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IM FOKUS: GASTROENTEROLOGISCHE TUMOREN
Jahreskongress der European Society for Medical Oncology (ESMO) 2023, Madrid
Gastrointestinale Tumoren
Praxisrelevante Ergebnisse zum Kolorektal- und Magenkarzinom
Der diesjährige Jahreskongress der European Society for Medical Oncology (ESMO) wartete mit einem hochkarätigen Programm auf. In drei Präsidentensit zungen wurden 15 Studien mit praxisverändernden Ergebnissen präsentiert, darunter auch eine Studie aus dem Bereich der gastrointestinalen Tumoren. In zwei weiteren Sitzungen wurden wichtige Studien für gastrointestinale Entitäten diskutiert.
Kolorektalkarzinom
Sotorasib plus Panitumumab bei KRAS G12C-mutierter Erkrankung Etwa 3 % der Patienten mit Kolorektalkarzinom sind Träger der onkogenen KRAS G12C-Mutation. Bei diesen wurden mit einer Kombination aus einer Anti-EGFRTherapie und einem KRAS G12C-Inhibitor in der Phase-Ib-Studie CodeBreaK 101 vielversprechende Ansprechraten von 30 % erreicht. Panitumumab plus Sotorasib wurden nun in der dreiarmigen, randomisierten, offenen Phase-III-Studie CodeBreak 300 gegen Trifluridin/Tipiracil oder Regorafenib (nach Wahl der Prüfärzte) untersucht (1). In den beiden experimentellen Armen wurde Sotorasib in einer täglichen Dosierung von 960 mg und 240 mg plus jeweils 6 mg/kg Panitumumab, q2w, gegeben. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS). 160 Patienten wurden in die CodeBreak 300-Studie eingeschlossen. Entsprechend der Einschlusskriterien waren sie mit ≥ 1 vorangegangenen Therapielinien behandelt worden und waren unter oder nach Fluoropyrimidin, Irinotecan und Oxaliplatin progredient. 83–87 % der Patienten in den drei Therapiearmen hatten bereits ≥ 2 Therapielinien erhalten, mehrheitlich eine Chemotherapie und eine antiangiogene Therapie. In den experimentellen Armen mit Sotorasib wurde gegenüber der Chemotherapie nach Wahl des Behandlers ein signifikant verlängertes PFS gesehen, wobei die Kombination mit höherer SotorasibDosierung das beste Ergebnis erzielte. Im Median betrug das PFS 5,6 Monate (960 mg), 3,9 Monate (240 mg) und 2,2 Monate (Kontrolle). Das Risiko für einen Progress wurde mit der 960 mg-Dosierung um 51 %
(Hazard Ratio [HR]: 0,49; 95 %-Konfidenzintervall [KI]: 0,30–0,80; p = 0,006) und mit der 240 mg-Dosierung um 42 % (HR: 0,58; 95 %-KI: 0,36–0,93; p = 0,030) gegenüber dem Kontrollarm reduziert. Ein Ansprechen erreichten 26 versus 6 versus 0 % der Patienten, eine Krankheitskontrolle 72 versus 68 versus 46 %. Eine Tumorschrumpfung jedwelchen Ausmasses wurde bei 81 versus 57 versus 20 % der Patienten beobachtet. Die Ergebnisse zum Gesamtüberleben (OS) waren mit 55 Ereignissen (35 %) noch nicht reif. In beiden Dosierungen wurde Sotorasib zusammen mit Panitumumab gut vertragen.EsgabkeineneuenSicherheitssignale und keine fatalen Nebenwirkungen.
ASS nach adjuvanter Therapie bringt keinen Überlebensvorteil Mit Acetylsalicylsäure (ASS) kann möglicherweise das Auftreten von Polypen und Kolorektalkarzinomen verringert werden, so das Ergebnis verschiedener Studien. In der Phase-III-Studie ASCOLT wurde randomisiert und plazebokontrolliert untersucht, ob die adjuvante ASS-Gabe das krankheitsfreie Überleben (DFS) verlängern kann (2). 1587 Patienten erhielten nach Operation eine adjuvante Standardtherapie plus täglich 200 mg ASS oder Plazebo über die Dauer von 3 Jahren und wurden während 5 oder mehr Jahre verfolgt. 28 % der Studienteilnehmer waren kaukasischen und 72 % asiatischen Ursprungs. Als adjuvante Therapie erhielten 41–44 % der Betroffenen CAPOX, 32–36 % FOLFOX und 20–21 % alleiniges 5-FU oder Capecitabin. Hinsichtlich des primären Endpunkts konnte kein Unterschied zwischen den beiden Studienarmen festgestellt werden. Mit einem krankheitsfreien Überle-
ben bei 20,6 % der Patienten (ASS) versus 22,8 % (Plazebo) betrug die HR 0,91 (95 %-KI: 0,73–1,13; p = 0,38). Bezogen auf das OS trat ein Ereignis bei 7,3 versus 9,5 % der Patienten ein (HR: 0,75; 95 %-KI: 0,53–1,07; p = 0,11). ASS wurde gut vertragen. Es gab keine Unterschiede zwischen dem experimentellen und dem Kontrollarm bezüglich kardiovaskulärer Nebenwirkungen und Ereignissen. Dies könnte allerdings auch ein Hinweis darauf sein, dass Patienten im Kontrollarm ebenfalls zu einem gewissen Anteil ASS einnahmen.
