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IM FOKUS: GASTROENTEROLOGISCHE TUMOREN
UEG Week 2023, Kopenhagen
Hepatozelluläres Karzinom
Die Immuntherapie setzt sich durch
Die therapeutischen Optionen beim fortgeschrittenen Leberkarzinom waren bis vor kurzem sehr begrenzt. Immuntherapien, die allerdings in kombinierten Regimen eingesetzt werden müssen, haben die therapeutische Landschaft in dieser Indikation jedoch drastisch verändert und können das Überleben der Patienten deutlich verlängern. Mittlerweile werden diese Therapien auch im adjuvanten Setting untersucht. Erste Erfolge wurden bereits präsentiert.
Die Grundlagen der Behandlung des hepatozellulären Karzinoms (HCC) wurden 2018 in der Barcelona Clinic Liver Cancer prognosis and treatment strategy (BCLC) festgelegt, die seitdem in zahlreiche Leitlinien eingeflossen ist und zuletzt 2022 ein Update erfahren hat (1). Die BCLC differenziert zwischen fünf Tumorstadien (sehr früh, früh, intermediär, fortgeschritten und terminal), basierend auf Tumorlast, Leberfunktion und Gesamtzustand des Patienten. Das fortgeschrittene Stadium ist charakterisiert durch eine Invasion der Vena Porta und/oder extrahepatische Metastasen, wie PD Dr. Matthias Pinter von der Abteilung für Gastroenterologie & Hepatologie an der 3. Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin ausführt. Die betroffenen Patienten sind grundsätzlich Kandidaten für systemische Therapien, wobei Pinter betont, dass in manchen Fällen auch in früheren Tumorstadien eine systemische Therapie indiziert sein kann. Dies ist beispielsweise bei diffus infiltrierenden Karzinomen der Fall oder wenn ein Tumor auf eine lokoregionale Therapie nicht mehr anspricht. Die Möglichkeiten in der systemischen Therapie hätten sich in den vergangenen Jahren radikal verändert, so Pinter. Dies bezieht sich insbesondere auf die Zulassung von Immuncheckpoint-Inhibitoren in dieser Indikation. Pinter betont, dass Immuntherapien im Vergleich zu den gezielten Therapien mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) nicht nur einen gänzlich anderen Wirkmechanismus, sondern auch ein anderes Muster des Ansprechens aufweisen. Mit den TKI wird initial ein gutes Ansprechen erreicht, das jedoch mit der Zeit abnimmt und letztlich nur zu wenigen Langzeitrespondern führt. Im Gegensatz dazu wirken die Immuncheckpoint-
Inhibitoren initial praktisch nicht, mit der Zeit kristallisiert sich jedoch eine Gruppe an Respondern heraus, die in der Folge langfristig stabil bleiben. Es seien die Patienten «mit anhaltendem, tiefem Ansprechen», die signifikant länger leben, so Pinter. Nebst den Checkpoint-Inhibitoren werden auch andere Immuntherapien wie Antikörpertherapien, CAR-T oder Zytokin-induzierte T-Zellen beim HCC untersucht, sind jedoch noch nicht zugelassen.
Die Immunantwort gegen den Tumor wiederherstellen
Die mit den Immuntherapien blockierten Checkpoints gehören zu inhibitorischen Signalwegen, die die Stärke und Intensität einer Immunantwort beeinflussen, die immunologische Eigentoleranz fördern und der Vermeidung von Autoimmunreaktionen dienen, indem sie ein Herab regulieren der T-Zell-Aktivierung oder der T-Zell-Effektorfunktion bewirken. Tumoren nützen diese Signalwege, um sich der Immunantwort zu entziehen. Die Inhibition von Immuncheckpoints soll zu einer Normalisierung der Immunantwort gegen Tumorzellen beitragen. Aktuell zugelassene Therapien richten sich entweder gegen das Transmembranprotein «Programmed cell death protein 1», kurz PD-1 auf der T-Zelle (bzw. dessen Liganden auf der Tumorzelle) oder gegen das zytotoxische T-Lymphozyten-Antigen 4 (CTLA-4). Die Hemmung des Rezeptors PD-1 führt zu einer erhöhten Aktivität des Immunsystems gegen körpereigenes Gewebe und damit auch gegen das Tumorgewebe. Ebenso erhöht die Blockade des Oberflächenproteins CTLA-4 auf den T-Helferzellen die Aktivität von T-Lymphozyten.
