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SCHWERPUNKT
Hämaturie
Zahlreiche Ursachen kommen infrage
Trotz der mannigfaltigen potenziellen Ursachen einer Hämaturie lässt sich durch eine gezielte Anamnese, die klinische Untersuchung sowie die sorgfältige Interpretation des initialen Urinbefunds meistens ein zielgerichtetes weiteres Vorgehen festlegen, welches in den allermeisten Fällen ohne allzu invasive Abklärungen zur korrekten Diagnose führt. Insbesondere bei der asymptomatischen Makrohämaturie und einer mit einer Proteinurie oder Allgemeinsymptomen vergesellschafteten Mikrohämaturie muss grundsätzlich immer mit einer relevanten Nierenpathologie gerechnet werden. Bei der symptomatischen Makrohämaturie liegt die Verdachtsdiagnose in der Regel auf der Hand, während die isolierte Mikrohämaturie meistens eine harmlose Ursache und auch eine gute Prognose hat.
Von Christoph Rudin
Der Teststreifenbefund «Erythrozyten im Urin» muss immer mikroskopisch verifiziert werden.
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Meistens führt der Befund einer Hämaturie bei den Eltern betroffener Kinder zu grosser Sorge. Allerdings findet sich eine isolierte mikroskopische Hämaturie bei Kindern recht häufig. In diversen Reihenuntersuchungen von Kindern und Jugendlichen im Schulalter waren jeweils zwischen 1 und 4 Prozent der untersuchten Kinder davon betroffen. In der grössten derartigen Studie an über 7 Millionen Schulkindern in Korea zeigten 1044 eine pathologische Urinanalyse, davon 719 (60,1%) eine isolierte Hämaturie (1). In dieser und verschiedenen anderen Studien wurden solche Kinder zum Teil mittels Nierenbiopsien weiter abgeklärt. In vielen Fällen fanden sich dabei normale histologische Befunde. In den übrigen Fällen wurde am häufigsten eine «thin membrane disease» oder seltener eine IgA-Nephritis diagnostiziert. In anderen Studien fand sich häufig eine Hyperkalziurie als Ursache für die isolierte Mikrohämaturie. Nur bei einer sehr kleinen Zahl von Kindern wurde jeweils eine signifikante Nierenpathologie gefunden, sodass heute im Allgemeinen von solchen Screeninguntersuchungen des Urins abgesehen wird (2). Es darf davon ausgegangen werden, dass einer isolierten Mikrohämaturie und übrigens auch einer isolierten Proteinurie meistens eine benigne Ursache zugrunde liegt. Im Allgemeinen kann die Ursache der isolierten Mikrohämaturie aufgrund einer sorgfältigen Anamnese und einer klinischen Untersuchung mit minimalem Laboraufwand ermittelt werden. Eine invasive Abklärung mittels Nierenbiopsie ist kaum je notwendig. Üblicherweise wird die mikroskopische Hämaturie heutzutage zufällig entdeckt, sei es im Rahmen einer Episode von Makrohämaturie, aufgrund anderer Sym-
ptome, die zu einer Urinuntersuchung Anlass geben, oder durch Urinuntersuchungen, die im Kontext mit anderen Gesundheitstests durchgeführt werden (wie z.B. anlässlich von Hospitalisationen, sport- oder betriebsärztlichen Untersuchungen oder bei der Rekrutierung). Dementsprechend ist der Zeitpunkt des ersten Auftretens der Mikrohämaturie faktisch fast immer unbekannt.
Definition der Hämaturie
Im Allgemeinen spricht man von einer Hämaturie, wenn der Urin mehr als 5 bis maximal 10 Erythrozyten/μl enthält. Eine Makrohämaturie ist mit blossem Auge erkennbar (brauner oder roter Urin), eine Mikrohämaturie liegt vor, wenn sie bei unauffällig imponierendem (gelbem) Urin lediglich unter dem Mikroskop festgestellt werden kann. Bereits die geringe Menge von 1 ml Blut auf 1 l Urin kann zu einer sichtbaren Farbveränderung des Urins führen.
