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IM FOKUS: BISPEZIFISCHE ANTIKÖRPER BEI HÄMATOLOGISCHEN NEOPLASIEN
Foto: zVg
Bispezifische Antikörper – Akute Nebenwirkungen der Therapie
Das Potenzial der T-Zellen in der Antitumortherapie findet mit bispezifischen Antikörpern sowie Chimeric Antigen Receptor (CAR)-T-Zellen zunehmend Eingang in die Behandlung maligner Erkrankungen. Dieser vielversprechende therapeutische Ansatz bringt ein neues Spektrum an Nebenwirkungen mit sich.
ALEKSANDRA MAREK
SZO 2024; 2: 20–23.
Aleksandra Marek
Mit bispezifischen Antikörpern (bsAK) stehen neue potente Therapieoptionen bei malignen Erkrankungen wie dem Multiplen Myelom, Lymphomen oder der akuten lymphatischen Leukämie zur Verfügung. BsAK binden gleichzeitig an zwei unterschiedliche Antigene und verbinden so die Tumorzelle direkt mit der zytotoxischen T-Zelle, wodurch die Zerstörung der Tumorzelle ausgelöst wird. Bereits klinisch im Einsatz sind unter anderem bsAK gegen die Antigene CD19, CD20, BCMA und GPRC5D. Neben den bekannten therapieassoziierten Nebenwirkungen wie Fieber, Infektionen, akuten allergischen Reaktionen und dem Tumorlysesyndrom (TLS) bringt das neue Therapieprinzip auch ein neues Spektrum an Nebenwirkungen mit sich. Dazu gehören das Zytokinfreisetzungssyndrom (cytokine release syndrome, CRS) und das Immuneffektorzell-assoziierte Neurotoxizitätssyndrom (immune effector cell-associated neurotoxicity syndrome, ICANS), welche bei rechtzeitiger Erkennung gut behandelbar sind. Da es sich um potenziell lebensgefährliche Nebenwirkungen handelt, ist ein intensives Monitoring notwendig, um rechtzeitig eine Therapie verabreichen zu können.
ABSTRACT
Bispecific antibodies – Acute side effects of the therapy
Bispecific antibodies (BsAbs) are new effective therapy options for patients with malignant diseases like multiple myeloma, lymphoma and acute lymphatic leukemia. BsAbs consists of two different antigen binding sites directed against cytotoxic T cells and specific antigens on tumor cells. Beside well-known side effects like tumor lysis syndrome, infections and fever there are some new ones like cytokine release syndrome (CRS) or immune effector cell-associated neurotoxicity syndrome (ICANS). CRS and ICANS occur mostly in the beginning of the treatment, that’s why patients are in hospital for observation. CRS and ICANS can occur together or independently. Main symptoms of CRS are fever, hypotension and hypoxia. Symptoms of ICANS are variable like tremor, confusion, headache. There are scoring systems for CRS and ICANS depending on the extent of symptoms (Grade 1-4) and also treatment algorithms. Antipyretics, steroids, tocilizumab are the most important drugs for treatment of CRS and ICANS. It is very important to recognize the signs of CRS and ICANS and to be prepared for treatment to protect the patients.
Keywords: Bispecific antibodies, tumor lysis syndrome, cytokine release syndrome (CRS), immune effector cell-associated neurotoxicity syndrome (ICANS).
Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad des CRS/ICANS. Ein ICANS kann mit oder ohne CRS auftreten. Sowohl CRS als auch ICANS können bei einem Patienten mehrmals auftreten. Art und Ausmass der Nebenwirkungen einer Therapie mit bispezifischen Antikörpern hängen sowohl vom Produkt als auch von Tumormasse und Patientenkonstitution ab. Patienten mit grosser Tumormasse haben ein erhöhtes Risiko für CRS und ICANS. Vermehrte Neurotoxizität tritt mit einem gegen CD19 gerichteten bsAK häufiger auf als bei bsAK, die gegen CD20 oder BCMA gerichtet sind. Hingegen führt eine Therapie mit gegen BCMA gerichteten bsAK häufiger zur Depletion von B- und Plasmazellen mit vermehrter Infektneigung sowie langfristig zu einer T-Zell-Erschöpfung.
