Transkript
SCHWERPUNKT
Die FODMAP-Hypothese
Wenn Obst und Gemüse «Bauchschmerzen» machen
Bereits vor 20 bis 30 Jahren stellten die Autoren verschiedener Studien einen Zusammenhang zwischen der Aufnahme kurzkettiger Kohlenhydrate und verstärkten Symptomen bei Patienten mit Reizdarmsyndrom fest. Das Akronym FODMAP steht für «fermentable oligo-, di- and monosaccharides and polyols». Es handelt sich dabei um kurzkettige Kohlenhydrate und Polyole, die von Darmbakterien mangels passender Enzyme nicht völlig abgebaut, sondern «vergoren» werden. Die Reduktion der Aufnahme von FODMAP ist eine erfolgreiche Strategie zur Behandlung der Symptome bei Reizdarmsymptomatik.
Von Stephan Vavricka und Martin Wilhelmi
Gewisse Kohlenhydrate und Polyole werden im Kolon wegen mangelnder Enzyme nur «vergoren».
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Chronische gastrointestinale Beschwerden sind in der hausärztlichen Praxis ein sehr häufiges Problem. Oft steht dabei ein Reizdarmsyndrom als Krankheit im Vordergrund (2). Das Reizdarmsyndrom ist jedoch eine Ausschlussdiagnose und wird gemäss der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) dann gestellt, wenn die folgenden drei Punkte erfüllt sind: 1. Es bestehen chronische (länger als 3 Monate an-
haltende) Beschwerden, wie zum Beispiel Bauchschmerzen oder Blähungen, die in der Regel mit Stuhlgangveränderungen einhergehen. 2. Die Beschwerden sind so stark, dass sich der Patient Sorgen macht, seine Lebensqualität beeinträchtigt ist und er deswegen ärztliche Hilfe aufsucht. 3. Es liegen keine anderen Krankheitsbilder als Ursache für die Symptome vor. Neben einer ausführlichen Anamnese gehören eine klinische Untersuchung sowie Labor- und Stuhluntersuchungen (insbesondere auch eine Calprotektinbestimmung im Stuhl) zur Basisdiagnostik. Zwingend sollte nach Alarmzeichen wie Blut im Stuhl, schwerem Durchfall, Fieber, ungewolltem Gewichtsverlust, Leistungsknick sowie der familiären Vorgeschichte im Hinblick auf entzündliche Darmerkrankungen oder gastrointestinale Malignomen gefragt werden. Als weitere Abklärung können eine Milchzuckerunverträglichkeit (Laktoseintoleranz) und eine Fruchtzuckerunverträglichkeit (Fruktosemalabsorption) ausgeschlossen werden. Weiterhin werden meistens eine Sonografie des Abdomens sowie häufig auch endoskopische Untersuchungen inklusive Gastroskopie und Koloskopie empfohlen. Bereits in den Achtziger- und Neunzigerjahren konnten die Autoren verschiedener Studien einen Zusammen-
hang zwischen der Aufnahme kurzkettiger Kohlenhydrate, insbesondere Fruktose und Sorbitol, und verstärkten Symptomen bei Patienten mit Reizdarmsyndrom feststellen (1). Eine von Peter Gibson und Sue Shepherd durchgeführte klinische Untersuchung aus dem Jahre 2010 bei Reizdarmpatienten konnte aufzeigen, dass sich Symptome, wie zum Beispiel Durchfall, Verstopfung, Blähungen, Bauchschmerzen und Übelkeit, reduzierten, wenn eine Ernährung eingehalten wurde, die arm an FODMAP ist (3). FODMAP sind Nahrungsmittelbestandteile aus der Gruppe der Kohlenhydrate und der mehrwertigen Alkohole, welche in sehr vielen Nahrungsmitteln vorkommen. Der Rückgang der Symptome konnte in einer kontrollierten Studie 2014 nochmals bewiesen werden (4). In Grossbritannien ist das FODMAP-Konzept in die Empfehlungen zur Therapie von Reizdarmpatienten bereits eingegangen (5). In der Schweiz ist dies noch nicht erfolgt; die Therapieform wird jedoch zunehmend häufiger in der klinischen Praxis eingesetzt.
