Transkript
EDITORIAL
SStellen Sie sich vor, Sie sind Anfang 30 und erhalten aus heiterem Himmel eine Krebsdiagnose – und zwar für eine Erkrankung mit infauster Prognose. Es ist sicher schwierig, sich in dieser Situation nicht auf Statistiken mit schlechten Überlebenschancen zu konzentrieren, sondern auf die positive Erzählung von jemandem, der die Krankheit besiegt hat. Ein Dokumentarfilm des SRF über Martin Inderbitzin zeigt auf einfühlsame Weise, wie beeindruckend es sein kann, wenn das trotz allen Widrigkeiten gelingt.
Das Leben neu denken lernen
Die Krebsdiagnose hat das Leben des Neurowissenschaftlers Martin Inderbitzin auf den Kopf gestellt, und das mehr als nur einmal. Schon im Rahmen seiner Dissertation hatte er sich mit den Auswirkungen von Stress und Angst auf Gefühle beschäftigt. Als vor zehn Jahren bei ihm dann ein Pankreaskarzinom diagnostiziert wurde, war er gezwungen, sich noch einmal ganz anders mit diesen Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Der Umgang mit der eigenen Erkrankung wurde geprägt von der Überlebensgeschichte eines jungen Mannes, von dem ihm sein Arzt berichtet hatte. Das gab ihm Zuversicht.
Noch während der Chemotherapie meldete er sich für einen Triathlon an und begann in sehr kleinen Schritten dafür zu trainieren. Als er diesen tatsächlich absolviert hatte fing er an, seine Geschichte öffentlich zu erzählen und weitere zu sammeln. Weltweit hat er sich mit Krebsbetroffenen darüber unterhalten, wie sie mit ihrem Schicksal umgehen, was ihnen Mut macht und was sie am Leben hält. Auf der Seite «My survival story» finden sich etliche Interviews, Filme und
Podcasts, die wiedergeben, was man im Zusammenhang mit Krebs oft nicht hört. Erzählt wird über die Menschen hinter der Erkrankung und auch darüber, wie Krebs ein Katalysator für eine Lebensveränderung sein kann. Inderbitzin selbst ist mit seinem Engagement zum Mutmacher für viele Krebserkrankte geworden. Daraus wiederum schöpft er selbst Kraft. Er hat gelernt, von den Höhen und Tiefen zu berichten, und den Rückfällen, die nicht ausbleiben. Die Dokumentation zeigt, wie Inderbitzin übt, seine mentalen Kräfte zu stärken und mit seiner Furcht umzugehen, um sich nicht davon tyrannisieren zu lassen.
Der Film wird derzeit im Rahmen einer Roadshow für Betroffene, Angehörige und Freunde vorgeführt. Im Anschluss daran beschreibt Inderbitzin persönlich, welche Etappen zu absolvieren sind, wenn die bekannte Welt auf den Kopf gestellt wird, und was helfen kann, das eigene Leben neu zu denken und zu fühlen. Der Film berührt, macht nachdenklich und gleichzeitig Mut. Er ist in der Mediathek des SRF zu sehen oder Anfang Februar beim letzten Anlass der Veranstaltungsreihe in Basel. Informationen dazu und vieles mehr finden Sie unter www.mysurvivalstory.org.
Christine Mücke
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2023
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