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Schwerpunkt
Nahrungsmittelintoleranz im Säuglings- und Kindesalter
Während bei Nahrungsmittelallergien ein immunologischer Prozess zugrunde liegt, beruhen Nahrungsmittelintoleranzen auf metabolischen und osmotischen Mechanismen sowie pharmakologischen Wirkungen, deren Pathophysiologie in vielen Fällen noch nicht vollständig geklärt ist. In diesem Artikel geht es um Kohlehydratintoleranzen, zum Beispiel gegenüber Laktose, und nicht IgE-vermittelten Immunreaktionen wie FPIAP, FPIES und FPE.
Von Pascal Müller1 und Johannes Spalinger2
Nahrungsmittel werden häufig als Auslöser gastrointestinaler Beschwerden vermutet, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen (1, 2). Dies führt zu Nahrungseinschränkungen oder zu selbst auferlegten Diäten. Im Säuglings- und Kindesalter, aufgrund des verhältnismässig grossen Bedarfs an Makround Mikronährstoffen, bedeutet dies ein potenzielles Risiko für eine Fehl- oder Mangelernährung. Bei Verdacht auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit ist diese Diagnose daher genau zu prüfen, um dann eine bedarfsgerechte und spezifische Diät durchzuführen und das Kind vor einer unnötigen Nahrungseinschränkung zu schützen. Nahrungsmittel können auf unterschiedlichem Weg Unverträglichkeitsreaktionen auslösen (Abbildung 1). Nahrungsmittelallergien sind immunologisch vermittelt und werden in die klassische Allergie vom Soforttyp (IgE-vermittelt) und den Typ verzögerter Reaktionen (nicht IgEvermittelt) unterteilt. Zu den immunologisch vermittel-
ten Reaktionen zählt auch die Zöliakie, welche zu den autoimmunen Erkrankungen gehört. Nahrungsmittelintoleranzen entstehen auf der Basis metabolischer und osmotischer Mechanismen (z.B. Fruktose- oder Laktoseintoleranz) oder durch pharmakologische Wirkungen (z.B. Histaminintoleranz). Bei einigen dieser Reaktionen sind die pathophysiologischen Mechanismen nicht vollständig geklärt.
Laktoseintoleranz
Die wohl am häufigsten vorkommende Kohlehydratunverträglichkeit ist die Laktoseintoleranz. Physiologischerweise wird Laktose durch das Enzym Laktase hydrolysiert und als Glukose und Galaktose im Dünndarm resorbiert. In der Terminologie muss zwischen der Laktosemalabsorption und der Laktoseintoleranz unterschieden werden. Bei der Laktosemalabsorption führt eine verminderte Hydrolyse des Disaccharids Laktose zu einer eingeschränkten intestinalen Absorption von Glukose und Galaktose (Abbildung 2). Die Symptome der Laktoseintoleranz entstehen, weil die nicht aufgenommene Laktose in den Dickdarm gelangt und dort infolge bakterieller Fermentierung Blähungen, Bauchschmerzen, Flatulenz und Durchfälle verursacht. Die Ursachen einer Laktoseintoleranz sind unterschiedlich, und es ist wichtig, zwischen einer primären (genetisch determinierten), sekundären und kongenitalen Form der Laktoseintoleranz zu unterscheiden (Tabelle 1). Eine kongenitale Laktoseintoleranz (Alactasie) ist äusserst selten und manifestiert sich bereits im Säuglingsalter mit profuser Diarrhö. Primäre Laktoseintoleranz: Die adulte (primäre) Laktosemalabsorption ist die häufigste Form der Laktose-
Abbildung 1: Klassifizierung der Nahrungsmittelunverträglichkeiten; NCGS: non celiac gluten sensitivity