Eigenschaften der FODMAP
Kohlenhydrate lassen sich – abhängig vom Grad ihrer Polymerisation – in Mono-, Di-, Oligo- sowie Polysaccharide einteilen. Gewisse Kohlenhydrate sind «fermentierbar», das heisst, sie werden im Kolon aufgrund der Abwesenheit oder der reduzierten Konzentration hydrolisierender Enzyme (wie z.B. Laktase) oder im Falle von Monosacchariden durch eine unvollständige Aufnahme in Dünndarm und Dickdarm fermentiert. FODMAP haben einige Eigenschaften, die abdominale Beschwerden bewirken können (Abbildung): • Sie werden im Dünndarm schlecht absorbiert: einer-
seits, weil die Bestandteile nicht gut durch den Darm aufgenommen werden (z.B. Fruktose) oder
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weil bestimmte abbauende Enzyme (Hydrolasen bei Laktoseintoleranz) fehlen. Wenn die Bestandteile sehr gross sind, können sie im Dünndarm ebenfalls schlecht absorbiert werden (z.B. Polyole). • Sie können abführend wirken: Teilweise sind diese Nahrungsbestandteile sehr klein und damit auch osmotisch aktiv. Dies zeigt sich insbesondere bei synthetischen FODMAP, jedoch auch bei der Laktulose, die zu einer Erhöhung der Flüssigkeitsmenge im Darmlumen führen und damit einen abführenden Effekt bewirkt. • Sie führen zu einer ausgeprägten Gasbildung: FODMAP werden durch Bakterien schnell fermentiert. Dabei gilt: Je kürzer die Kette, desto schneller werden sie fermentiert. So werden zum Beispiel Oligound Disaccharide (z.B. Saccharose und Laktose) sehr schnell fermentiert, wohingegen Polysaccharide nur sehr langsam fermentiert werden. All diese Faktoren führen dazu, dass durch den osmotischen Effekt Wasser in den Darm einströmt und die FODMAP im Kolon durch die mikrobielle Flora zu kurzkettigen Fettsäuren, Methan, Kohlendioxid und Wasserstoff zersetzt werden. Dies führt zu einer ausgeprägten Gasbildung mit Blähungen sowie zu einem gesteigerten Druck in der Darmwand und dadurch zu abdominellen Schmerzen. Nach Gibson und Shepherd zählen Laktose, Fruktose, Fruktane und Galaktane sowie Polyole zu den FODMAP (4). Diese Kohlenhydrate kommen in unterschiedlichen Nahrungsmitteln vor. Eine Übersicht der verschiedenen FODMAP ist in der Tabelle verfügbar. Im Folgenden wird auf einige FODMAP näher eingegangen.
Fruktose
Die Fruktose ist ein typischer Vertreter der Monosaccharide und Bestandteil der meisten Frucht- und Gemüsesorten. Die verschiedenen Früchte haben unterschiedliche Fruktosegehalte und sind deshalb unterschiedlich gut verträglich. Beispielsweise haben Äpfel 5,9 g Fruktose/100 g, wohingegen Gurken nur 0,86 g Fruktose/100 g aufweisen.
Laktose
Die Laktose ist ein typischer Vertreter der Disaccharide und Hauptkohlenhydrat der Milch und somit in allen gängigen Milchprodukten zu finden. Auch hier unterscheiden sich die Nahrungsmittel bezüglich des Laktosegehaltes deutlich. Kondensmilch weist zum Beispiel 9 bis 13 g Laktose/100 g auf, wohingegen Hartkäsesorten nur 0 bis 0,4 g Laktose/100 g Nahrungsmittel aufweisen. Das Auftreten der Beschwerden sowie die Art und das Ausmass der Symptome werden durch verschiedene Faktoren beeinflusst, wie zum Beispiel durch die Menge der zugeführten Laktose, die Menge der Laktase im Dünndarm, die Zeitdauer von der Nahrungsaufnahme bis zur Ausscheidung, die Dünndarmoberfläche und die Zusammensetzung der Dickdarmbakterien. Die Beschwerden äussern sich in Art und Ausprägung sehr unterschiedlich. Gelegentlich ist die Diagnose schwierig, insbesondere wenn die Betroffenen eher an Verstopfung als an Durchfällen leiden.