Personalisierte adjuvante Therapie mittels «liquid biopsy» Der Nutzen der adjuvanten Standardchemotherapie bei Hochrisiko-Patienten mit einem Kolonkarzinom im Stadium 2 und 3 ist begrenzt und prognostische Marker zur Identifizierung eines höheren Rückfallrisikos fehlen. Daher werden viele Patienten behandelt, die mit der Resektion bereits geheilt wären. Mithilfe der liquid biopsy könnten Patienten entsprechend des Vorhandenseins von zellfreier TumorDNA (ctDNA) personalisiert adjuvant behandelt werden. In der Studie PEGASUS wurde geprüft, ob es machbar ist, die adjuvante Therapie mithilfe der liquid biopsy zu optimieren (3). Es wurde zudem versucht, das Risiko für falsch negative Rückschlüsse zu minimieren, indem die liquid biopsy zu zwei Zeitpunkten eingesetzt und die Therapie eskaliert wurde, wenn eine positive Probe identifiziert worden war. In die Per-Protocol-Population konnten 135 Patienten rekrutiert werden, von denen sich 14 im Stadium II mit hohem Rezidivrisiko, 72 im Stadium III mit niedrigem und 49 im Stadium III mit hohem Risiko befanden. 26 % der Patienten waren nach der Operation ctDNA-positiv; bei den Stadium III-Patienten mit niedrigem Risiko waren dies 21 %, bei jenen mit hohem Risiko 32 % (Stadium II: 57 %, Stadium III: 24 %). In den verschiedenen klinischen Stadien zeigte sich kein Unterschied für die Zeit bis zum Krankheitsrückfall. Ein
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signifikanter Unterschied wurde hingegen zwischen den ctDNA-positiven und den ctDNA-negativen Fälle beobachtet (HR: 3,91; 95 %-KI: 1,46–10,47; p = 0,0006). Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 21,2 Monaten wurde innerhalb der ctDNA-negativen Kohorte über 10 Rezidive berichtet, die Falsch-Negativrate lag bei 10 %. Innerhalb der ctDNApositiven Kohorte lag die Rezidivrate mit einer Nachbeobachtungszeit von 24,2 Monaten und 12 Fällen bei 34 %.
Magenkarzinom
Perioperative Therapie mit Durvalumab plus FLOT Das FLOT-Regime ist eine perioperative Standardtherapie für die Behandlung des resezierbaren Karzinoms von Magen und gastroösophagealem Übergang. In der ersten Therapielinie wird eine PD-1-gerichtete Immuntherapie in Kombination mit einer Chemotherapie als Standard gegeben. In der randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie MATTERHORN wurde nun plazebokontrolliert untersucht, ob die perioperative Kombination von Durvalumab, einem PD-L1-Antikörper, mit FLOT die Prognose der Patienten verbessern kann (4). 948 Patienten erhielten 2 Zyklen Durvalumab (q4w) oder Plazebo sowie 4 Zyklen FLOT (q2w) vor sowie nach der Resektion. Danach wurden weitere 10 Zyklen Durvalumab (q4w) oder Plazebo appliziert. Primärer Endpunkt war das ereignisfreie Überleben (EFS). Die Patienten waren im Median 62–63 Jahre alt und wiesen in zirka zwei Drittel der Fälle ein Magenkarzinom auf. Am häufigsten waren die Tumoren im Stadium T3. Die PD-L1-Expression lag bei 90 % der Patienten ≥ 1 % und bei 50–52 % bei ≥ 5 %. Die ersten beim ESMO präsentierten Ergebnisse zeigten unter Durvalumab plus FLOT bei 19 % der Patienten ein komplettes pathologisches Ansprechen; unter Plazebo plus FLOT waren es 7 %. Ein komplettes oder nahezu komplettes Ansprechen wurde bei 27 versus 14 % der Patienten beobachtet. 87 versus 84 % der Patienten erhielten eine Operation, bei der jeweils für 86 % der Patienten eine R0Resektion erreicht wurde. Patienten, die einer Operation unterzogen wurden, waren in 23 versus 11 % T0 und in 52 versus 37 % N0. 63 % der Patienten beider Studienarme wurden mit 4 postoperativen
Auf einen Blick
■ In Kombination mit Panitumumab ist Sotorasib 960 mg ein potenzieller neuer Standard für Patienten mit einem chemorefraktärem, KRAS G12C-mutiertem, metastasierten Kolorektalkarzinom.
■ Die adjuvante Gabe von ASS brachte Patienten mit Kolorektalkarzinom in der plazebokontrollierten Phase-III-Studie ASCOLT keinen Vorteil bezüglich krankheitsfreiem und Gesamtüberleben.