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intoleranz. Die Prävalenz variiert je nach ethnischem Hintergrund mit einem sehr seltenen Vorkommen in Skandinavien und einer Zunahme der Häufigkeit in Richtung Mittelmeerraum (3). Die Laktasepersistenz beziehungsweise die Verträglichkeit des Milchzuckers bis ins Erwachsenenalter hat sich im Laufe der Evolution als Polymorphismus in der regulatorischen Region des Laktasegens (LCT) entwickelt. An Position –13910 besteht ein Tyrosin/Cytosin-(T/C-)Polymorphismus, wobei die TC- und TT-Genotypen mit Laktasepersistenz verbunden sind. Sekundäre Laktoseintoleranz: Da die Laktase an der Spitze der Dünndarmzotten exprimiert wird, führen verschiedene Erkrankungen, welche mit einer Schädigung der Dünndarmmukosa einhergehen, zu einer sekundären Laktosemalabsorption. Als selbstlimitierendes Phänomen wird dies am häufigsten nach akuten infektiösen Gastroenteritiden beobachtet, aber auch bei einer unbehandelten Zöliakie, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen mit Dünndarmbeteiligung oder im Zusammenhang mit einer bakteriellen Dünndarmfehlbesiedelung. Diagnostik bei Verdacht auf Laktosemalabsorption: Beim H2-Atemtest wird nach oraler Einnahme von Laktose (üblicherweise 2 g Laktose/kg KG, max. 50 g) die Wasserstoffkonzentration (alternativ Methankonzentration) in der Ausatemluft über einen Zeitraum von 2 bis 3 Stunden gemessen, und parallel werden allfällige Symptome notiert. Ein sehr früher Anstieg der H2-Konzentration, verbunden mit gastrointestinaler Symptomatik, ist ein Hinweis für eine bakterielle Dünndarmfehlbesiedelung, während bei der Laktoseintoleranz die H2-Konzentration erst nach 1 bis 3 Stunden steigt (4). Die Bestimmung des genetischen Polymorphismus ist in der Pädiatrie nicht sinnvoll, da sich die primäre Laktoseintoleranz in dieser Altersgruppe selten manifestiert und sekundäre Formen übersehen würden. Hinweis: Hat sich im Auslassversuch oder H2-Atemtest eine Laktoseintoleranz bestätigt, sollte eine sekundäre Form durch die entsprechende Labordiagnostik (inkl. Zöliakieserologie) ausgeschlossen werden. Behandlung bei Laktoseintoleranz: In der Regel genügt die Reduktion des Milchzuckers bis zur individuellen Toleranzschwelle, ein vollständiger Laktoseverzicht ist meist nicht notwendig (5). Wichtig ist, darauf zu achten, dass bei Weglassen tierischer Milchprodukte eine ausreichende Kalziumversorgung garantiert wird. Der Lebensmittelmarkt bietet eine grosse Zahl laktosefreier Produkte an, womit ein genereller Verzicht auf Milchprodukte nicht gerechtfertigt scheint. Ältere Kinder und Jugendliche können vor dem Konsum laktosehaltiger Nahrungsmittel ein Enzymersatzprodukt einnehmen (in der Schweiz Lacdigest®, 1 Tablette pro ca. 5 g Laktose), um die Folgen des Laktosekonsums zu mindern.
Fruktosemalabsorption
Die Symptome einer Fruktosemalabsorption unterscheiden sich nicht von denjenigen einer Laktoseintoleranz (5). Fruktose ist ein Monosaccharid, dessen Konsum in westeuropäischen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen hat (6). Hauptquellen unseres Fruktosekonsums sind Haushaltszucker (Saccharose, bestehend aus Glukose und Fruktose), Maissirup (z.B.