Labordiagnostik der Hämaturie
Eine Hämaturie wird zuerst meistens im Rahmen einer Urinuntersuchung mittels Streifentests festgestellt. Die üblichen Streifentests verwenden dabei Hydrogenperoxid, welches eine chemische Reaktion zwischen Hämoglobin respektive Myoglobin und dem Chromogen Tetramethylbenzidin katalysiert, was auf dem Teststreifen zu einer grün-blauen Verfärbung führt. Der Streifentest ist sehr sensibel und kann im Allgemeinen bereits das Vorhandensein von 5 bis 10 intakten Erythrozyten/μl Urin respektive 2 bis 5 pro Gesichtsfeld nachweisen. Da ein positiver Befund lediglich das Vorhandensein von Hämoglobin beziehungsweise Myoglobin nachweist, muss das Vorhandensein von Erythrozyten im-
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SCHWERPUNKT
mer durch eine mikroskopische Untersuchung des Sediments eines frischen zentrifugierten Urins verifiziert werden. Die mikroskopische Untersuchung des Urinsediments stellt den Goldstandard für den Nachweis einer (mikroskopischen) Hämaturie dar. Dafür sollten etwa 10 ml frischer Urin für 5 Minuten bei 750 g zentrifugiert werden. Der Überstand wird abgegossen, das Sediment in den im Röhrchen verbleibenden 0,5 ml Urin aufgeschüttelt und dann bei 40-facher Vergrösserung unter dem Mikroskop analysiert; man quantifiziert die Zellen unter Verwendung einer Zählkammer. Im Falle einer isolierten Mikrohämaturie (also ohne begleitende Proteinurie) sollte der Befund in einer bis zwei weiteren Urinuntersuchungen im Abstand von mindestens einigen Wochen vor weiteren Abklärungen verifiziert werden. Die mikroskopische Untersuchung des Urinsediments kann auch bezüglich der Herkunft der Erythrozyten im Urin weitere Aufschlüsse geben. Erythrozytenzylinder beweisen die Herkunft des Blutes aus den Glomeruli respektive Nephronen. Ausserdem sind mehr als 30 Prozent dysmorphe Erythrozyten beziehungsweise mehr als 5 Prozent sogenannte Akanthozyten (ringförmige Erythrozyten mit vesikelförmigen Ausstülpungen) im Phasenkontrastmikroskop sehr suggestiv für eine glomeruläre Hämaturie.
Formen der Hämaturie
Während bei der Mikrohämaturie das Blut im Urin mit blossem Auge nicht erkennbar ist, verfärbt sich der Urin im Falle einer Makrohämaturie braun oder rot. Ähnliche Farbveränderungen können aber auch andere Ursachen haben, wie zum Beispiel freies Hämoglobin oder Myoglobin, Medikamente (z.B. Rifampicin, Nitrofurantoin oder Metronidazol), Pigmente wie Bilirubin oder mit anderen Erkrankungen assoziierte Metaboliten, wie zum Beispiel im Rahmen einer Porphyrie. Auch in solchen Fällen gibt das Urinsediment natürlich Aufschluss darüber, ob eine Hämaturie vorliegt oder nicht. Bei der Mikrohämaturie ist, abgesehen von den möglichen Hinweisen aufgrund der Erythrozytenmorphologie im Urinsediment, entscheidend, ob es sich um eine isolierte Hämaturie handelt oder ob assoziiert auch eine Proteinurie oder weitere Symptome vorliegen. Ein pathologischer Eiweiss/Kreatinin-Quotient im ersten Morgenurin ist ein wichtiger Hinweis auf das Vorliegen einer glomerulären mikroskopischen Hämaturie. Die gezielte Anamnese und eine sorgfältige klinische Untersuchung sind beim Vorliegen einer Hämaturie oft sehr aufschlussreich und liefern häufig differenzialdiagnostisch entscheidende und richtungsweisende Informationen.
