Transkript
Schwerpunkt
Dosierungsempfehlungen für Kinder in der Arzneimittelinformation
Marlene Blöchligera, Gabriele Zbinden-Scheurerb, Bettina Gasserc, Melanie Grafd, Stefan Krähenbühle, Hans Stötterf
Will man sich in der Schweiz informieren, ob ein Arzneimittel zur Anwendung bei Kindern und Jugendlichen zugelassen ist, wird man üblicherweise die von Swissmedic genehmigte Arzneimittelinformation konsultieren. Wird ein Arzneimittel ausserhalb der Dosierungsempfehlungen in der Arzneimittelinformation (label) angewendet, spricht man vom sogenannten Off-label use. Es ist essenziell, dass klar in der Arzneimittelinformation zu erkennen ist, welche Arzneimittel in der Pädiatrie in welchen Altersgruppen und Dosierungen angewendet werden können. Zu diesem Ziel wurden die Angaben in der Arzneimittelinformation von Swissmedic in den Jahren 2003 bis 2009 überarbeitet. Mit wenigen Ausnahmen sind jetzt klare Angaben zu Altersgruppen und Dosisempfehlungen vorhanden.
Einleitung
Off-label use (1) gibt es bei Erwachsenen und bei Kindern. Dieser ist notwendig, wenn therapeutische Alternativen fehlen, und liegt in der Verantwortung des verschreibenden Arztes. Der Off-label-Einsatz in der Pädiatrie betrifft zum grossen Teil Arzneimittel, die seit Langem auf dem Markt sind und auch in der Pädiatrie eingesetzt werden. Die von den Behörden genehmigte Arzneimittelinformation
aZähringer Apotheke Ballinari, Bern bPharmasuisse, Bern cPharmacie HNVB, Yverdon-les-Bains dDepartement Pharmazeutische Wissenschaften, Universität Basel eKantonsspital Basel, Abt. für Klinische Pharmakologie, Basel fSchweizerisches Heilmittelinstitut, Bern
enthält keine pädiatrischen Dosierungsempfehlungen, da hierfür kein Gesuch eingereicht wurde und klinische Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit der Anwendung nicht vorgelegt wurden. Seit Langem bekannt sind die mit dem Offlabel-Einsatz verbundenen Probleme wie Fehldosierungen, Behandlung mit Arzneimitteln, deren Wirksamkeit und Sicherheit in diesen Altersgruppen nicht adäquat geprüft sind, und die Tatsache, dass der behandelnde Arzt hier alleine das Risiko der Behandlung abzuwägen und zu verantworten hat. Da wir heute wissen, dass Abbau und Ausscheidung eines Arzneimittels im Kindesalter meist anders sind als bei Erwachsenen, sind Dosisextrapolationen von der Erwachsenendosis auf pädiatrische Altersgruppen auf Basis des Körpergewichts in Kilogramm oder der
Körperoberfläche in Quadratmeter sehr unzuverlässig. Insbesondere betrifft dies Neugeborene und Kleinkinder. Über schwere Komplikationen wurde jedoch auch bei Jugendlichen berichtet (2). Daher muss für jedes Arzneimittel, das bei Kindern angewendet wird, die richtige Dosis durch klinische Studien etabliert werden. Im Allgemeinen unterscheidet man hier die Altersgruppen Frühgeborene (Geburt vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche), Neugeborene bis 1 Monat, Kleinkinder bis 2 Jahre, Kinder bis 11 Jahre und Jugendliche bis 18 Jahre (ICH E 11) (3). Entsprechende Daten fehlen meist bei früher auf den Markt gebrachten Arzneimitteln, und somit wurden in der Fachinformation im Allgemeinen keine Altershinweise aufgeführt, was häufig fälschlicherweise dahingehend interpretiert wurde, dass das Arzneimittel unabhängig vom Alter angewendet werden kann. Welche der nahezu 5000 Arzneimittel der Abgabekategorien A, B und C für die Anwendung bei Kindern zugelassen waren, war weder für Fachpersonen noch für die Arzneimittelbehörde leicht zu erkennen.