Abbildung 2: Laktosemalabsorption und Laktoseintoleranz
high fructose corn syrup, HFCS), welcher in der Nahrungsmittelindustrie als günstiger Süssstoff häufig verwendet wird, sowie Früchte und Fruchtsäfte. Die Absorption der Fruktose hat eine individuell unterschiedliche Sättigungsschwelle. Im Dünndarm wird Fruktose in einem gemeinsamen Transportmechanismus mit der Glukose aufgenommen (Abbildung 3). Dabei ist GLUT5 ein glukoseunabhängiger, sättigbarer Transporter und GLUT-2 ein glukoseabhängiger Co-Transporter mit grosser Kapazität. Somit kann der Fruchtzucker, wenn gemeinsam mit Traubenzucker konsumiert, einfacher resorbiert werden (5). Die intestinale Fruktosemalabsorption darf nicht mit der hereditären Fruktoseintoleranz verwechselt werden, bei welcher es aufgrund eines Mangels an Aldolase-B zu schweren metabolischen Veränderungen wie Hypoglykämien, Erbrechen und Diarrhö kommt. Diagnostik: Für die Diagnose einer Fruktosemalabsorption steht ein Atemtest zur Verfügung, welcher nach demselben Prinzip wie der Laktoseatemtest funktioniert (4, 7). Behandlung: Therapeutisch muss auch bei Fruktosemalabsorption nicht komplett auf fruktosehaltige Lebensmittel verzichtet werden, denn auch hier soll die individuelle Toleranzschwelle ausgetestet werden. Nebst Fruktose und Saccharose werden auch Sorbit, Mannit und andere Zuckeralkohole und -austauschstoffe nicht gut vertragen.
Tabelle 1:
Formen der Laktoseintoleranz (Laktasemangel)
Kongenital (Alactasie) Primär (adulte Form, Hypolactasie) Sekundär (bei Enteropathie)
Sehr selten! Schwere wässrige Diarrhö ab Beginn der Säuglingsernährung (Muttermilch, Formula) Sehr häufig! Symptome meist erst ab dem Schulalter (physiologischer Alterungsprozess) In jedem Alter Zöliakie, postenteritisches Syndrom, M. Crohn, Giardiasis, SIBO (small intestinal bacterial overgrowth, Dünndarmfehlbesiedelung) u.a.
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Abbildung 3: Absorption von Zuckermolekülen im Darm. (A) Ohne funktionierende Laktase wird das Disaccharid Laktose von den Enterozyten im Darm nicht absorbiert. (B) Die Aufnahme der Monosaccharide Glukose, Galaktose und Fruktose ist von mehreren Transporterproteinen der Enterozyten abhängig. Glukose und Galaktose werden über den Natrium/Glukose-Co-Transporter 1 (SGLT-1) in den Enterozyten aufgenommen, Fruktose über den glukoseunabhängigen, sättigbaren Transporter GLUT-5. Die Monosaccharide werden aus den Enterzyoten via GLUT-2, einem glukoseabhängigen Co-Transporter mit grosser Kapazität, ins Blut abgegeben.
FODMAP
Bei funktionellen gastrointestinalen Beschwerden wie dem Reizdarmsyndrom konnten vor allem bei Erwachsenen erfreulich gute Therapieerfolge mit einer sogenannten FODMAP-armen Diät erzielt werden (8). Dabei steht das Akronym FODMAP für fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole, welche bei dieser Diät reduziert eingenommen werden müssen. Nach 4 Wochen Karenzphase werden einzelne Nahrungsmittelgruppen sequenziell wieder in den Speiseplan eingeführt, um auch hier die individuelle Toleranzschwelle beziehungsweise Unverträglichkeit auf einzelne Nahrungsgruppen ermitteln zu können (9). Derzeit ist die Datenlage in der Pädiatrie ungenügend, um eine solch einschneidende Diät rechtfertigen zu können.
