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Der ischämische Schlaganfall im Kindesalter
Ein Schlaganfall bei Erwach-
von Dr. med. Maja Steinlin
senen und besonders älteren Leuten ist ein allseits bekanntes Problem. Dass Schlaganfälle jedoch bereits im Neugeborenenund Kindesalter auftreten können, ist für viele eine Überraschung. Mit den Fortschritten im Verständnis und der Therapie der Schlaganfälle im Erwachsenenalter ist in der Pädiatrie auch das Interesse an besseren Kenntnissen des kindlichen Schlaganfalles gestiegen.
D ie genaue Häufigkeit des Schlaganfalles im Kindesalter ist noch immer unsicher, es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass etwa 5 bis 10 pro 100 000 Kinder im Jahr betroffen sind. Dies entspricht in etwa der Häufigkeit der kindlichen Hirntumoren. Die Hälfte der Schlaganfälle im Kindesalter sind bedingt durch Blutungen, so genannte hämorrhagische Schlaganfälle, die andere Hälfte durch eine Minderdurchblutung einer bestimmten Hirnregion, einen so genannten ischämischen Infarkt. Selten kann auch eine Stoffwechselstörung zu einem Schlaganfall führen. Schlaganfälle des Kindesalters unterscheiden sich nicht nur in ihrer Häufigkeit von denen des Erwachsenenalters, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Der ischämische Schlaganfall kann in jedem Alter auftreten, es zeigt sich jedoch ein Häufigkeitsgipfel um die Zeit der Geburt (neonataler Schlaganfall) und während des Vorschulalters. Die vermehrte Häufigkeit im Vorschulalter muss wahrscheinlich auf die zu diesem Zeitpunkt vermehrt auftretenden Infektionskrankheiten und ihren möglichen Auslöser eines Infarktgeschehens zurückgeführt werden.
Symptome des Schlaganfalles
Die Symptome im Kindesalter sind ähnlich denjenigen im Erwachsenenalter. Etwa 80 Prozent der Kinder zeigen eine Halbseitenlähmung (Hemiplegie), zum Teil verbunden mit einer Gesichtslähmung (Fazialisparese) und/oder Sprachproblemen (Aphasie bzw. Dysphasie). Bei etwa 20 Prozent der Kinder treten jedoch andere Symptome, inbesondere
Gleichgewichtsprobleme (Ataxie), auf. Viele Kinder zeigen zum Zeitpunkt des akuten Geschehens Kopfschmerzen und/ oder eine Bewusstseinseintrübung, bei etwa einem Fünftel der Fälle tritt ein epileptischer Anfall in der Akutphase auf. Leider wird auch bei Kindern die Diagnose eines Schlaganfalles häufig verspätet gestellt. Neben der Seltenheit des Vorkommens gibt es noch weitere Gründe, weshalb ein Schlaganfall nicht erkannt werden kann: Im Unterschied zu den Erwachsenen können sich die neurologischen Ausfallsymptome rascher zurückbilden. Somit wird die Bedeutung der plötzlich auftretenden Symptome häufig unterschätzt. Bei einigen Kindern kommt es durch den Schlaganfall zu einem Sturz, und die ganzen Symptome werden als Unfallfolge interpretiert. Dies kann noch zusätzlich erschwert werden, wenn die Sprachprobleme (Aphasie) als Verwirrungszustand missinterpretiert werden.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen des kindlichen Schlaganfalles sind mannigfaltig, wobei die bei den Erwachsenen vorherrschende Arteriosklerose im Kindesalter praktisch nicht gefunden werden kann. Bei der Mehrzahl der Kinder kommt es zum Zusammentreffen mehrerer Risikofaktoren, die dann gemeinsam den Schlaganfall auslösen können. Durch Infektionen (wie zum Beispiel die Varizellen oder andere virale resp. nicht bakterielle Erreger) kann es zu einer fokalen Gefässentzündung kommen. Dies verursacht eine vorübergehende Verengung des Gefässes, was sowohl zu Durchblutungsproblemen als auch zu einer erhöhten Thrombose-
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neigung führt. Infektionen können aber auch durch entzündliche Veränderungen Verletzungen der Gefässe (Dissektionen) begünstigen, welche dann ihrerseits zu Thrombosebildung und Gefässverengung führen. Ein anderer wichtiger Risikofaktor ist das Vorliegen eines Herzproblemes, sei es eine Missbildung oder eine entzündliche Herzmuskelerkrankung. Dabei führen Blutflussveränderungen im Herzen und Rhythmusstörungen des Herzens zur Thrombosebildung, und es entstehen kleine Embolien, welche Hirngefässe verstopfen können. Gehäuft können Schlaganfälle aber auch im Rahmen sonstiger schwerer Grunderkrankungen wie Leukämien, immunologischen Systemerkrankungen wie Lupus erythematodes oder Crohnerkrankung gefunden werden. Bei einigen Kindern liegen Gefässabnormitäten oder -erkrankungen (z.B. Moya-Moya-Syndrom) vor, andere haben Bluterkrankungen (z.B. Sichelzellanämien), welche das Auftreten eines Schlaganfalles begünstigen. Eine grosse Bedeutung beim Auftreten von Schlaganfällen muss wahrscheinlich auch den angeborenen, vererbten Koagulationsproblemen mit vermehrter Thrombosebildung zugesprochen werden. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass gewisse dieser Koagulopathien bei Kindern mit Schlaganfällen gehäuft vorkommen (wie Faktor-V-Leiden,
Protein-C- und -S-Mangel, Hypolipoprotein-A-Mangel). Daneben können noch sehr viele seltenere Mitverursacher gefunden werden.
