Transkript
Tuberkulose – ein Update
Diagnostik und Behandlung bei Kindern
Schwerpunkt
Tuberkulose ist keine «Migrantenkrankheit», sondern auch Personen, die in der Schweiz geboren wurden und das Land noch nie verlassen haben, können daran erkranken. An der SGP-Jahrestagung in Bellinzona gab PD Dr. med. Nicole Ritz einen Überblick zu den wichtigsten Punkten, die man bei der Diagnose und Behandlung von Kindern mit Tuberkulose beachten sollte.
I n der Schweiz erkranken pro Jahr zirka 550 Personen an Tuberkulose (TB), etwa 5 Prozent davon sind Kinder unter 14 Jahren (1). Die meisten Patienten stammen aus Ländern, in denen die TB noch verbreitet ist, insbesondere aus Afrika und Asien. «Aber auch ein Kind, das in der Schweiz geboren wurde und diese noch nie verlassen hat, kann Tuberkulose haben, es ist wichtig, das nicht zu vergessen», sagte PD Dr. med. Nicole Ritz, Leitende Ärztin Infektiologie und Migrationsmedizin am Universitätskinderspital Basel (UKBB). So ergab eine Studie mit 320 Tuberkulosefällen, die von 1996 bis 2011 bei Kindern unter 15 Jahren in der Schweiz gemeldet wurden, dass fast die Hälfte der erkrankten Kinder (44%) in der Schweiz geboren worden war. Die meisten Kinder mit TB beziehungsweise deren Eltern stammten allerdings aus dem Ausland (83%), rund die Hälfte davon aus Europa (2).
Tuberkulosescreening bei Kindern
Längst nicht alle Infizierten erkranken später tatsächlich an aktiver TB. Falls doch, geschieht das meist innert zwei Jahren (3). Die Erkrankung kann aber auch noch viele Jahre nach der Infektion ausbrechen. So treten hierzulande die Hälfte der TB-Fälle bei gebürtigen Schweizern im Pensionsalter auf, die sich noch als Kinder angesteckt hatten, berichtete Ritz. Die WHO beziffert die Progressionsrate von der latenten zur manifesten TB auf 13 Prozent. Bei den unter 5-Jährigen ist sie mit 33 Prozent wesentlich höher, und auch bei den 4- bis 14-Jährigen liegt sie mit 19 Prozent über dem Durchschnitt. Weil die Behandlung einer latenten TB das Progressionsrisiko um mindestens 80 Prozent vermindert, ist das Screening auf latente TB bei TB-exponierten Kindern sinnvoll. Die Prävalenz der latenten TB wird je nach Testverfahren bei geflüchteten Kindern in Asylunterkünften auf 11 bis 19 Prozent beziffert. In einer kürzlich publizierten Studie wies man nach, dass das Screening auf latente TB in der Schweiz bei Migrantenkindern in Schulen mittels Tuberkulin-Hauttest (TST) kosteneffizient ist (4). In dieser Studie waren von 1120 Kindern 21 TST-positiv, und 17 von ihnen hatten eine latente TB.
Folgende Symptome können Anzeichen einer aktiven TB sein: ● Fieber unbekannter Ursache, über 38 Grad und länger
als 10 bis 14 Tage ● Pneumonie wird trotz Antibiotika nicht besser ● anhaltender Husten für mehr als 14 Tage, auch im
Zusammenhang mit Asthma oder Rauchen ● geschwollene Lymphknoten ● Haltungs- und Wirbelsäulenanomalien (Gibbus, tuber-
kulöse Spondylitis) ● Gewichtsverlust oder Gedeihstörung, fehlendes sub-
kutanes Fett (Gesicht, Gesäss), Ödeme, Hautveränderungen, dünnes und sprödes Haar ● Verdacht auf HIV (rezidivierende Infektionen, Mykosen, Entwicklungsverzögerung, Narben, Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie). In der Schweiz wird empfohlen, dass Personen, die vor Kurzem Kontakt zu Patienten mit Lungentuberkulose hatten, auf latente TB gescreent werden. Ebenso sollte bei Personen mit Immunschwäche (auch HIV-Infektion) vor einer Behandlung mit TNF-alpha-Hemmern eine latente TB ausgeschlossen werden. Das Screening erfolgt mittels TST oder IGRA (γ-Interferon-Test). Röntgen werde zum Screening auf latente Tuberkulose bei Kindern nicht empfohlen, sagte Ritz. Indiziert sei vielmehr der Tuberkulin-Hauttest, allerdings sei man sich hierzu international nicht einig.
Tabelle 1:
Befunde bei latenter und aktiver Tuberkulose
Tuberkulin-Hauttest IGRA Kultur Sputum Infektiosität Symptome
Latente TB positiv positiv negativ negativ nein keine
Aktive TB häufig aber nicht zwingend positiv häufig aber nicht zwingend positiv häufig positiv positiv oder negativ ja keine bis milde Symptome möglich, Husten, prolongiertes Fieber etc.
nach (5); IGRA: γ-Interferon-Test (Interferon Gamma Release Assay)
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Schwerpunkt
Tabelle 2:
Dosierung von Tuberkulosemedikamenten bei Kindern
Medikament
Tägliche Dosis
Isoniazid (H, INH)
10 mg/kg (7–15 mg/kg, max. 300 mg/Tag)
Rifampicin (R, RMP)
15 mg/kg (10–20 mg/kg, max. 600 mg/Tag)
Pyrazinamid (Z, PZA)
35 mg/kg (30–40 mg/kg)
Ethambutol (E, EMB)
20 mg/kg (15–25 mg/kg)
Ab einem Gewicht von zirka 25 kg kann man die Medikamente für die Kinder wie für Erwachsene
dosieren.
