Transkript
SCHWEIZER IMPFKONGRESS
HPV-Impfung für Knaben
Wann, warum und wer entscheidet?
Seit Juli letzten Jahres wird die HPV-Impfung für Knaben und junge Männer im Alter von 11 bis 26 Jahre im Rahmen kantonaler Impfprogramme von den Krankenkassen bezahlt. An einem Workshop am Schweizer Impfkongress wurden wesentliche Aspekte zum individuellen Impfentscheid diskutiert.
Nicht wenige Männer erkranken an mit HPV assoziierten Tumoren und Genitalwarzen.
* BAG-Bulletin 2. März 2015; 10: 141–149
Geimpft werden dürfen bereits 11-jährige Knaben, doch manch einem mag das recht früh erscheinen. Selbst unter den Teilnehmern des Workshops am Schweizer Impfkongress – mithin Ärztinnen und Ärzte, die diese Impfung mit überwältigender Mehrheit prinzipiell befürworten dürften – meldete sich ein Arzt, der die HPV-Impfung erst bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 15 Jahren thematisiert. Sein Argument: Erst dann seien die Jugendlichen alt genug, um das zu besprechen und selbst zu entscheiden; vorher habe er Bedenken, und für die Impfung sei es dann immer noch früh genug. Sein Statement löste Widerspruch bei den anderen Workshopteilnehmern aus. Wie man aus Umfragen weiss, ist der Befürworter der späten Impfung mit seiner Meinung aber keineswegs allein. Das Krankheitsrisiko für die Jugendlichen werde von vielen Ärzten unterschätzt und häufig werde ein späterer Impfzeitpunkt gewählt, als in der Impfempfehlung vorgegeben sei, sagte Dr. med. Susanne Stronski Huwiler, Inselspital Bern, die gemeinsam mit Dr. med. Tina Huber-Gieseke, Service médical scolaire Fribourg, den Workshop leitete. Dabei hätten mindestens 20 Prozent der 13-Jährigen bereits sexuelle Aktivitäten aufgenommen, ergänzte eine Workshopteilnehmerin, die als Schulärztin arbeitet. Auch Eltern unterschätzten häufig die sexuelle Aktivität ihrer Kinder. Und einige befürchten sogar, durch die Impfung die sexuelle Aktivität ihrer Kinder zu früh auszulösen – eine überflüssige Sorge, die auch in Studien widerlegt wurde. Die Verknüpfung der HPV-Impfung mit der Sexualität kann also durchaus ein Impfhindernis sein. Stronski Huwiler riet deshalb, bei der Beratung die HPV-Impfung primär als das zu positionieren, was sie ist, nämlich als Krebsprävention. Eine Workshopteilnehmerin betonte in diesem Zusammenhang einen weiteren Aspekt: Weil die HPVImpfung so stark mit Sexualität assoziiert werde, sei es überdies wichtig, in der Beratung noch klarer herauszustellen, dass diese Impfung nur vor Papillomviren schützt und nicht vor allen sexuell übertragbaren Krankheiten (STI: sexually transmitted infections). Unmissverständlich müsse man den Jugendlichen erklä-
ren, dass man trotzdem immer noch Kondome braucht, um sich vor STI zu schützen.
