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ESMO 2022
ESMO Congress 2022, 9.–13. September 2022, Paris und virtuell
Urologische Tumoren
Highlights aus der medizinisch-onkologischen Forschung
Im Bereich der urologischen Tumorentitäten wurden beim ESMO Congress 2022 im Wesentlichen bewährte Therapien in den Fokus der Optimierung gestellt. Bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom (RCC) wurde Effektivität für die Therapie mit Cabozantinib plus Immuntherapie gezeigt, wogegen für die Immuntherapie im (neo)adjuvanten Setting nur bei spezifischen Subgruppen ein Wirksamkeitssignal beobachtet wurde. Für das Prostatakarzinom konnte der Stellenwert der ADT im adjuvanten Setting sowie eine angepasste Dosierung von Cabazitaxel für ältere und/oder komorbide Patienten bestätigt werden.
Nierenzellkarzinom
Cabozanitinib plus doppelte Checkpoint-Blockade firstline In der plazebokontrollierten Studie COSMIC-313 erhielten 855 RCC-Patienten mit mittlerem bis hohem Progressionsrisiko, die keine vorherige systemische Therapie für die metastasierte Erkrankung erhalten hatten, Ipilimumab plus Nivolumab sowie randomisiert Cabozantinib oder Plazebo (1). Ipilimumab wurde über die Dauer von 4 Zyklen gegeben, Nivolumab und Cabozantinib (bzw. Plazebo) bis zum Verlust des Therapieerfolgs oder bis zum Auftreten nicht tolerierbarer Nebenwirkungen. Zum Zeitpunkt der Auswertung, mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 17,7 Monaten für die ITT-Population, waren noch 43% der Patienten im Verum-Arm versus 39% im Kontrollarm unter Therapie. Die eingeschlossenen Patienten hatten in drei Viertel der Fälle ein intermediäres Progressionsrisiko gemäss IMDC-Kriterien. Im Ergebnis wurde das Risiko für einen Krankheitsprogress oder Tod durch die zusätzliche Cabozantinib-Gabe um 27% reduziert (Hazard Ratio [HR]: 0,73; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,57–0,94; p = 0,013). Nach 12 Monaten lebten 57 versus 49% der Patienten progressionsfrei. In Subgruppenanalysen wurde der Vorteil für fast alle Patienten gezeigt, nur die Subgruppe der Patienten mit hohem Risiko profitierte in dieser Analyse nicht von der zusätzlichen Cabozantinib-Gabe (HR: 1,04; 95%-KI: 0,65-1,69). Bei Patienten mit intermediärem Risiko betrug die Hazard Ratio für das progressionsfreie Überleben (PFS) 0,63 (95%-KI: 0,47–0,85). Ein Ansprechen zeigten 43 versus 36%
der Patienten, eine stabile Erkrankung 43 versus 36%. Die mediane Zeit bis zum Ansprechen war mit 2,4 und 2,3 Monaten vergleichbar, der Median für die Dauer des Ansprechens in beiden Studienarmen noch nicht erreicht. Das Sicherheitsprofil von Cabozantinib, Nivolumab und Ipilimumab war generell handhabbar und konsistent mit den Nebenwirkungen der einzelnen Komponenten.
Kein Vorteil durch adjuvante Immuntherapie mit Ipilimumab plus Nivolumab Die Phase-III-Studie CheckMate 914 untersuchte plazebokontrolliert, ob die adjuvante Gabe von Nivolumab plus Ipilimumab oder die Nivolumab-Monotherapie bei Patienten mit reseziertem Nierenzellkarzinom im Stadium II/III und hohem Rezidivrisiko das krankheitsfreie Überleben (DFS) verlängern kann (2). Beim ESMOKongress wurden die Ergebnisse für den Vergleich von Nivolumab plus Ipilimumab versus Plazebo präsentiert. Insgesamt 816 Patienten erhielten nach radikaler oder partieller Nephrektomie 240 mg Nivolumab (q2w) plus 1 mg/kg Ipilimumab (q6w) oder Plazebo (q2w und q6w). Die Studie erreichte den primären Endpunkt, eine Verlängerung des DFS, mit einer Hazard Ratio von 0,92 (95%-KI: 0,71–1,19; p = 0,5347) nicht. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 15,4 Monaten betrug die 2-Jahres-DFS-Rate 76,4 versus 74,0%. Subgruppenanalysen zeigten im Trend ein verbessertes DFS unter der immunonkologischen Kombination für die Tumorstadien pT2a, G3 oder G4, N0 M0 bzw. pT2b, G any, N0 M0 (HR: 0,66; 95%KI: 0,31–1,41) sowie pT4, G any, N0 M0
bzw. pT any, G any, N1 M0 (HR: 0,61; 95%KI: 0,30–1,24). Für die kleine Gruppe der Patienten mit sarkomatoiden Tumoren wurde ein Hinweis auf einen Vorteil der IO-Therapie gesehen (HR: 0,29; 95%-KI: 0,09–0,91). Mehr als die Hälfte der Patienten (57%) komplettierten die Therapie mit 12 Dosen Nivolumab plus 4 Dosen Ipilimumab. 43% der Patienten brachen die Kombinationstherapie ab, 33% aufgrund von Nebenwirkungen. Therapie-assoziierte Nebenwirkungen Grad ≥ 3 traten bei 28% der Patienten auf.
