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FOKUS PROSTATAKARZINOM
1, 2 oder 3 – wieviel Therapie braucht das metastasierte hormonsensitive Prostatakarzinom 2023?
In den letzten zehn Jahren hat sich durch die Einführung von neuen Zytostatika, neuen Hormontherapien und PARP-Inhibitoren bei BRCA-mutierten Patienten ebenso wie durch neue nuklearmedizinische Therapien die Behandlungspalette beim metastasierten Prostatakarzinom erweitert. Dies schlägt sich in einem verbesserten Überleben nieder – sowohl beim kastrationsresistenten als auch beim hormonsensitiven Prostatakarzinom.
AURELIUS OMLIN, CHRISTIAN SPIRIG
SZO 2023; 2: 6–11.
Aurelius Omlin Christian Spirig
Fotos: zVg
Im vergangenen Jahrzehnt haben sich durch die Einführung neuer Zytostatika wie Cabazitaxel, neuer Hormontherapien (NHT) wie Abirateronacetat, Enzalutamid, Apalutamid und Darolutamid sowie PARP-Inhibitoren wie Olaparib bei BRCA-mutierten Patienten und durch nuklearmedizinische Therapien wie Radium-223, Lutetium-177-PSMA die Behandlungsoptionen für Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom erweitert. Zudem überleben die Betroffenen damit länger. Zunächst waren dies Patienten mit einem kastrationsresistenten Prostatakarzinom und in den letzten Jahren, mit relativ und absolut noch ausgeprägterem Nutzen, auch Patienten mit einem hormonsensitiven Prostatakarzinom. Dieser Artikel fokussiert sich auf die Behandlung des metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinoms mit Kombinationstherapien, die bereits in den klinischen Alltag Einzug gehalten haben,
ABSTRACT
Within a decade, the treatment of patients with metastatic, hormone-sensitive prostate cancer (mHSPC) evolved from the long-term standard of solely androgen deprivation therapy (ADT) to a combination of ADT with docetaxel or with an androgen receptor pathway inhibitor (ARPI) due to significant improvements in overall survival. Recent phase 3 trials showed a further advantage for triplet therapy regimen (ADT plus docetaxel plus ARPI) compared to ADT plus docetaxel and might become a new standard of care for fit patients with high-volume mHSPC, whereas a broader implementation remains controversial as there is no data for better survival compared to ADT plus ARPI.
Keywords: Metastatic hormone-sensitive prostate cancer (mHSPC), triplet therapy, docetaxel, abiraterone, enzalutamide, apalutamide, darolutamide
hauptsächlich auf eine kritische Würdigung der neuesten Daten hinsichtlich systemischer Dreierkombinationen aus Androgendeprivation (ADT) kombiniert mit dem Zytostatikum Docetaxel (Doc) und neuen Hormontherapien.
Hintergrund
Jährlich wird in der Schweiz bei mehr als 6000 Männern ein Prostatakarzinom diagnostiziert, der überwiegende Teil kann einer kurativen Therapiestrategie (aktive Überwachung, radikale Prostatektomie oder Strahlentherapie) mit Heilungsraten von über 90 % zugeführt werden. Bei rund 5–10 % der jährlich neu diagnostizierten Prostatakarzinomfälle liegt bereits initial ein de-novo metastasiertes Tumorleiden vor, welches wie die metachron metastasierten Fälle in aller Regel nicht mehr kurativ behandelt werden kann. Das metastasierte Prostatakarzinom weist zu Behandlungsbeginn eine sehr hohe Ansprechrate auf hormonmanipulierende Massnahmen (Orchiektomie, GnRH-Analoga) auf, weshalb es in diesem Stadium als hormonsensitives Prostatakarzinom (mHSPC) bezeichnet wird, im Gegensatz zu dem auf Androgendeprivation nicht mehr ansprechenden kastrationsresistenten Prostatakarzinom (CRPC). Die Kontrollarme der grossen Phase-III-Studien mit Patienten in der mHSPC-Situation haben durchweg ein Ansprechen auf ADT allein von weniger als 12 Monaten gezeigt und damit die Notwendigkeit für eine kombinierte Behandlung unterstützt (1–3).
