Transkript
UPDATE PRÄZISIONSONKOLOGIE
Molekularpathologischer Game-Changer
DNA-Methylomanalysen in der Präzisionsonkologie
Genomweite DNA-Methylierungsanalysen ermöglichen es, Tumorerkrankungen auf molekularer Ebene mit hoher Präzision zu diagnostizieren. Die Methodik dient darüber hinaus auch der Bestimmung wichtiger prädiktiver und prognostischer Marker. Damit ist sie zu einem essenziellen Bestandteil der interdisziplinären Betreuung onkologischer Patienten avanciert.
JÜRGEN HENCH UND STEPHAN FRANK
SZO 2023; 5: 26–30
Jürgen Hench Stephan Frank
Fotos: zVg
Die Entwicklung undifferenzierter Stammzellen zu differenzierten Zell- beziehungsweise Gewebetypen erfordert die zeitlich limitierte Aktivierung spezifischer Gene. Die hierfür zugrundeliegenden Prozesse werden auf molekularer Ebene unter anderem durch chemische Modifikationen von DNA-Basen wie auch Histonproteinen reguliert. Da sich hierbei der genetische Code nicht ändert, spricht man von epigenetischen Veränderungen. Die aus den chemischen Modifikationen resultierenden epigenetischen Profile sind gewebespezifisch und werden zusätzlich durch tumorassoziierte Mutationen beeinflusst. Epigenetische Signaturen sind oftmals spezifisch für Tumorentitäten. Insbesondere die Analyse genomweiter DNA-Methylierungsprofile ermöglicht nicht nur die entitätsspezifische diagnostische Einordnung innerhalb eines weiten Tumorspektrums (Karzinome, Sarkome, Hirntumoren, Melanome, Meso theliome, hämatolymphoide Neoplasien), sondern kann über die gleichzeitige Bestimmung wichtiger prädiktiver Marker auch massgeblich zur Therapieoptimierung beitragen. Darüber hinaus sind die der methylombasierten Tumorklassifikation zugrundeliegenden «machine learning» (ML)-Algorithmen in ihrer Trennschärfe der konventionellen histologisch-immunhistochemischen Diagnostik deutlich
ABSTRACT
DNA methylome analysis in precision oncology
Genome-wide DNA methylation analyses make it possible to diagnose tumor diseases with high precision at the molecular level. The method is also used to determine important predictive and prognostic markers and has therefore become an essential part of the interdisciplinary care of oncology patients.
Keywords: DNA methylation analyses, precision oncology, predictive markers, prognostic markers
überlegen. Vor diesem Hintergrund hat sich die DNA-Methylomanalyse innerhalb weniger Jahre zu einem unverzichtbaren Bestandteil der personalisierten neuroonkologischen Patientenbetreuung etabliert. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten erweist sich dieses molekulare Verfahren als attraktive Modalität: Auf etliche bisher in der Tumordiagnostik eingesetzte, oftmals zeit- und kostenaufwendige immunhistochemische und molekulare Zusatzanalysen kann zugunsten der Methylom analyse verzichtet werden. Als Nebenprodukt liefern Methylomanalysen genomweite Kopienzahlprofile, die vorrangig zur Detektion tumorspezifisch prognostischer und prädiktiver Biomarker als Alternative zur Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung (FISH) genutzt werden. Hinsichtlich der Bearbeitungsdauer unterbieten ultraschnelle DNA-Methylom analysen mittels Nanopore-Sequenzierverfahren bereits seit mehreren Jahren die Histologie und Immunhistochemie: Die Erstellung präziser molekularer Tumordiagnosen mit dieser Technologie erfordert nur wenige Stunden, was die routinemässige intraoperative Anwendung der Methylomdiagnos tik in greifbare Nähe rückt. Nachfolgend möchten wir neben dem Potenzial und den Limitationen dieser diagnostischen Modalität auch aktuelle Entwicklungen (und damit verbundene Herausforderungen) auf dem Gebiet der Tumor-DNA-Methylomanalysen näher beleuchten.