Abbildung: Entstehung abdominaler Beschwerden unter einer FODMAP-reichen Ernährung
Sorbitol
Sorbitol wie auch weitere Zuckeralkohole wie Erythrit, Isomalt, Laktit, Mannit und Xylit gehören zur Gruppe der Polyole. Das sind mehrwertige Alkohole, die linear oder zyklisch vorkommen. Häufig dienen sie als Zuckeraustauschstoffe (z.B. Sorbitol und Mannitol).
Fruktane, Oligosaccharide und Galaktane
Fruktane sind eine Hauptquelle für fermentierbare Kohlenhydrate. Ein typischer Vertreter ist Inulin. Fruktane sind natürliche Kohlenhydratspeicher in Pflanzen und werden insbesondere bei Fertiggerichten als Geschmacksverstärker zugesetzt. Aufgrund fehlender Verdauungsenzyme im menschlichen Gastrointestinaltrakt erfolgt eine minimale Verdauung dieser Stoffe im Dünndarm. Oligosaccharide und Galaktane finden sich vor allem in Hülsenfrüchten, Körnern sowie Milch und führen zu Blähungen und Flatulenz.
Tipps für die Praxis
In der Sprechstunde hat es sich bewährt, bei Patienten mit Reizdarmsyndrom beziehungsweise deren Eltern initial abzuklären, ob sie bereit zu einer Ernährungsumstellung sind. Meist ist das der Fall. Wir führen dann ein Gespräch über das Konzept der FODMAP-Diät durch und überweisen die Patienten an eine geschulte Ernährungsberatung. Das Führen eines Ernährungs- und eines Symptomtagebuches ist von Vorteil, kann jedoch schwierig in der Auswertung sein. Es hat sich zudem bewährt, den Patienten und Eltern eine FODMAP-Liste abzugeben (Tabelle). Viele Patienten berichten in der nächsten Sprechstunde spontan über eine deutliche Verbesserung der Beschwerden.
Was bewirkt eine FODMAP-arme Diät?
Bis heute sind die Langzeitfolgen einer FODMAP-armen Diät noch nicht restlos geklärt, da Langzeitdaten, insbesondere auch für Kinder und Jugendliche, feh-
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Tabelle: FODMAP-reiche und FODMAP-arme Nahrungsmittel
Zu vermeiden
Alternative
FODMAP-reich
FODMAP-arm
Oligosaccharide (Galaktane, Fruktane [z.B. Inulin])
Obst: Obst: siehe unten
Feigen, Khakifrüchte, Pfirsiche, Pistazien,
Gemüse:
Wassermelonen
Auberginen, Grüne Bohnen, Salat, Schnittlauch,
Gemüse:
Sellerie, Sprossen, Tomaten, Zwiebel- oder
Artischocken, Bohnen, Broccoli, Brüsseler/
Knoblauchöl
Chicorée, Erbsen, Fenchel, Frühlingszwiebeln, Getreide:
Hülsenfrüchte wie Linsen, Kichererbsen,
Buchweizen, Cornflakes, Dinkel, Dinkelbrot (reines),
Knoblauch, Kohl, Lauch, Linsen, Löwenzahn- Dinkelteigwaren (reine), glutenfreie Produkte,
blätter, Randen, Rosenkohl, rote Bohnen,
glutenfreie Teigwaren, Hafer, Haferflocken,
Rucola, Schalotte, Spargel, Zichorien, Zwiebeln Hirse, Mais, Maiswaffeln, Polenta, Quinoa, Reis,
Getreide:
Reisbrot (reines), Reisflocken, Reispuffer,
Weizen- und Roggenmehl
Reisteigwaren (reine), Reiswaffeln
Sonstiges:
Functional Food (Brot, Teigwaren und andere
Produkte mit grossen Mengen an Inulin oder
FOS-Präbiotika [FOS: Fruktooligosaccharide
wie z.B. Inulin]), Kaffeeersatz
Disaccharide (Laktose) Buttermilch, Birchermüesli, Eiscreme, Milch- und Milchprodukte Nur in grösseren Mengen ungeeignet: Frischkäse, Quark und Rahm
Butter, Brie, Camembert, Hartkäse, laktosefreie Produkte, Wasserglace