Prostatakarzinom
Längere Dauer der ADT bringt signifikanten Wirksamkeitsgewinn Da für Patienten mit Prostatakarzinom nach Prostatektomie häufig die Androgendeprivation plus Radiatio eingesetzt wurde, untersuchte die RADICALS-HD-Studie den Effekt der Androgendeprivationstherapie (ADT) zusätzlich zur postoperativen Radiatio auf das metastasenfreie Überleben (MFS) (3). Verglichen wurden dabei die kürzere (6 Monate) gegenüber einer längeren ADT (24 Monate) sowie der Effekt der ADT bei Vorliegen von Komorbiditäten und unterschiedlichen PSA-Werten. In drei Studienarmen erhielten die Patienten eine alleinige Bestrahlung (n = 737) oder zusätzlich eine ADT über 6 (n = 743) oder über 24 Monate (n = 762). Im Vergleich zwischen der kürzeren und keiner ADT wurde kein Unterschied bezüglich dem MFS (HR: 0,89; 95%-KI: 0,69–1,14) beobachtet, nach 10 Jahren waren 79 bzw. 80% der Patienten ohne Ereignis. Auch das OS war mit einer 10-Jahres-Rate von 86 versus 85% vergleichbar (HR: 0,88; 95%-KI: 0,65–1,19). Patienten mit geringerem PSA-Wert und weniger Komorbiditäten profitierten im Trend besser von der kurzzeitigen ADT im Vergleich mit der alleinigen Radiatio. Die längere versus eine kürzere Dauer der ADT resultierte in einer signifikanten Verlängerung des MFS (HR: 0,77; 95%-KI: 0,61–0,97), mit einer 10-Jahres-MFS-Rate von 78 versus 72%.
36 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2023
ESMO 2022
ESMO Congress 2022, 9.–13. September 2022, Paris und virtuell
Der OS-Unterschied erreichte die statistische Signifikanz bisher nicht (HR: 0,88; 95%-KI: 0,66–1,17), nach 10 Jahren lebten 85 versus 82% der Patienten mit längerer versus kürzerer ADT. Die Subgruppenanalysen bestätigten einen Vorteil für die längere ADT, unabhängig vom PSA-Wert und den Komorbiditäten der Patienten.
Älteren Patienten kann geringer dosiertes Cabazitaxel q2w angeboten werden Mit Cabazitaxel (Standarddosierung: 25 mg/m2, q3w) steht für Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) eine lebensverlängernde Therapie zur Verfügung. Älteren, intensiv vorbehandelten Patienten wird eine Chemotherapie häufig nicht mehr zugemutet. In Pilotstudien wurde gezeigt, dass die geringere Dosierung von Cabazitaxel (16 mg/m2, q2w) das Risiko für schwere Neutropenien senken kann, ohne die Wirksamkeit zu verringern. Die CABASTY-Studie wurde durchgeführt, um diese Hypothese zu bestätigen (4). 196 Patienten von 31 Zentren in Frankreich und Deutschland erhielten randomisiert Cabazitaxel in den Dosierungen 25 mg/m2, q3w, oder 16 mg/m2, q2w, jeweils mit Prednison (täglich 10 mg) und G-CSF. Als primärer Endpunkt wurde das Auftreten von Neutropenien Grad ≥ 3 und/oder von neutropenischen Komplikationen untersucht. Sekundäre End-
punkte waren u. a. das Gesamtüberleben
(OS), das radiologische progressions-
freie Überleben (rPFS), das PSA-Anspre-
chen und das objektive Tumoranspre-
chen. Die Patienten waren im Median
74,5 Jahre alt und etwa die Hälfte wurde
mit metastasierter Erkrankung diagnos-
tiziert. Alle Patienten hatten bereits eine
Docetaxel-Therapie erhalten und zwei
Drittel der Patienten ≥ 2 Linien einer
neuen hormonellen Therapie.