Die DNA Microarray-basierte Methylomanalyse
Die mittlerweile seit mehr als 10 Jahren verfügbare DNA Microarray-basierte Methylomanalyse (Infinium Methylation Bead Chips, Illumina) erlaubt es in ihrer aktuellen Version, genomweit den Methylierungsstatus von mehr als 930’000 vorzugsweise
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innerhalb von Promotor-Regionen lokalisierter Positionen zu erfassen. Aus den erhobenen Array-Rohdaten können parallel zum Epigenom auch genomische Kopienzahlprofile errechnet und durch den Pathologen diagnostisch interpretiert werden (Abbildung 1). Auf diese Weise können beispielsweise prädiktive Genamplifikationen (z.B. EGFR, CDK4/6 bei Gliomen; ERBB2/HER2 bei Mammakarzinomen) sowie Gen-Deletionen (z.B. CDKN2A, PTEN) detektiert werden. Einschränkend gilt, dass bis auf wenige Ausnahmen (MGMT, MLH1) eine diagnostische Interpretation der Methylierungsdaten auf Einzelgenebene nicht möglich ist. Zwar gilt, dass hypermethylierte Promotorabschnitte zu einer Herunterregulation des betreffenden Gens führen, jedoch kann aus dem DNA-Methylierungsmuster, insbesondere anhand Array-basierter Messung, nicht direkt auf die Expression spezifischer Gene rückgeschlossen werden, da neben der DNAMethylierung zahlreiche weitere epigenetische und funktionelle Mechanismen einschliesslich Mutationen die Proteinexpression beeinflussen. Demgegenüber eignet sich die immer gleiche Struktur der erhobenen Microarray-Datensätze hervorragend für vergleichende Analysen mit Referenzfallkollektiven mittels diverser ML-Verfahren. Die zugrundeliegenden Algorithmen erweisen sich sowohl bei der Zusammenstellung geeigneter Referenzfallkollektive als auch im diagnostischen Kontext als essenziell (1,2). Sollte sich ein Fall nicht klassifizieren lassen, wird der betreffende Datensatz repetitiv mit jeweils tagesaktuellen Referenzfallkollektiven abgeglichen und kann bei Detektion von Ähnlichkeit mit weiteren, oftmals dann sehr
seltenen Fällen, aufgrund seines spezifischen Methylierungsprofils einer neuen Entität zugeordnet werden. In der klinischen Praxis bedeutet dies, dass ein seltener Tumor, der heute noch nicht abschliessend einer definierten Entität zuzuordnen ist, sich zukünftig durchaus molekular exakt diagnostizieren lassen wird. Dieser Ansatz reflektiert die Essenz von ML-Ansätzen gut: Dadurch, dass potenziell aus jedem erfassten Datensatz nützliche Informationen für die Weiterentwicklung der Klassifikationsalgorithmen extrahiert werden können, wird eine neue Dimension der personalisierten Medizin eröffnet. Aus der diagnostischen Perspektive ist ferner folgende Feststellung herauszustreichen: Im Gegensatz zur klassischen morphologischen Diagnostik enthüllen die objektiven Methylierungsmuster sowohl biologisch unterschiedliche molekulare Entitäten, die sich innerhalb einer histologischen Diagnosekategorie verbergen, als auch Szenarien, in denen Tumoren gleicher Liniendifferenzierung trotz variabler histologischer Erscheinungsbilder in eine molekulare Entität zusammenfallen (1). Als Vorläufer in der allgemeinpathologischen Analyse epigenetischer Veränderungen wurde ein auf Methylomdatensätzen des Grossprojekts «The Cancer Genome Atlas» (TCGA) beruhender Algorithmus erstellt, der zwischen häufigen Karzinomen, Melanomen, Mesotheliomen, Sarkomen, Meningeomen, Gliomen sowie einigen wenigen hämatolymphoiden Neoplasien unterscheiden konnte (3). Als Weiterentwicklung für die Zuordnung von Metastasen zu Primarien steht unter anderem die UMAP-Plot-Analyse (www.epidip.org) zur Verfü-
Abbildung 1: Genomweites chromosomales Kopienzahlprofil. Im Rahmen der konventionellen Microarray-Methylomanalyse (400'000900'000 Datenpunkte) werden hochauflösende Kopienzahlprofile errechnet, die auch prädiktive und prognostische Biomarker wie ERBB2 (Her-2)-Amplifikationen oder CDKN2A-Deletionen erkennen lassen. Beim gezeigten Fall handelt es sich um ein Her-2-amplifiziertes Mammakarzinom. Auch lassen sich histologisch undifferenzierte Metastasen beim CUP-Syndrom anhand ihres Epigenoms ihrem Primärtumor zuordnen.