Anamnese und Klinik bei Makrohämaturie
Im Falle einer Makrohämaturie ist das Fehlen oder Vorhandensein weiterer Symptome entscheidend. Im Falle einer symptomatischen Makrohämaturie weisen eine neu aufgetretene Inkontinenz oder dysurische Beschwerden in Richtung einer Harnwegsinfektion. Unilaterale, kolikartige Bauchschmerzen und eine
positive Familienanamnese für Nierensteine sind die entscheidenden Hinweise für eine Urolithiasis, mit Fieber assoziiert für Infektsteine oder eine akute Pyelonephritis. Ausserdem sollte immer auch nach einem Trauma gefragt werden. Eine rosa oder rein rote Farbe des Urins spricht eher für eine Herkunft des Blutes aus den unteren Harnwegen, insbesondere wenn sich im Urin auch Koagel finden. Eine Braunverfärbung des Urins spricht eher für eine Herkunft des Blutes aus den Nieren und somit eher für eine Glomerulonephritis, insbesondere wenn die Makrohämaturie asymptomatisch ist. Eine kürzlich (vor 1–2 Wochen) erlittene Pharyngitis oder (vor 1–2 Monaten) durchgemachte Impetigo, aber auch andere Infektionen in der neuesten Anamnese bilden einen wichtigen Hinweis auf eine Poststreptokokkenrespektive eine postinfektiöse Glomerulonephritis. Eine vorangegangene Enterokolitis (insbesondere mit blutiger Diarrhö) kann, vor allem in den Sommermonaten, einen wichtigen Hinweis auf ein mögliches hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) darstellen. Interkurrente Infektionen führen auch bei einer IgANephritis oder einem Alport-Syndrom nicht selten zu asymptomatischen Makrohämaturieepisoden. Diesbezüglich kann die Familienanamnese wichtige Hinweise liefern, wenn andere Familienmitglieder an einer Niereninsuffizienz oder an Schwerhörigkeit litten oder leiden. Auch exzessives sportliches Training oder prädisponierende Erkrankungen, wie Sichelzellanämie, Koagulopathien (schwere Hämophilie) oder autosomal-dominante polyzystische Nieren, können für eine Makrohämaturie verantwortlich sein. Schliesslich sollte auch eine Medikamentenanamnese erhoben werden, weil Medikamente zu interstitiellen Nephritiden (z.B. Antibiotika, NSAID) oder hämorrhagischen Zystitiden (z.B. Cyclophosphamid) führen können. Wichtig sind auch Beobachtungen über den Zeitpunkt der Hämaturie während der Miktion. Kommt es erst gegen Ende der Miktion zur Rotverfärbung des Urins, besteht Verdacht auf eine urethrale Blutung, zum Beispiel als Folge von Verletzungen oder im Rahmen einer idiopathischen Urethrorrhagie bei präpubertären Knaben.
Anamnese und Klinik bei Mikrohämaturie
Bei einer Mikrohämaturie kann eine positive Familienanamnese für Nierensteine auch einen Hinweis auf eine familiäre Hyperkalziurie darstellen. Diese kann auch mit dysurischen Beschwerden ohne anamnestische Hinweise auf Harnwegsinfektionen assoziiert sein. Grundsätzlich können drei Kategorien der Mikrohämaturie unterschieden werden, nämlich (a) asymptomatische isolierte Mikrohämaturien, (b) asymptomatische Mikrohämaturien mit Proteinurie und (c) symptomatische Mikrohämaturien. Vor allem bei den letzten beiden Formen kann die persönliche Anamnese entscheidend sein. Insbesondere sollte in solchen Fällen nach unspezifischen Symptomen (wie Fieber, Malaise, Müdigkeit [Anämie], Gewichtsverlust), extrarenalen Symptomen (wie Hautausschlä-
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Bei isolierter Mikrohämaturie ist der Befund im Abstand von einigen Wochen zu verifizieren.
Kommt es erst gegen Ende der Miktion zur Rotverfärbung, spricht dies für eine urethrale Blutung.
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SCHWERPUNKT
Abbildung: Vorgehen bei Hämaturie.
Mikrohämaturie plus Proteinurie spricht für eine Nierenerkrankung.
gen, Purpura, Arthritiden) und möglichen renalen Symptomen (wie Ödemen, Kopfschmerzen [Hypertonie], Dysurie und Oligurie) gefragt werden. Auch die sorgfältige klinische Untersuchung kann sehr wertvolle Hinweise auf die Ätiologie liefern. Auf jeden Fall sollte die Untersuchung immer eine Blutdruckmessung und Gewichtsbestimmung umfassen. Das aktuelle Gewicht sollte wenn immer möglich mit früheren Bestimmungen verglichen werden, um eine abnorme Gewichtszunahme zu erfassen. Zur Untersuchung gehören auch eine sorgfältige Inspektion der Haut (Purpura, Petechien, Blässe, Ikterus), eine Inspektion des Genitales (lokale Entzündungen, Pathologien des Meatus oder des Introitus) und eine sorgfältige Palpation des Abdomens (Druckdolenz, Resistenzen).