Zytokinfreisetzungssyndrom
Zum CRS kommt es durch eine überschiessende Aktivierung des Immunsystems, verursacht durch zytotoxische T-Zellen und eine dadurch ausgelöste übermässige Freisetzung von Zytokinen. Das CRS tritt als akutes bis subakutes Krankheitsbild mit dem Leitsymptom Fieber auf, oft begleitet durch allgemeine Symptome wie Fatigue, Schüttelfrost, Kopfschmerzen sowie Arthralgien. Die Symptome können rasch zunehmen und zu Hypoxie und Hypotonie führen und damit zu einer lebensbedrohlichen Situation mit Schock und Organversagen (1, 2). Die Frequenz und das Ausmass von CRS variieren in Abhängigkeit vom Produkt. Insgesamt sind schwere Fälle von CRS unter Therapie mit bispezifischen Antikörpern selten. Bei Blinatumomab (Blincyto®) (gegen CD19 gerichtet) trat in 15% (Grad 3–4: 2,4%) der Fälle ein CRS auf (3). In der Zulassungsstudie von Teclistamab (Tecvayli®), welches gegen BCMA gerichtet ist, wurde ein CRS bei 72% (Grad 3: 1%) der Patienten verzeichnet, im Median 2 Tage (1–6) nach Teclistamab-Gabe (4). Bei Elranatamab (Elrexfio®), das ebenfalls gegen BCMA gerichtet ist, wurde ein CRS in 56% (Grad 1–2) und bei Mosunetuzumab (Lunsumio®), welches gegen CD20 gerichtet ist, in 29% der Fälle beobachtet (5, 6).
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IM FOKUS: BISPEZIFISCHE ANTIKÖRPER BEI HÄMATOLOGISCHEN NEOPLASIEN
Grad Fieber
≥ 38°C
1
Hypoxie
–
Hypotonie
–
Therapie
supportive Massnahmen (Antipyretika, Hydrierung) Breitspektrumantibiotika ggf. Fortecortin 10 mg po/iv ± Tocilizumab 8 mg/kgKG
Diagnostik/ Management
Überwachung intensivieren Infektdiagnostik Gerinnungsstatus Tumorlyselabor
2 ≥ 38°C
O2 Bedarf ≤ 6 l/min
kein Vasopressor Tocilizumab 8 mg/kgKG alle 8h, Wie bei Grad 1
max. 4 Dosen
Verlegung auf Intensivstation
3 ≥ 38°C
O2 Bedarf > 6 l/min
1 Vasopressor ± Vasopressin
Bei fehlendem Ansprechen zusätzlich
Fortecortin 20 mg iv alle 6h
Bei fehlendem Ansprechen:
Wechsel auf Methylprednisolon 1–2 g iv alle 12h
ECHO, EKG bei Hypotonie CT-Thorax bei Hypoxie
≥ 38°C
O2 + PEEP ≥ 2 Vasopressoren
4 (CPAP, BiPAP,
± Vasopressin
Bei fehlendem Ansprechen:
Steroiddosis erhöhen,
Intubation)
alternative Therapie erwägen
mit Anakinra oder Siltuximab
Tabelle 1: CRS-Einteilung. Quelle: adaptiert nach (2, 7–9)
Diagnostik und Therapie des CRS erfolgen derzeit nach den internationalen Empfehlungen der American Society for Transplantation and Cellular Therapy (ASTCT) (2). Diese wurden 2019 erarbeitet, um die Definition eines CRS zu harmonisieren und damit eine bessere Vergleichbarkeit von Studien mit unterschiedlichen Therapien sowie eine Vereinheitlichung der Therapieansätze zu erreichen.