Nach (8); Abkürzungen der Wirkstoffe in Klammern; Dosisangaben in Klammern: Minimal- bis
Maximaldosis
Informationen für Fachleute und Patienten
Tuberkulose in der Schweiz Leitfaden für Fachpersonen des Gesundheitswesens revidierte Version März 2019 Download: www.rosenfluh.ch/qr/tuberkulose-handbuch
Infoblätter für Patienten Verfügbar in den Sprachen Albanisch, Arabisch, Dari/Farsi, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Mongolisch, Portugiesisch, Russisch, Serbisch, Somali, Spanisch, Tamil, Thai, Tibetisch, Tigrinya, Tschechisch und Türkisch. Download und Bestellung gedruckter Flyer: www.rosenfluh.ch/qr/tuberkulose-patientenflyer
untersucht werden, auch Rifampicin-Resistenzen sind nachweisbar. Ein Pilotprojekt wurde von KNCV in Äthiopien gestartet, ein weiteres ist für Indonesien geplant. Ein neuer Ansatz ist auch das Pooling verschiedener respiratorischer Proben, um die Sensitivität der TB-Diagnostik zu verbessern (7).
Behandlung bei Tuberkulose
Auch alle Patienten mit latenter TB werden behandelt, denn dadurch reduziert man das Risiko der Progression zur aktiven TB um rund 80 Prozent. In der Schweiz ist folgendes Behandlungsschema üblich: ● täglich Isoniazid für 9 Monate oder ● täglich Rifampicin für 4 Monate oder ● täglich Isoniazid und Rifampicin für 3 Monate. Die Dosisempfehlungen für Kinder sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Neuerdings gibt es auch wasserlösliche Fixkombinationen, diese sind in der Schweiz aber noch nicht verfügbar. Als Tipp für die Praxis kann man den Eltern raten, die Tabletten zu zermörsern und beispielsweise unter eine kleine Portion Ketchup zu mischen. Neue Substanzen zur TB-Therapie sind nicht in Sicht. Die TB-Forschung befasst sich in erster Linie mit der Weiterentwicklung der Diagnostika, mit Modifikationen der Behandlungsdauer und Medikamentenkombinationen.
Renate Bonifer
Quelle: Referat von PD Dr. med. Nicole Ritz: «Management of tuberculosis in 2019» an der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie in Bellinzona, 6. bis 7. Juni 2019.
Neue Diagnostika
Charakteristische Befunde bei latenter und aktiver TB sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Es wird an mehreren neuen Verfahren gearbeitet, um für die TB-Diagnostik ohne Sputum auszukommen. Eines davon ist QuantiFERON-TB Gold Plus (QFT-Plus), eine Weiterentwicklung des immunologischen Testverfahrens IGRA (γ-Interferon-Test), wobei zusätzlich ein Röhrchen Blut benötigt wird. Die Erfahrungen bei Erwachsenen sprechen für eine höhere Sensitivität als beim konventionellen IGRA; zu Kindern sind noch kaum Daten verfügbar. Im Herbst 2018 wurde ein neuer Stuhltest vorgestellt (6). Dieser sei zwar nicht so sensitiv wie ein Sputumtest, sagte Ritz, aber eine Stuhlprobe sei, zumal bei Kindern, einfacher zu bekommen als ein Sputum. Der Stuhltest ist relativ einfach durchführbar. Entwickelt wurde er in den Niederlanden, von der Tuberkulose-Stiftung KNCV. Die Stuhlprobe kann mit allen GeneXpert-Analysegeräten
Referenzen: 1. WHO: Estimates of TB and MDR-TB burden. www.who.int/tb/data, abgerufen am 16. Juli 2019. 2. Oesch Nemeth G et al.: Epidemiology of childhood tuberculosis in Switzerland between 1996 and 2011. Eur J Pediatr 2014; 173(4): 457–462. 3. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-imueberblick/tuberkulose.html, abgerufen am 16. Juli 2019. 4. Usemann J et al.: Cost-effectiveness of tuberculosis screening for migrant children in a low-incidence country. Int J Tuberc Lung Dis 2019; 23(5): 579–586. 5. Pai, M et al.: (2016). Tuberculosis diagnostics: State of the art and future directions. Microbiology Spectrum 2016; 4 (5). 6. Pressemeldung: Simple KNCV stool test breakthrough for Childhood TB. 25 Oktober 2018; www.kncvtbc.org/en/2018/10/25/simple-kncv-stool-test-break-through-forchildhood-tb/ 7. Walters E et al.: Specimen pooling as a diagnostic strategy for microbiologic confirmation in children with intrathoracic tuberculosis. Pediatr Infect Dis J 2019; 38(6): e128–e131. 8. WHO: Guidance for national tuberculosis programmes on the management of tuberculosis in children. 2nd edition. Geneva, 2014. www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK214449/, abgerufen am 16. Juli 2019.
Die Online-Version dieses Artikels wurde korrigiert, ergänzt und am 1. Februar 2020 neu aufgeschaltet.
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