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6,67 % 13,3 %
20 %
60 %
NSCLC_SC (60 %) HNSQ_CA (20 %) ESO_CA_SQ (13 %) BLADURO_CA (7 %)
reference: AllIDATv_202110804_HPAP_Sarc.xlsx (19967 cases), 10348 CpGs
Abbildung 2: Nanopore-Schnelltest. Nearest Neighbor-Diagramm nach UMAP-Dimensionsreduktion: Verteilung der Diagnosen der 15 ähnlichsten Referenz-Methylome bezogen auf einen Referenzdatensatz von 19'967 Gewebeproben. Es wird ein Plattenepithelkarzinom der Lunge favorisiert. Alternativ zur Dimensionsreduktion
gung, mittels derer bei jeder Diagnosestellung auf eine tagesaktuelle Methylomdatenbank zugegriffen wird. Der frei verfügbare UMAP-Algorithmus ermöglicht es Nutzern, unklare Fälle gleichzeitig sowohl mit etablierten diagnostischen Referenzfallkollektiven als auch mit bislang nicht klassifizierbaren Fällen zu vergleichen. Gegenwärtig erfolgt ein Abgleich gegen mehr als 30’000 Methylomdatensätze verschiedenster Tumorentitäten, was sich in der täglichen Praxis insbesondere für die PrimariusZuordnung beim CUP-Syndrom als ausserordentlich nützlich erweist. Nach wie vor am weitesten fortgeschritten ist die Anwendung methylombasierter Diagnoseverfahren auf dem Gebiet der Neuropathologie. So findet an unserem Institut bereits seit 2017 der öffentlich zugängliche «Brain Tumor Methylation Classifier» routinemässig Anwendung (http://www.molecular-
neuropathology.org, MNP) (1). Wir nutzen dieses am Institut für Neuropathologie der Universität Heidelberg bzw. dem dortigen Deutschen Krebsforschungszentrum entwickelte Werkzeug in der Diagnostik sämtlicher Tumoren des Zentralnervensystems einschliesslich der Meningen, der Hypophyse sowie der peripheren Nervenscheiden. Die ausserordentlich hohe diagnostische Trennschärfe dieses «Hirntumor-Classifiers» gewährleistet ein bislang unerreichtes Mass an diagnostischer Präzision. Daneben gelingt mit dem «Meningioma Methylation Classifier» (4) neben der exakten diagnostischen Zuordnung eine prognostisch und prädiktiv relevante Stratifizierung (5), die sich im Vergleich zur morphologisch basierten WHO-Gradierung als aussagekräftiger erwiesen hat (4). Seit 2018 steht auf MNP auch ein «WeichteiltumorClassifier» (6) zur Verfügung, mit dem sich neben Weichteilsarkomen und Knochentumoren auch Tumoren des peripheren Nervensystems wie Schwannome, Neurofibrome, maligne periphere Nervenscheidentumoren reproduzierbar einordnen lassen. Ferner kann auf MNP seit Kurzem auch auf einen Classifier für Hauttumoren zurückgegriffen werden. Daneben wurden auch dezidierte Methylierungs-Classifier für histologisch kaum oder nicht beantwortbare Fragestellungen (z.B. Adenokarzinome der Lunge und des Darms; Plattenepithelkarzinome nach Ursprung) sowie für die molekulare Differenzierung sinonasaler Tumoren erstellt (7–9), die sich in der täglichen Praxis als sehr nützlich erweisen. Im Gegensatz zu Mutationsanalysen liefern Methylomdatensätze integrative Informationen über veränderte Signalwege in neoplastischen sowie reaktiven Zellen und beleuchten damit ebenfalls das während langer Zeit vernachlässigte Tumormikromilieu. Daraus ergeben sich potenziell klinisch
Abb. 3: Kopienzahlanalyse mittels Nanopore-WGS. Chromosomales Kopienzahlprofil des in Abb. 2 gezeigten Plattenepithelkarzinoms der Lunge. Man erkennt multiple chromosomale Zugewinne und Verluste. Derartige Signaturen werden unter anderem zur Feststellung klonaler Verwandtschaft genutzt. Bei multiplen Lungenrundherden kann so auch zwischen der Möglichkeit unabhängiger Primärtumoren oder (klonaler) Metastasierung differenziert werden.
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höchst relevante Anwendungsgebiete jenseits der bereits diskutierten diagnostischen Tumorklassifikation, wie beispielsweise prädiktive Aussagen hinsichtlich des Tumoransprechens auf Immuntherapien (10). Die Präzision der Methylomklassifizierung wird vorrangig durch die Qualität der Referenzdatensätze bestimmt, was die akribische, jedoch derzeit finanziell meist nicht vergütete Kuratierung der Annotationen durch Experten beinhaltet. Zu diesem medizinisch-wirtschaftlichen Spannungsfeld kommt hinzu, dass die Kosten für die Tumormethylomanalyse bereits heute signifikant tiefer sind als diejenigen für Kombinationen aus Immunhistochemie, FISH und diagnostischer Gensequenzierung. Dies kann durchaus auch zu kommerziell motivierten Einschränkungen des öffentlichen Zugangs zu bereits etablierten Classifier-Systemen und insbesondere zu den ihnen zugrundeliegenden Referenzdatensätzen führen. Auch die Monopolstellung des Array-Herstellers (Illumina) ist nicht zu unterschätzen, wenngleich sie wohl initial der Schlüssel zur Etablierung der Methylomdiagnostik war.