Einteilung in 4 Grade Das CRS wird in 4 Grade unterteilt, entsprechend dem Ausmass der Leitsymptome (Fieber, Hypoxie, Hypotonie). Zu beachten ist, dass Fieber fehlen kann, wenn der Patient Antipyretika oder Immunsuppressiva erhalten hat. Zudem muss an andere Ursachen für das Fieber (Infekte, Makrophagenaktivierungssyndrom oder Tumorfieber) gedacht werden. Die Hypoxie wird unterteilt in «kein O2-Bedarf», «≤ 6 l/ min», «> 6 l/min» oder «Notwendigkeit zur Ventilationsunterstützung mittels PEEP (CPAP, BiPAP, Intubation)». Bei der Hypotonie wiederum ist das Ausmass der Kreislaufunterstützung massgebend. Dabei wird unterschieden zwischen «kein Vasopressor», «ein Vasopressor» oder «mindestens zwei Vasopressoren», wobei Vasopressin nicht gezählt wird (Tabelle 1). Die Einstufung erfolgt nach dem schwersten Symptom. Zum Beispiel: Hypoxie (O2 Bedarf 8l/min) + Hypotonie (kein Vasopressor) = GRAD 3
Therapie Bei Verdacht auf ein CRS, das heisst bereits bei Fieber > 38°C, ist eine breite Diagnostik erforderlich. Dazu gehören die Infektfokussuche (je nach Situation: Blutkultur, U-Status, Urinkultur, Stuhluntersuchung, RespiFinder), ein Gerinnungsstatus (Quick, aPTT, Thrombinzeit, Fibrinogen, D-Dimer) zum Erfassen und Monitorisieren einer disseminierten intrava-
salen Koagulopathie (DIC) sowie ein Tumorlyselabor. Je nach Ausmass der Hypoxie und/oder Hypotonie sollte ein CT-Thorax mit der Frage nach Infektfokus, Lungenembolie und Überwässerung sowie eine kardiale Diagnostik (Echokardiografie, EKG) durchgeführt werden. Zudem sollte die Überwachung der Vitalzeichen inklusive O2-Sättigung intensiviert werden und ein ICANS-Screening erfolgen (Details siehe unter ICANS). Eine Verlegung auf die Intensivstation sollte ab Grad 2 evaluiert und grosszügig veranlasst werden. Der Einbezug weiterer Fachspezialisten (Kardiologie, Infektiologie) ist in komplexen Situationen empfehlenswert. Bereits bei Fieber (entsprechend einem CRS Grad 1) sollte – neben supportiven Massnahmen wie Antipyretika und Hydrierung – grosszügig mit einem Breitbandantibiotikum begonnen werden. Ab einem CRS Grad 2 wird eine Therapie mit Steroiden und/ oder Tocilizumab, einem IL-6 Rezeptorblocker, benötigt, um die überschiessende Reaktion des Immunsystems abzuschwächen (Tabelle 1) (2, 7–9). Siltuximab ist eine Alternative zu Tocilizumab (10). Bei schwerem CRS und fehlendem Ansprechen auf Steroid und Tocilizumab kann der IL-1-Antagonist Anakinra verabreicht werden (2, 11, 12). Gemäss aktuellen Erkenntnissen wird die Wirksamkeit der bsAK durch Steroide und Tocilizumab nicht negativ beeinflusst (13). Diese Therapie wird fortgeführt bis zur Erholung auf mindestens Grad 1. Selbstverständlich kann die eigentliche Antitumortherapie mit dem bsAK erst nach Sistieren des CRS wieder verabreicht werden. Nach einem CRS Grad 3–4 muss individuell entschieden werden, ob die bsAK-Therapie weitergeführt wird. Zu beachten ist, dass bereits vor dem Start einer Therapie mit bsAK eine rasche Verfügbarkeit von Tocilizumab auf der Abteilung sichergestellt sein muss.