Monosaccharide (Fruktose) Obst: Agavensirup, Äpfel, Artischocken, Birnen, Dosenfrüchte, unreife Früchte (grosse Mengen), Fruchtsäfte (grosse Mengen), getrocknete Früchte, Guaven, Kirschen, Mangos, Pfirsiche, Wassermelonen Gemüse: Kefen, Spargeln, Topinambur Süssungsmittel: Birnendicksaft, Fruktosesirup, Honig Sonstiges: Diät- und Lightprodukte
Obst: Ananas, Avocados, Bananen, Blaubeeren, Brombeeren, Cassis, Cranberries, Datteln, Erdbeeren, Grapefruits, Himbeeren, Honigmelonen, Johannisbeeren, Kiwis, Limetten, Litschi, Mandarinen, Orangen, Papaya, Passionsfrüchte, Rhabarber, Sternfrüchte, Sultaninen, Trauben, Trockenobst in kleinen Mengen (wie Ananas, Bananenchips, Rosinen), Weintrauben, Zitrusfrüchte Gemüse: siehe oben Süssungsmittel: Ahornsirup, Haushaltszucker (Saccharose), Traubenzucker (Glukose), Zuckerrübensirup
Polyole (natürliche Polyalkohole und Zuckeraustauschstoffe)
Obst: Obst und Gemüse: siehe oben
Äpfel, Aprikosen, Avocados, Birnen,
Süssungsmittel: siehe oben
Brombeeren, getrocknete Früchte, Kefen,
Kirschen, Nektarinen, Pfirsiche, Pflaumen,
Pilze, Steinobst, Wassermelonen, Zwetschgen
Gemüse: Blumenkohl
Zuckeraustauschstoffe:
E420 (Sorbit), E421 (Mannit), E953 (Isomalt),
E965 (Maltit), E966 (Lactit), E967 (Xylit),
E968 (Erythrit)
Sonstiges: Diät-, Light- und Fertigprodukte
len. Eine FODMAP-arme Diät scheint einen Einfluss auf die Darmflora zu haben. Ob diese Veränderung eine Konsequenz für den Patienten hat, ist noch unbekannt. Dem Patienten muss zudem klar mitgeteilt werden, dass die Reduktion von FODMAP keine Heilung der zugrunde liegenden Krankheit (Reizdarmsyndrom) bietet, es sich jedoch um eine erfolgreiche Strategie zur Linderung von Symptomen handelt. Eine adäquate vorausgehende Diagnostik zum Ausschluss anderer Krankheiten muss zwingend erfolgen. Zudem ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Hausärzten, Gastroenterologen und Ernährungsberatung von entscheidender Bedeutung für eine erfolgreiche Therapie.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Stephan Vavricka Leiter der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie Stadtspital Triemli Birmensdorferstrasse 497 8063 Zürich E-Mail: stephan.vavricka@triemli.stzh.ch
Dr. med. Martin Wilhelmi ist niedergelassener Gastroenterologe in Zürich: Central-Praxis Zürich, Weinbergstrasse 26, 8001 Zürich.
Dieser Artikel erschien in der Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin SZE 4/2015. Der bearbeitete Nachdruck erfolgte mit freundlicher Genehmigung der Autoren; Tabelle und Abbildung wurden neu gestaltet.
Literatur: 1. Monsbakken KW et al.: Perceived food intolerance in subjects with irritable bowel syndrome – etiology, prevalence and consequences. Eur J Clin Nutr 2006; 60: 667–672. 2. Drossman DA et al.: U.S. householder survey of functional gastrointestinal disorders. Prevalence, sociodemography, and health impact. Dig Dis Sci 1993; 38: 1569–1580. 3. Ong DK et al.: Manipulation of dietary short chain carbohydrates alters the pattern of gas production and genesis of symptoms in irritable bowel syndrome. J Gastroenterol Hepatol 2010; 25 (8): 1366–1373. 4. Halmos EP et al.: A diet low in FODMAPs reduces symptoms of irritable bowel syndrome Gastroenterology 2014; 146: 67–75. 5. McKenzie YA et al.: British Dietetic Association evidence-based guidelines for the dietary management of irritable bowel syndrome in adults. J Hum Nutr Diet 2012; 25: 260–274.
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