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HPV-Impfung auch für Knaben?
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Neue Richtlinien der US-amerikanischen Fachgesellschaft
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HPV-Impfung auch für Knaben?
Neue Richtlinien der US-amerikanischen Fachgesellschaft

Im Oktober 2011 empfahl eine US-amerikanische Impfkommission die HPV-Impfung mit dem quadrivalentem Impfstoff auch für Knaben. Vor Kurzem hat sich die American Academy of Pediatrics (AAP) dieser Empfehlung angeschlossen.

W ährend in der Schweiz die HPVImpfung für Knaben generell nicht empfohlen wird, sprach sich die American Academy of Pediatrics (AAP) in einer Ende Februar 2012 publizierten Stellungnahme (1) dafür aus, auch Knaben und junge Männer gegen HPV mit dem quadrivalenten Impfstoff (Gardasil®) zu impfen, welcher in den USA auch für Knaben und Männer zugelassen ist: • Knaben im Alter von 11 bis 12 Jahren routinemäs-
sig (3 Impfdosen innert 6 Monaten). • Knaben und Jugendliche von 13 bis 21 Jahren, falls
diese noch nicht oder nur unvollständig geimpft sind. • Auch junge Männer im Alter von 22 bis 26 Jahren könnten noch geimpft werden, insbesondere sollte die Impfung in dieser Altersgruppe bei bi- oder homosexuellen Männern erfolgen, die entweder noch gar nicht oder nur unvollständig geimpft wurden. In der Begründung für die neuen Empfehlungen heisst es, dass sowohl die geimpften Knaben und Männer selbst davon profitierten als auch die Frauen aufgrund der höheren Durchimpfungsrate der Bevölkerung, eines daraus resultierenden Herdeneffekts und geringerer Ansteckungsgefahr.
Weniger Anal- und Peniskrebsfälle?
Einen direkten Nutzen für die Männer sieht die AAP in der Immunisierung gegen Genitalwarzen und der Prävention von Anal- und Peniskrebs. Auf die HPV-Typen 16 und 18 werden in den USA jährlich 7000 Krebsfälle bei Männern (und 150 000 bei Frauen) zurückgeführt. Bei den Männern sind dies mit zirka 5400 Fällen hauptsächlich Oropharyngealkarzinome (s. Seite 46), gefolgt von Analkrebs (ca. 1400) und Peniskrebs (ca. 300). Anders ausgedrückt: Die HPV-Typen 16 und 18 sind für 87 Prozent der Analkarzinome und 31 Prozent der Peniskarzinome verantwortlich, und 90 Prozent aller Genitalwarzen gehen auf die HPV-Typen 6 und 11 zu-

KO M M E N TA R

Plausibel und nachvollziehbar

Prof. Dr. med. Ulrich Heininger, Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF), Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
Die Empfehlung in den USA, jetzt auch Knaben und jungen Männern die Impfung gegen HPV mit dem quadrivalenten Impfstoff (welcher neben den beiden häufigsten karzinogenen Genotypen HPV-16 und HPV-18 auch die 90 Prozent aller Genitalwarzen verursachenden Genotypen HPV-6 und HPV-11 enthält) zu empfehlen, ist plausibel und nachvollziehbar und folgt dem Beispiel der beiden Vorreiternationen, nämlich Australien und Österreich. In Österreich werden allerdings die Kosten für die Impfung der Knaben nicht von den Krankenkassen erstattet, was die Umsetzung in der Praxis naturgemäss behindert. Die Argumente für die HPV-Impfung auch bei männlichen Individuen erinnern an die Situation bei den Röteln in den Siebzigerjahren: Auch da begann man strategisch zunächst mit der Impfempfehlung bei adoleszenten Mädchen. Diese wurde nur zögerlich umgesetzt und führte zwar zu einem messbaren Rückgang der Rötelnembryopathien, aber nicht in dem Masse wie erhofft und erforderlich. Erst mit Impfung auch des männlichen Geschlechts und Vorverlegung des Impfzeitpunkts aus der Adoleszenz in das Kleinkindesalter erreichte man Durchimpfungsraten, die hoch genug waren, um das Impfziel zu erreichen: Ein