Die Studie erreichte den primären End-
punkt. Neutropenien Grad ≥ 3 und/oder
neutropenische Komplikationen traten
bei 62,9% unter 3-wöchigem versus 5,1%
der Patienten unter 2-wöchigem Regime
auf (p < 0,001). Die Inzidenz von febrilen Neutropenien wurde von 7,3 auf 0% ge- senkt. Die Wirksamkeit wurde durch den veränderten Applikationsplan nicht be- einträchtigt. Das mediane rPFS lag bei 10,2 versus 8,5 Monaten (HR: 0,95; 95%- KI: 0,70–1,31; p = 0,775) und das mediane OS bei 14,1 versus 14,0 Monaten (HR: 0,87; 95%-KI: 0,63–1,20; p = 0,390). Ein PSA-Ansprechen ≥ 50% zeigten 45,2 ver- sus 42,9% (p = 0,75) und ein objektives Tumoransprechen 18,1 versus 15,4% der Patienten (p = 0,63). n Ine Schmale Referenzen: 1. Choueiri TK et al.: Phase 3 study of cabozantinib in combination with nivolumab and ipilimumab in previously untreated advanced renal cell carcinoma of IMDC intermediate or poor risk (COSMIC-313). ESMO Congress 2022, Abstr. #LBA8. Auf einen Blick Nierenzellkarzinom ■ Die Hinzunahme von Cabozantinib zu Nivolumab plus Ipilimumab verlängert bei unbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom (RCC), insbesondere mit intermediärem Risiko, das progressionsfreie Überleben. ■ Die CheckMate 914-Studie erreichte den primären Endpunkt nicht. Für RCC-Patienten mit sarkomatoiden Tumoren wurde ein Hinweis auf den Vorteil durch eine immunonkologische Therapie gesehen. Prostatakarzinom ■ 24 Monate ADT zusätzlich zur Radiatio verlängert das metastasenfreie Überleben signifikant gegenüber 6 Monaten ADT plus Radiatio oder einer alleinigen Radiatio. ■ Cabazitaxel in einer geringeren Dosis alle zwei Wochen senkt die Rate an Neutro penien Grad ≥ 3 ohne die Wirksamkeit, im Vergleich zur dreiwöchigen Applikation, zu beeinflussen. 2. Motzer RJ et al.: Adjuvant nivolumab plus ipilimumab versus placebo for localized renal cell carcinoma at high risk of relapse after nephrectomy: Results from the randomized, phase 3 CheckMate 914 trial. ESMO Congress 2022, Abstr. #LBA4. 3. Parker CC et al.: Duration of androgen deprivation therapy (ADT) with post-operative radiotherapy for prostate cancer: First results of the RADICALS-HD trial. ESMO Congress 2022, Abstr. #LBA9. 4. Oudard S et al.: Cabazitaxel every 2 weeks versus every 3 weeks in older patients with metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC): The CABASTY randomized phase III trial. ESMO Congress 2022, Abstr. #1363MO. Aktualisierung der S3-Leitlinie zum Nierenzellkarzinom KÜRZLICH WURDE DIE AKTUALISIERTE VERSION DER S3-LEITLINIE ZUM NIERENZELLKARZINOM PUBLIZIERT. IN DIESER WIDMET SICH ERSTMALS EIN KAPITEL DER DIAGNOSTIK UND THERAPIE DES NICHT KLARZELLIGEN NIERENZELLKARZINOMS. Bis zu einem Viertel der Nierenzellkarzinome zählt zu den nicht klarzelligen Nierenzellkarzinomen. Diese werden nun erstmals in der S3-Leitlinie behandelt und es wird empfohlen, sie gemäss der WHO-Klassifikation einzustufen. Die WHO-Klassifikation kennt diesbezüglich mehr als 15 verschiedene Entitäten. Diese Heterogenität führe dazu, dass sie in Therapiestudien häufig unberücksichtigt blieben und die Datenlage limitiert sei, was wiederum klare Therapiestrategien erschwere, so Prof. Dr. Christian Doehn vom Urologikum Lübeck und einer der Koordinatoren der Leitlinie, in einer Pressemittteilung. «In der Aktualisierung der Leitlinie geben wir jetzt einen Überblick über die bestehende Studienlage in Bezug auf diese spezielle Gruppe. Orientiert daran sprechen wir konkrete Empfehlungen aus, um damit die Behandlung von Patienten mit diesen Tumorentitäten zu verbessern», so der Experte weiter. Erstmals wurde nun für die adjuvante Therapie eine Empfehlung für eine Immuntherapie unter Verwendung eines Checkpoint-Inhibitors ausgesprochen, falls eine bestimmte (erhöhte) Risikokonstellation für ein Tumorrezidiv vorliegt. Die Empfehlungen zur neoadjuvanten Therapie bleiben nach Überprüfung bestehen: Für Tumoren, die noch keine Metastasen gebildet haben, wird keine neoadjuvante Therapie empfohlen. Falls doch eine durchgeführt wird, sollte das nur im Rahmen von Studien geschehen. Denn bisherige Studien zeigten beim Nierenzellkarzinom nur eine geringe Abnahme der Tumorgrösse durch neoadjuvante Therapien. Es bestehe allerdings sowohl für adjuvante als auch neoadjuvante Therapien noch erheblicher Forschungsbedarf. Mü Die S3-Leitlinie ist unter folgendem Link abrufbar: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/nierenzellkarzinom/ Quelle: Deutsche Krebsgesellschaft (DKG)/Pressemitteilung, 27.02.2023 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2023 37