn-out-Opfer, und offenbar müssen nur wenige Richter oder Polizisten die Stresskrankheit fürchten: Hier beträgt die Risikorate nur 4 bis 7 Prozent. Auf der anderen Seite klagt in Umfragen rund ein Viertel der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung über Burn-out. Selbsteinschätzung und ärztliche Beurteilung sind also bei weitem nicht das Gleiche.
Auch die Abgrenzung von der Depression sei kaum möglich, berichtete Erich Seifritz. So ergab eine finnische Studie zur Komorbidität von Burnout und Depression, dass zirka die Hälfte der Probanden mit schwerem Burn-out-Syndrom auch depressive Störungen hatten. Bei mildem Burnout waren gleichzeitig weniger depressive Störungen nachweisbar, während Probanden ohne Burn-out-Symptome nur sehr selten an depressiven Störungen litten. Allerdings hatten nicht alle Patienten mit schwerem Burn-out auch depressive Störungen, sodass es trotz allem nicht das Gleiche sei, sagte Seifritz. Aus psychosomatischer Sicht gebe es aber keine Notwendigkeit, Burn-out von der Depression abzugrenzen, sagte Professor Hartmut Schächinger von der Abteilung für Klinische Physiologie an der Universität Trier. Das Burn-out-Syndrom stehe vielmehr in einer langen Tradition stressassoziierter Störungen, die psychosomatische und internistische Krankheiten auslösen können: Koronare Herzkrankheit, Typ-2-Diabetes, Hypertonie, Adipositas und muskuloskelettale Erkrankungen stehen hierbei im Vordergrund. Wissenschaftlich abgesichert seien die Assoziation von Burn-out und Erschöpfung mit Typ-2-Diabetes und koronarer Herzkrankheit. Vermutlich verursacht der chronische
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Stress eine anhaltende Aktivierung des autonomen Nervensystems sowie der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse mit erhöhten Spiegeln des Stresshormons Cortisol. Schächinger forderte gleichzeitig eine «gewisse Bescheidenheit» bei der psychosomatischen Deutung internistischer Krankheiten. Als Beispiele für psychosomatische Fehldeutungen nannte er das seit fast 20 Jahren widerlegte (und doch immer wieder zitierte) Konzept der aggressiv-ehrgeizigen Typ-A-Persönlichkeit mit vermeintlich hohem KHK-Risiko und die Missdeutung des bakteriell bedingten Magengeschwürs als Stresskrankheit.
Therapieansätze für Burn-out-Patienten
Zu einem pragmatischen Therapieansatz bei Burn-out-Patienten riet Dr. med. Barbara Hochstrasser, Chefärztin an der Privatklinik Meiringen. Wie alle ärztlichen Referenten am Symposium betonte sie, dass am Beginn jeglicher Behandlung eines Burnout-Patienten eine gründliche Differenzialdiagnostik zu stehen hat, um definierte psychiatrische Erkrankungen und allfällige somatische Ursachen nicht zu verpassen. Entscheidend für das weitere Vorgehen ist, ob die Burnout-Symptomatik eher Ausdruck einer Anfälligkeit für depressive Verstimmungen, einer vegetativen Störung oder unwirksamer Bewältigungsstrategien ist. Im ersten Fall kommen Antidepressiva (einschleichend) in Frage. Wichtig ist auch die Schlafregulation, die gegebenenfalls auch pharmakologisch mit sedierenden Antidepressiva, wie Trimipramin oder Mirtazapien, oder Imidazopyridinen, wie Zolpidem, beeinflusst werden kann. Bei Agitation hätten sich atypische Neuroleptika in sehr niedriger Dosierung bewährt, sagte Hochstrasser. Ist der Burn-out hingegen eher Ausdruck einer Dysregulation der Hypothalamus-Hypophyse-Nebennieren-Achse und des vegetativen Nervensystems, stehen folgende Massnahmen im Vordergrund: die Entlastung von Stresso-