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Während Jahrzehnten bestand die Standardbehandlung des metastasierten Prostatakarzinoms in einer ADT, in den letzten Jahren vorzugshalber mit regelmässigen GnRH-Analoga-Applikationen. Versuche, die Ansprechdauer durch Hinzugabe von nicht steroidalen Antiandrogenen (Bicalutamid) im Sinne einer kombinierten Androgenblockade zu verbessern, zeigten wenig überzeugende Resultate. Seit 2015 konnten bei Patienten mit einem mHSPC durch eine frühe Kombinationstherapie das Gesamtüberleben (OS), aber auch die Zeit bis zur Kastrationsresistenz, die Zeit bis zur radiologischen Progression und die Zeit bis zur symptomatischen Progression statistisch signifikant und klinisch relevant verbessert werden.
ADT plus Docetaxel
Wie nicht selten, stand jedoch am Anfang – zumindest formal – ein Misserfolg: Die letztlich zu kleine französische Studie GETUG-AFU-15 konnte keinen statistisch signifikanten Überlebensvorteil durch die Hinzugabe von Docetaxel zur ADT nachweisen (Hazard Ratio [HR]: 0,9; 95 %-Konfidenzintervall [KI]: 0,7–1,2), bei einem nach einer medianen Nachbeobachtungsdauer von rund 85 Monaten numerisch
deutlichen Vorteil im medianen Gesamtüberleben von 60,9 Monaten im Kombinationsarm zu 45,6 Monaten im HAT-Arm (4, 5). Letztlich waren es die US-amerikanische CHAARTED- und die britische STAMPEDE-Studie, beides grosse, randomisierte Phase-III-Studien, welche durch die Hinzugabe von Docetaxel zur ADT beim mHSPC nicht nur eine numerisch imposante OS-Verbesserung im zweistelligen Monatsbereich nachweisen konnten, sondern diesen Überlebensvorteil – anders als in der französischen Studiengruppe – auch statistisch belegen konnten (s. Tabelle 1) (6–9). So zeigte die insgesamt 790 Patienten umfassende CHAARTED-Studie eine numerisch fast identische Verbesserung des OS in der ADT + Doc-Gruppe wie in der 3-mal kleineren französischen Studie (ADT-Gruppe: 44 Monate, Kombinationsarm: 57,6 Monate; HR: 0,61, 95 %-KI: 0,47–0,80). In dieser Studie wurden initial nur Patienten mit hoher Tumorlast (definiert durch viszerale Metastasen und / oder mind. 4 Skelettläsionen inkl. einer ausserhalb des Stammskelettes) eingeschlossen (10). Die Stratifizierung in hohe und tiefe Tumorlast ist durchaus sinnvoll, denn eine gepoolte Analyse aller Docetaxel-beinhaltenden Kombinationstherapien bei
Tabelle 1
Randomisierte Studien zu Zweierkombinationen bei mHSPC
Studie
Intervention
Anzahl Patienten Einsatz Docetaxel Median follow-up OS (Monate)
(Monate)
(HR; 95 %-KI)
PFS (Monate) (HR; 95 %-KI)
GETUG-AFU-15 ADT + Doc
vs.
ADT
CHAARTED ADT + Doc
vs.
ADT
STAMPEDE C ADT + Doc
vs.
ADT
LATITUDE
ADT + Abi
vs.
ADT
STAMPEDE G ADT + Abi
vs.
ADT
ARCHES
ADT + Enza
vs.
ADT
TITAN
ADT + Apal vs.
ADT
ENZAMET
ADT + Enza vs.
