Transkript
INTERVIEW
Erfolgreiche klinische Forschung – Made in Switzerland
Die Bedeutung einer qualitativ hochstehenden klinischen Forschung liegt auf der Hand. In der Schweizer Krebsforschung spielt dabei die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung (SAKK) eine wichtige Rolle. Ein Qualitätsmerkmal ist die Publikationsrate – 95,8 % der mit Beteiligung der SAKK durchgeführten Forschungsprojekte werden publiziert, wie kürzlich im BMJ veröffentlichte Daten zeigen. Im Interview taucht Stefanie Hayoz, Leiterin des Statistikteams der SAKK, in die Statistik ein und erläutert Hintergründe und Bedeutung dieser Daten für die klinische Krebsforschung.
Stefanie Hayoz
Zur Person: Stefanie Hayoz ist seit 5 Jahren Leiterin des Statistikteams der SAKK. Das Team besteht aus 5 Statistikern und 2 statistischen Programmierern. Stefanie Hayoz selbst ist Statistikerin. Nach dem Mathematiks tudium an der Uni Bern machte sie einen PHD in Statistik. N ebenbei unterrichtet sie an der Universität Bern und gibt auf Anfrage Statistikweiterbildungen in Spitälern.
Foto: zVg
Schweizer Zeitschrift für Onkologie: Stefanie Hayoz, welche Rolle spielen Statistiker bei der Planung einer klinischen Studie? Stefanie Hayoz: Statistiker sind bei der Studienplanung von der ersten Stunde an dabei und gestalten diese mit: Als Erstes muss entsprechend dem Studienziel ein passender primärer Endpunkt definiert werden. Es wird also evaluiert, was genau untersucht werden soll und welcher Vergleich sinnvoll ist. So ist es für das Design massgeblich, ob es sich um eine randomisierte Studie handelt, bei der man eine neue Behandlung mit der aktuellen Standardbehandlung vergleicht, oder eine kleinere Studie ohne Vergleich. Sind diese Punkte geklärt, werden darauf basierend das statistische Design festgelegt und die benötigte Stichprobengrösse berechnet. Vielfach werden verschiedene Optionen abgewogen. Wenn zum Beispiel für den einen Endpunkt 1000 Patienten eingeschlossen werden müssten, was für uns hier in der Schweiz nicht realisierbar wäre, müsste man vielleicht auf einen anderen Endpunkt ausweichen oder man sucht internationale Partner. So nähert man sich mit Hilfe der Statistik einem realistischen Design. Auch die statistischen Analysemethoden müssen schon bei der Planung der Studie festgelegt werden. Nur
wenn dies alles akribisch definiert ist, werden die Resultate wissenschaftlich und unbeeinflussbar. Wir wollen uns nicht vorwerfen lassen, dass wir «irgendetwas» gemacht haben, nur damit wir ein gutes Resultat erhalten.
Warum ist Statistik für viele eine solche Herausforderung? Statistik ist ein sehr komplexes Thema. Bereits die Phase der Studie beeinflusst die Endpunkte: In einer Phase-I-Studie geht es um die Sicherheit; da ist der primäre Endpunkt die dosislimitierende Toxizität. In der Phase II geht es hingegen primär darum, einen ersten Hinweis betreffend Wirksamkeit zu erhalten; der Endpunkt muss also anders definiert werden. Hier wählt man einen kurzen Wirksamkeitsendpunkt wie zum Beispiel die Ansprechrate. Man möchte möglichst schnell einen Hinweis bekommen, ob das Medikament wirkt, um in die nächste Studienphase zu gehen und die Wirksamkeit in einer grösseren Studie zu zeigen. In diesen Phase-III-Studien werden dann langfristige Endpunkte anvisiert. Die häufigsten Standardendpunkte in der Onkologie sind das progressionsfreie Überleben und das Gesamt-
«überleben. Auch die Anforderungen an ein Studiendesign haben sich verändert. Heute will man schneller
»Resultate haben, man will modernere und
innovativere Designs kreieren.
