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EHA 2024
EHA 2024 Congress, 13. bis 16. Juni 2024, Madrid und virtuell
Chronische lymphatische Leukämie
Gesamtüberleben nach Erstlinientherapie mit Ibrutinib vergleichbar hoch wie bei altersgleicher Allgemeinbevölkerung
Hemmer der Bruton-Tyrosinkinase (BTK) spielen in der Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie eine zentrale Rolle. Dies unterstreichen auch die Resultate einer Analyse zum Gesamtüberleben nach einer Erstlinientherapie mit Ibrutinib. BTK-Resistenzmutationen erfordern jedoch die Erforschung neuer Ansätze, wie z.B. BTK-Degrader. Daten aus Phase-I-Studien zu zwei solchen Molekülen erscheinen vielversprechend.
Das Gesamtüberleben (OS) gilt als «Goldstandard» für die Bewertung des klinischen Nutzens onkologischer Therapien (1). Bei Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) ist die Bewertung des Überlebens aufgrund der indolenten Natur und der langfristigen Kontrolle der Erkrankung durch nachfolgende Therapielinien eine besondere Herausforderung (1, 2). Der Bruton-Tyrosinkinase-(BTK-)Hemmer Ibrutinib (Imbruvica®) hat als erste zielgerichtete Therapie in verschiedenen Phase-III-Studien bei zuvor unbehandelten Personen mit CLL zu einem signifikanten Überlebensvorteil gegenüber einer Chemo-/Chemoimmuntherapie geführt (3, 4). Eine gepoolte Analyse dreier randomisierter Phase-III-Studien (RESONATE-2, ECOG-1912 und iLLUMINATE) hatte ergeben, dass CLL-Patienten, die in der ersten Linie (1L) mit Ibrutinib behandelt wurden, ähnliche OS-Werte erreichten, wie eine altersgleiche US-Bevölkerungsgruppe (5).
Auf einen Blick
n CLL-Erkrankte, die in der ersten Linie mit Ibrutinib behandelt wurden, erreichten ein ähnliches Gesamtüberleben wie die altersgleiche europäische Allgemeinbevölkerung (6).
n Die CAPTIVATE-Studie zeigte hohe 5-Jahres-PFS und OS-Raten bei CLL-Betroffenen, die 3 Zyklen Ibrutinib gefolgt von 12 Zyklen Ibr+Ven erhalten hatten, auch beim Vorliegen genetischer Hochrisikomerkmale (7).
n Phase-I-Studien mit zwei unterschiedlichen BTK-Degradern lieferten vielversprechende Resultate bei stark vorbehandelten Patienten mit CLL und BTK-Resistenzmutationen (8, 9).
Sterblichkeitsdaten aus Europa im Visier
Da sich die Sterblichkeitsraten zwischen den USA und Europa womöglich unterscheiden, wurde in einer auf dem EHA vorgestellten Arbeit ein entsprechender Vergleich der gepoolten Studienergebnisse mit der altersgleichen europäischen Allgemeinbevölkerung durchgeführt (6). Analysiert wurde dabei das OS aller in den 3 Studien mit Ibrutinib behandelter Patienten sowie das OS der über 65-Jährigen, aller mit Ibrutinib in Monotherapie behandelten CLL-Patienten und aller mit Ibrutinib in Kombination mit einem Anti-CD20-Antikörper Behandelten. Die Analyse zeigte, dass das OS der gepoolten Ibrutinib-therapierten Population (n = 600) mit dem OS der gleichaltrigen europäischen Allgemeinbevölkerung vergleichbar war (Hazard Ratio [HR]: 1,232; 95%-Konfidenzintervall [95%KI]: 0,878–1,728; p = 0,228). Auch für die anderen drei analysierten Gruppen zeigte sich jeweils ein der altersgleichen Allgemeinbevölkerung ähnliches OS, selbst für die Gruppe der CLL-Betroffenen > 65 Jahre.