MolecularNeuropathology.org
Auf der Neuropathologie-Plattform der Universität Heidelberg finden sich öffentlich zugängliche Classifier für die Klassifizierung von Tumoren des zentralen Nervensystems basierend auf der DNA-Methylierung.
Epigenomic Digital Pathology
Das Webportal für epigenomische Diagnostik innerhalb der Abteilung für Neuropathologie, Institut für Medizinische Genetik und Pathologie, Universitätsspital Basel, bietet Unterstützung bei der Zuordnung von Metastasen zu Primarien. Mittels UMAP-P lotAnalyse kann bei jeder Diagnosestellung auf eine tagesaktuelle Methylomdatenbank zugegriffen werden.
Ultraschnelle DNA-Methylomanalyse mittels Nanopore-Sequenzierung
Alternativ zur bislang diskutierten Microarraybasierten Methylomanalyse hat in den letzten Jahren die Methylomanalyse mittels NanoporeSequenzierung (Abbildung 2, 3; Oxford Nanopore Technologies) Einzug in das Repertoire molekularpathologischer Methoden gefunden (2,11–15). Hierbei werden DNA-Einzelstränge in einem elektrischen Feld durch biosynthetische Nanoporen geleitet. Das Prinzip ähnelt damit dem in der Hämatologie gebräuchlichen Coulter-Counter (Blutzellen-Zähler). Aus den beim Porendurchtritt der DNANukleotide veränderten elektrischen Strömen kann neben der DNA-Sequenz auch auf chemische Modifikationen wie die Methylierung von Cytosinresten geschlossen werden. Für die heute üblichen Nanoporensequenzierverfahren stehen dabei mehrere Tausend Nanoporen parallel zur Verfügung; jede dieser Poren wird dabei von cirka 400 Basen pro Sekunde passiert, so dass die Echtzeitanalyse der erhobenen Methylomdaten eine beträchtliche bioinformatische Herausforderung darstellt. Dieser wird unter anderem durch den Einsatz von field programmable gate arrays (FPGA) sowie nachgeschaltet hochparalleler, zugleich kostengünstiger Rechner, sog. general purpose graphics processing units (gpGPU), begegnet (Abbildung 4). Gegenüber den Microarray-basierten Methylom analysen bietet die Nanopore-Sequenzierung eine Reihe von Vorteilen: Während das beschriebene DNA Microarray-basierte Verfahren je nach Probendurchsatz 1 bis 3 Wochen in Anspruch nimmt, ist
Abbildung 4: Ultraschnelle intraoperative Methylomdiagnostik. Der «molekulare Schnellschnitt» erfordert eine leistungsfähige Rechnerinfrastruktur, um die erforderlichen «machine learning»-Modelle in Echtzeit nutzen zu können. Dies wird unter anderem durch parallel geschaltete GPU-Recheneinheiten ermöglicht.
mittels Nanopore-Sequenziertechnologie innerhalb weniger Stunden eine diagnostische Tumorklassifikation erreichbar, deren Präzision durchaus mit der von Microarray-basierten Methylomanalysen vergleichbar ist (2,12,13,15). Lediglich die Auflösung des ebenfalls resultierenden genomweiten Kopienzahlprofils ist deutlich geringer als beim Microarray (vgl. Abbildung 1 und 3). Eine weitere wichtige Einschränkung ist, dass nur natives beziehungsweise zytologisch konserviertes Gewebe verwendet werden kann. Unser Basler Protokoll erlaubt zum Beispiel derzeit die routinemässige Diagnosestellung innerhalb von 2 Stunden nach Gewebeentnahme. Für externe Einrichtungen besteht die Möglichkeit, Nativgewebe – typischerweise Präparate aus intraoperativen Schnellschnitt-Untersuchungen – in zytologischen Asservierungsmedien (z.B. Surepath®, Thinprep®) bei Raumtemperatur einzusenden. So ist eine Diagnosestellung am gleichen Tag auch über grössere Entfernungen hin möglich. Ein Protokoll für die Verwendung von formalinfixiertem, in Paraffin eingebettetem Gewebe, was auch die Analyse archivierter Tumorproben erlauben würde, existiert bisher
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Merkpunkte
■ Die DNA-Methylomanalyse ermöglicht eine objektive, technisch robuste, gut reproduzierbare und schnelle Tumordiagnostik. Zugrundeliegende «machine learning»- Algorithmen machen eine kontinuierlich wachsende Präzision in der Diagnostik zahlreicher Tumorerkrankungen (z.B. Hirntumoren, Karzinome, Nervenscheiden- und Weichteiltumoren [Sarkome]), Melanome, Mesotheliome und hämatolymphoiden Neoplasien) möglich.
