Transkript
Schwerpunkt
Congenital Disorders of Glycosylation (CDG):
Ein Chamäleon für Klinik und Forschung
Beim CDG-Syndrom handelt es sich um eine Störung der Glykosylierung von Proteinen, die vor knapp 25 Jahren erstmals beschrieben wurde. Bis heute sind über 20 Subtypen bekannt, die sich durch unterschiedlichste Leitsymptome bemerkbar machen und überwiegend autosomal-rezessiv vererbt sind. Der einfache Screeningtest auf CDG sollte entsprechend dem breiten klinischen Spektrum grosszügig eingesetzt werden.
von Dr. med. Diana Ballhausen
I n den letzen vier Jahren war das CDGSyndrom Gegenstand eines interdisziplinären Nationalfonds-Forschungsprojektes in der Schweiz. Durch eine Vortragsrunde in Kinderkliniken und Genetikinstituten in der ganzen Schweiz konnte das Bewusstsein für diese Krank-
heitsgruppe bei den Klinikern erhöht werden, was sich in einer erhöhten Anzahl von eingesandten Blutproben für die Screeninguntersuchung auf CDG zeigte. Bislang konnten jedoch in der Schweiz nur sehr wenige Fälle diagnostiziert werden. Die Erkenntnisse der letzten Jahre
Tabelle: Das klinische Spektrum von CDG-Patienten
Neurologie:
axiale Hypotonie, Hyporeflexie, Entwicklungsrückstand, Ataxie, Krampfanfälle, «Stroke-like»-Episoden
Gastroenterologie/ Hepatologie:
Gedeihstörung, Diarrhö, Proteinverlust-Enteropathie, Leberdysfunktion, Erbrechen, Hepatomegalie, Cholangitis
Neonatologie/ Intensivmedizin:
Aszites, Hydrops, Multiorganversagen, akute zerebrale Blutung, Leberversagen
Hämatologie:
Thrombozytose, Thrombozytopenie, Koagulopathie, Thrombose
Endokrinologie:
hyperinsulinämische Hypoglykämie, Hypothyroidismus, Hypogonadismus
Klinische Genetik:
Dysmorphien, Mikrozephalie, eingezogene Brustwarzen, Fettverteilungsstörung
Orthopädie:
Osteopenie, Gelenkkontrakturen, Kyphose, Skoliose
Ophthalmologie:
abnorme Augenbewegungen, Strabismus, Katarakt, Retinits pigmentosa, Nystagmus, Iriskolobom, kortikale Blindheit
Radiologie:
Kleinhirnhypoplasie, Verkalkungen der weissen Substanz, verzögerte Myelinisierung, Mikropolygyrie, Nierenzysten, renale Hyperechogenität
Histologie:
Leberfibrose, Leberzirrhose, intestinale Zottenatrophie
Dermatologie:
Ichthyose
Nephrologie:
nephrotisches Syndrom, Tubulopathie, Nierenzysten
Immunologie:
rezidivierende Infektionen, Hypogammaglobulinämie, unklarer Immundefekt
Kardiologie: Laborbefunde:
Kardiomyopathie, perikardiale Effusionen
Transaminasen ł, Albumin Ń, Triglyzeride Ń, Antithrombin III Ń, Faktor VIII und XI Ń, Protein C und S Ń
Screening auf CDG (Transferrin-IEF):
1 ml Blut nativ mit speziellem Auftragszettel (Download von Homepage möglich) schicken an: Kinderspital Zürich, Stoffwechsellabor, Steinwiesstrasse 75, 8032 Zürich, Tel. 01-266 73 89 Weitere Informationen: www.kispi.unizh.ch/CDG/CDG.htm
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machen das CDG-Syndrom nicht mehr nur zu einer Domäne der Neuropädiater. Vielmehr zeigt sich, dass sich dahinter eine grosse Krankheitsgruppe mit sehr verschiedenen Leitsymptomen verbirgt (siehe Tabelle). Wichtig ist es, daran zu denken und es zu suchen. Denn die meisten Formen des CDG-Syndroms sind mit einer einfachen Untersuchung nachweisbar.