ren, die Förderung der Entspannung durch passive (z.B. Massagen) und aktive Massnahmen (z.B. autogenes Training u.a.) sowie die Steigerung der körperlichen Aktivität (mit Ruhepausen und ohne Wettkampfgedanken). Bei Burn-out aufgrund unwirksamer Stressbewältigungsstrategien sind Psychotherapie, Psychoedukation (in der Gruppe) und systemische Therapie ratsam. Barbara Hochstrasser wies ausdrücklich darauf hin, dass die Psychotherapie bei Burn-out-Patienten keinesfalls eine tiefenpsychologische Analyse sein sollte. Vielmehr gehe es darum, den Schwerpunkt auf die eigene Wahrnehmung und das Wiedererlangen der (Selbst-)Kontrolle zu legen. Am besten sei dafür der kognitivbehaviorale Ansatz geeignet: die Identifikation irrationaler Glaubenssätze, das Entwickeln neuer, realistischer Perspektiven, das Üben stressbelasteter Situationen und die kognitive Restrukturierung. Ein wesentlicher Punkt bei der Behandlung von Burn-out-Patienten ist die Arbeitsplatzanalyse und Rehabilitation, wozu auch das Ausloten neuer Berufsperspektiven, Gespräche mit dem Arbeitgeber und eine Begleitung beim Wiedereinstieg in das Berufsleben gehören. Es sei nicht ratsam, in genau die gleiche Arbeitssituation zurückzukehren, sondern Belastungen und Arbeitsrhythmus müssen einem realistischen Mass entsprechen.
Burn-out und psychische Erkrankungen als gesellschaftliche Herausforderung
Regierungsrat Dr. Philippe Perrenoud formulierte es drastisch: Für ihn seien Burn-out-Patienten die «Kriegsverletzten des chronischen Kriegs in der modernen Wettbewerbsgesellschaft». Gesundheitsökonom Dr. Willy Oggier forderte, dass sich die Psychiater mehr um politische und ökonomische Fragen kümmern sollten, da das Problem der psychischen Erkrankungen in Zukunft immer grösser werden dürfte. So prognostiziere die WHO für das Jahr 2020 einen Anstieg des Anteils psychisch bedingter Krankheiten
auf 25 Prozent. Oggier erinnerte da-
ran, dass neben Arbeitsdruck und
Stress der soziale Wandel mit ver-
änderten Familienstrukturen und
steigender Vereinsamung eine bedeu-
tende Rolle für die Burn-out-Proble-
matik spiele: «Wir tun aber so, als
ob man Gesundheit und Soziales aus-
einanderdividieren könnte. Ich halte das
nicht für zielführend, gerade vor dem
Hintergrund der sich abzeichnenden
Morbiditätsentwicklung.» Nationalrats-
präsidentin Christine Egerszegi-Obrist
verdeutlichte die finanzielle Grössen-
ordnung des Problems in der Schweiz:
Nicht weniger als 40 Prozent der Früh-
rentner sind dies aus psychischen
Gründen.
Auch Krankenversicherer und Unter-
nehmen haben die Dimension des
Problems erkannt. So berichtete Dr.
Urs Lehmann, Managing Director der
Lundbeck (Schweiz) AG, dem Aus-
richter des Symposiums, dass in sei-
nem Unternehmen alle Mitarbeiter
über Burn-out-Risiken informiert wer-
den und eine firmeninterne Selbst-
hilfegruppe im Kollegenkreis etabliert
wurde. Ausserdem wurde unter ande-
rem der sitzungsfreie Freitag und das
Angebot eines kostenlosen Gesund-
heits-Check-up alle zwei Jahre einge-
führt. Manfred Manser, Vorsitzender
der Konzernleitung der Krankenversi-
cherung Helsana, sagte, dass allen Ver-
sicherten ab 2008 eine psychologische
Soforthilfe per Telefon angeboten wer-
den soll. Ziel sei die Prävention post-
traumatischer Belastungsstörungen und
Folgeerkrankungen wie beispielsweise
Angststörungen, Depressionen oder
Drogenmissbrauch.
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Renate Bonifer
mental health forum Lundbeck: Burn-out – Zeiterscheinung oder Krankheit? Bern, 15. November 2007
Die Berichterstattung wurde von Lundbeck (Schweiz) AG unterstützt; auf den Inhalt hatte der Sponsor keinen Einfluss.
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