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Kongressbericht
PUFA mit Omega-3-Fettsäuren – essenziell für kluge Köpfe
Von Claudia Reinke
Es gilt heute allgemein als gesichert, dass langkettige, mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren (n-3 polyunsaturated fatty acids = n-3-PUFA) für die Entwicklung und Funktionsfähigkeit des Gehirns eine essenzielle Rolle spielen. Das gilt nicht nur für die frühkindliche Gehirnentwicklung während Schwangerschaft und Stillzeit, sondern auch für die kognitiven Funktionen des adulten und alternden Gehirns. So scheinen n-3-PUFA aufgrund ihrer neuroprotektiven Eigenschaften offenbar auch psychischen und neurologischen Störungen wie Depressionen oder Demenzerkrankungen vom Alzheimer-Typ entgegenzuwirken. Es erstaunt daher nicht, dass Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätssyndrom (ADS/ADHS), die unter Lern- und Verhaltensschwierigkeiten leiden, von einer Therapie mit PUFA profitieren, wie aktuelle Untersuchungen belegen, die an einem Satellitensymposium («Fisch fürs Hirn») anlässlich der Dreiländertagung Nutrition 2009 der ernährungsmedizinischen Gesellschaften Österreichs (AKE), Deutschlands (DGEM) und der Schweiz (GESKES) im Juni 2009 in Zürich vorgestellt wurden.
Während der Schwangerschaft und Stillzeit sei eine optimale Versorgung der Mutter mit langkettigen PUFA für den Schwangerschaftsverlauf und die gesunde Entwicklung des Kindes von zentraler Bedeutung, betonte Professor Berthold Koletzko vom Dr. von Haunerschen Kinderspital des Universitätsklinikums München in seinem einführenden Vortrag. PUFA entstehen im Körper über mehrere Syntheseschritte aus den (zu den essenziellen Nährstoffen gehörenden) Fettsäuremolekülen alpha-Lino-
lensäure (C18:3) und Linolsäure (C18:2) durch die Einführung weiterer Doppelbindungen und Kettenverlängerungen. Während die Linolsäure so zur Omega6-Fettsäure Arachidonsäure (AA; C20:4) umgewandelt wird, werden aus der alphaLinolensäure die Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaen- (EPA; C20:5) und Docosahexaensäure (DHA; C22:6) gebildet. Allerdings werden nur etwa 0,5 Prozent der zugeführten alpha-Linolensäure in DHA umgewandelt, sodass der erhöhte Bedarf ungeborener Kinder und gestillter
Säuglinge an n-3-Fettsäuren über die Zufuhr von DHA und EPA aus der mütterlichen Nahrung gesichert werden muss. Die Hauptquelle für DHA und EPA sind fettreiche Kaltwasserfische, wie Lachs, Hering, Makrele und Heilbutt sowie Meeresalgen, die über die Nahrungskette auch für die n-3-Versorgung der Fische essenziell sind. Zahlreiche randomisierte kontrollierte Studien der letzten Jahre haben inzwischen die Wirkungen der n-3-PUFA auf den Schwangerschaftsverlauf und die kindliche Entwicklung untersucht. In drei kürzlich erschienenen Metaanalysen, die etliche dieser Studien evaluierten, zeigte sich beispielsweise, dass die mütterliche Zufuhr von n-3-PUFA aus Fischölen die Schwangerschaftsdauer verlängert und das Geburtsgewicht des Kindes steigert, aber auch die Frühgeburtenrate signifikant um mehr als 30 Prozent senkt und Schwangerschaftserkrankungen vorzubeugen vermag. Insbesondere die langkettige n-3-Fettsäure DHA hat auf die frühe Entwicklung und Funktion des Gehirns, des Zentralnervensystems sowie der Netzhaut und damit der visuellen Funktionen des Kindes einen bedeutenden Einfluss. DHA wird vor allem in der zweiten Schwangerschaftshälfte in die zerebralen Membranlipide der Nervenzellen und in die Fotorezeptoren der Retina eingelagert; dadurch steigert sich der DHA-Verbrauch im letzten Trimenon der Schwangerschaft auf 30 bis 45 mg/Tag. Offenbar wird die von der Mutter mit der Nahrung aufgenommene DHA durch spezifische Transportproteine bevorzugt über die Plazenta zum Fetus transportiert. Nimmt die Mutter während Schwangerschaft und Stillzeit durch die Zufuhr von Fisch oder n-3-PUFA-Supplementen regelmässig genügend DHA auf, lassen sich
