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EHA2023
EHA2023 Hybrid Congress, 8.–11. Juni 2023, Frankfurt & virtuell
Chronische lymphatische Leukämie
Zeitlich begrenzte Therapie mit Venetoclax-Obinutuzumab überzeugt auch längerfristig
Das am diesjährigen EHA-Kongress präsentierte 6-Jahres-Update der CLL14- Studie untermauerte erneut den Vorteil der zeitlich begrenzten Behandlung mit Venetoclax und Obinutuzumab bei bisher unbehandelten älteren und komorbiden Erkrankten. Die CLL12-Studie bestätigte, dass Watch-and-Wait bei asymptomatisch Erkrankten weiterhin Standard bleiben sollte. Ebenfalls vorgestellt wurden verschiedene Arbeiten zu den Nebenwirkungsprofilen der BTK-Inhibitoren.
Der diesjährige Kongress der European Hematology Association (EHA) wartete auf dem Gebiet der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) mit den 6-Jahres-Resultaten der CLL14-Studie auf (1). Diese Arbeit untersuchte bei bisher unbehandelten, im Median 72 Jahre alten, komorbiden CLL-Patienten (erhöhter «Cumulative Illness Rating Scale»-Score oder reduzierte Kreatininclearance) die auf ein Jahr begrenzte Therapie mit Venetoclax und Obinutuzumab (Ven-Obi, n = 216) im Vergleich zu Obinutuzumab und Chlorambucil (ClbObi, n = 216).
Über 50 % weiterhin in Remission
Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von mittlerweile 76,4 Monaten zeigte sich unter Ven-Obi weiterhin ein überlegenes progressionsfreies Überleben (PFS) im Vergleich zu Clb-Obi (medianes PFS: 76,2 vs. 36,4 Monate). Die
geschätzte 6-Jahres-PFS-Rate für VenObi betrug noch 53,1 %, im Vergleich zu 21,7 % für Clb-Obi (Hazard Ratio [HR]: 0,40; 95 %-Konfidenzintervall [KI]: 0,31– 0,52; p < 0,0001) (siehe Abbildung) Die Studie zeigte auch, dass Ven-Obi gegenüber Clb-Obi zu einer deutlich längeren Zeit bis zur nächsten Behandlung (TTNT) führte (6-Jahres-TTNT: 65,2 vs. 37,1 %). Diese positiven Ergebnisse wurden in allen Risikogruppen beobachtet, auch bei Patienten mit Hochrisikomerkmalen. In Bezug auf das Gesamtüberleben (OS) zeigte sich ein Trend für ein besseres Abschneiden von Ven-Obi mit einer 6-Jahres-OS-Rate von 78,7 % im Vergleich zu 69,2 % unter Clb-Obi (HR: 0,69; 95 %-KI: 0,48–1,01; p = 0,052). «In Bezug auf das Sicherheitsprofil der Behandlung haben wir uns unter anderem die Rate der Sekundärmalignome genau angeschaut», erklärte Dr. med. Othman Al-Sawaf, Köln (D), im Rahmen seiner Präsentation. Mit dem längeren Kumulatives progressionsfreies Überleben Progressionsfreies Überleben in der CLL14-Studie 100 90 Medianes PFS 6-Jahres PFS Ven-Obi 76,2 Monate 53,1% 80 Clb-Obi 36,4 Monate 21,7% 70 60 50 40 Ven-Obi 30 20 10 HR: 0,40; 95%-Konfidenzintervall: 0,31-0,52; p < 0,0001 Clb-Obi 0 0 12 24 36 48 60 72 84 Zeit bis zum Ereignis [PFS] ab Randomisierung (Monate) Abbildung: 6-Jahres-Analyse: Das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) unter Venetoclax-Obinutuzumab (Ven-Obi) liegt noch bei über 50 % (nach 1). Follow-up zeigte sich im Ven-Obi-Arm eine leicht höhere Anzahl an Sekundärmalignomen (31 Fälle vs. 20 Fälle unter Clb-Obi). «Es handelte sich dabei um eine heterogene Mischung aus Melanomen und verschiedenen soliden Organtumoren. Ein spezifisches Muster liess sich nicht erkennen und die Differenz war zudem auch nicht statistisch signifikant», berichtete er. Aktuell sei von keiner klinischen Bedeutung dieser Beobachtung auszugehen. Die Studienteilnehmer würden aber weiterhin nachbeobachtet. Finale Resultate der CLL12-Studie «Bei asymptomatischen CLL-Erkrankten im Frühstadium setzen wir auf Watch-and-Wait, da bisherige Studien keinen Überlebensvorteil für eine frühe Behandlung mit einer Chemotherapie oder Chemoimmuntherapie gezeigt haben», erklärte Dr. med. Petra Langerbeins, Köln (D). Bisher sei nicht klar gewesen, ob Erkrankte mit gewissen Risikofaktoren allenfalls vom frühen Einsatz gezielter Substanzen profitieren könnten. Vor diesem Hintergrund wurde in der CLL12-Studie bei 152 CLL-Erkrankten ohne Risikofaktoren Watch-and-Wait eingesetzt, während Erkrankte mit erhöhtem Risiko randomisiert entweder Ibrutinib (n = 182) oder Plazebo (n = 181) erhielten (2). Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 31 Monaten zeigte die Studie eine signifikante Verbesserung des medianen ereignisfreien Überlebens (EFS) in der Ibrutinib-Gruppe (nicht erreicht vs. 47,8 Monate; HR: 0,25; 95 %-KI: 0,14–0,43; p < 0,0001). Aufgrund ungenügender Ereignisse konnte das Gesamtüberleben zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgewertet werden und die Studie wurde doppelblind und plazebokontrolliert weitergeführt. Die finale Analyse wurde nun nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 69,3 Monaten durchgeführt (3). SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3/2023 25 EHA2023 EHA2023 Hybrid Congress, 8.–11. Juni 2023, Frankfurt & virtuell Watch-and-Wait bleibt Standard Die Überlegenheit von Ibrutinib bezüglich EFS blieb auch bei diesem längeren Follow-up erhalten (nicht erreicht vs. 51,6 Monate, p < 0,001). Das mediane PFS wurde in der Ibrutinib-Gruppe ebenfalls nicht erreicht (vs. 14 Monate in der Plazebo-Gruppe, p < 0,001). Unter Ibrutinib kam es bei 36,5 % der Patienten zu Blutungen und bei 22,4 % zu kardialen Arrhythmien (inkl. Vorhofflimmern). Insgesamt wurden 32 Todesfälle registriert, 12 in der Ibrutinib-Gruppe, 14 unter Plazebo und 6 in der Gruppe mit Watch-and-Wait. «Je ein Todesfall unter Ibrutinib bzw. Plazebo wurde durch eine Progression der CLL verursacht», ergänzte Langerbeins. Zwei Todesfälle bei den mit Ibrutinib behandelten Teilnehmenden waren auf eine intrakranielle Blutung zurückzuführen sowie zwei weitere auf eine kardiale Dekompensation. Das mediane OS wurde in beiden Behandlungsarmen nicht erreicht (p = 0,562). «Auch der Vergleich mit der Watch-and-Wait-Gruppe ergab keinen signifikanten Unterschied für die Gruppe mit der Ibrutinib-Therapie», so die Referentin. Ihr Fazit: «Ich denke, man kann also ohne Weiteres sagen, dass Watch-and-Wait auch in der Ära der gezielten Substanzen die Standardtherapie bleiben sollte.» Nebenwirkungsprofile von Acalabrutinib und Zanubrutinib Da entsprechende Daten aus direkten Vergleichsstudien fehlen, haben Hwang et al. anhand von 61 Studien (36 Studien zur CLL/SLL) mit 6959 Teilnehmenden eine Meta-Analyse zum Nebenwirkungsprofil von Acalabrutinib und Zanubrutinib, den beiden BTK-Inhibitoren der zweiten Generation, durchgeführt (4). Die Analyse ergab für beide Substanzen im Vergleich zu Ibrutinib ein besseres Nebenwirkungsprofil. Zu den Nebenwirkungen aller Grade, die unter Zanubrutinib im Vergleich zu Acalabrutinib häufiger auftraten, gehörten Neutropenie (relatives Risiko [RR]: 1,77), Leukopenie (RR: 4,92), Thrombozytopenie (RR: 1,29), Hypertonie (RR: 1,43), Hämaturie (RR: 2,54) und Zellulitis (RR: 8,2). Als Nebenwirkungen des Grades ≥ 3, die Auf einen Blick ■ Das Update der CLL14-Studie zeigt eine 6-Jahres-PFS-Rate von über 50 % bei älteren, komorbiden Studienteilnehmenden, die eine einjährige Therapie mit Venetoclax und Obinutuzumab erhalten hatten (1). ■ Eine Therapie mit Ibrutinib bringt bei asymptomatischen CLL-Erkrankten mit erhöhtem Progressionsrisiko keinen Überlebensvorteil gegenüber einer Watch-and-Wait-Strategie (2). ■ Eine Meta-Analyse ergab für Acalabrutinib und Zanubrutinib im Vergleich zu Ibrutinib ein besseres Nebenwirkungsprofil (4). ■ Die erste Zwischenanalyse einer Phase-II-Studie zur Bewertung einer Behandlung mit Acalabrutinib bei sehr alten (> 80 Jahre) und/oder gebrechlichen CLL-Erkrankten ergab keine unerwarteten Sicherheitssignale im Vergleich zu früher veröffentlichten Daten (5).