Aufgrund veränderter Laborparameter entdeckt
Das CDG-Syndrom wurde erstmals 1980 durch den belgischen Kinderarzt Jaak Jaeken (seit 1999 Dr. h.c. der Universität Zürich) beschrieben. Jaeken berichtete damals von Zwillingsschwestern mit einer psychomotorischen Retardierung und merkwürdigen Laborveränderungen. Die beiden Mädchen hatten eingezogene Brustwarzen («inverted nipples») und eine auffällige Verteilung des subkutanen Fettgewebes («fat pads on buttocks»). Die eigenartige Konstellation der veränderten Laborparameter brachte Jaeken ins Grübeln, und er bemerkte, dass es sich bei all diesen veränderten Parametern um Glykoproteine handelt.
Ursache: Störung der Glykosylierung
Biochemisch gesehen liegt allen Formen des CDG-Syndroms eine Störung der Glykosylierung (Anbau von Zuckerseitenketten) von Proteinen zugrunde. Bei vielen Proteinen sind diese Zuckerseitenketten funktionell von Bedeutung. Da Glykoproteine ubiquitär im Körper vorkommen, erklärt dies die Auswirkung der Störung auf die verschiedensten Organsysteme. Bei den Störungen der N-Glykosylierung werden die häufigeren Defekte der Bildung der N-GlykanGruppe als CDG I bezeichnet, während man Störungen der N-Glykan-Prozessierung unter CDG II zusammenfasst. Im Laufe der letzten Jahr konnten viele neue Defekte identifiziert werden, und es kommen laufend neue dazu. Aktuell geht die Liste bei CDG I von a bis l und bei CDG II von a bis e.
Subtypen mit verschiedenen Leitsymptomen
Heute wissen wir, dass die beiden 1980 von Jaeken beschriebenen Zwillingsschwestern einen Defekt der Phospho-
Mannose-Mutase (PMM) haben. Dieser Defekt ist der häufigste und wird als CDG Ia bezeichnet. Klinisch stehen meist eine ausgeprägte psychomotorische Retardierung und Ataxie im Vordergrund. Eine verminderte Enzymaktivität der Phosphomannose-Isomerase (PMI) ist der zweithäufigste Defekt und trägt auch den Namen CDG Ib. Diese Patienten präsentieren sich meist mit hepatischen und/oder intestinalen Problemen. Dieser Subtyp ist insofern von Bedeutung, als er der bislang einzige aus der CDG-Gruppe ist, für den es eine kausale Therapie gibt. Durch orale Verabreichung von Mannose mehrmals täglich können viele schwer wiegende Symptome der Krankheit kontrolliert werden.
Screeningmethode
Eine einfache Screeningmethode stellt die Transferrin-Isoelektrofokussierung (Transferrin-IEF) dar. Diese Methode wurde ursprünglich zum Nachweis eines chronischen Alkoholabusus entwickelt (CDT = Carbohydrate Deficient Transferrin). Im Zusammenhang mit dem CDG-Syndrom macht man sich die Tatsache zunutze, dass Transferrin ein Gly-
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koprotein mit vier Sialo-Seitenketten ist. Durch die IEF können die TransferrinMoleküle entsprechend der Anzahl ihrer Sialo-Seitenketten aufgetrennt werden, und die Verteilung kann durch Anfärbung sichtbar gemacht werden. Findet man relevante Mengen von unterglykolysiertem Transferrin (mit drei oder weniger Sialo-Seitenketten), so ist dies verdächtig auf ein CDG-Syndrom. Defekte aus der CDG-I-Gruppe ergeben ein anderes Muster als solche aus der CDG-II Gruppe. Falsch-positive Befunde durch chronischen Alkoholabusus sind möglich, in einem überwiegend pädiatrischen Patientengut aber eher die Ausnahme. Ein normales Muster schliesst ein CDGSyndrom jedoch nicht sicher aus.