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zahlreiche positive Effekte auf die kindliche Entwicklung bis hin zum Schulalter beobachten, wie verschiedene kontrollierte Studien zeigen konnten. So kommt es zu signifikanten Verbesserungen bei der Entwicklung der kindlichen Sehschärfe sowie der kognitiven Funktionen und damit der IQ-Entwicklung, der Aufmerksamkeit und des Sozialverhaltens. Positiv beeinflusst werden aber auch die Reifung des Schlafmusters sowie spontane motorische Aktivitäten, wie Koletzko erklärte. Aufgrund der verfügbaren Daten wurden – mit Unterstützung der Europäischen Kommission sowie zahlreicher internationaler Fachgesellschaften – Konsensusempfehlungen für die Fettzufuhr in Schwangerschaft und Stillzeit entwickelt. Diese sprechen sich dafür aus, dass schwangeren und stillenden Frauen eine mittlere DHA-Zufuhr von 200 mg/Tag empfohlen werden sollte, die sich meist mit zwei Portionen fettreichem Meeresfisch pro Woche erreichen lässt. Frauen, die nicht regelmässig Fisch essen, sollten dagegen die Verwendung geeigneter Supplemente erwägen – die erwiesene biologische Bedeutung einer guten perinatalen Versorgung mit n-3-PUFA für die frühkindliche Entwicklung rechtfertige eine solche Massnahme, so Koletzko abschliessend.
Mögliche Einflüsse einer n-3PUFA-reichen Diät auf das adulte und alternde Gehirn
Wie die Professorin für Experimentelle Psychiatrie Anne Eckert vom Neurobiologischen Labor für Brain Aging und Mental Health der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel berichtete, besteht die Trockenmasse des menschlichen Gehirns zu 50 bis 60 Prozent aus Fetten, wobei das neuronale Gewebe einen ausgesprochen hohen Gehalt an langkettigen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren – vor allem an DHA – aufweist. Offensichtlich ist das adulte Gehirn diätsensitiv, wie in tierexperimentellen Studien nachgewiesen wurde, das heisst, es kann die mit der Nahrung aufgenommenen langkettigen Fettsäuren aus dem Serum aufnehmen und entsprechend verwerten. Besonders DHA-reich sind die Mem-
branphospholipide der Neuronen, die allein 22 Prozent des zerebralen Kortex ausmachen. Darüber hinaus sei die genaue physiologische Rolle der n-3-PUFA im ZNS – vor allem im adulten und/oder im alternden Gehirn – noch nicht ausreichend erforscht, meinte Eckert. Tierexperimentelle Untersuchungen hätten jedoch gezeigt, dass die langkettigen n-3Fettsäuren entscheidend bei der Modulation von Signaltransduktionskaskaden (z.B. von Serotonin oder Acetylcholin) beteiligt sind. Als Vorstufen zur Bildung der Eicosanoide wirken diese PUFA als wesentliche Steuerelemente auf die Zellfunktionen. So zeigten Ratten, die über mehrere Wochen mit einer n-3-PUFAarmen Diät gefüttert worden waren, deutliche Veränderungen in der Expression essenzieller Enzyme der AA- und DHA-Kaskade, die mit bipolaren Störungen einhergingen. Eine kürzlich publizierte Studie am alternden Mausmodell zu Einfluss und Wirkung einer n-3PUFA-reichen Diät auf das Gehirn der Tiere hat dagegen ergeben, dass die zugeführte DHA in die Membranen des ZNS eingebaut wird, und zwar besonders in die Strukturen des Hippocampus und der Amygdala, was sich positiv auf die Lern- und Gedächtnisfunktionen der Tiere auswirkte. Mit steigendem Alter nehmen die Membranfluidität und damit die Plastizität des menschlichen Gehirns ab, was mit einer stetigen Verminderung der kognitiven Leistungen einhergeht. Werden ausserdem über längere Zeit nicht genügend n-3-PUFA mit der Nahrung aufgenommen, wird die Membranfluidität zusätzlich beeinträchtigt; zudem treten Störungen der intrazellulären Signaleigenschaften auf, sodass die Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit verstärkt wird und rascher voranschreitet. Die gezielte und möglichst regelmässige Zufuhr von n-3-PUFA erhöht dagegen nachweislich den Anteil der Phospholipide im ZNS und führt zudem im frontalen Kortex zu einer erhöhten Ausschüttung von Neurotransmittern wie Serotonin und Dopamin, was die neuronalen Funktionen des ZNS und damit auch die Lernund Gedächtnisleistungen positiv beeinflusst und länger erhalten kann. Inzwischen liegen auch Hinweise aus Studien
vor, die zeigen, dass die Zufuhr der langkettigen n-3-Fettsäuren möglicherweise vor Alzheimer-Demenz schützt beziehungsweise erfolgreich in der Therapie von Depressionen eingesetzt werden kann. Diese positive neuroprotektive Wirkung wird der DHA und der aus ihr entstehenden Substanz Neuroprotektin D1 (NPD1) zugeschrieben. NPD1 besitzt offenbar potente antiinflammatorische und antiapoptotische Eigenschaften und schützt so vor entzündlichen Veränderungen und einem frühzeitigen neuronalen Zelltod – Vorgänge, die bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz eine entscheidende Rolle spielen.