■ Im Rahmen von CUP-Syndromen gelingt vielfach die Primarius-Zuordnung. ■ Die Methode eignet sich gut zur Bestimmung wichtiger prognostischer und prädikti-
ver Marker (HER2, MLH1, EGFR, MGMT, LOH 1p/19q). ■ Die Array-basierte Technik funktioniert sowohl mit Proben in Paraffin als auch Nativ-
gewebe. ■ Ultraschnelle Nanopore-Sequenzierung erfordert Nativgewebe, welches in Zytologie-
medien wie SurePath® oder Thinprep® asserviert und bei Raumtemperatur versandt werden kann. ■ Die Nanopore-Sequenzierung kann bei bestimmten malignen Tumoren zur Liquor diagnostik anhand zellfreier DNA eingesetzt werden. ■ Die Kosten für eine Methylomdiagnostik sind vergleichsweise niedrig; sie sind niedriger als jene für «next generation sequencing»-Analysen.
nicht. Formalin führt zur DNA-Fragmentierung auf wenige Hundert Basen pro Molekül, während die Nanopore-Sequenzierung auf DNA-Moleküle von 1’000 bis 15’000 Basen Länge angewiesen ist. Eine Ausnahme bildet gegebenenfalls zellfreie DNA aus Liquorproben, die nach einem alternativen Protokoll aufgearbeitet werden können (16), was eine minimalinvasive Diagnostik aggressiver Tumoren mit Kontakt zum Hirnwasser (z.B. Medulloblastome, Meningeosis carcinomatosa) bereits vor einer Operation oder andersartigen Therapie erlaubt. Die Kosten für die Anschaffung und für Verbrauchsmaterialien dieser ursprünglich auch für die Feldforschung konzipierten Nanopore-Technologie liegen deutlich unter dem finanziellen Aufwand für Immunhistochemie, FISH und konventionelle Parallelsequenzierung, was den Einsatz auch in entwicklungsschwächeren Regionen als realistisches Szenario erscheinen lässt.
Herausforderungen
Trotz dieser beeindruckenden Entwicklungen der letzten Jahre, die eine zuvor unerreichte diagnostischen Granularität ermöglicht haben, steht die Me thylomdiagnostik vor beträchtlichen Herausforderungen. In Zusammenhang mit den bereits aus technischer Sicht erwähnten Kommerzialierungsbeziehungsweise Monopolisierungsrisiken ergeben sich grosse Herausforderungen hinsichtlich des internationalen Datenaustauschs. Diesbezüglich sind derzeit erste vielversprechende Ansätze sowohl hinsichtlich einer Harmonisierung der erhobenen Daten wie auch in der Entwicklung plattformunabhängiger Auswertungsverfahren erkennbar. Es bleibt zu hoffen, dass diese Bestrebungen ein effektives Gegengewicht erlangen. Ferner stellen die überaus häufigen Änderungen an den kommerziel-
len Datenerhebungsverfahren (Microarrays, Nanopore-Sequenzierer, methylierungsspezifische Panelsequenzierung) eine ressourcenintensive Herausforderung für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Methylomdiagnostik dar. Ungeachtet dieser Einschränkungen nimmt die Methylomanalyse dank ihrer Objektivität, Reproduzierbarkeit, Schnelligkeit und ausserordentlichen diagnostischen Präzision bereits heute einen festen Stellenwert in der interdisziplinären präzisionsonkologischen Betreuung von Tumorpatienten ein.
Dr. med. Jürgen Hench Prof. Dr. med. Stephan Frank
Institut für Medizinische Genetik und Pathologie Universitätsspital Basel Fachbereich Neuropathologie Schönbeinstrasse 40 CH-4031 Basel www.pathologie.unispital-basel.ch E-Mail: Juergen.Hench@usb.ch
Stephan.Frank@usb.ch
In dieser Übersichtsarbeit wurde punktuell und in aktualisierter Form auf eine von uns im Jahre 2020 im Swiss Medical Forum veröffentlichte Arbeit (17) zurückgegriffen. Die Autoren deklarieren keine Interessenkonflikte.
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