nachhaltiger Rückgang der Fälle von Rötelnembryopathien war die Folge. Diese sind heute dementsprechend eine Rarität in vielen Ländern, so auch bei uns. In der Schweiz lässt sich nach fast fünf Jahren HPV-Impferfahrung bilanzieren: Ziel nicht erreicht – weniger was die Morbidität an HPV-assoziierten Krankheiten betrifft, denn hier muss man viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte Geduld aufbringen, bis aufgrund der langen Latenz zwischen Infektion mit HPV und Manifestation von Zervixkarzinom der Impferfolg erkennbar wird. Vielmehr ist das Ziel bislang verfehlt was die Akzeptanz der Impfung bei der primären Zielgruppe, den adoleszenten Mädchen und jungen Frauen betrifft. Zu viele kontroverse Diskussionen um Sicherheit, Verträglichkeit und Notwendigkeit der Impfung wie auch bürokratische Hürden haben einen erheblichen Anteil der jungen Frauen, aber auch Ärztinnen und Ärzte nachhaltig verunsichert beziehungsweise frustriert und lassen die Durchimpfungsraten irgendwo zwischen 20 und 70 Prozent (mit erheblicher kantonaler Variabilität) liegen. Die Impfung der Mädchen und jungen Frauen muss deshalb dringend besser implementiert werden. Neue Immunogenitätsdaten (2 Impfdosen zeigen ähnliche Effekte wie 3 Impfdosen) haben die EKIF (Eidgenössische Kommission für Impffragen) dazu bewegt, für Mädchen im Alter von 11 bis14 Jahren neuerdings das 2-DosenSchema zu empfehlen (BAG Bulletin 6/2012). Es ist zu hoffen, dass dies die Impfbereitschaft steigern wird, aber als alleinige Massnahme ist dies nicht ausreichend. Parallel dazu darf und sollte jetzt auch diskutiert werden, inwieweit eine geschlechterunabhängige Impfstrategie ein sinnvoller nächster Schritt wäre.

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rück, die in dem quadrivalenten Impfstoff ebenfalls enthalten sind. Seit 2010 ist der quadrivalente HPVImpfstoff von der FDA auch für die Indikation «Prävention von Analkrebs bei Männern und Frauen» zugelassen.
Oropharyngealkarzinome könnten zurückgehen
Es sei auch plausibel, dass durch die HPV-Impfung mit einem Rückgang der Oropharyngealkarzinome zu rechnen sei, so die AAP. Mehr als die Hälfte dieser Karzinome (ca. 60%) gehen auf die HPV-Typen 16 und 18 zurück. In den USA ist gemäss einer kürzlich publizierten Studie (2) jeder 10. Amerikaner im Alter von 14 bis 69 Jahren oral mit humanen Papillomaviren infiziert (10,1%), bei den Frauen waren es in dieser Studie 3,6 Prozent. Die Infektionsrate war vor dem ersten Sexualkontakt gering (0,9 Prozent), stieg in dieser Studie aber mit dem Alter und der Anzahl der Sexualpartner auf über 20 Prozent. Man hofft darum, langfristig auch die Anzahl der auf HPV zurückgehenden Oropharyngealkarzinome durch die Impfung zu senken. Studien hierzu gibt es bis anhin nicht.

Potenzieller Nutzen für die Frauen
Der Herdeneffekt mit dem daraus resultierenden Nutzen für die Frauen sei ebenfalls nicht zu unterschätzen, schreibt die AAP. Schliesslich liege die Durchimpfungsrate bei den jungen Mädchen auch 4 Jahre nach Einführung eines Impfprogramms in den USA mit rund 30 Prozent weit hinter den Impfraten gegen andere Krankheiten. Würden nun auch Knaben und junge Männer geimpft, wäre dies gerade bei HPV nützlich. Dass von einer HPV-Impfung insofern die Männer selbst weniger profitieren würden als die Frauen, spricht nach Ansicht der AAP nicht gegen die HPV-Impfung für Knaben und Männer. Vielmehr sei beispielsweise auch die Rötelnimpfung eine bereits seit langem etablierte Impfung, obwohl auch hier weniger die Geimpften selbst als vielmehr die ungeborenen Kinder profitierten.
Renate Bonifer
Quellen: 1. American Academy of Pediatrics. HPV Vaccine Recommendations. Pediatrics 2012; 129: 602–605. 2. Gillison ML et al. Prevalence of Oral HPV Infection in the United States, 2009–2010. JAMA 2012; published online Jan 26, 2012; doi: 10.1001/jama.2012.101

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