Überarbeitung der Arzneimittelinformationen: Stand 2003
Im Jahr 2003 wurden die Fachinformationen auf pädiatrische Angaben überprüft, und nur bei 25 Prozent fanden sich klare Angaben zur Dosis nach Altersgruppe und zur unteren Altersgrenze. Bei weiteren 16 Prozent war die Indikation klar auf Erwachsene eingeschränkt. Die übrigen Fachinformationen enthielten entweder keine oder sehr unpräzise Angaben. Bei Stichproben der in den Kin-
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derspitälern Bern, Basel und Zürich verwendeten Arzneimittel (anhand der in der Spitalapotheke angeforderten Angaben zu den verwendeten Arzneimitteln) fanden sich nur für ein Drittel der Arzneimittel klare pädiatrische Dosierungsangaben in der Fachinformation, bei den in der Neonatologie verwendeten waren es nur 16,5 Prozent. Es wurde daher Ende 2003 damit begonnen, die Arzneimittelinformationen zu überarbeiten, um diesen Missstand zu beheben. Für alle vor 2002 zugelassenen Arzneimittel war eine Neuzulassung durch Swissmedic erforderlich, und hierfür musste eine überarbeitete, dem Format des EU-SPC angepasste Version der Fachinformation eingereicht werden. In diesem Zusammenhang wurden die Firmen gebeten, die Fachinformationen in Bezug auf pädiatrische Dosierungen aufzudatieren. Da eine Neuzulassung erst bei Ablauf der alten IKS-Registrierung erforderlich war und die Überarbeitung der Fachinformationen eine gewisse Zeit in Anspruch nahm, dauerte dieser Prozess bis 2009. Parallel dazu wurden bei Swissmedic eine Suche nach Literatur über Studien bei Kindern, Dosierungsempfehlungen in Fachinformationen anderer Länder und Daten zur Pharmakokinetik bei Kindern gestartet und in Interviews mit Fachpersonen eventuelle Problemgruppen erfasst. Somit konnten den Firmen nicht selten Textvorschläge mit begleitender Literatur zugesandt werden. Sehr hilfreich war in diesem Zusammenhang, dass der Prozess der Überarbeitung der Arzneimittelinformationen in den USA schon mehr als 10 Jahre zuvor gestartet worden war und die dort vorhandenen Angaben problemlos übernommen werden konnten (4). Angaben aus der Literatur waren häufig nicht verwertbar, da die Firmen hierzu keine Daten hatten und die Information sowohl von Swissmedic wie auch von den Firmen als nicht ausreichend beurteilt wurde. Die Fachinformation ist redaktionell Sache der Firma, Swissmedic korrigiert und schlägt eventuell Änderungen vor.
Überarbeitung der Arzneimittelinformationen: Stand 2009
Zum heutigen Zeitpunkt sind mit wenigen Ausnahmen alle Arzneimittelinfor-
mationen überarbeitet. In allen Fällen, wo die Arzneimittel zwar seit langem in der Pädiatrie in Gebrauch sind, aber klinische Studien fehlen, wurde auf dieses Problem in der Fachinformation aufmerksam gemacht. Anderweitige Dosisempfehlungen basieren häufig auf spitalinternen Anleitungen oder Erfahrungsmitteilungen von Fachgruppen, deren Basisdaten weder für Swissmedic noch für die Firmen zugänglich sind. Diese konnten somit in der Fachinformation nicht berücksichtigt werden. Dennoch waren in einer Stichprobe der Fachinformationen aus dem Jahr 2008 die Fachinformationen nach Überarbeitung etwa zu gleichen Teilen mit klaren Dosierungshinweisen bei Kindern versehen beziehungsweise war die Anwendung klar auf Erwachsene beschränkt. Zum Zeitpunkt dieser Stichprobe waren noch etwa 10 Prozent aller überprüften Arzneimittel ohne Angaben oder mit unklaren Angaben versehen.
Abbildung: A Klare Angaben; zur Anwendung bei Kindern
und Jugendlichen B Klare Angaben; nur für Erwachsene C Unklare Angaben zur Anwendung in der
Pädiatrie D Keine Angaben zur Anwendung
Wenn auch die retrospektive Überarbeitung der Fachinformation anhand publizierter Daten oder gemäss Erfahrungsmitteilungen von Fachgruppen nur in
den wenigsten Fällen möglich war, konnte doch als Resultat der Befragung der Fachpersonen eine Prioritätenliste erstellt werden. Hierin wurden Arzneimittel mit Bedarf in der Pädiatrie definiert und es wurde festgehalten, welche Unterlagen für eine pädiatrische Dosisempfehlung oder eine Erweiterung der Altersgrenze bis zu Neugeborenen erforderlich sind. Diese Liste aus dem Jahr 2005 diente nur dem internen Gebrauch, ist aber über die Website von Swissmedic zugänglich (4). In Fällen, wo die Dosis individuell bestimmt wird und das Ansprechen klar überwacht werden kann, konnte auf die bisherige Erfahrung bezüglich der Sicherheit des Vorgehens zurückgegriffen werden. Beispiele sind Dopamin, Dobutamin und Insulin. Dopamin und Dobutamin sind zwar seit Generationen auf Intensivstationen bei Neugeborenen und Kindern in Gebrauch, aber erst im Jahr 2000 in der Schweiz als Arzneimittel zugelassen worden. Angaben zur Anwendung bei Kindern in den Fachinformationen fehlten. Diese konnten inzwischen aufdatiert werden (Kasten 1).