Die ersten ermutigenden Ergebnisse mit gegen PD-1 gerichteten Monotherapien wurden in den Studien CheckMate 459 mit Nivolumab in der Firstline (3) sowie in KEYNOTE 240 mit Pembrolizumab in der Second-Line (4) erreicht. Beide Studien zeigten zwar Trends in Richtung Wirksamkeit, verfehlten jedoch ihre primären Endpunkte, da die beobachteten Effekte in unselektierten Populationen relativ klein waren. Pinter: «Es wurde schnell klar, dass beim hepatozellulären Karzinom Kombinationstherapien benötigt werden.» Man untersuchte in der Folge PD1/PD-L1-In hibitoren in Kombination mit anderen Immuntherapien, namentlich CTLA-4-Inhibitoren, oder mit Inhibitoren des Vascular-Endothelial Growth Factors (VEGF) bzw. Multi-Tyrosinkinase-Inhibitoren. Die erste Phase-III-Studie, in der ein positives Ergebnis erreicht wurde, war die Studie IMbrave 150. Verglichen wurde die Kombination des PD-L1-Inhibitors Atezolizumab in Kombination mit dem VEGFInhibitor Bevacizumab gegenüber Sorafenib. Diese Studie zeigte bereits in der Gesamtpopulation ein signifikant um rund ein Drittel verlängertes Gesamtüberleben (5, 6). Pinter betont, dass Responder nach RECIST-Kriterien in dieser Studienpopulation ein ausgezeichnetes Gesamtüberleben von mehr als 80 % nach zwei Jahren zeigten. Auch eine Krankheitsstabilisierung führte bereits zu einem Überlebensvorteil. Auf Basis dieser Daten wurde die Kombination Atezolizumab mit Bevacizumab zur First-Line-Option beim fortgeschrittenen hepatozellulären Karzinom. Ebenfalls als wirksam erwies sich in der HIMALAYA-Studie die Kombination des gegen CTLA-4 gerichteten Antikörpers Tremelimumab mit dem PD-L1-Blocker Durvalumab. Im Vergleich sowohl zu einer Monotherapie mit Durvalumab als auch zu Sorafenib verbesserte die Kombination das Gesamtüberleben signifikant (7). Auch in dieser Population war das Ansprechen mit gutem Langzeitüberleben assoziiert. Nach vier Jahren waren noch mehr als ein Drittel der Responder am Leben, so Pinter,
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IM FOKUS: GASTROENTEROLOGISCHE TUMOREN
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was angesichts der in dieser Population weit fortgeschrittenen Tumoren ein bemerkenswerter Erfolg sei.
Dreifachkombinationen beim fortgeschrittenen Karzinom
Im Gegensatz dazu waren Kombinationen von Immuntherapien mit TKI bislang wenig erfolgreich. In der Studie COSMIC 312 konnte für die Kombination von Atezolizumab mit Cabozantinib im Vergleich zu Sorafenib keine Überlegenheit gezeigt werden (8). Das Gleiche gilt für die Kombination von Pembrolizumab mit Lenvatinib im Vergleich zu einer Monotherapie mit Lenvatinib, wobei in beiden Armen ein sehr gutes Überleben erreicht wurde (9). Lediglich Camrelizumab plus Rivoceranib zeigte sich im Vergleich zu Sorafenib als signifikant überlegen (10). Pinter weist allerdings darauf hin, dass in diese Studie nur asiatische Patienten eingeschlossen waren und es unklar ist, wie weit die Ergebnisse in anderen Populationen reproduziert werden können. Unterdessen geht die Entwicklung bereits in Richtung von Dreifachkombinationen, in denen auch Antikörper mit neuen Wirkmechanismen zum Einsatz kommen. So zum Beispiel das gegen den inhibitorischen Immuncheckpoint TIGIT auf aktivierten T- und NK-Zellen gerichtete Tiragolumab. In einer Kohorte der MORPHEUS-Liver-Studie wurde die Kombination aus Tiragolumab, Atezolizumab und Bevacizumab als First-Line-Therapie beim fortgeschrittenen HCC mit der Zweifachkombination Atezolizumab und Bevacizumab verglichen. Primärer Endpunkt der Studie war die Gesamtansprechrate (ORR) nach RECIST-Kriterien. Sekundäre Endpunkte umfassten progressionsfreies Überleben (PFS) und Sicherheit. Mit einer bestätigten ORR von 42,5 % im Vergleich zu 11,1 % erwies sich die Dreifachkombination als signifikant wirksamer. Dabei handelt es sich zwar um Phase-Ib/II-Daten. Diese werden jedoch als erster Hinweis auf Wirksamkeit von Tiragolumab beim nicht resezierbaren HCC und damit auch auf eine Bedeutung
von TIGIT als sinnvolles Ziel in dieser Indikation gewertet. Hinsichtlich der therapiebedingten Nebenwirkungen von Grad 3/4 sowie der unerwünschten Ereignisse, die zum Abbruch der Behandlung führten, waren die beiden Studienarme vergleichbar (11). Die Dreifachkombination soll nun in einer Phase-III-Studie getestet werden.