Häufigste Ursachen der verschiedenen Hämaturieformen
Eine isolierte Mikrohämaturie sollte vorerst während sechs Monaten in mehreren Urinproben verifiziert werden, denn aufgrund von verschiedenen Reihenuntersuchungen bei Schulkindern persistiert die in einer Urinprobe festgestellte Mikrohämaturie nur bei etwa einem Drittel der Kinder (3). Bei dieser Form der Hämaturie finden sich nur selten relevante Nierenpathologien. Am häufigsten wurden in Nierenbiopsien von Kindern mit isolierter Mikrohämaturie benigne familiäre Hämaturien (sog. «thin membrane disease») und seltener IgA-Nephritiden gefunden, ausserdem lag in anderen Studien häufig eine familiäre Hyperkalziurie und in Studien aus Asien ein Nussknackersyndrom vor. Mit einer Untersuchung eines Urins, der frühmorgens im Bett vor dem Aufstehen asserviert wird, und einer zweiten Urinprobe in einem später am Tag gewonnenen Urin kann eine orthostatische Hämaturie erfasst werden. Meistens kommen Hämaturie und Proteinurie im Rahmen von Reihenuntersuchungen bei Schulkindern
isoliert vor. Ist allerdings im Rahmen einer Mikrohämaturie auch eine Proteinurie vorhanden, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer relevanten zugrunde liegenden Nierenpathologie erheblich, insbesondere wenn auch noch Ödeme oder eine Hypertonie vorhanden sind. Solche Kinder sollten auf jeden Fall weiter abgeklärt (siehe Abbildung) und engmaschig kontrolliert werden. Insbesondere sollte die Proteinurie mittels Sammelurins quantifiziert, die Nierenfunktion überprüft und der Blutdruck regelmässig kontrolliert werden. Die häufigsten Entitäten sind in dieser Kategorie sicher die postinfektiösen Glomerulonephritiden und die IgA-Nephritis, aber grundsätzlich kommt das ganze Spektrum der Glomerulonephritiden respektive Systemerkrankungen mit Nierenbeteiligung ätiologisch infrage. Dementsprechend gehören solche Kinder in eine kindernephrologische Betreuung. Dasselbe gilt sicher auch für Kinder mit symptomatischen Mikrohämaturien. Bei Kindern mit symptomatischer Makrohämaturie stehen differenzialdiagnostisch die Harnwegsinfektionen und die Urolithiasis im Vordergrund. Kinder mit einer ersten Episode einer asymptomatischen Makrohämaturie sollten ebenfalls immer abgeklärt und vorsichtshalber auch hospitalisiert und streng bezüglich Volumen- (Ein- und Ausfuhr) und Elektrolytzufuhr bilanziert werden, insbesondere wenn weitere Zeichen eines nephritischen Syndroms vorhanden sind, wie zum Beispiel eine arterielle Hypertonie, Ödeme oder ein im Verhältnis zur Muskelmasse oder zur Altersnorm zu hoher Serumkreatininwert. Die asymptomatische Makrohämaturie kann in diesen Fällen immer Ausdruck einer akuten Glomerulonephritis sein, die in den nächsten Stunden zur akuten Niereninsuffizienz führen kann. Die häufigste Glomerulonephritisform ist in diesen Fällen die postinfektiöse Glomerulonephritis, aber selbstverständlich kommen auch alle anderen Formen der Glomerulonephritis oder tubulo-interstitiellen Nephritiden infrage. Eine häufige Ursache für ein akutes Nierenversagen mit Hämaturie stellt im Kindesalter auch das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) dar. Rezidivierende, mit Infekten der oberen Luftwege oder des Gastrointestinaltrakts assoziierte MakrohämaturieEpisoden sind vor allem für die IgA-Nephritis und das Alport-Syndrom typisch.