Immer wichtiger wurden in den letzten Jahren die patientenorientierten Endpunkte wie Lebensqualität. Das ist eine sehr wünschenswerte Entwicklung, denn es bringt ja nichts, wenn in einer Studie belegt wird, dass Patienten unter einer bestimmten Therapie ein
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paar Wochen oder Monate länger leben, wenn es ihnen dabei miserabel geht. Wir von der SAKK engagieren uns sehr dafür, patientenorientierte Forschung zu betreiben. Zu dieser Art Forschung gehören zum
« Beispiel die Dosisoptimierungsstudien. Ein massgebliches Problem bei der Schaffung zuverlässiger Evidenz ist der vorzeitige Abbruch
»von Studien und die Nichtveröffentlichung von
Studienergebnissen.
Auch die Anforderungen an ein Studiendesign haben sich verändert. Heute will man schneller Resultate haben und nicht mehr 20 Jahr warten, man will modernere und innovativere Designs kreieren. Früher dauerte es zum Teil sehr lange, bis man wusste, welche Behandlungen am besten wirken. Auch dies ist eine Anforderung an die Statistik. Modernere Designs sind oft statistisch komplexer
DAS STATISTIKTEAM DER SAKK Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung (SAKK) nimmt in der Schweiz eine zentrale Rolle in der Förderung der Krebsforschung ein. Mit umfangreicher Expertise in multizentrischen klinischen Studien und Registern untersucht die SAKK nicht nur die Effektivität, Verträglichkeit und Sicherheit neuer Krebstherapien, sondern trägt auch zur Optimierung bestehender Behandlungsansätze bei. Ihr Team, bestehend aus erfahrenen Biostatistikern und statistischen Programmierern gewährleistet eine hochwertige statistische Analyse. Ärzten, die klinische Studien durchführen möchten, bietet die SAKK Unterstützung an. Insbesondere konzentriert sich das Statistikteam auf folgende Dienstleistungen:
Planung: • statistisches Design • Berechnung der Stichprobengrösse • Randomisierungsverfahren • statistische Inputs zum Protokoll • statistischer Analyseplan
Analyse: • Interimsanalysen, inklusive Präsentation an IDMC-Meetings, falls notwendig • primäre und finale Analysen
Berichte und Veröffentlichungen: • klinische Studienberichte • statistischer Input für Publikationen • Tabellen und Abbildungen
Qualitätskontrollen: • Doppelprogrammierung, Code- oder Ergebnisüberprüfung • unabhängige Statistik für
Studien von Drittanbietern (z. B. Interimsanalysen einschliesslich IDMC-Meetings). Kontaktaufnahme: consulting@sakk.ch
und durch die Verbesserung der IT-Landschaft überhaupt erst möglich geworden: schnellere Computer und bessere Computerprogramme zur Lösung komplexerer Aufgaben. Auch wir Statistiker müssen uns also fortlaufend weiterbilden und innovative Methoden entwickeln.
Was ist die Rolle des Statistikteams, wenn die Studie abgeschlossen ist? Sobald die Daten vorliegen, widmen wir uns der statistischen Analyse und der Erstellung des Studienberichtes, in welchem die Resultate detailliert beschrieben werden. Meistens gibt es pro Studie mehrere Analysen. Manchmal werden erste Analysen schon durchgeführt, während die Studie noch läuft, so genannte Interimsanalysen, zum Beispiel um zu schauen, ob die Nebenwirkungen im erwarteten Rahmen liegen. Am Wichtigsten ist jedoch die Analyse des primären Endpunkts – und somit die Antwort auf die Hauptfragestellung der Studie. Die Resultate werden vom Studienleiter an wissenschaftlichen Kongressen als Poster oder mündliche Präsentation und als Manuskript in einer Fachzeitschrift publiziert. Bei diesen Publikationen sind wir Statistiker beteiligt, indem wir Tabellen und Grafiken erstellen sowie die statistischen Methoden beschreiben. Gemäss den SAKK-Publikationsrichtlinien unterstützen wir die Studienleiter zudem beim ganzen Reviewprozess der Publikationen. Nach Abschluss der Studie machen wir noch die finale Analyse und den finalen Studienbericht, der auch an die Behörden geht.