Nicht IgE-vermittelte gastrointestinale Nahrungsmittelallergien
Im Gegensatz zur IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie beschränken sich die Symptome der nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie fast ausschliesslich auf den Magen-Darm-Trakt. Bei der nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie manifestieren sich die Symptome typischerweise verzögert und treten oft erst mehrere Stunden nach Einnahme des Nahrungsmittels auf. Anders als bei IgE-vermittelten Lebensmittelallergien stehen bei nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien keine spezifischen Testverfahren zur Verfügung. Sie werden daher rein klinisch diagnostiziert, basierend auf der Anamnese, den Symptomen und dem vermuteten Zusammenhang mit einzelnen Lebensmitteln. Die Diagnose wird mit Besserung der Symptome nach Nahrungsmittelkarenz und Wiederauftreten nach einer erneuten Provokation gesichert. Nicht IgE-vermittelte gastrointestinale Nahrungsmittelallergien haben eine günstige Prognose, denn bei der Mehrheit der Kinder verschwinden die Symptome bis zum Alter von 3 bis 5 Jahren. Die folgenden Abschnitte erläutern die Klassifizierung, die Pathophysiologie, die Diagnose und die Behandlung der nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergiesyndrome (10). Grundsätzlich werden drei Formen unterschieden, welche bereits in den ersten Lebensmonaten
und auch vor Beginn der Beikosteinführung auftreten können (siehe Tabelle 2): 1. FPIAP: durch Nahrungsproteine induzierte allergi-
schen Proktokolitis (food protein induced allergic proctocolitis) 2. FPIES: durch Nahrungsproteine induziertes Enterokolitissyndrom (food protein induced enterocolitis syndrome) 3. FPE: durch Nahrungsproteine induzierte Enteropathie (food protein enteropathy).
FPIAP
Die durch Nahrungsprotein induzierte allergische Proktokolitis (FPIAP) tritt mit einer Prävalenz von zirka 0,16 Prozent im Säuglingsalter auf und gilt als transiente Erscheinung mit guter Prognose (11). Hauptsymptom sind Blutbeimengungen im Stuhl bei Säuglingen in gutem Allgemeinzustand, welche nach Weglassen des auslösenden Proteins innerhalb von zirka einer Woche verschwinden. Die Blutbeimengungen treten in der Regel in den ersten 2 bis 8 Lebenswochen auf, in vereinzelten Fällen bereits kurz nach der Geburt und bei 80 Prozent der Säuglinge innerhalb der ersten 6 Monate (12–14). Die Pathophysiologie der FPIAP ist unklar. Es scheint eine lokale immunologische Reaktion vorzuliegen. Das typische Merkmal ist eine ausgeprägte noduläre Hyperplasie bei der Kolonoskopie und Eosinophilie in der Kolonbiopsie. Neuere Studien weisen darauf hin, dass ein verändertes Mikrobiom möglicherweise ein entscheidender Faktor ist, denn bei Säuglingen mit FPIAP wurden weniger Bifidobacterium spp., Bacteroides fragilis und Lactobacillus/Enterococcus spp. im Vergleich zu Kontrollpersonen gefunden. In einer Studie schien die Zugabe des Probiotikums Lactobacillus rhamnosus GG zusammen mit einer Ernährung aus weitgehend hydrolysierter Kaseinformula zu einer schnelleren Symptomlösung zu führen als die alleinige hypoallergene Formula (15, 16). Klinische Merkmale: Das Hauptmerkmal der FPIAP ist Blut im Stuhl – mit oder ohne Schleim – bei einem gesunden Säugling mit normalem Gedeihen. Selten wird Durchfall beobachtet, und die Symptome entwickeln sich in der Regel allmählich. FPIAP tritt sowohl bei gestillten als auch bei Säuglingen mit Formula auf (Kuhmilch- oder Sojabasis). Kuhmilch scheint der häufigste Auslöser der FPIAP zu sein, gefolgt von Soja und Ei. Bei gestillten Säuglingen verschwanden die Symptome nach Eliminierung von Kuhmilch (bei 65%), Ei (bei 19%), Mais (bei 6%) und Soja (bei 3%), wobei bei 5 Prozent der Säuglinge mehrere Nahrungsmittelauslöser vorhanden waren (17–19). Diagnose: Blutige Stühle bei einem gesund wirkenden Säugling und Verschwinden der Blutbeimengungen nach Weglassen des vermuteten Nahrungsmittelproteins. Eine probatorische Wiederbelastung mit intaktem Kuhmilchprotein wird nach 2- bis 4-wöchiger Eliminationsdiät empfohlen. Die Allergiediagnostik, welche nicht routinemässig indiziert ist, ist bland, Pricktest und IgE-vermittelte Sensibilisierung sind meist negativ. Differenzialdiagnosen: idiopathische neonatale transiente Kolitis, Analfissuren, nekrotisierende Enterokolitis, Infektionen, gastrointestinale Obstruktionen und Gerinnungsstörungen.