Erste erfolgversprechende Daten zum adjuvanten Einsatz
Wie in anderen Indikationen wird auch
beim hepatozellulären Karzinom ver-
sucht, Immuntherapien bereits früher im
Krankheitsverlauf einzusetzen. Dies trifft
sowohl auf das frühe als auch auf das in-
termediäre Stadium zu. Im Frühstadium
nach erfolgreicher Resektion, aber mit
ungünstigen Risikofaktoren werden Nivo-
lumab, Pembrolizumab sowie die Kombi-
nationen Durvalumab und Bevacizumab
bzw. Atezolizumab und Bevacizumab mit
Plazebo verglichen. Bei Patienten, die
Kandidaten für eine transarterielle Che-
moembolisation (TACE) sind, werden ver-
schiedene kombinierte Immuntherapien
zusätzlich zu TACE mit TACE alleine ver-
glichen (12). Daten sind allerdings noch
Mangelware.
Eine Interimsanalyse der Studie IM-
brave050, die den adjuvanten Einsatz der
Kombination Atezolizumab-Bevacizu-
mab untersucht, wurde vor kurzem am
Meeting der American Association for
Cancer Research (AACR) präsentiert. Sie
zeigt mit der adjuvanten Immuntherapie
eine Verbesserung des rezidivfreien
Überlebens mit einer signifikanten Risiko-
reduktion um 28 % nach 17,4 Monaten,
womit der primäre Endpunkt der Studie
erreicht war (13). Das Sicherheitsprofil war
akzeptabel, so Pinter; die Therapie ver-
schlechterte die Lebensqualität nicht.
Damit repräsentiere diese Studie «einen
weiteren Meilenstein in der systemischen
Behandlung des hepatozellulären Karzi-
noms».
n
Reno Barth
Quelle: UEGW 2023, Session «What's new in 2023? Pancreatic and biliary cancer», am 15. Oktober in Kopenhagen.
Referenzen: 1. Reig M et al.: BCLC strategy for prognosis prediction
and treatment recommendation: The 2022 update. J Hepatol. 2022;76(3):681-693. 2. Ribas A et al.: New challenges in endpoints for drug development in advanced melanoma. Clin Cancer Res. 2012;18(2):336-41. 3. Yau T et al.: Nivolumab versus sorafenib in advanced hepatocellular carcinoma (CheckMate 459): a randomised, multicentre, open-label, phase 3 trial. Lancet Oncol. 2022;23(1):77-90. 4. Finn RS et al.: Pembrolizumab As Second-Line Therapy in Patients With Advanced Hepatocellular Carcinoma in KEYNOTE-240: A Randomized, DoubleBlind, Phase III Trial. J Clin Oncol. 2020;38(3):193-202. 5. Cheng AL et al.: Updated efficacy and safety data from IMbrave150: Atezolizumab plus bevacizumab vs. sorafenib for unresectable hepatocellular carcinoma. J Hepatol. 2022;76(4):862-873. 6. Finn RS et al.: Atezolizumab plus Bevacizumab in Unresectable Hepatocellular Carcinoma. N Engl J Med. 2020;382(20):1894-1905. 7. de Castria TB et al.: Tremelimumab and durvalumab in the treatment of unresectable, advanced hepatocellular carcinoma. Future Oncol. 2022;18(33):37693782. 8. Kelley RK et al.: Cabozantinib plus Atezolizumab versus Sorafenib for advanced hepatocellular carcinoma (COSMIC-312): a multicentre, open-label, randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol. 2022;23(8):995-1008. 9. Finn RS et al.: LBA34 Primary results from the phase III LEAP-002 study: Lenvatinib plus pembrolizumab versus lenvatinib as first-line (1L) therapy for advanced hepatocellular carcinoma (aHCC). Ann Oncol. 2022;33(suppl 7: abstr. LBA34). 10. Qin S et al.: LBA35 Camrelizumab (C) plus rivoceranib (R) vs. sorafenib (S) as first-line therapy for unresectable hepatocellular carcinoma (uHCC): A randomized, phase III trial. Ann Oncol 2022;33 (suppl 7: abstr. LBA35). 11. Finn RS et al.: Results from the MORPHEUS-liver study: Phase Ib/II randomized evaluation of tiragolumab (tira) in combination with atezolizumab (atezo) and bevacizumab (bev) in patients with unresectable, locally advanced or metastatic hepatocellular carcinoma (uHCC). J Clin Oncol. 2023;41(suppl 16; abstr. 4010). 12. Rimassa L et al.: Combination immunotherapy for hepatocellular carcinoma. J Hepatol. 2023;79(2):506515. 13. Chow P et al.: A Study of Atezolizumab Plus Bevacizumab Versus Active Surveillance as Adjuvant Therapy in Patients With Hepatocellular Carcinoma at High Risk of Recurrence After Surgical Resection or Ablation (IMbrave050). AACR 2023, Abstract CT003.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2023
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