n-3-PUFA-Supplemente – effizient und wirksam bei Kindern mit ADS/ADHS-Syndrom
Um die Frage, ob die Zufuhr allgemeiner Omega-3-haltiger Nahrungsergänzungsmittel oder spezifisch zusammengesetzter PUFA-Supplemente für das Gehirn gleich wirksam ist, ging es unter anderem auch im letzten Vortrag. Die britische Wissenschaftlerin und Schulpsychologin des Durham County Council, Dr. Madeleine Portwood, berichtete hier in ihren interessanten Ausführungen über Einfluss und Wirkungen der langkettigen PUFA auf das Verhalten von Kindern mit entwicklungsbedingten Koordinationsstörungen (Dyspraxie), die durch Einschränkungen der motorischen Funktionen charakterisiert sind. Davon sind etwa 5 Prozent aller Kinder im Schulalter betroffen, wobei sich eine steigende Tendenz beobachten lässt. Häufige Begleiterscheinungen dieser Defizite sind Lernschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten und psychosoziale Störungen, die sich bis ins frühe Erwachsenenalter manifestieren können. Langjährige Beobachtungen des Schulalltags in County Durham führten zu der Erkenntnis, dass diese Schwierigkeiten häufig mit der Entwicklung neurologischer und psychischer Störungen wie Dyslexie, Autismus sowie Aufmerksamkeitsdefiziten und Hyperaktivität (ADS/ADHS) einhergehen. Inzwischen wächst die Evidenz, dass die betroffenen Kinder an einem ernährungsbedingten Mangel an langkettigen
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wie Vitamin E (Equazen®)
10 Verum enthielt. Danach folgte ein
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Plazebo einseitiger Cross-over vom Plazebo zur Aktivsubstanz
Gewinn an Alter/Reife (in Monaten)
8 für weitere drei Monate. Die
7 Studie zeigte in der Verumgruppe eindrückliche und
6 signifikante Verbesserungen
5 der Schreib- und Lesefähig-
4 keiten sowie der ADHS-typi-
schen Verhaltensstörungen im
3
Vergleich zu Plazebo. Nach
2 der dreimonatigen Parallel-
1 gruppenphase holten die an-
0 Lesen
Rechtschreibung
fänglich mit Plazebo behandelten Kinder auf: Auch hier
Abbildung 1: Signifikante Besserung der Lese- (9,5 vs. 3,3) und Rechtschreibfähigkeiten (6,6 vs. 1,2) gegenüber Plazebo (p < 0,004 und p < 0,001) nach dreimonatiger Supplementgabe zeigten sich dann ähnliche Verbesserungen wie in der Verumgruppe in der ersten (Equazen®) (1) Studienhälfte. In einer weite- ren Open-Label-Studie, die Portwood mit 12- bis 15-jäh- rigen Sekundarschülerinnen und -schülern mit milden bis schweren ADS/ADHS-Sym- ptomen durchführte (Green- field-Studie [2]), zeigte die Gabe des Fischölsupple- Abbildung 2: Schreibvergleich vor (links) und nach (rechts) sechs- ments bereits nach drei Mo- monatiger Supplementgabe (1) naten ebenfalls signifikante Verbesserungen sämtlicher PUFA leiden. Diese Hypothese hat sich ADHS-typischer Verhaltensauffälligkei- inzwischen in zahlreichen Supplementa- ten. Auch das Verhalten von Kleinkin- tionsstudien als offenbar richtig erwie- dern mit Entwicklungsproblemen liess sen, wobei sich die Gabe einer Kombina- sich durch die Gabe des Fischölsupple- tion aus den n-3-PUFA EPA und DHA ments deutlich verbessern, wie die und der n-6-Fettsäure gamma-Linol- Untersuchung Sure Start zeigte. Hier säure (Nachtkerzenöl) als besonders wurden 65 Kleinkinder zwischen 18 und wirksam