unter Zanubrutinib häufiger auftraten, wurden Neutropenie (RR: 1,43), Zellulitis (RR: 6,6) und Infektionen der oberen Atemwege (RR: 2,09) registriert. Im Gegensatz dazu kam es unter Acalabrutinib im Vergleich zu Zanubrutinib häufiger zu Vorhofflimmern (RR: 0,51), Infektionen (RR: 0,53), Pyrexie (RR: 0, 59), Husten (RR: 0,71), Müdigkeit (RR: 0,61), Übelkeit (RR: 0,63), Erbrechen (RR: 0,71), Diarrhö (RR: 0,52), Myalgien (RR: 0,49), Kopfschmerzen (RR: 0,32) und Schwindel (RR: 0,63). Zu den Nebenwirkungen ≥ 3, die unter Acalabrutinib häufiger auftraten, gehörten Anämie (RR: 0,58), Infektionen (RR: 0,76) und Rash (RR: 0,03).
Acalabrutinib bei älteren und/oder gebrechlichen Erkrankten
Obwohl Patienten über 80 Jahre etwa 20 % der CLL-Population ausmachen, sind sie in klinischen Studien nach wie vor unterrepräsentiert. Faktoren wie Komorbiditäten, Gebrechlichkeit und Organdysfunktion sind bei älteren Patienten weit verbreitet und können einen wesentlichen Einfluss auf die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Behandlungen sowie auf das Überleben haben. Simon et al. untersuchen in ihrer CLL-Frail-Studie daher gezielt die Wirksamkeit und Sicherheit einer Acalabrutinib-Monotherapie (100 mg, zweimal täglich) bei Erkrankten im Alter von ≥ 80 Jahren und/oder einem FRAIL-Score von ≥ 3 (FRAIL-Skala = 5-Punkte-Score) (5). Die Teilnehmenden durften maximal eine Vortherapie erhalten haben. In den ersten 12 Monaten der Phase-II-Studie wurden 30 Personen in die Studie aufgenommen. Das Durchschnittsalter lag bei 82 Jahren, 50 % hatten eine FRAIL-Score von ≥ 3. Der mittlere CIRS-Score lag bei 10, wobei 73 % der
Teilnehmenden einen Wert > 6 aufwie-
sen. Der mittlere ECOG-Score lag bei 3.
Zum Zeitpunkt der geplanten Zwischen-
analyse erhielte 21 Teilnehmer weiterhin
Acalabrutinib (medianes Follow-up: 8
Monate). Bei allen Teilnehmern war es zu
mindestens einer Nebenwirkung gekom-
men (total 200, davon 18 % > Grad 3). Es
wurden 15 schwere Nebenwirkungen re-
gistriert, davon galten 8 als behandlungs-
assoziiert. Es gab keine Fälle von schwe-
ren Blutungen (Grad ≥ 3). Bei zwei
Teilnehmenden trat Vorhofflimmern
(Grad 2 bzw. 3) auf. Zwei kardiale Neben-
wirkungen (Herzversagen) wurden bei
Erkrankten gemeldet, die als Vorerkran-
kungen eine Hypertonie und Vorhofflim-
mern aufwiesen. Von 4 Todesfällen wurde
einer als behandlungsassoziiert angese-
hen. Die Studie kommt zum Schluss, dass
die erste Zwischenanalyse damit keine
unerwarteten Sicherheitssignale im Ver-
gleich zu früher veröffentlichten Daten
ergeben hat.
n
Therese Schwender
Referenzen 1. Al-Sawaf O et al.: Venetoclax-Obinutuzumab For
Previously Untreated Chronic Lymphocytic Leukemia: 6-Year Results Of The Randomized CLL14 Study. EHA 2023, Abstract S145. 2. Langerbeins P et al.: The CLL12 trial: Ibrutinib vs Placebo In Treatment-Naïve, Early-Stage Chronic Lymphocytic Leukemia. Blood 2022;139:177-187. 3. Langerbeins P et al.: Ibrutinib versus Placebo in Patients with Asymptomatic, Treatment Naive Early Stage Chronic Lymphocytic Leukemia (CLL): Final Results of the Phase 3, Double Blind, Placebo Controlled CLL12 Trial. EHA 2023, Abstract S200. 4. Hwang S et al.: Comparison of Treatment Emergent Adverse Events of Acalabrutinib and Zanubrutinib in Clinical Trials in B Cell Malignancies: A Systematic Review and Meta-Analysis. EHA 2023, Poster P632. 5. Simon F et al.: Safety and Treatment Adherence with Acalabrutinib in Very Old (≥80Y) and/or Frail Patients with Chronic Lymphocytic Leukemia (CLL). Interim Safety Analysis of the Ongoing Phase II CLL Frail Trial. EHA 2023, P630.
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