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Grad ICE Vigilanz Epilepsie Score
1 7–9
spontan weckbar
–
ZNSÖdem
–
Therapie
mit CRS
Management siehe dort + folgend
ohne CRS
Diagnostik/ Management
ggf. nicht sedierende antiepileptische Prophylaxe (z. B.: Levetiracetam)
ggf. nicht sedierende
Überwachung intensivieren
antiepileptische Prophylaxe Neurologie involvieren
(z. B.: Levetiracetam)
2 3–6
weckbar auf Ruf
–
–
bei fehlendem Ansprechen unter Tocilizumab zusätzlich
Fortecortin 10 mg iv alle 6h Wie bei Grad 1
Fortecortin 20 mg iv alle 6h
Bei fehlendem Ansprechen
Verlegung auf
Fortecortin 20 mg iv alle 6h Intensivstation
Bei fehlendem Ansprechen
3 0–2
weckbar auf taktile
fokaler, generalisierter
lokales Hirnödem,
Wechsel auf Methylprednisolon 1–2 g iv alle
Bei fehlendem Ansprechen Wechsel auf
ggf. ZNS-Bildgebung ggf. EEG
Reize
Krampf mit
keine Blutung 24h
Methylprednisolon 1–2 g iv ggf. Lumbalpunktion
schneller Erholung.
alle 24h
nicht konvulsiv im
EEG
4 nicht durch-
komatös
Status-epileptikus ≥ 5 min oder
globales Hirnödem,
führbar
rezidivierend
Papillenödem
Anfälle ohne
Erwachen
Tabelle 2: ICANS-Einteilung; Quelle: adaptiert nach (2, 7–9)
Punkte Aufgabe 4 Orientierung zu Jahr, Monat, Ort, Spital 3 3 Objekte benennen 1 einem Kommando folgen 1 einen einfachen Satz schreiben 1 von 100 auf 10 runterzählen in 10er-Schritten (100, 90, 80 … 10)
Tabelle 3: ICE-Score; Quelle: adaptiert nach (2, 7–9)
Prophylaxe Zur Prophylaxe eines CRS werden die bsAK in einer «Step up-Dosierung» mit vorgängiger Prämedikation (Antipyretika, Antihistaminika, Steroide) verabreicht. Bei Patienten mit hoher Tumorlast oder bei geplanter Therapie mit Blinatumomab können vor Beginn der Therapie Steroide zur Zytoreduktion verabreicht werden (14). Bei Glofitamab, einem gegen CD20 gerichteten bsAK, welcher zur Therapie des diffusen grosszelligen B-Zell Lymphoms (DLBCL) eingesetzt wird, wird in Studien vorgängig prophylaktisch ein monoklonaler CD20 Antikörper (Obinutuzumab 1 × 1000 mg) verabreicht (ausserhalb Zulassung) (15, 16).
ICANS
Bei ICANS handelt es sich um eine nicht infektiöse Inflammation des zentralen Nervensystems (ZNS) mit variablem Symptomkomplex, welche nach Therapie mit aktivierten T-Zellen (bsAK, CAR-T) auftreten kann. Der zugrundeliegende pathologische Prozess ist noch nicht ganz geklärt. Eine massive Zytokinfreisetzung, Störungen der Blut-Hirn-Schranke und Eindringen neurotoxischer Substanzen ins ZNS werden als Ursachen postuliert (17–19). Insgesamt ist ICANS selten unter Therapie mit bsAK (1–8%) (4–6). Beschrieben ist ein gehäuftes Auftreten bei bsAK, die gegen CD19 gerichtet sind und weniger bei bsAK gegen CD20 oder BCMA (16).
Die Symptome sind variabel, heterogen und unspezifisch, wie Kopfschmerzen und Tremor. Zudem können kognitive Defizite, Aphasien, epileptische Anfälle, Halluzinationen sowie Bewusstseinstrübungen auftreten. Auch hier werden die Einteilung und Therapie gemäss den ASTCT-Leitlinien empfohlen (2).