Rezidivrisiko und Langzeitprognose
Wichtig ist es, diese Risikofaktoren nach dem Auftreten eines Schlaganfalles zu suchen. Teilweise muss bereits die Therapie während der Akutphase je nach auslösendem Faktor geändert werden. Sicherlich haben aber diese Faktoren einen Einfluss auf das Rezidivrisiko und, wie neuere Arbeiten zeigen, wahrscheinlich auch auf die Prognose betreffend Erholung vom akuten Infarktgeschehen. Das Wiederholungsrisiko nach einem Schlaganfall beträgt gesamthaft etwa 5 bis 10 Prozent. Allerdings wissen wir, dass nach parainfektiös bedingter, vorübergehender Gefässverengung (fokale transiente Arteriopathie) praktisch kein Wiederholungsrisiko besteht. Bei Vorliegen einzelner oben erwähnter Risikofaktoren erhöht sich jedoch das Risiko der Kinder bis auf 15 bis 18 Prozent. Teilweise kann dieses Risiko durch eine gezielte Therapie oder Prophylaxe beeinflusst werden. Glücklicherweise sterben nur sehr wenige Kinder am Schlaganfall direkt (1 bis 3%). Fast alle kleinen Patienten zeigen
im Verlauf der ersten Monate nach dem Schlaganfall eine gute Erholungstendenz. Trotzdem bleibt etwa die Hälfte der Kinder mit neurologischen Ausfallerscheinungen, vor allem mit Halbseitenlähmungen verschiedensten Ausmasses, zurück. Noch eindrücklicher sind die Folgen im Bereich der kognitiven Entwicklung und den intellektuellen Leistungen: 25 bis 40 Prozent der Kinder zeigen einen IQ unterhalb der Norm (< 85), daneben weisen zwei Drittel der Kinder Teilleistungsschwächen auf, welche ihre schulischen Erfolge deutlich beeinträchtigen. Die Hälfte der Kinder braucht nach einem Schlaganfall entweder eine spezielle Schule oder Spezialunterricht im Rahmen der Normalklassen. Zusätzlich finden sich bei vielen dieser Kinder Verhaltensprobleme, welche ihre Integration in Familie, Schule und bei Gleichaltrigen deutlich erschweren können. Schlussfolgerungen Der kindliche Schlaganfall ist ein sehr einschneidendes Ereignis für alle Betroffenen: Das plötzliche Auftreten von schweren neurologischen Symptomen wird bei den meisten Kindern gefolgt von eindrücklichen Langzeitproblemen. Mit Hilfe von Fachleuten sollte versucht werden, jede nur erdenkliche Unterstützung zu geben, damit sie eine möglichst normale Schulkarriere durchlaufen können. Hoffnungen, dass die Verbesserung der Schlaganfalltherapie auch im Kindesalter zu einer verbesserten Langzeitprognose führt, sind sicherlich berechtigt. Der kindliche Schlaganfall unterscheidet sich jedoch deutlich von demjenigen im Erwachsenenalter, sodass eigene Studien für die Kinder gefordert werden müssen. Schlüsse aus dem Wissen des Schlaganfalls beim Erwachsenen können nur in sehr begrenztem Mass gezogen werden. Literatur bei der Verfasserin. Korrespondenzadresse: Dr. med. Maja Steinlin Inselspital, Abteilung Neuropädiatrie, 3010 Bern E-Mail: maja.steinlin@insel.ch 7 • Pädiatrie 3/04