ADT
192 vs. 195
397 vs. 393
1184 vs. 592
592 vs. 602
500 vs. 502
574 vs. 576
525 vs. 527
563 vs. 562
1:1 1:1 2:1 18 % 11 % 45 %
82,9 28,9 43 52 40 45 44 68
60,9 vs. 46,5
22,9 vs. 12,9
(0,9; 0,70–1,2) (0,70; 0,60–0,90)
57,6 vs. 46,5
20,2 vs. 11,7
(0,61; 0,47–0,80) (0,61; 0,51–0,72)
59,1 vs. 43,1
36,7 vs. 25,3
(0,81; 0,69–0,96) (0,65; 0,57–0,76)
53,3 vs. 36,5
33,0 vs. 14,6
(0,66; 0,56–0,78) (0,47; 0,39–0,55)
(0,61; 0,49-0,79) (0,31; 0,26–0,37)
NR vs. NR
49,8 vs. 38.9
(0,66; 0,53–0,81) (0,63; 0,52–0,76)
NR vs. 52,2 (0,65; 0,53–0,79) (0,48; 0,39–0,60)
NR vs. 73,2 (0,70; 0,58–0,84) (0,40; 0,33–0,49)
ADT: Androgendeprivation; DOC: Docetaxel; Abi: Abirateronacetat; Enza: Enzalutamid; Apal: Apalutamid; OS: Gesamtüberleben; PFS: progressionsfreies Überleben; NR: nicht erreicht
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mHSPC hat einen grösseren Vorteil hinsichtlich OS und progressionsfreiem Überleben (PFS) nur bei hoher Tumorlast gezeigt. Bei geringer Tumorlast hingegen besteht ein Vorteil der Hinzugabe von Docetaxel nur bei de-novo mHSPC (8). Ein Faktor, der uns auch bei den aktuellen Studien zu den Tripletherapien begegnen wird, in die mehrheitlich die prognostisch als ungünstiger geltenden de-novo-Patienten eingeschlossen wurden. Subgruppenanalysen sollten nicht für Therapieentscheidungen herangezogen, sondern als hypothesengenerierend betrachtet werden. Insbesondere Patienten mit einem metachronem mHSPC mit niedriger Tumorlast waren in den bisher diskutierten Studien sehr wenig vertreten.
ADT und NHT
Rund 2 Jahre nach der Publikation der CHAARTEDDaten erschienen die ersten von in den kommenden Monaten zahlreichen Studien, welche nun, durch die Hinzugabe verschiedener AR-beeinflussender Massnahmen zusätzlich zur ADT, auch den Nutzen einer kombinierten Behandlung von Patienten mit mHSPC beweisen konnten. Exemplarisch sei die LATITUDE- Studie erwähnt, in welcher bei knapp 1200 eingeschlossenen Patienten nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 51,8 Monaten ein Überlebensvorteil durch die Hinzugabe von Abirateronacetat verglichen zu alleiniger ADT nachgewiesen werden konnte (53,3 Monate vs. 36,5 Monate; HR: 0,66, 95 %-KI: 0,56–0,78) (3). Gehäuft auftretende Nebenwirkungen im Kombinationsarm waren arterielle Hypertonie und Hypokaliämie. Die
Studie LATITUDE hat eine prognostisch ungünstige Patientenpopulation eingeschlossen, nur synchrone mHSPC und nur Patienten mit einer Hochrisikokonstellation (mindestens 2 von 3 Kriterien: GleasonScore von ≥ 8; Vorhandensein von mindestens 3 Läsionen im Knochenscan; Vorhandensein messbarer viszeraler Metastasen [ohne Berücksichtigung des Lymphknotenbefalls]) (3). Mit dieser und weiteren Studien (s. Tabelle 1), welche letztlich einen Überlebensvorteil für Abirateron (Abi), Enzalutamid (Enza) und Apalutamid (Apal) jeweils gegenüber ADT bestätigen konnten, liegen uns seither perorale, insgesamt gut verträgliche Behandlungsalternativen zur frühzeitigen, Docetaxel-Chemotherapie vor, was den Anwendungsbereich auf ältere oder insgesamt weniger fitte Patienten erweiterte, jedoch durchaus auch zum Preis höherer Behandlungskosten bei monate- bis jahrelangen Kombinationstherapien. Die Therapie mit Docetaxel beschränkt sich auf sechs dreiwöchige Zyklen (3, 11–15). Leider hat bislang keine Studie den direkten Vergleich zwischen ADT / Docetaxel und ADT / NHT beeinflussenden Massnahmen untersucht (s. Abbildung). Lediglich die gleichzeitige, konkurrierende Randomisation in den britischen STAMPEDE-Studien, welche einerseits ADT + Docetaxel resp. ADT + Abirateronacetat untersuchten, lässt einen gewissen Vergleich bei 566 Patienten (189 ADT / Doc vs. 377 ADT / Abi) zu, wobei sich weder hinsichtlich Gesamtüberleben noch prostatakrebsspezifischem Überleben ein statistisch signifikanter Vorteil zeigte (16).