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Allergenkarenz: Die Intervention beinhaltet typischerweise die Eliminierung von Kuhmilchproteinen in der mütterlichen Ernährung und/oder den Wechsel auf eine extensiv hydrolysierte Säuglingsformula. Sichtbare rektale Blutbeimengungen verschwinden in der Regel innerhalb von 3 bis 4 Tagen. Es wird empfohlen, weiter zu stillen, auch wenn nach Elimination der Kuhmilch in der mütterlichen Ernährung die Blutung anhält. In diesen Fällen kann die Elimination anderer Lebensmittel wie Soja, Ei, Weizen oder Reis erwogen werden, allerdings unter Dokumentation der Symptome. Wenn trotz erweiterter Eliminationsdiät die Symptome nicht verschwinden, sollte bei einem ansonsten gesunden Säugling berücksichtigt werden, dass auch ohne Änderung der mütterlichen Ernährung ein spontanes Verschwinden der Blutung (20) beobachtet werden kann. Bei mit Formula ernährten Säuglingen wird in erster Linie die Verwendung einer extensiv hydrolisierten Säuglingsformula empfohlen und bei fehlendem Ansprechen der Wechsel auf eine aminosäurenbasierte Formulamilch. Wiedereinführung der Nahrung: In den meisten Fällen kann die Wiedereinführung vor dem ersten Lebensjahr erfolgen. Bei Wiederauftreten von Symptomen wird ein erneuter Versuch erst nach 6 (bis 12) Monaten empfohlen. Wenn aus der Anamnese keine Hinweise auf eine frühere Sofortreaktion vorliegen, kann die Nahrungseinführung schrittweise zu Hause erfolgen. Prognose: Die Krankheit ist selbstlimitierend, und die Prognose ist gut. Nur ein kleiner Teil der Säuglinge entwickelt ein Rezidiv beziehungsweise eine Kuhmilchprotein- oder sonstige Nahrungsmittelallergie. Eine Toleranzentwicklung ist in der Regel bis zum Alter von 1 bis 3 Jahren zu erwarten. Prognostisch günstig scheinen ein frühes Auftreten der Symptome und eine blande Atopieanamnese zu sein, vor allem beim gestillten Kind (21, 23, 24).