Hohe 5-Jahres-PFS-Raten bei fixer Therapiedauer
In der Phase-II-Studie CAPTIVATE wurde die Erstlinientherapie mit Ibrutinib und Venetoclax (Venclyxto®; Ibr+Ven) bei Patienten < 71 Jahre mit CLL oder SLL (kleines lymphatisches Lymphom) untersucht, einschliesslich Patienten mit Hochrisikomerkmalen (7). Die Studie umfasst zwei unterschiedliche Kohorten: eine Minimal Residual Disease-(MRD-)Kohorte (n = 43, medianes Alter 58 Jahre) sowie
eine Kohorte mit fixer Therapiedauer (FD-Kohorte; n = 159, medianes Alter 60 Jahre). Die Patienten der FD-Kohorte erhielten 3 Zyklen Ibrutinib gefolgt von 12 Zyklen Ibr+Ven. In der MRD-Kohorte wurden Teilnehmer mit bestätigter, nicht mehr nachweisbarer MRD (uMRD) nach 3 Zyklen Ibrutinib plus 12 Zyklen Ibr+Ven zu einer Behandlung mit Plazebo oder zu einer kontinuierlichen Ibrutinib-Behandlung randomisiert. Eine erneute Behandlung mit Ibr+Ven war in beiden Kohorten bei Krankheitsprogression (PD) erlaubt. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 61,2 Monaten lagen das 5-Jahres-PFS und das 5-Jahres-OS in der FD-Kohorte bei 67 bzw. 96% (7). Bei den Studienteilnehmern mit Hochrisikofaktoren lagen die 5-Jahres-PFS-Raten zwischen 41 und 68% (Tabelle). Insgesamt traten bei 13 Studienteilnehmern 18 Zweitmalignome auf: 10 Ereignisse bei 8 Patienten während der FD-Behandlung mit Ibr+Ven, 6 Ereignisse bei 4 Patienten nach Behandlungsende und vor der Nachbehandlung und 2 Ereignisse bei 2 Patienten während der Nachbehandlung. Unter den 202 Studienteilnehmern, die die Behandlung mit Ibr+Ven abgeschlossen haben, kam es bisher bei 63 zu einer Krankheitsprogression (Auftreten > 2 Jahre nach Therapieende bei 43/63). Insgesamt 32/63 (51 %) der Betroffenen begannen eine erneute Therapie mit Ibr (n = 25) bzw. Ibr+Ven (n = 7). Nach einer medianen Dauer der erneuten Ibr-Behandlung von 21,9 Monaten betrug die Gesamtansprechrate (ORR) 86% bei 22 auswertbaren Patienten. Bei den Personen mit einer erneuten Therapie mit Ibr+Ven lag die ORR nach einer medianen Therapiedauer von 13,8 Monaten bei 71% (7 auswertbare Patienten). Damit bietet eine FD-Behandlung mit Ibr+Ven sowohl in der Gesamtpopulation als auch bei Personen mit Hochrisikomerkmalen nach einer Nachbeobachtungszeit von bis zu 5,5 Jahren weiterhin ein klinisch bedeutsames PFS. Eine Ibrutinib-basierte Re-Therapie führte bei Pa-
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tienten, die nach einem rein oralen FD Ibr+Ven-Schema eine weitere Behandlung benötigten, zu guten Ergebnissen.
Positive Ergebnisse mit neuen Substanzen
Das Auftreten von Resistenzmutationen sowie die neu beschriebene kinaseunabhängige Gerüstfunktion der BTK erfordern neue Ansätze für die Behandlung von B-Zell-Malignomen. NX-5948 ist ein sogenannter BTK-Degrader, ein neuartiges, oral verabreichtes kleines Molekül, das den spezifischen Abbau sowohl der Wildtyp- als auch der mutierten Form von BTK in B-Zellen durch den E3-Ligase-Komplex Cereblon induziert. Darüber hinaus ist NX-5948 in der Lage, die BlutHirn-Schranke zu überwinden. Das Molekül hat denn auch eine präklinische Wirksamkeit in murinen ZNS-LymphomModellen gezeigt. Am EHA-Kongress wurde das neuste Update zur Sicherheit, Verträglichkeit und klinischen Aktivität von NX-5948 aus der Phase-I-Dosis-Eskalations-Studie NX-5948-301 präsentiert (8). Bis zum 17. April 2024 befanden sich 27 Patienten mit rezidivierter/refraktärer (r/r) CLL und 22 Patienten mit einem Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) unter Behandlung mit dem BTK-Degrader, darunter 12 Fälle mit ZNS-Beteiligung (2 in der CLL-Gruppe, 10 in der NHL-Gruppe). Das mediane Alter der Gesamtpopulation lag bei 67 Jahren. Im Median hatten die Teilnehmer 4 Vortherapien erhalten. Bei 46,7% der Patienten in der CLL-Kohorte lag eine T53-Mutation vor, bei 43,3% eine BTK-Mutation. Zur Verträglichkeit stellte Kim Linton (Manchester/UK) in ihrer Präsentation fest: «Alles in allem erwies sich NX-5948 als äusserst gut verträglich. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Purpura, Thrombozytopenie und Neutropenie. Diese Befunde lagen allerdings bei vielen Teilnehmern bereits zu Studienbeginn vor.» Insbesondere wurden keine kardialen Nebenwirkungen registriert. Es gab eine einzige dosislimitierende Toxizität (Grad 3 Rash bei einem NHL-Patienten mit 450 mg) und 2 behandlungsbedingte Nebenwirkungen, die zu einem Abbruch der Therapie führten. Ein Grad-5-Ereignis (Lungenembolie) wurde als nicht behandlungsassoziiert beurteilt. NX-5948 führte bei den CLL-Patienten zu
Tabelle:
5-Jahres-PFS-Raten bei CLL-Patienten mit Hochrisikomerkmalen, die mit 3 Zyklen Ibrutinib und 12 Zyklen Ibrutinib plus Venetoclax behandelt wurden (FD-Kohorte)
Anzahl Patienten mit
5-Jahres-PFS-Rate (%)
Hochrisikomerkmalenc
(95%-KI)
del(17p)/mutiertes TP53
27 41
(21–59)
komplexer Karyotypa 31 57
(37–72)
unmutiertes IGHVb
40 68
(50–80)
del(11q)b
11 64
(30–85)
adefiniert als > 3 Chromosomenanomalien. bausgeschlossen sind Patienten mit del/17p)/mut TP53 oder komplexem Karyotyp. cPatienten mit bekanntem Ausgangsstatus. Quelle: adaptiert nach (7).