Kasten 1:
Dopamin
Anwendung bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren Neugeborene: Als kontinuierliche intravenöse Infusion initial 3 µg/kg/Minute, dann dem individuellen Ansprechen angepasst (max. 20 µg/kg/Minute). Kinder zwischen 1 und 18 Jahren: Als kontinuierliche intravenöse Infusion initial 5 µg/kg/Minute, dann dem individuellen Ansprechen angepasst (max. 20 µg/kg/Minute).
Dobutamin
Kinder und Jugendliche: Es liegen keine Erfahrungen zur Wirksamkeit und Sicherheit aus klinischen Studien vor. Die Dosis wird im Allgemeinen nach Wirkung titriert.
Als weiteres Beispiel sind die Dosierungshinweise für Insulin bei Kindern aufgeführt, hier für Insuman® (Kasten 2): Es soll nochmals betont werden, dass in obigen Situationen bei der Behandlung individuell nach Ansprechen behandelt wird. Die grössten Probleme für Dosierungsempfehlungen bei Kindern beste-
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Kasten 2:
Insuman®
Für Kinder und Jugendliche sollte die Behandlung von einem pädiatrischen Diabetologen verfolgt werden. Insbesondere sollte das Ziel in den ersten Jahren neben der Senkung der Peaks des postprandialen Blutzuckers eine Verminderung des Risikos hypoglykämischer Episoden sein. Deshalb werden je nach Alter verschiedene Insulinkombinationen empfohlen. Der Glucosespiegel muss bei Kindern in häufigen Intervallen bestimmt werden (4- bis 6-mal pro Tag).
hen, wenn die Anwendung in der Pädiatrie nicht vergleichbar ist mit derjenigen im Erwachsenenalter. Dies ist zum Beispiel nicht selten in der Kardiologie, der pädiatrischen Hämatologie und der Onkologie, wo der Off-label-Einsatz sehr hoch ist. In diesen Fachgebieten werden Kinder zwar meist im Rahmen klinischer Studien behandelt, diese «Beobachtungs»-Studien sind jedoch meist nur zur Beurteilung der Sicherheit geeignet und nicht für eine Beurteilung der Wirksamkeit geplant.
Ausblick
Nach der Überarbeitung der Arzneimittelinformationen durch Swissmedic sollten nun überall klare Hinweise über adäquate Daten für die pädiatrische An-
wendung vorhanden sein. Dies ist der Fall – bis auf einen kleinen Prozentsatz, bei dem es schwierig war, einen adäquaten Text zu finden. Andererseits hat sich für die Anwendung insbesondere bei Neugeborenen und Kleinkindern nicht viel verändert, ausser dass jetzt klar auf das Fehlen von Daten aus klinischen Studien hingewiesen wird. Von 264 Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, deren Anwendung im Jahr 2003 nur bei Erwachsenen empfohlen wurde, da Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit in der Pädiatrie fehlten, sind im Jahr 2008 nur 16 Arzneimittel auch für Kinder zugelassen und enthalten in ihren Fachinformationen klare pädiatrische Dosierungsund Mindestalterangaben. Dies zeigt, dass hier noch ein grosser Handlungsbedarf besteht. Auch gibt es immer noch Dosierungsempfehlungen bei Kindern, ohne dass eine adäquate galenische Form zur Verfügung steht. Die meisten in der Pädiatrie eingesetzten Arzneimittel sind älteren Datums. Es ist zu hoffen, dass die gesetzlichen Initiativen in der EU und den USA auch zu einer deutlichen Verbesserung der Arzneimittelversorgung bei Kindern führen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass von den Firmen alle vor Inkrafttreten der Kinderverordnung durchgeführten Studien bei der EMEA eingereicht werden mussten und ebenfalls in den USA eine
behördliche Evaluation vorbestehender Daten erfolgt. Damit sollen unnötige Studien in der Pädiatrie verhindert werden.
Korrespondenzadressen: Dr. med. Hans Stötter Swissmedic Schweizerisches Heilmittelinstitut Hallerstrasse 7, 3000 Bern 9 Tel. 031-322 02 11 E-Mail: hans.stoetter@swissmedic.ch
Marlene Blöchliger Zähringer Apotheke Ballinari Gesellschaftsstrasse 36, 3012 Bern Tel. 031-301 19 10 E-Mail: marlene.bloechliger@bluemail.ch
Literatur: 1. Swissmedic, 2006. Ausführungen der Schweizerischen Kantonsapothekervereinigung und der Swissmedic betreffend den Einsatz von Arzneimitteln im Sinne des Off-label use. http://swissmedic.ch/files/pdf/Off-label_Use_ Schlusspapier.pdf 2. Choonara I, Conroy S, 2002. Unlicensed and off-label drug use in children: implications for safety. Drug Safety. 25, 1–5. 3. ICH. Guideline E11. Clinical investigation of medicinal products in the paediatric population, 2000. www.ich.org/LOB/media/MEDIA487.pdf www.micromedex.com/products/drugdex/ 4. www.swissmedic.ch Zulassung\Pädiatrie\Diplomarbeit 2008 (Marlene Blöchliger)