erwies. Gleichzeitig zeigte sich, 30 Monaten einbezogen, von denen 80 dass EPA bei der Behandlung dieses Prozent einen Rückstand in ihren Symptomenkomplexes eine gewichtigere Sprach- und Kommunikations- und Kon- Rolle spielt als DHA – für das EPA- zentrationsfähigkeiten aufwiesen. Nach DHA-Verhältnis von 3:1 ist die Wirk- fünfmonatiger Anwendung des Nahrungs- samkeit belegt. ergänzungsmittels zeigten 79 Prozent der Als Beispiel stellte M. Portwood die Ox- Kinder gute bis sehr gute Konzentra- ford-Durham-Studie vor, die erste ran- tionsfähigkeiten, darüber hinaus besser- domisierte, plazebokontrollierte Doppel- ten sich ihre Kommunikations- und blindstudie, in die 117 Kinder im Alter Sprachfähigkeiten sowie ihr soziales Ver- von 5 bis 12 Jahren mit entwicklungsbe- halten. «Einige der zweijährigen Kinder dingten Koordinationsstörungen, Schul- hatten vor Studienbeginn einen Wort- problemen und Verhaltensstörungen ein- schatz von nur 25 Wörtern», so Port- bezogen wurden (1). Die Verumgruppe wood, «nach fünf Monaten waren sie da- erhielt über drei Monate 3 x 2 Kapseln gegen in der Lage, vollständige Sätze zu eines Nahrungsergänzungsmittels, das 80 bilden.» Um zu überprüfen, ob die Gabe Prozent Fischöl (EPA: 558 mg, DHA: von Fischölsupplementen allen Kindern 174 mg), 20 Prozent Nachtkerzenöl so- Vorteile bringen könnte, wird derzeit eine Studie mit gesunden Kindern ohne Entwicklungs- und Konzentrationsprobleme durchgeführt (Middlesbrough-Studie). Die Studie ist abgeschlossen und wird gerade für eine Publikation aufgearbeitet. Aus epidemiologischen Daten und den bis heute vorliegenden Studien geht hervor, dass offensichtlich einige Kinder und junge Erwachsene an einer Unterversorgung mit essenziellen Fettsäuren leiden, die Verhaltensauffälligkeiten sowie Lernund Konzentrationsstörungen nach sich zieht und so auch das Selbstwertgefühl der Betroffenen beeinträchtigt. Es sei daher wichtig, die Eltern, aber auch Lehrer, Schulpsychologen und Ärzte auf den hohen Stellenwert einer regelmässigen guten Versorgung der Kinder mit n-3PUFA hinzuweisen, damit eine langfristige gesunde Entwicklung gewährleistet ist, so Portwood abschliessend. Claudia Reinke Quelle: «Fisch fürs Hirn: Essenzielle Fettsäuren und ihre Bedeutung im ZNS»; Vifor-Satellitensymposium anlässlich der Dreiländertagung Nutrition 2009 der AKE, der DGEM und der GESKES in Zürich, 4. Juni 2009; nach Vorträgen von Prof. Berthold Koletzko, München («EPA und DHA in der Entwicklung des Hirns und Empfehlungen zur Zufuhr»), Prof. Anne Eckert, Basel («PUFA und die Metabolite: Implikationen für das adulte und alternde Gehirn»), Dr. Madeleine Portwood, Durham, UK («The role of EFAs in children’s behaviour and learning»). Literatur: 1. Richardson AJ, Montgomery P: The Oxford Durham study: a randomized controlled trial of dietary supplementation with fatty acids in children with developmental coordination disorder. Pediatrics 2005; 115 (5): 1360–1366. 2. Portwood MM: The role of dietary fatty acids in children’s behaviour and learning. Nutrition and Health 2006; 18: 219–232. Interessenlage: Die Berichterstattung wurde freundlicherweise durch Vifor Pharma unterstützt. Die Firma nahm keinen Einfluss auf die Inhalte des Artikels. 33 • Pädiatrie 4+5/09