Tabelle 2
Randomsierte Studien zur Tripeltherapie bei mHSPC
Studie
Intervention
Anzahl Patienten Gesamt
Median follow-up OS (Monate)
(Doc-Gruppe) (Monate)
(HR; 95 %-KI)
PFS (Monate) (HR; 95 %-KI)
ARCHES ENZAMET TITAN PEACE-1 ARASENS
ADT + Enza + Doc vs. ADT + Doc + Plazebo
ADT + Doc + Enza vs. ADT + Doc
ADT + Doc + Apal vs. ADT + Doc + Plazebo
ADT + Doc + Abi +/- RT vs. ADT + Doc +/- RT
103 vs. 102 250 vs. 249 58 vs. 55 355 vs. 355
ADT + Doc + Daro vs. ADT + Doc + Plazebo
651 vs. 651
1150 (205)
1125 (503)
1052 (113)
1172 (710)
1305 (1305)
44,6 34 44 52 43,7
(0,74; 0,46–1,19) (0,52; 0,30–0,90)
(0,90; 0,62–1,31) (0,48; 0,37–0,62)
(1,13; 0,69–1,86) (0,77; 0,39–1,54)
NR vs. 44
54 vs. 24
(0,75; 0,59–0,95) (0,50; 0,34–0,71)
NR vs. 48,9 (0,68; 0,57–0,80)
ADT: Androgendeprivation; Daro: Darolutamid; Doc: Docetaxel; Abi: Abirateronacetat; Enza: Enzalutamid; Apal: Apalutamid; OS: Gesamtüberleben; PFS: progressionsfreies Überleben; NR: nicht erreicht
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FOKUS PROSTATAKARZINOM
Standard
Hormonablative Therapie
Docetaxel basierte
2-er Kombination
CHAARTED / STAMPEDE
?
3-er Kombination
AR- basierte 2-er
Kombination
?
PEACE-1 ARASENS
STAMPEDE /
LATITUDE /
TITAN
Abbildung: Übersicht der Studienevidenz bei mHSPC; oranger Pfeil: signifikanter OS-Vorteil, roter Pfeil: unklare Ausgangslage, keine randomisierten Studien vorhanden
ADT und Docetaxel und NHT – Tripletherapien
Der logisch nächste Schritt war es deshalb, die beiden neuen Standardoptionen zu kombinieren, im Sinne einer Dreierkombination oder Triplette mit ADT, Docetaxel und NHT. Bevor klar auf diese Fragestellung konzipierte Studien rekrutierten, wurde bereits in grösseren, den zusätzlichen Nutzen von NHT untersuchenden Studien, die Möglichkeit, Docetaxel zuzugeben, erlaubt und untersucht, wobei weder in den beiden Enzalutamid-Studien (ENZAMET / ARCHES) noch in einer ApalutamidStudie (TITAN) ein signifikanter Nutzen durch Docetaxel dokumentiert werden konnte (s. Tabelle 2) (11, 12, 17). Die zwei nun zu diskutierenden, kürzlich publizierten Studien zu Dreierkombinationen (PEACE-1 mit Abirateronacetat respektive ARASENS mit Darolutamid als NHT) wählten als Vergleichsarm die Doublette aus ADT und Docetaxel, aber leider nicht auch noch ADT und NHT (18–20). Darüber hinaus ist zu beachten, dass beide Studien einen konkomittierenden Start von Docetaxel und NHT bei nahezu ausschliesslich de-novo mHSPC-Patienten wählten. In allen Triplet-Studien wurde Docetaxel in der Standarddosis von 75 mg/m2 alle 3 Wochen verabreicht. In der komplexeren, ein 2 x 2-Factorial-Design aufweisenden Studie PEACE-1 gibt es vier Arme, jeweils zwei mit ADT / Abirateronacetat und zwei mit ADT allein; in je einem der beiden Arme wurde zusätzlich eine Strahlentherapie auf die Prostata untersucht (20). Aufgrund der während der Rekrutierung präsentierten CHAARTED-Daten durfte, respektive musste in der Folge zusätzlich Docetaxel gegeben werden (bei 61 % der Studienpopulation). Bei der Auswertung wurden die Arme mit ADT / Docetaxel (589 Patienten) vs. ADT/ Abirateron / Docetaxel (583 Patienten) verglichen, unabhängig von der Strahlentherapie. In jeder Gruppe wiesen