Weiterführende Abklärungen
In den allermeisten Fällen einer Hämaturie entscheiden Anamnese und Klinik über das weitere Vorgehen. Dabei ist die Unterscheidung der verschiedenen Hämaturieformen bei der Makro- (symptomatisch, asymptomatisch) und bei der Mikrohämaturie (isoliert, asymptomatisch mit Proteinurie, symptomatisch) sehr hilfreich. Die Abbildung oder ähnliche Schemata aus der Literatur (3) fassen die entsprechenden wichtigsten Abklärungschritte zusammen. Die Indikation für die Durchführung eines Ultraschalls der Nieren und ableitenden Harnwege wird grosszügig gestellt. Es handelt sich um eine wenig invasive Untersuchung, und ein Normalbefund ist für die Eltern und Patienten sehr beruhigend. Bei der symptomatischen Makrohämaturie finden sich allenfalls indirekte
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Hinweise auf die Ursachen, zum Beispiel auf Harnwegsinfektionen (Hydronephrose, Blasenwandverdickung, Grössenunterschied der Nieren etc.) oder auf Nierensteine (Hydronephrose). Nierensteine können nicht selten auch im Ultraschall schon geortet werden. Bei Verdacht auf eine Harnwegsinfektion ist neben dem Urinsediment natürlich eine verlässliche Urinkultur (Blasenpunktion oder Katheterurin) notwendig. Bei Verdacht auf eine Urolithiasis ist das UroCT die zuverlässigste Untersuchungsmethode. Falls eine isolierte Mikrohämaturie persistiert, bildet die Untersuchung der Familie (Eltern und Geschwister) den nächsten Abklärungsschritt. Dabei wird bei allen Familienangehörigen ein Urinsediment auf Erythrozyten untersucht und in einer Urinprobe der Kalzium/Kreatinin-Quotient bestimmt. Die Erfassung der benignen familiären Hämaturie oder der Hyperkalziurie-assoziierten Hämaturie vor allem aus präventiven Gründen sinnvoll, können doch so unnötige Aufregung und Abklärungen im Zusammenhang mit Bagatellunfällen oder Schwangerschaften bei den Betroffenen vermieden und im Falle einer Hyperkalziurie das Risiko für eine Steinbildung durch die Empfehlung einer ausreichenden Trinkmenge reduziert werden. Bleibt die Familienabklärung unergiebig, kann die Untersuchung einer gepaarten Urinprobe das Vorliegen einer orthostatischen Hämaturie belegen. Dabei muss die erste Urinprobe («early morning urine») im Bett vor dem Aufstehen gewonnen werden, die zweite dann im Verlauf des Morgens nach dem Aufstehen. Findet sich nur beim betroffenen Kind eine Hyperkalziurie, dann sollte diese in einem Sammelurin verifiziert werden, und in solchen Fällen sollte unbedingt mit Bestimmungen von Serumkalzium und -phosphat, der alkalischen Phosphatase sowie der Elektrolyte, des Parathmormons und einer Blutgasanalyse (BGA) auch nach anderen Ursachen einer Hyperkalziurie gefahndet werden. Manchmal stellt auch eine Nephrokalzinose im Ultraschall ein richtungsweisendes Symptom dar. Bei der asymptomatischen Makrohämaturie und den symptomatischen oder mit einer Proteinurie assoziierten Mikrohämaturien kommt grundsätzlich immer ein grösseres Spektrum von Nierenerkrankungen infrage. In solchen Fällen sollten immer die Nierenfunktion (Kreatininclearance) berechnet und die Proteinausscheidung mit einem Sammelurin quantifiziert werden. Das Serumkreatinin, die Elektrolyte (Na+, K+, Harnstoff [Hst]), eine BGA sowie die Albumin- und Gesamteiweissbestimmung in der initialen Blutprobe weisen in relevanten Fällen oftmals bereits auf die Einschränkung der Nierenfunktion oder einen relevanten Eiweissverlust über die Nieren hin. Im Übrigen decken die in der Abbildung empfohlenen Blutuntersuchungen das Spektrum der wichtigsten und häufigsten (wahrscheinlichsten) Nierenpathologien ab. Im Blutbild kann eine Anämie auf eine chronische Niereninsuffizienz hinweisen und im Falle des Nachweises von Fragmentozyten und einer Thrombozytopenie den Schlüssel zur Diagnose eines hämolytisch-urämischen Syndroms darstellen. Ein auf hämolytische Streptokokken der Gruppe A positiver Rachenabstrich, insbesondere aber deutlich erhöhte Antistrep-
tolysin- und Anti-DNAse-B-Titer, sind typischerweise bei der Poststreptokokken-Glomerulonephritis vorhanden. Die Bestimmung der Komplementfaktoren C3 und C4 ist ebenfalls sehr hilfreich. Eine Erniedrigung von C3 bei normalem C4 ist ein Indiz für alle Formen der postinfektiösen Glomerulonephritis, insbesondere, wenn sich der Wert innerhalb eines Monats wieder normalisiert. Sind sowohl C3 als auch C4 (und CH50) erniedrigt und ausserdem die antinukleären Faktoren erhöht, dann bildet dies einen wichtigen Hinweis auf das Vorliegen einer Systemerkrankung, insbesondere eines systemischen Lupus erythematodes. Schliesslich kann die quantitative Bestimmung der Immunglobuline G, A und M bei erhöhtem IgA auf eine IgA-Nephritis hinweisen. Ausserdem sollte immer auch eine Hepatitis-B- und -C-Serologie (und bei Risikogruppen auch eine HIV-Serologie) abgenommen werden, weil die Hepatitis B eine der häufigsten Ursachen für eine membranoproliferative Glomerulonephritis darstellt. Wenn aufgrund der Laborbefunde oder der Klinik unmittelbarer Handlungsbedarf besteht oder eine sofortige Diagnose für therapeutische Entscheide unerlässlich scheint, kann sich schon initial die Durchführung einer Nierenbiopsie aufdrängen. Weitere Indikationen für eine Nierenbiopsie im Verlauf stellen gegebenenfalls unklare Situationen oder unerwartete Verläufe dar, insbesondere wenn sich aufgrund einer signifikanten Proteinurie oder einer eingeschränkten Nierenfunktion die Frage therapeutischer Interventionen stellt.