FPIES
Das mit Nahrungsmittelprotein assoziierte Enterokolitissyndrom (FPIES) präsentiert sich typischerweise bei Säuglingen unter 9 Monaten (median 5–7 Monate). Klinisches Hauptmerkmal ist repetitives Erbrechen mit teilweise bedrohlich reduziertem Allgemeinzustand. Als Auslöser kommen im frühen Säuglingsalter vor allem Kuhmilchproteine oder Soja infrage. Nach Einführung der Beikost sind es, gemäss der traditionellen Reihenfolge der Beikosteinführung, eine Vielzahl anderer Nahrungsmittel wie Getreide, Hafer, Reis, Fisch, Ei und Geflügel. Kinder mit einer atopischen Belastung tragen ein grösseres Risiko. Der pathophysiologische Zusammenhang dieser nicht IgE-vermittelten schweren Reaktion ist unklar, die akute Symptomatik ist Folge von Permeabilitätsänderungen des Darms und einer damit verbundenen erheblichen Flüssigkeitsverschiebung (21, 22). Klinische Merkmale: Das typische klinische Zeichen eines akuten FPIES ist das heftige Erbrechen, einhergehend mit Durchfall, Bauchschmerzen, Kreislaufdekompensation und/oder Lethargie. Häufig wird eine Hypothermie festgestellt. Schwere Formen lassen sich daher von einer Sepsis oder einer schweren Dehydratation klinisch nicht unterscheiden. Die Diagnose FPIES wird häufig erst nach mehrmaligen Episoden gestellt. Diagnose: Die Diagnose basiert auf dem Hauptkriterium –
repetitives Erbrechen 1 bis 4 Stunden nach Einnahme des verdächtigen Nahrungsmittels – und 3 der folgenden Nebenkriterien: Lethargie, Hypotonie, Hypothermie, ausgeprägte Blässe, Durchfälle, Bedarf einer Notfallaufnahme oder Bedarf an intravenöser Flüssigkeit. Eine Endoskopie mit Biopsie ist zur Diagnosesicherung eines FPIES nicht notwendig. Fehlendes Fieber und eine schnelle Erholung (innerhalb von Stunden) sprechen eher für das Vorliegen eines FPIES. Im Labor fällt gelegentlich eine Leukozytose auf, und in schweren Fällen wird neben einer metabolischen Azidose auch eine Methämoglobinämie festgestellt. Zwischen den Episoden sind die Kinder vollständig beschwerdefrei. Eine verzögerte Diagnosestellung ist nicht ungewöhnlich. Im Durchschnitt erfolgt die korrekte Diagnose eines FPIES erst nach 2 bis 10 Episoden. Die Allergiediagnostik ist meist negativ (Pricktest und spezifische IgE). Eine genaue Anamnese soll allfällige Auslöser eruieren und zu einer strikten Karenz der entsprechenden Nahrungsmittel führen. Es sind Formen eines chronischen FPIES bekannt, wobei Symptome wie Erbrechen, Durchfall und Gedeihstörung bei Kindern unter Kuhmilch- oder Sojaformula im Vordergrund stehen. Differenzialdiagnosen: Die Differenzialdiagnosen eines schweren FPIES umfassen in erster Linie Sepsis oder anaphylaktischen Schock und gastrointestinale Erkrankungen wie Invagination, Volvulus, Pylorusstenose, nekrotisierende Enterokolitis, entzündliche Darmerkrankungen oder Zöliakie. Akutbehandlung: Die grösste Bedrohung beim akuten FPIES ist der hypovolämische Schock und das anhaltende Erbrechen. Eine rasche intravenöse Flüssigkeitszufuhr und eine engmaschige Kreislaufüberwachung in einem geeigneten Umfeld (Intensivstation) sind daher entscheidend. Medikamentös hilft die Gabe von Ondansetron als Antiemetikum, vor allem bei milden und mittelschweren Verläufen.
Tabelle 2:
Vergleich der nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien
Hauptsymptome
Prädilektionsalter
Hauptsächlich verantwortliche Nahrungsmittel Multiple Sensibilisierungen
Ernährung bei Erstmanifestation Prognose, Alter bei zu erwartender Heilung
FPIES repetitives Erbrechen, schockartige akute Episoden 1 Tag bis 1 Jahr
FPIAP Blut im Stuhl bei «gesundem» Säugling 1 Tag bis 6 Monate
Milch, Soja, Reis
Milch, Soja
FPE chronische Diarrhö mit Malabsorption
bis zum Alter von 2 Jahren Milch, Soja, Weizen, Ei
> 50% Milch/Soja, bei > 35% mehr als 1 Nahrungsmittel Formulamilch
> 3 Jahre
40% Milch/Soja
> 50% exklusiv gestillt 1 bis 2 Jahre
selten
Formulamilch 1 bis 3 Jahre
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Korrespondenzadresse: Dr. med. Johannes Spalinger Pädiatrische Gastroenterologie Kinderspital Luzern, LUKS 6000 Luzern E-mail: johannes.spalinger@luks.ch
Interessenlage: Die Autoren erklären, dass sie im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenkonflikte haben.