rund 2/3 der Patienten eine hohe Tumorlast analog zu den CHAARTED-Kriterien auf. Eingeschlossen waren nur Patienten mit de-novo mHSPC. Dabei zeigt sich nicht überraschend – und passend zu den Resultaten der Zweierkombinationen mit Verwendung von NHT – eine signifikante Verbesserung des rPFS nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 3,5 Jahren zugunsten der Dreierkombination (4,5 vs. 2,0 Jahre mit ADT / Docetaxel; HR: 0,50; 95 %-KI: 0,34–0,71). Die OS-Daten zeigen ebenfalls eine Verbesserung (von 4,4 Jahren mit ADT / Docetaxel auf noch nicht erreicht im Dreierarm; HR: 0,75; 95 %-KI: 0,59–0,95). In Subgruppenanalysen konnte zudem gezeigt werden, dass der OS-Benefit bei Patienten mit hoher Tumorlast (HR: 0,72; 95 %-KI: 0,55–0,95) besser als war als bei geringer Tumorlast (HR: 0,83; 95 %-KI: 0,50–1,39). Grad-3-Nebenwirkungen traten bei 52 % der Patienten in der Abirateronacetat-freien Gruppe auf verglichen zu 63 % derer im Triplet-Arm. Obwohl Abirateronacetat konkomittierend zu Docetaxel gestartet wurde, fiel in der Triplettgruppe keine erhöhte hämatologische Intoleranz auf. Die zweite, prospektiv randomisierte und plazebokontrollierte Phase-III-Studie (ARASENS) schloss insgesamt 1306 Männer mit überwiegend de-novo mHSPC (ca. 86 %) ein, wobei die Hälfte der Patienten zusätzlich zu ADT / Docetaxel noch den AR-Inhibitor Darolutamid erhielt. Dieses ist zur Behandlung des nicht metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinoms zugelassen (18, 19). Mit einem medianen Follow-up von 43,7 Monaten war auch hier das mediane Gesamtüberleben in der Dreiergruppe noch nicht erreicht vs. 48,9 Monate in der ADT- / Docetaxel-Gruppe (HR: 0,68; 95 %-KI: 0,57–0,80). Diese Studie konnte aber auch in punkto Zeit bis CRPC (nicht erreicht vs. 19,1 Monate; HR: 0,36; 95 %-KI: 0,30–0,42), Zeit bis zu symptomatischen skelettalen Events (51,2 vs. 39,7 Monate; HR: 0,61; 95 %-KI: 0,52–0,72) als auch Zeit bis zur nächsten symptomatischen Therapie (nicht erreicht vs. 25,3 Monate; HR: 0,39; 95 %-KI: 0,33–0,46) signifikante Vorteile zeigen. Im Unterschied zur PEACE1-Studie zeigten in Subgruppenanalysen sowohl Hochrisiko- (HR: 0,69; 95 %-KI: 0,57–0,82) als auch Niedrigrisiko-Patienten (HR: 0,62; 95 %-KI: 0,42– 0,90) einen vergleichbar guten OS-Benefit. Nebenwirkungen waren ausgeglichen, ausser einer leicht erhöhten Rate an Hypertension (13,7 versus 9,2 %) und Hautausschlag (16,6 versus 13,5 %) zuungunsten des Darolutamid-Arms (18).
Schlussfolgerungen
Als Fazit aus den beiden gut balancierten, prospektiv randomisierten Phase-III-Studien kann ein signifikanter Überlebensvorteil zugunsten einer Kombinationstherapie mit ADT / Docetaxel und NHT
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(Abirateronacetat resp. Darolutamid) mit – falls überhaupt – vertretbaren zusätzlichen Nebenwirkungen festgehalten werden. Heisst dies nun, dass die Tripletherapien neu als Standard angeschaut werden müssen? Wir denken, dass bei Patienten, welche die Kriterien der Studie erfüllen (de-novo mHSPC, hohe Tumorlast, kein alleiniger Lymphknotenbefall, PS 0-1, fit für Docetaxel) ein Einsatz der Tripletherapie evaluiert werden sollte, im Besonderen bei denen, für die ansonsten eine Kombination aus ADT und Docetaxel zum Zug gekommen wäre, da hier beide Studien klar einen Überlebensvorteil zeigten. Analog zu den Studien sollten die Chemotherapie und die AR-beeinflussenden Massnahmen konkomittierend aufgenommen werden. Inwiefern einer Dreierkombination bei metachronem mHSPC oder niedriger Tumorlast der Vorzug zu geben ist, bleibt hingegen ungeklärt, ebenso inwiefern die Dreierkombination der in den letzten Jahren am häufigsten gewählten Doublette aus ADT und NHT auch überlegen ist. Die beiden Studien konnten einen Vorteil nur gegen die Kombination aus ADT / Docetaxel beweisen, nicht aber gegenüber der Kombination aus ADT und ARbeeinflussenden Massnahmen (s. Abbildung).