Anmerkungen zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen (5)
Eine Liste der Differenzialdiagnosen der Hämaturie findet sich in der Tabelle. Die folgenden kurzen Statements befassen sich mit einigen der häufigsten, aber auch weniger geläufigen Differenzialdiagnosen der Hämaturie. Nicht abgehandelt werden die Harnwegsinfektionen, für die spezifische Empfehlungen der Schweizerischen Arbeitsgruppen für pädiatrische Nephrologie und Infektiologie (6) publiziert sind, sowie die Urolithiasis und die Glomerulonephritiden, auf die
Persistiert eine isolierte Mikrohämaturie, werden alle Familienmitglieder untersucht (v.a. benigne familiäre Hämaturie oder Hyperkalziurie).
Normalwerte für die Eiweiss- und Kalziumausscheidung
Die Ausscheidung von Eiweiss und Kalzium kann in einem Sammelurin quantitativ berechnet werden. Dafür müssen Urinmenge, exakte Sammelzeit in Minuten, Körpergewicht und Körperlänge bekannt sein. Als normal gelten für die Eiweissausscheidung Werte unter 0,1 g/m2 Körperoberfläche/24 h und für Kalzium solche unter 4,0 mg/kg Körpergewicht/24 h. Da sich eine Urinsammlung insbesondere bei jungen Kindern nicht immer ganz einfach bewerkstelligen lässt, werden in der Pädiatrie oftmals semiquantitative Bestimmungen in einer Urinportion durchgeführt. Dabei werden die Urin-Eiweiss- respektive Urin-Kalziumkonzentrationen in das Verhältnis zum Urin-Kreatinin gesetzt. Als normal gilt ab einem Alter von zirka 3 Jahren eine Eiweissausscheidung bei einem Protein/Kreatinin-Quotienten unter 20 mg/mmol und ab dem 7. Lebensjahr eine Kalziumausscheidung bei einem Kalzium/Kreatinin-Quotienten unter 0,24 mg/mg. Im 1. Lebensjahr kann der Eiweiss/Kreatinin-Quotient bis zu 80 mg/mmol betragen, der Kalzium/Kreatinin-Quotient bis zu 0,81 mg/mg (4).
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in spezifischen Kapiteln in dieser Ausgabe der PÄDIATRIE detailliert eingegangen wird. Benigne familiäre Hämaturie: Eine benigne familiäre Hämaturie (auch familiäre Basalmembran-Nephropathie oder «thin membrane disease» bzw. «GBM disease») wird aufgrund der Literatur bei 15,5 bis 26 Prozent der Kinder mit isolierter Mikrohämaturie diagnostiziert. Makrohämaturieepisoden können vorkommen. Üblicherweise wird das Krankheitsbild autosomal dominant vererbt, und elektronenmikroskopisch zeigt sich in der Nierenbiopsie eine verminderte Breite der Lamina densa der glomerulären Basalmembran. Dieser Befund unterscheidet sich nicht von frühen Formen des Alport-Syndroms. Interessanterweise finden sich auch bei Familien mit benigner familiärer Hämaturie Mutationen in den COL4A4- und COL4A3Genen, also in denselben Typ-IV-Kollagengenen, die auch für die autosomal rezessiven und dominanten Alport-Syndrome verantwortlich sind. Dementsprechend kann die «thin membrane disease» theoretisch als phänotypische Variante des Alport-Syndroms betrachtet werden. Nicht so selten liegt bei der benignen familiären Hämaturie eine heterozygote Form des autosomal rezessiven Alport-Syndroms vor. Ihre Prognose ist in den allermeisten Fällen gut, aber in einzelnen Fällen kann sich im Langzeitverlauf eine Funktionseinbusse der Nieren, eine arterielle Hypertonie oder eine Proteinurie entwickeln. Insbesondere Kinder mit anamnestischen Hinweisen auf Fälle von Alport-Syndrom in der Familie sollten deshalb unbedingt regelmässig nachkontrolliert werden (7).