Einteilung in 4 Grade ICANS wird in 4 Grade unterteilt. Dazu werden Vigilanz, Auftreten von Epilepsie, Hirnödemzeichen und das Ausmass der Enzephalopathie beurteilt (Tabelle 2). Zur Beurteilung der Immuneffektorzell-assoziierten Enzephalopathie (ICE) wurde ein Score entwickelt, dabei werden Veränderung der Schrift, Orientierung, Sprache und Aufmerksamkeit als spezifische Symptome monitorisiert (Tabelle 3). Es ist ratsam, die neurologische Überwachung zu Beginn alle 12 Stunden durchzuführen.
Therapie Die Therapie unterscheidet sich abhängig vom gleichzeitigen Auftreten oder nicht Auftreten eines CRS. Beim gleichzeitigen Auftreten eines CRS wird gemäss den Empfehlungen für CRS vorgegangen. Ohne CRS werden vor allem Steroide zur Therapie eingesetzt (Tabelle 2) (2, 20). Eine antikonvulsive Therapie ist Basis der ICANS-Therapie. Ob mit oder ohne CRS sollte der Patient neurologisch beurteilt und falls notwendig weitere Diagnostik mittels Bildgebung ZNS, EEG, Lumbalpunktion (Erregernachweis?) veranlasst werden. Je nach Ausmass der Symptome ist eine Verlegung auf die Intensivstation notwendig. Wie beim CRS wird die Therapie bis zur Erholung auf mindestens Grad 1 fortgeführt und Steroide entsprechend dem klinischen Bild ausgeschlichen. Die Therapie mit bsAK wird währenddessen pausiert. Der Wiederbeginn ist abhängig vom Ausmass des ICANS und Erholung des Patienten.
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Tumorlysesyndrom
Das Tumorlysesyndrom tritt vor allem zu Beginn einer Behandlung einer hochproliferativen Erkrankung auf und kann zu einer potenziell lebensbedrohlichen Komplikation führen. Am häufigsten tritt es auf bei akuten und chronischen Leukämien mit hoher Zellzahl, aggressiven Lymphomen wie Burkitt oder Hodgkin aber auch beim Multiplen Myelom und soliden Tumoren wie dem kleinzelligen Bronchialkarzinom. Der schnelle Zellzerfall führt zum Anstieg von Kalium, Phosphat und Harnsäure und Abfall vom Kalzium im Blut. Hyperurikämie und Phosphat-Kalzium-Ablagerungen können eine akute intratubuläre Nierenschädigung verursachen und die Elektrolytveränderungen wiederum zu Herzrhythmusstörungen oder Muskelkrämpfen und Tetanie führen. Weitere unspezifische Symptome sind Übelkeit, Erbrechen, Krampfanfälle (21). Um ein TLS zu verhindern, ist eine vorgängige Risikostratifizierung und entsprechende medikamentöse Prophylaxe essenziell. Zu Hochrisikosituationen für ein TLS gehören Patienten mit einer hohen Tumorlast (hohe Zellzahl, massive Lymphadenopathie, grosser Tumorbulk), Niereninsuffizienz sowie Hyperurikämie. Ein weiterer Risikofaktor ist die Art der verabreichten Antitumortherapie, insbesondere Substanzen und Therapien mit rascher Wirkung wie monoklonale Antikörper, bispezifische Antikörper, CAR-T-Zellen oder Venetoclax. Zum Monitoring eines TLS werden vor Beginn und unter Therapie mindestens 1-mal täglich Laborparameter bestimmt (Kalium, Kalzium, Phosphat, Kreatinin, Harnsäure). Die laborchemischen und klinischen Kriterien für ein TLS sind klar definiert (siehe Tabelle 4). Entsprechend der Klassifikation nach Cairo und Bishop liegt ein TLS vor, wenn zwei Laborparameter erfüllt sind und/oder ein klinisches Kriterium auftritt (22).