Schluss
Die vergangenen wenigen Jahre haben die Therapielandschaft des metastasierten, hormonsensitiven Prostatakarzinoms nachhaltig verändert und erweitert: Sowohl die Doublette aus ADT und Docetaxel als auch die Kombination aus ADT und NHT führten zu einer signifikanten Verbesserung des Gesamtüberlebens verglichen zur Standardbehandlung. Die kürzlich publizierten Daten zu Dreierkombinationen, die ADT, Docetaxel und entweder den CYP117-Hemmer Abirateronacetat (PEACE-1) oder den Zweitgenerations-AR-Inhibitor Darolutamid (ARASENS) enthalten, zeigen nun nochmals eine weitere OS-Verbesserung bei de-novo mHSPC verglichen zu ADT und Docetaxel. Nichtsdestotrotz bleiben noch einige Fragen offen. So wissen wir immer noch nicht, ob die Kombination aus ADT und NHT der Kombination aus HAT und Docetaxel nicht nur ebenbürtig, sondern eventuell sogar überlegen ist, beweisen beide Phase-III-Studien letztlich nur die Überlegenheit der Dreierkombination verglichen zu ADT und Docetaxel, aber nicht die Überlegenheit zu ADT und NHT. Die Advanced Prostate Cancer Consensus Conference (APCCC) hat sich 2021 und 2022 intensiv mit diesen Fragen beschäftigt und die Abstimmungsresultate zu vielen der hier diskutierten Fragen veröffentlicht (21, 22). Die beste Evidenz für die Dreierkombination liegt entsprechend den zugrundeliegenden Studien für
Merkpunkte
■ Zweierkombinationen bestehend aus ADT + Docetaxel oder ADT + NHT sind Standard beim mHSPC mit verlängertem Gesamtüberleben.
■ Dreierkombinationen aus ADT + Docetaxel + NHT (Abirateron oder Darolutamid) sind bei de-novo mHSPC der Kombination aus ADT + Docetaxel überlegen, wobei der Einsatz konkomittierend sein sollte.
■ Inwiefern Dreierkombination der Kombination aus ADT + NHT überlegen ist, bleibt unklar.
■ Die Dreierkombination kommt vorzugshalber bei fitten Patienten mit de-novo mHSPC und relevanter Tumorlast zur Anwendung.
Patienten mit de-novo mHSPC vor. Die kürzlich publizierten Daten zu den Subgruppen der ARASENSStudie unterstützen den Einsatz der Dreierkombination auch bei ausgewählten und fitten Patienten mit geringerer Tumorlast aber z.B. aggressiver Tumorbiologie (hoher Gleason-Score, ausgedehnte Lymphknotenmetastasen) oder Patienten mit metachron ausgedehnter Metastasierung. Es ist darauf hinzuweisen, dass in der Schweiz Docetaxel in Kombination mit Abirateronacetat nicht von Swissmedic zugelassen ist, im Gegensatz zur Kombination aus Docetaxel plus Darolutamid (seit 1.4. auf der Spezialitätenliste). Für einen Grossteil der mHSPC-Patienten (metachrone HSPC, nur lymphogene oder an Anzahl limitierte stammskelettbetonte Metastasen, Co-Morbiditäten, ältere Patienten, fehlende Motivation für Chemotherapie) stellt die Kombinationstherapie aus ADT und NHT immer noch eine gut untersuchte, gut verträgliche Therapieoption dar. Auf der anderen Seite schwinden die Argumente für eine ADT und Docetaxel allein, da diese im Vergleich zur Kombinationstherapie mit ADT und NHT mit mehr Nebenwirkungen verbunden und einer Tripletherapie in Bezug auf das Gesamtüberleben statistisch unterlegen ist, so dass sie so kaum mehr zu vertreten ist.
Dr. med. Christian Spirig Medizinische Onkologie Zentrum für Onkologie Luzern, Klinik St. Anna 6006 Luzern E-Mail: christian.spirig@hin.ch
PD Dr. med. Aurelius Omlin Onkozentrum Zürich 8008 Zürich E-Mail: aurelius.omlin@ozh.ch
Interessenskonflikte: keine
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