Tabelle: Differenzialdiagnose der Hämaturie
Oberer Harntrakt glomerulär • benigne familiäre Hämaturie («thin
membrane [GBM] disease») • Poststreptokokken-(postinfektiöse)
Glomerulonephritis • IgA-Nephropathie (Berger’s disease) • systemische Vaskulitis • Alport-Syndrom • Hämolytisch-urämisches Syndrom
(HUS) • Shunt-Nephritis • Goodpasture-Syndrom • membrano-proliferative Glomerulo-
nephritis (MPGN) • Lupus-Nephritis
tubulointerstitiell • Infektion • nephrotoxische Substanzen (Antibio-
tika, NSAID) • autosomal dominante polyzystische
Nieren • Tumoren • Hyperkalziurie, Nephrokalzinose
Nierenbecken, Ureteren • Nephrolithiasis
Unterer Harntrakt Ureteren, Blase • Infektionen (Zystitis) • Urolithiasis • Trauma • Obstruktion
Urethra • Trauma • Infektion (Urethritis) • idiopathische Urethrorhagie (Knaben)
vaskulär • Nierenvenen- oder Nierenarterien-
thrombose • Nussknacker-Syndrom • Koagulopathie, Thrombozytopenie • Sichelzellanämie, -krise
adaptiert nach: A. Dipchand, J. Friedman, Handbook of Pediatrics, The Hospital for Sick Children, 11th edition, Saunders/Elsevier, Canada 2009.
Alport-Syndrom: Das Alport-Syndrom ist die klassische Form der genetischen Erkrankung der glomerulären Basalmembran infolge der Beeinträchtigung des Typ-IV-Kollagens durch Defekte der α3-, α4- oder α5Ketten aufgrund von Mutationen der entsprechenden COL4A3-, COL4A4- oder COL4A5-Gene. Knaben und Männer mit Mutationen im X-chromosomalen COL4A5-Gen entwickeln das klassische Alport-Syndrom mit progressiver Nierenerkrankung und manchmal auch extrarenalen Symptomen, wie Schwerhörigkeit oder Augenbeteiligung (anteriorer Lenticonus und «Dot-and-fleck»-Retinopathie). Frauen mit Mutationen dieses Gens gelten als Trägerinnen, wobei der klinische Verlauf eine «thin membrane disease» vortäuschen kann. Allerdings verhält sich diese Form der vermeintlich benignen familiären Hämaturie bei solchen Frauen eher progredienter, als dies zu erwarten wäre. Individuen mit heterozygoten Mutationen für COL4A3- und COL4A4-Mutationen präsentieren sich im Allgemeinen mit typischen Formen der benignen familiären und in diesen Fällen meist nicht progredienten Hämaturie. Für diese Mutationen homozygote Individuen erkranken an einem autosomal-rezessiven Alport-Syndrom. Allerdings gibt es auch Ausnahmen von diesen Regeln, und einzelne Patienten mit heterozygoten Mutationen der autosomalen Alport-Gene können autosomal dominante Formen eines Alport-Syndroms entwickeln. Bei Verdacht auf ein Alport-Syndrom sollten immer eine Gehörprüfung und eine augenärztliche Untersuchung erfolgen (8). Familiäre idiopathische Hyperkalziurie: Nicht selten liegt einer isolierten Mikrohämaturie (mit und ohne Makrohämaturieepisoden) eine Hyperkalziurie zugrunde. Diese liegt vor, wenn die Kalziumausscheidung mehr als 4 mg/kg/Tag beträgt. Neben der Hämaturie stellt die Hyperkalziurie auch die häufigste Ursache für das Auftreten einer Urolithiasis dar. Eine Hyperkalziurie kann isoliert (idiopathische Hyperkalziurie) oder aber mit anderen metabolischen Abnormalitäten oder tubulären Erkrankungen assoziiert vorkommen. In der Mehrzahl der Fälle findet sich eine auf Nierensteine positive Familienanamnese. Meist findet sich bei betroffenen Familien das Muster eines autosomal dominanten Erbgangs. Studien bei entsprechenden Familien haben bisher eine Verbindung der Hyperkalziurie mit Loci auf den Chromosomen 1q23.3-q24 (Gen für die lösliche Adenylylcyclase [SAC]; absorptive Hyperkalziurie mit vermehrter intestinaler Kalziumaufnahme), 12q12-q14 (Gen für den Vitamin-D-Rezeptor [VDR]; Mechanismus noch unklar) sowie 9q33.2-q34.2 (Gen noch unbekannt) ergeben. In manchen Quellen wird empfohlen, bei allen Kindern mit Hyperkalziurie die Elektrolyte (Na+, K+, Ca++, Phosphat, alkalische Phosphatase) und das Parathormon zu bestimmen sowie eine Blutgasanalyse (BGA) durchzuführen (9). Akute tubulointerstitielle Nephritis: Die akute tubulointerstitielle Nephritis (TIN) ist eine häufige Ursache für ein akutes Nierenversagen im Kindesalter. Sie ist histologisch durch das Vorhandensein von entzündlichen Infiltraten mit lokaler ödematöser Schwellung im tubulointerstitiellen Raum der Nieren gekennzeichnet. Ursache ist eine immunologische Reaktion auf