Argumente für die HPV-Impfung
Die HPV-Infektion ist eine der häufigsten sexuell übertragenen Infektionen. Zirka 50 Prozent der Neuinfektionen betrifft 15- bis 24-jährige Männer. Die Infektion erhöht das Risiko für Karzinome und Genitalwarzen. Bei infizierten Männern ist, vor allem im Zusammenhang mit HPV 16 und 18, das Risiko für Oropharynx- und Analkarzinome erhöht. Vergleicht man die mit HPV 16/18 assoziierten Fallzahlen bei Männern und Frauen in der Schweiz, zeigt sich, dass HPV als Krebsrisiko auch bei Männern eine Rolle spielt, wenn auch in geringerem Ausmass als bei den Frauen*. Man hat errechnet, dass in der Schweiz pro Jahr 79 bis 183 Männer und 285 bis 320 Frauen an einem mit HPV 16/18 assoziierten Tumor erkranken, den man theoretisch durch die Impfung hätte vermeiden können. Genitalwarzen sind in über 90 Prozent der Fälle mit HPV 6 und 11 assoziiert; man schätzt, dass in der Schweiz pro Jahr 25 000 Männer davon betroffen sind – mit steigender Tendenz vor allem bei jüngeren Männern. Genitalwarzen beeinträchtigen die Lebensqualtität erheblich. Pro Fall sei mit 2 bis 6 Arztbesuchen zu rechnen, wobei die Kosten für eine erfolgreiche Behandlung (topisch, lokalchirurgisch) zwischen 180 und 500 Franken pro Fall lägen, berichtete Stronski Huwiler. Nicht zuletzt schützt die Impfung der Knaben letztlich auch die Mädchen, zumal angesichts der noch niedrigen HPV-Impfrate bei den Mädchen in der Schweiz. Weltweit wurden bisher mehr als 200 Millionen Impfdosen verabreicht. Neben anderen Institutionen hat das Global Advisory Committee on Vaccine Safety (GAVCS) der WHO keine Sicherheitsbedenken. Unter Beobachtung des GAVCS steht noch das GuillainBarré-Syndrom-Risiko, weil in einer Studie in Frankreich 1 Fall pro 100 000 mehr beobachtet wurde, als statistisch zu erwarten gewesen war. Ebenfalls im Auge behalten muss man in der Post-Marketing-Surveillance des quadrivalenten Impfstoffes die leicht erhöhte Inzidenzrate der Hashimoto-Thyreoiditis bei
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HPV-Impfung bedeutet primär Krebsprävention.
geimpften Frauen im Vergleich zu nicht geimpften Frauen (1,29; 95%-Kl: 1,08–1,56). Insgesamt könne man aber mit gutem Gewissen sagen, dass der Nutzen der HPV-Impfung bei Weitem höher sei als die Risiken und Nebenwirkungen, sagte Stronski Huwiler. Die Serokonversion beträgt 1 Monat nach dem Impfserienabschluss annähernd 100 Prozent. Die Wirksamkeit der Impfung gegen Genitalwarzen beträgt mit dem quadrivalenten Impfstoff über 90 Prozent. Der Schutz vor höhergradigen analen Neoplasien liegt bei zirka 75 Prozent und bei 85 Prozent vor persistierenden anogenitalen Infektionen, sofern keine Infektion vor der Impfung stattgefunden hat. Insgesamt lagen die Schutzraten in den Studienkollektiven (intention to treat) bei 50 und 65 Prozent, weil darunter auch Personen waren, die sich bereits vor der Impfung infiziert hatten.
Impfempfehlung
In der Schweiz wird die HPV-Impfung für Knaben und Männer als ergänzende Impfung empfohlen, und zwar nur mit dem quadrivalenten Impfstoff (Gardasil®); die Empfehlungen sind in der Tabelle zusammengefasst. Bei der ältesten Gruppe (20–26 Jahre) ist im Impfplan vermerkt, dass über die Indikation für eine HPV-Impfung von Fall zu Fall zu entscheiden ist. Diese Einschränkung werde «manchmal allzu ernst genommen», sagte Stronski Huwiler. Es gehe zu weit, hier allzu detailliert abklären zu wollen, ob oder gar mit wem bereits Geschlechtsverkehr erfolgt sei. Auch sei ein bereits erfolgter Geschlechtsverkehr keine Kontraindikation für die HPV-Impfung. Noch nicht im Handel, aber bereits zugelassen und im Kompendium ist ein neuer nonavalenter HPV-Impfstoff gegen die HPV-Typen 6, 11, 16, 18, 31, 33, 45, 52 und 58. Befremdlich sind einige Formulierungen in der Indikation dieses neuen Impfstoffs: Dort ist nur vom Schutz vor Genitalwarzen und von heterosexuellen Männern die Rede. Hier müsse sich noch einiges ändern, forderte Stronski Huwiler. Der neue Impfstoff
Tabelle: HPV-Impfung gemäss Schweizer Impfplan 2016
Alter* Dosis Intervall (Monate)** bei Immunschwäche
11–14 Jahre 2 Dosen 0,1
15–19 Jahre 3 Dosen 0,1–2,6 jeweils 3 Dosen; 0,1–2,6
20–26 Jahre 3 Dosen 0,1–2,6
Impfempfehlungstyp Frauen
Männer (nur quadrivalenter HPV-Impfstoff)
Basisimpfung
ergänzende Impfung
Nachholimpfung
ergänzende Impfung
ergänzende Impfung*** ergänzende Impfung***
* Relevant für die Einstufung in die Altersklasse ist der Zeitpunkt der ersten verabreichten Dosis. Das genannte Alter gilt jeweils bis zum Tag vor dem nächsten Geburtstag (z.B. 14-jährig heisst: bis zum Tag vor dem 15. Geburtstag) ** Intervalle: Es sind die kürzest möglichen Zeitabstände genannt, längere Intervalle sind möglich; nach dem Prinzip: Jede Impfung mit Mindestintervall zählt. *** Gemäss Impfplan ist ab dem Alter von 20 Jahren über die Indikation für eine HPV-Impfung von Fall zu Fall zu entscheiden.