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Langzeittherapie und Wiedereinführung der Nahrung: Lässt sich das auslösende Nahrungsmittel anamnestisch nicht eruieren, sind standardisierte Provokationen im stationären Setting indiziert. Therapeutisch ist eine strikte Karenz der entsprechenden Nahrungsmittel einzuhalten. Beim flaschenernährten Säugling geschieht dies primär mit einer extensiv hydrolisierten beziehungsweise aminosäurebasierten Säuglingsformula. Prognose: Die Mehrheit der Säuglinge mit einem FPIES entwickeln eine Toleranz auf Kuhmilchproteine bis zum Alter von 2 Jahren, und bis zum Alter von 3 bis 5 Jahren kann eine erweiterte Nahrungsmitteltoleranz erwartet werden (25, 26). Die Nahrungsmitteltoleranz soll allerdings nur durch standardisierte Nahrungsmittelbelastungen unter stationären Bedingungen geprüft werden, zuvor ist jeweils eine allergologische Diagnostik indiziert.
FPE
Die Prävalenz der durch Nahrungsproteine induzierten Enteropathie (FPE) ist unbekannt. Die Krankheit präsentiert sich in der Regel innerhalb weniger Wochen nach Einführung einer Kuhmilchproteinformula, typischerweise in den ersten 1 bis 2 Lebensmonaten, selten auch erst nach 9 bis 24 Monaten (27, 28). Die Pathophysiologie der FPE ist unklar. Klinische Merkmale: Chronischer Durchfall einhergehend mit Gedeihstörung bei Malabsorption, Erbrechen, Anämie und Hypoalbuminämie sind die Hauptmerkmale einer FPE (28, 29). Akute Symptome wie bei FPIES sind nicht bekannt, Symptome einer FPE können innerhalb weniger Stunden bis zu 4 Wochen nach Beginn der Aufnahme der entsprechenden Nahrungsproteine auftreten. Diagnose: Nahrungsmittelallergie einhergehend mit chronischer Diarrhö, Malabsorption und Nachweis einer eosinophilen Enteropathie. Ein spezifisches Test- beziehungsweise Diagnostikverfahren steht nicht zur Verfügung. Pricktest oder spezifische IgE-Werte sind in der Regel unergiebig. Die häufigsten Auslöser der Symptome sind Kuhmilch, Soja, Weizen, Ei, Rindfleisch, Bananen und Eier. Die Diagnose der FPE wird mittels Dünndarmbiopsie bestätigt. Typischerweise finden sich alterierte Zotten, eine Kryptenhyperplasie, entzündliche Infiltrate sowie eine lymphonodulare Hyperplasie und eine Vermehrung intraepithelialer Lymphozyten. Letztlich ist zur Bestätigung einer FPE auch eine probatorische Karenz des vermuteten Nahrungsmittelproteins und anschliessende Wiederbelastung notwendig. Behandlung: Kuhmilch, Soja, Ei, Weizen oder andere verdächtigte Lebensmittel werden aus der Ernährung eliminiert. Die Wiedereinführung von Lebensmitteln geschieht nach kontrollierten (häuslichen) Belastungstests. Symptome treten in der Regel innerhalb von 3 Tagen bis 3 Wochen nach der Nahrungsaufnahme auf. Eine professionelle Diätberatung wird empfohlen, um eine altersgerechte und ausgewogene Ernährung zu erreichen und unnötige Diätrestriktionen zu vermeiden. Prognose: Die Prognose ist in den meisten Fällen günstig, typischerweise verbessert sich die Nahrungsmitteltoleranz im Alter von 1 bis 3 Jahren (29). Allerdings sind auch einige chronische FPE-Fälle mit Persistenz bis ins Schulalter bekannt.
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