Forschung nicht abgeschlossen
Findet sich ein auffälliges Ergebnis in der Transferrin-IEF (z.B. ein CDG-I-Muster), so können die Enzymaktivitäten von PMM (CDG Ia) und PMI (CDG Ib) gemessen werden. Sind beide normal, so wird es komplizierter. Mit zum Teil sehr aufwändigen biochemischen und molekulargenetischen Untersuchungen kann bislang nur
auf Forschungsebene weiter nach der konkreten Ursache gesucht werden. Bei einigen Patienten bleibt die definitive Diagnose auch trotz intensiver Untersuchungen unklar (bezeichnet als CDG Ix oder IIx). Dies ist wohl am ehesten Ausdruck dessen, dass die Forschung in diesem Bereich noch nicht abgeschlossen ist und auch in Zukunft mit der Entdeckung weiterer Unterformen zu rechnen ist.
In die Differenzialdiagnose einbeziehen
Für den Kliniker stellt das CDG-Syndrom ein echtes Chamäleon dar. Abgesehen von der klassischen Form (CDG Ia) dürfte es schwierig sein, ein CDG-Syndrom klinisch zu diagnostizieren. Vielmehr gehört es in vielen Bereichen (siehe Tabelle) bei ungeklärter Ursache mit in die Differenzialdiagnose und sollte aktiv gesucht werden. Die Beschreibung immer neuer Subtypen mit zum Teil komplett unterschiedlichen klinischen Befunden legt den Verdacht nahe, dass man Patienten mit CDG in jedem Bereich der Pädiatrie und Erwachsenenmedizin finden kann.
Diagnose ist wichtig – auch wenn es an Therapien mangelt
Auch wenn bislang die therapeutischen Optionen in den meisten Fällen sehr begrenzt sind, ist die Diagnosestellung wichtig. Einerseits beendet sie eine häufig lange Suche nach der Ursache und bringt mehr Ruhe in das Leben der betroffenen Familien. Andererseits ist erst durch die Diagnosestellung eine genetische Beratung und eventuell pränatale Diagnostik möglich. Die überwiegende Mehrzahl der bislang bekannten Subtypen wird autosomal-rezessiv vererbt.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Diana Ballhausen
Abteilung für Stoffwechsel und Molekulare Pädiatrie
Kinderspital Zürich Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich Tel. 01-266 76 18 E-Mail: diana.ballhausen@kispi.unizh.ch
Buchzeichen
«gender medizin»
Gender-Medizin ist eine noch junge Wissenschaft. Sie betrachtet Forschung, Diagnose und Therapie unter geschlechtsspezifischen Aspekten. Im deutschsprachigen Raum liegt nun ein Buch vor, in dem entsprechende Ergebnisse in Fachbereichen wie Kardiologie, Rheumatologie, Intensivmedizin und Psychiatrie zusammengetragen sind. Neben einer systematischen Übersicht aus der Fachliteratur werden aktuelle Forschungsergebnisse mit praktischen Tipps für den klinischen Arbeitsalltag verknüpft. Das Buch ist zwar an sich nicht auf Untersuchungen an Kindern speziali-
siert, es beinhaltet jedoch zwei Kapitel, welche sich ausschliesslich auf Kinder und Jugendliche beziehen: «Geschlechtsunterschiede im Kindesalter: Wachstum, Entwicklung und Krankheit» und «Zur Geschlechtsspezifik bei (neuro)psychologischen und psychosomatischen Störungen aus der Sicht der pädiatrischen Psychologie».
«Gender Medizin. Geschlechtsspezifische Aspekte für die klinische Praxis». Herausgegeben von Anita Rieder und Brigitte Lohff, Springer. 2004. Fr. 99.–. ISBN: 3-211-00766-0.
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