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verschiedene Ursachen. Man unterscheidet nicht infektiöse und infektiöse Formen. Nicht infektiöse Formen werden vorab durch Medikamente verursacht, in erster Linie durch Antibiotika oder durch NSAID, durch Letztere insbesondere bei gleichzeitig vorhandener Dehydratation. Der weitverbreitete und zum Teil auch übermässige Einsatz dieser Medikamente dürfte für die beobachtete Zunahme der Inzidenz verantwortlich sein. Tubulointerstitielle Nephritiden können aber auch im Rahmen einer Vielzahl von viralen, bakteriellen, Pilz- und parasitären Infektionen auftreten. Einzelne Fälle treten zudem im Rahmen systemischer Erkrankungen auf (z.B. im Rahmen eines Lupus oder eines Sjögren-Syndroms). Klinisch kann sich eine TIN mit Fieber, Flankenschmerz, Arthralgien und Erbrechen manifestieren. Laborchemische Hinweise ergeben sich aus dem Vorhandensein einer Eosinophilie im Blutbild, einer sterilen Leukozyturie oder Hinweisen auf eine Tubulopathie (Fanconi-Syndrom, tubuläre Proteinurie). Im Allgemeinen gilt die Prognose als sehr günstig, allerdings kann eine akute TIN in eine chronische Form übergehen. Grundsätzlich sollte das für eine TIN verantwortlich gemachte Medikament in der Folge nicht wieder verabreicht werden, und Antibiotika und NSAID sollten grundsätzlich konsequent nur mit Bedacht und klaren Indikationen eingesetzt werden (10). Idiopathische Urethrorrhagie bei Knaben: Bei der idiopathischen Urethrorrhagie handelt es sich um ein wenig bekanntes Krankheitsbild, welches bei präpubertären Knaben auftritt und sich durch eine sichtbare Blutbeimengung am Ende der Miktion und zum Teil mit dysurischen Beschwerden manifestiert. Die Ursache des Krankheitsbildes ist nicht bekannt, zystoskopisch finden sich entzündliche Veränderungen im Bereich der proximalen Urethra ohne Erregernachweis. Auf invasive Abklärungen inklusive Zystoskopie sollte verzichtet werden, denn das Krankheitsbild heilt im Allgemeinen spontan ab, in 71 Prozent der Fälle innerhalb eines Jahres und im weiteren Verlauf gar in über 90 Prozent der Fälle. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass eine Zystoskopie den natürlichen Verlauf ungünstig beeinflussen kann (11).
«Nussknacker»-Syndrom: Das Nussknacker-Syndrom bezeichnet eine Kompression der linken Nierenvene zwischen der Aorta und der proximalen Arteria mesenterica superior. Mitunter soll dieses Syndrom auch mit linksseitigen Flankenschmerzen assoziiert sein. Das Nussknacker-Syndrom kommt in erster Linie bei jungen Frauen zwischen 30 und 40 Jahren vor, wurde aber in einigen Publikationen aus Asien auch bei Kindern recht häufig beschrieben, und zwar als Ursache einer Mikro- und einer Makrohämaturie. Die Verdachtsdiagnose kann in der Dopplersonografie gestellt werden. Das optimale Vorgehen ist umstritten. Meist wird aber ein abwartendes Beobachten empfohlen (12).
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Christoph Rudin Universitätskinderspital beider Basel UKBB Spitalstrasse 33, 4056 Basel Tel. 061-704 29 07 E-Mail: christoph.rudin@ukbb.ch
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