Prophylaxe Zur Prophylaxe eines TLS ist eine gute Hydrierung mit mindestens 2 bis 3 Litern pro 24 Stunden essenziell. Die Hydrierung wird bei stationären Patienten intravenös durchgeführt (die Infusionslösung kann entsprechend der klinischen Situation ausgewählt werden). Der Patient muss hinsichtlich Ausscheidung und Volumenüberladung regelmässig beurteilt werden. Zudem sollte, sofern möglich, bereits einige Tage vor Beginn der Tumortherapie zur Senkung der Harnsäure Allopurinol verabreicht werden. Eine Alternative ist Febuxostat, welches zur Behandlung der chronischen Hyperurikämie eingesetzt wird, und eine gleiche Effizienz zur Prophylaxe eines TLS bei weniger Nebenwirkungen als Allopurinol gezeigt hat (23). Bei Kontraindikation für Allopurinol /Febuxostat oder anhaltender Hyperurikämie kann Rasburicase eingesetzt werden.
Diagnosekriterien
Laborchemisches TLS
Kalium ≥ 6,0 mmol/L oder Anstieg um > 25%
Phosphat ≥ 1,45 mmol/L oder Anstieg um > 25%
Harnsäure ≥ 476 µmol/L oder Anstieg um > 25%
Kalzium ≤ 1,75 mmol/L oder Abfall um > 25%
Klinisches TLS
Kreatininanstieg ≥ 1,5 UL
Herzrhythmusstörungen oder plötzlicher Herztod
Krampfanfall
Tabelle 4: Klassifikation TLS nach Cairo und Bishop (22)
Merkpunkte
n CRS, ICANS und das TLS können als akute Nebenwirkungen der Therapie mit bsAK auftreten und zur lebensbedrohlichen Situation führen.
n Leitsymptome vom CRS sind Fieber, Hypoxie und Hypotonie. n ICANS kann sich mit diffusen neurologischen Symptomen präsentieren: Kopfschmerzen,
Tremor, Desorientierung, Vigilanzstörung. n Grad-Einteilung und Therapieempfehlungen basieren auf den ASTCT-Guidelines. n Intensives klinisches und laborchemisches Monitoring, schnelle Erkennung der Symp-
tome und Einleitung der Therapie sind essenziell. n Steroide und Tocilizumab sollten rechtzeitig eingesetzt werden, und bereits vor Beginn
der Therapie muss deren Verfügbarkeit auf Station sichergestellt sein. n Mitarbeiterschulung und eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit sind essenziell.
Therapie
Die Therapie beinhaltet eine aggressive Hydrierung
und schnelle Senkung der Harnsäure mit Rasburi-
case. Je nach Elektrolytstörung müssen auch diese
korrigiert werden. Bei Hyperkaliämie (> 6 mmol/l)
sollte ein EKG veranlasst werden und eine Rhythmus-
überwachung erfolgen. Zur Senkung des Kaliums
wird Resonium verabreicht (15–20 g peroral alle 6 h).
Bei einem Kalium > 7 mmol/l oder symptomatischen
Patienten erfolgt eine medikamentöse Therapie
mit Kalziumgluconat (100–200 mg/kgKG i.v.), eine
Insulin-Glucose-Infusion oder eine Dialyse. Massnah-
men bei milder Hyperphopsphatämie sind Phosphat-
binder (z. B. Aluminumhydroxid) und bei schwerer
Hyperphosphatämie (> 3 mmol/l) ist eine Dialyse er-
forderlich. Die Hypokalzämie muss nur behandelt
werden, wenn Patienten symptomatisch sind. In dem
Fall kann Kalziumgluconat (50–100 mg/kg i.v.) verab-
reicht werden. Bei schwerer oder sich unter Volumen-
zufuhr nicht bessernder Niereninsuffizienz ist gege-
benenfalls eine Dialyse notwendig.
n
Dr. med. Aleksandra Marek Hämatologie, Luzerner Kantonsspital E-Mail: aleksandra.marek@luks.ch
Interessenlage: Die Autorin gibt keine Interessenkonflikte an.
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