■ In der PEGASUS-Studie wurde ein hoher prognostischer Wert des ctDNA-Status mittels «liquid biopsy» bestätigt. Für definitive Rückschlüsse auf die personalisierte adjuvante Therapie wird eine längere Nachbeobachtungszeit benötigt.
■ Die erste geplante Zwischenanalyse der MATTERHORN-Studie, die die zusätzliche Gabe von Durvalumab zu perioperativem FLOT untersuchte, zeigte eine signifikante und klinisch relevante Erhöhung der Rate an pathologisch komplettem Ansprechen mit einer absoluten Differenz von 12%.
■ Die Ergebnisse der KEYNOTE-811-Studie führten in Europa zur Zulassung von Pembrolizumab plus Trastuzumab plus Chemotherapie in der ersten Therapielinie beim fortgeschrittenen oder metastasierten gastroösophagealen Adenokarzinom mit Überexpression von HER2 und PD-L1. Die finalen PFS-Daten bestätigen den Vorteil der additiven Gabe von Pembrolizumab.
FLOT-Zyklen behandelt. Das Nebenwirkungsprofil war in beiden Armen ähnlich und erwartet. Es wurden keine neuen Sicherheitssignale für Durvalumab oder FLOT identifiziert.
Pembrolizumab und Trastuzumab als Erstlinientherapie bei fortgeschrittener Erkrankung Für die fortgeschrittene Situation wurden beim ESMO unter anderem die Ergebnisse zum Überleben aus der randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Phase-III-Studie KEYNOTE-811 präsentiert (5). Therapienaive, HER2-positive Patienten mit fortgeschrittenem, nicht resezierbarem Adenokarzinom des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs erhielten Pembrolizumab versus Plazebo plus – in beiden Studienarmen – Trastuzumab und Chemotherapie. Eingeschlossen waren 698 Patienten im Alter von 62–63 Jahren mit einem Magenkarzinom in 65–69 % der Fälle. Als Chemotherapieregime kam bei 85–86 % der Patienten CAPOX zum Einsatz. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 28,4 Monaten betrug das mediane PFS 10,0 Monate im Pembrolizumab arm versus 8,1 Monate im Plazeboarm (HR: 0,72; 95 %-KI: 0,60–0,87; p = 0,0002). Bei Patientinnen mit einem PD-L1 CPS ≥ 1 wurden 10,8 versus 7,2 Monate medianes PFS beobachtet (HR: 0,70; 95 %-KI: 0,58–0,85). Die 12-Monats-PFS-Rate betrug 44 versus 34 % für die ITT-Population und 46 versus 33 % für die PD-L1-positive Population. Die beim ESMO präsentierten finalen PFS-Daten mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 38,5 Monaten bestätigen das positive Studiener-
gebnis (HR: 0,73 bzw. 0,71). Nach 36 Monaten lebten noch 17 versus 11 bzw. 18 versus 10 % der Patienten ohne Progress. Der PFS-Vorteil unter der Pembrolizumabhaltigen Therapie übertrug sich auf die OS-Daten, obwohl hier auch für die ITTPopulation die statistische Signifikanz bisher nicht erreicht wurde (medianes OS: 20,0 vs. 16,8 Monate; HR: 0,84; 95 %-KI: 0,70–1,01). Ein Ansprechen erreichten 73 versus 60 % der Patienten, mit Komplettremissionsraten von 17 versus 11 %. Für Patienten mit positivem PD-L1-Status wurde ein signifikanter OS-Vorteil berichtet (medianes OS: 20,0 vs. 15,7 Monate; HR: 0,81; 95 %-KI: 0,67–0,98). Mit der längeren Nachbeobachtungszeit wurden keine neuen Sicherheitssignale beobachtet. n
Ine Schmale
Referenzen: 1. Pietrantonio F et al.: Sotorasib plus panitumumab
versus standard-of-care for chemorefractory KRAS G12C-mutated metastatic colorectal cancer: CodeBreak 300 phase III study. ESMO 2023, Abstr. #LBA10. 2. Chia J et al.: Aspirin after standard adjuvant therapy for colorectal cancer (ASCOLT) – An international, phase III, randomised, placebo-controlled trial. ESMO 2023, Abstr. #LBA29. 3. Lonardi S et al.: The PEGASUS trial: Post-surgical liquid biopsy-guided treatment of stage III and highrisk stage II colon cancer patients. ESMO 2023, Abstr. #LBA28. 4. Al-Batran SE et al.: Pathological complete response to durvalumab plus 5-fluorouracil, leucovorin, oxaliplatin and docetaxel (FLOT) in resectable gastric and gastroesophageal junction cancer: Interim results of the global, phase III MATTERHORN study. ESMO 2023, Abstr. #LBA73. 5. Janjigian YY et al.: Pembrolizumab plus trastuzumab and chemotherapy for HER2+ metastatic gastric or gastroedophageal junction adenocarcinoma: Survival results from the phase 3, randomized, doubleblind, placebo-controlled KEYNOTE-811 study. ESMO 2023, Abstr. #1511O.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2023
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