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Fallbericht
Niemann-Pick Typ C
Seltene Erkrankungen in der klinischen Praxis
Auch für seltene Erkrankungen stehen zunehmend Therapien zur Verfügung. Wichtig ist eine frühe Diagnose. Morbus Niemann-Pick Typ C ist eine seltene Stoffwechselerkrankung, die sich mit verschiedenen Symptomen in verschiedenen Lebensaltern manifestiert. Bei einem Neugeborenen mit cholestatischem Ikterus sollte man an Niemann-Pick denken!
Von Christian Lampe, Ulf Arne Pfeifer und Markus Knuf
S eltene Erkrankungen manifestieren sich meist mit unspezifischen Symptomen und stehen häufig am Ende differenzialdiagnostischer Überlegungen. Unter dem Aspekt einer kosten- und zeiteffizienten Diagnostik ist dies sicher gerechtfertigt. Häufige Diagnosen sind eben häufig. Dem gegenüber stehen die erheblichen Folgen für die Betroffenen, die mit der zeitlichen Verzögerung der Diagnose zunehmen. Da Therapien für diese Erkrankungen in zunehmender Zahl verfügbar sind, nimmt die Dringlichkeit der Diagnosestellung zu, da ein früher Therapiebeginn Schaden von den Patienten abwendet oder den Krankheitsverlauf zumindest verlangsamt.
Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. Dr. Markus Knuf Klinikdirektor der Klinik für Kinder und Jugendliche Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden Ludwig-Erhard-Str. 100 D-65199 Wiesbaden E-Mail: Markus.Knuf@heliosgesundheit.de
Interessenlage: Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag.
Dieser Fallbericht erschien zuerst in der Zeitschrift «Kinderärztliche Praxis» 6/2018. Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Autoren und Verlag.
Fallbeispiel
Bei unserem Patienten handelte es sich um ein reifgeborenes Kind mit unauffälliger Schwangerschafts- und Geburtsanamnese. Seit der Geburt seien ein ausladendes Abdomen und ein Ikterus aufgefallen. Im Alter von zwei Monaten wurden klinisch und sonografisch eine erhebliche Hepato-/Splenomegalie und eine Renomegalie diagnostiziert und das Kind wurde stationär eingewiesen. Laborchemisch fanden sich eine deutlich erhöhte GOT, Gamma-GT und AP sowie ein erhöhtes Bilirubin (6,9 mg/dl) und direktes Bilirubin (4,4 mg/dl). Ebenso war das α-Fetoprotein (zu unserer Irritation) mit > 50 000 U/l auffällig; alle anderen Parameter, insbesondere das Blutbild, und diejenigen, welche auf die Synthese-/Entgiftungsleistung der Leber und die Nierenfunktion Hinweise geben, sowie α-1-Antitrypsin, waren normal. Unter der Diagnose cholestatischer Ikterus wurde eine an den AWMF-Leitlinien orientierte und wie dort empfohlen sehr umfangreiche Diagnostik veranlasst. Natur-
Wesentliches für die Praxis …
• M. Niemann-Pick Typ C ist eine seltene lysosomale, autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselerkrankung, die sich mit verschiedenen Symptomen in verschiedenen Lebensaltern manifestiert.
• Im Neugeborenenalter ist eine Cholestase als erste erfasste Manifestation nicht selten. • Da mit Miglustat eine zugelassene und zumindest teilweise wirksame Therapie zur Verfügung
steht, für die auch im Säuglingsalter begrenzte Erfahrungen vorhanden sind, erscheint es sinnvoll, die Erkrankung in die differenzialdiagnostischen Überlegungen bei einem Neugeborenen mit cholestatischem Ikterus einzubeziehen.
gemäss lag der Schwerpunkt insbesondere auf dem Nachweis einer Gallengangatresie (zeitkritisch, da eine Operation nach Kasai nur bis zum Alter von 3 Monaten erfolgversprechend ist) oder einer Infektion. Stoffwechseluntersuchungen zeigten Normalbefunde für organische Säuren im Urin; Aminosäuren, überlangkettige Fettsäuren und Galaktosemetabolite im Plasma und Enzymaktivitäten der sauren Lipase (M. Wolman), β-Glucosidase (M. Gaucher) und saure Sphingomyelinase (M. Niemann-Pick Typ A und B). Die isoelektrische Fokussierung des Transferrins und Untersuchungen bezüglich einer Glykogenose waren ebenfalls unauffällig. Die Untersuchung der Gallensäuremetabolite zeigten unspezifische, am ehesten durch die Cholestase verursachte Veränderungen. Zu unserem Erstaunen fanden sich zwei Erklärungen für die Cholestase. Zum einen wurde eine akute Zytomegalievirus-Infektion (CMV-Infektion) nachgewiesen (positives IgM, CMV-Nachweis im Urin), zum anderen fanden sich als Hinweis auf einen M. Niemann-Pick Typ C eine erheblich erhöhte Aktivität der Chitotriosidase und der Konzentration des Cholestantriols im Serum. Diese Befunde stellten uns vor ein erhebliches diagnostisches Dilemma, eine Untersuchung der für das Stoffwechselscreening verwendeten Trockenblutkarte zeigte keinen Hinweis auf eine konnatale CMV-Infektion. Eine molekulargenetische Untersuchung bezüglich NiemannPick Typ C bestätigte die biochemische Diagnose. Die deutliche Erhöhung des α-Fetoproteins werteten wir als unspezifischen Ausdruck einer Hepatopathie.
Therapie
Therapeutisch begannen wir wegen der CMV-Infektion eine Therapie mit Ganciclovir, worunter sich die Kopienzahl des CMV im Urin von 167 000 IU/ml auf 718 IU/ml verringerte und die laborchemischen Cholestaseparameter zurückgingen. Symptomatisch behandelten wir weiterhin mit Ursodesoxycholsäure. Wegen der Therapie des M. Niemann-Pick Typ C wurde Kontakt mit dem Studienzentrum einer zurzeit rekrutierenden Studie aufgenommen, in welcher Hydroxypropylbeta-Cyclodextrin als Therapie untersucht wird (clinicaltrials.gov Identifier NCT 02912793); alternativ wurde eine Therapie mit Miglustat (Zavesca®) mit den Eltern besprochen.
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Weiterführende Literatur: Di Rocco M et al.: Early miglustat therapy in infantile Niemann-Pick disease type C. Pediatr Neurol 2012; 47 (1): 40–43. Mengel E et al.: Differences in Niemann-Pick disease Type C symptomatology observed in patients of different ages. Mol Genet Metab 2017; 120 (3): 180–189. Yerushalmi B et al.: Niemann-pick disease type C in neonatal cholestasis at a North American Center. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2002; 35 (1): 44–50.
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