einer deutlichen Reduktion der Tumorlast. Die ORR lag bei 69,2% (bei 26 auswertbaren Teilnehmern). «8 Teilnehmende erreichten ein partielles Ansprechen und 6 eine stabile Erkrankung», berichtete Linton. Sie betonte, dass vor allem Personen mit einer ZNS-Beteiligung sehr gut auf die Behandlung ansprachen. «In den meisten Fällen war das Ansprechen zudem rasch, innerhalb von 8 Wochen, und anhaltend.» Zusammenfassend sagte sie: «In dieser stark vorbehandelten Population mit einem prognostisch ungünstigen genetischen Profil und BTK-Resistenzmutationen führte NX-5948 zu einem tiefen und anhaltenden Ansprechen bei guter Verträglichkeit. Dies rechtfertigt die Weiterentwicklung dieses Moleküls zur Behandlung der CLL.» Eine Phase-Ib-Studie ist bereits in Planung. Für einen zweiten BTK-Degrader, BGB16673 (50–500 mg), wurden präliminäre Sicherheits- und Wirksamkeitsresultate aus einer Phase-I-Studie bei stark vorbehandelten Patienten mit r/r CLL/SLL vorgestellt (9). BGB-16673 ist ein hetero-bifunktionelles kleines Molekül, das über Polyubiquitinierung den Abbau von BTK induziert. Das Nebenwirkungsprofil der neuen Substanz wurde als vergleichbar mit dem der kovalenten und nicht kovalenten BTK-Inhibitoren beschrieben. Nach einem medianen Follow-up von 4,6 Monaten betrug die ORR 72% (31/43 Teilnehmer). Am häufigsten wurde ein partielles Ansprechen beobachtet. In der Gruppe mit 200 mg BGB-16673 (n = 16) lag die ORR bei 88%. Zwei Teilnehmer erreichten ein komplettes Ansprechen. Die
mediane Zeit bis zum ersten Ansprechen
betrug 2,8 Monate. In eine Phase-II-Stu-
die werden nun Patienten mit CLL/SLL
eingeschlossen, die sowohl mit einem
kovalenten BTK-Hemmer als auch mit
einem BCL2-Hemmer vorbehandelt
sind.
n
Therese Schwender
Referenzen: 1. Delgado A, Guddati AK: Clinical endpoints in oncology - a primer. Am J Cancer Res. 2021;11(4):1121-1131. 2. Chiorazzi N et al.: Chronic Lymphocytic Leukemia. Cold Spring Harb Perspect Med. 2021;11(2):a035220. 3. Barr PM et al.: Up to 8-year follow-up from RESONATE-2: first-line ibrutinib treatment for patients with chronic lymphocytic leukemia. Blood Adv. 2022;6(11):3440-3450. 4. Shanafelt TD et al.: Long-term outcomes for ibrutinib-rituximab and chemoimmunotherapy in CLL: updated results of the E1912 trial. Blood. 2022;140(2):112-120. 5. Ghia P et al.: Initiating First-Line Ibrutinib in Patients with Chronic Lymphocytic Leukemia Improves Overall Survival Outcomes to Rates Approximating an Age-Matched Population of ≥65 Years. Blood 2022;140(Suppl 1):4159–4161. 6. Ghia P et al.: First line Ibrutinib in patients with chronic lymphocytic leukemia demonstrates overall survival comparable to an age-matched European population. EHA 2024, Abstract P664. 7. Jacobs R et al.: Outcomes in high-risk subgroups after fixed-duration Ibrutinib + Venetoclax for chronic lymphocytic leukemia/small lymphocytic lymphoma: up to 5.5 years of follow-up in the phase 2 CAPTIVATE study. EHA 2024, Abstract P675. 8. Linton K et al.: Latest results from an ongoing first-in-human phase 1a/b study of NX-5948, a selective bruton’s tyrosine kinase degrader, in patients with relapsed/refractory CLL and other B-cell malignancies. EHA 2024, S155. 9. Parrondo R et al.: Preliminary efficacy and safety of the bruton tyrosine kinase degrader BGB-16673 in patients with relapsed or refractory CLL/SLL: RESULTS from the phase 1 BGB16673-101 study. EHA 2024, Abstract S157.
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