Kürzlich wurde die Kohortenuntersuchung der SAKK-Studien im British Medical Journal (BMJ) veröffentlicht. Worum ging es? Ein massgebliches Problem bei der Schaffung zuverlässiger Evidenz ist der vorzeitige Abbruch von Studien und die Nichtveröffentlichung von Studienergebnissen. Wir wollten im Rahmen dieser Kohortenstudie die Abschluss- und Publikationsrate von Studien, die innerhalb der SAKK durchgeführt wurden, untersuchen. Dazu haben wir alle SAKK-Studien, die zwischen 1986 und 2021 abgeschlossen wurden, analysiert und schlossen 261 Studien in unsere Untersuchung ein, von denen 67,0 % randomisiert waren. Insgesamt wurden 76 von 261 Studien, das sind 29,1 %, vorzeitig wegen ungenügender Rekrutierung geschlossen. 21 der 261 Studien wurden von der Untersuchung ausgeschlossen, da sich 8 noch in der Nachbeobachtungsphase befanden, bei 10 das primäre Abschlussdatum weniger als ein Jahr zurücklag und bei 3 Studien das Manuskript zwar eingereicht, aber noch nicht angenommen war. Von den daraus resultierenden 240 Studien wurden 216, das sind 90,0 %, als vollständige Artikel und 14 in ande-
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ren Formaten veröffentlicht. Dies führt zu einer beachtlichen Gesamtveröffentlichungsquote von 95,8 %. Die Rate der vorzeitigen Studienabbrüche nahm im Laufe der Zeit ab: 34,2 %, 27,8 % und 23,5 % bei Studien, die vor 2000, zwischen 2000 und 2009 beziehungsweise seit 2010 durchgeführt wurden. Wir beobachteten zudem eine im Laufe der Zeit steigende Publikationsrate in Fachzeitschriften mit Peer-Review: 79,2 % (vor 2000 abgeschlossen), 95,7 % (zwischen 2000 und 2009 abgeschlossen) und 93,2 % (nach 2010 abgeschlossen).
nisationen viel tiefere Zahlen, manchmal nur 30 %
oder 45 %. Für uns ist deshalb klar: Wenn eine Stu-
die über die SAKK läuft, ist die Chance, dass die
«Resultate publiziert werden, sehr hoch. Dazu kommt, dass eine erfolglose Studie, die nicht publiziert wird, allenfalls von jemand anderem nochmals durchgeführt wird, was eine
»Ressourcenverschwendung ist und den Betroffenen
vielleicht sogar vergebliche Hoffnung gibt.
Was konnten Sie mit diesen Resultaten zeigen? Wir konnten damit zeigen, dass wir sehr hohe Publikationsraten haben – und dies ist etwas, was uns als SAKK auszeichnet. In der klinischen Forschung werden viel zu viele Studien gemacht, die nachher nie publiziert werden. Die Resultate sind dadurch verloren und das ist auch für die Patientinnen und Patienten, die teilgenommen haben, sehr schade. Dazu kommt, dass eine erfolglose Studie, die nicht publiziert wird, allenfalls von jemand anderem nochmals durchgeführt wird, was eine Ressourcenverschwendung ist und den Betroffenen vielleicht sogar vergebliche Hoffnung gibt. Wir sind deshalb sehr stolz auf unsere Quote: 95 % unserer Studien werden in irgendeiner Form publiziert. In der Literatur findet man von anderen Orga-
Wir leisten unseren Beitrag dazu und versuchen, Ärzte zu unterstützen, da in ihrem stressigen Alltag nicht viel Platz für die klinische Forschung ist. Wir können ihnen zwar nicht alle Arbeit abnehmen – ihr medizinischer Input ist essenziell, aber wir unterstützen sie so gut wie möglich. Unsere Erfolgsquote zeigt meiner Meinung nach, dass dieses Modell der Unterstützung erfolgreich ist.
LINKTIPP: Die Kohortenuntersuchung im BMJ finden Sie direkt via QR-Code oder unter folgendem Link: https://bmjopen.bmj.com/content/13/4/e068490