wird nach Einschätzung der Referentin wahrscheinlich nicht vor 2018, eher noch später auf den Schweizer Markt kommen.
Wer entscheidet?
Das chronologische Alter ist zwar ein guter Parameter für die Urteils- und Einwilligungsfähigkeit eines Jugendlichen, letztlich ist aber die individuelle kognitive und emotionale Reife entscheidend. Als Arzt muss man gegebenenfalls prüfen, ob diese vorhanden ist. Als Faustregel gilt: • unter 12 Jahren kann man keine Urteilsfähigkeit er-
warten • zwischen 12 und 16 Jahren muss man die Urteils-
fähigkeit prüfen • ab 16 Jahren ist die Urteils- und Einwilligungsfähig-
keit in der Regel für einfache Eingriffe gegeben. Juristisch betrachtet, müssen die Eltern jeder ärztlichen Massnahme bei einem Minderjährigen zustimmen. Das gilt auch für die HPV-Impfung. Während Schulärzte hierfür auf einer schriftlichen Genehmigung der Eltern bestehen müssen, genügt es in der Hausarztpraxis, wenn die Eltern gegenüber dem Arzt mündlich zugestimmt haben. Wenn die Eltern die Impfung wollen, das Kind aber nicht, darf man dessen Wunsch ab einem Alter von 12 Jahren nicht übergehen. Trotz Internet, TV und Presse sei der Arzt für die Eltern immer noch die wichtigste Informationsquelle, wenn es um die Impfung gehe. Das dürfe man nie vergessen und als Arzt müsse man jede Gelegenheit nutzen, um über Impfungen zu informieren, forderte Stronski Huwiler. Leider würden noch immer viele Chancen verpasst. Den Ärztinnen und Ärzten in der Praxis riet die Referentin im Hinblick auf die HPV-Impfung zu einer Beratung mit dem Fokus auf der Krebsprävention (und nicht als Schutz vor STI) und mit klaren Informationen, vor allem auch zur Sicherheit der Impfung – dies alles mit der Haltung, am Ende ein Ja zu erwarten. Bei ihrer Entscheidung stützen sich die Eltern in erster Linie auf ihren Partner und in zweiter Linie auf den Arzt. Einen ganz wesentlichen Einfluss hat das soziale Netzwerk der Eltern. Wenn Verwandtschaft und Freunde nichts von der Impfung halten, stimmen die Eltern eher nicht zu. Umgekehrt motivieren positive Einstellungen gegenüber der Impfung im sozialen Umfeld ganz erheblich für die Impfung. Das Gleiche gilt für die persönliche Erfahrung oder den Kontakt mit Patienten, die an einem HPV-assoziierten Tumor leiden. So berichtete eine Workshopteilnehmerin von einer Zervixkarzinompatientin, die ihren erst 10-jährigen Sohn unbedingt so schnell wie möglich impfen lassen wollte. Für die Jugendlichen spielt die Zustimmung des sozialen Umfelds (Eltern, Peergroup) eine womöglich noch grössere Rolle. Auch ist für die Jugendlichen nicht nur der Nutzen wichtig, den sie selbst von der Impfung haben, sondern auch der Nutzen für andere. Darum sollten beide Aspekte in der Beratung ausführlich gewürdigt werden.
Renate Bonifer
Quelle: Workshop «Impfungen bei Jugendlichen (inkl. HPV bei Jungen und Mädchen)». IX. Schweizer Impfkongress, Basel, 10. bis 11. November 2016.
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