Transkript
ESMO 2022
ESMO Congress 2022, 9.–13. September 2022, Paris und virtuell
Gastrointestinale Tumoren
Diverse Patientenkohorten profitieren von personalisierten Therapien
Fortschritte in der Behandlung von Patienten mit Kolorektalkarzinom werden insbesondere für Patientensubgruppen erreicht. Beim ESMO Congress 2022 wurden neben Studien zu etablierten Regimen auch vielversprechende Ergebnisse für Patienten mit Mismatch-Reparatur-Defizienz (dMMR) oder KRASG12C-Mutation gezeigt. Beim Leberzellkarzinom wurde eine Überlebensverlängerung mit der Kombination von Immuntherapie und zielgerichteter Therapie gegenüber Sorafenib beobachtet.
Kolorektalkarzinome
Neoadjuvante doppelte Immun blockade hocheffektiv Bei etwa 10–15% der Kolonkarzinome liegt eine Mismatch-Reparatur-Defizienz (dMMR) vor. Die neoadjuvante Chemotherapie induziert ein pathologisches Ansprechen bei nur 5–7% dieser Patienten. Da mit einer neoadjuvanten Immuntherapie bei diversen Tumorentitäten gute Ergebnisse erzielt wurden, untersuchte die nicht randomisierte Studie NICHE-2 die Gabe von Nivolumab plus Ipilimumab im ersten und NivolumabMonotherapie im zweiten Zyklus, gefolgt von der Tumorresektion (1). Einschlusskriterien waren ein nicht metastasiertes, unbehandeltes dMMR-Kolonkarzinom im Stadium cT3 und/oder N+. Als primäre Endpunkte der akademisch initiierten Studie wurden die Sicherheit und Machbarkeit der neoadjuvanten Therapie sowie das 3-Jahres-krankheitsfreie Überleben (DFS) untersucht. In der einarmigen Studie wurden 112 Patienten behandelt, von denen 107 in die Wirksamkeitsanalyse eingingen. Das mediane Alter der Patienten betrug 60 Jahre. 87% der Patienten waren in einem sehr guten (ECOG PS 0) und 13% in einem guten Allgemeinzustand (ECOG PS 1). Bei 68% der Studienteilnehmer war der Tumor im rechten Kolon lokalisiert, bei 17% im linken Kolon und bei 15% in der Transverse. 74% der Tumoren waren im Stadium III und hatten ein hohes Progressionsrisiko. Bei allen Patienten konnte der Tumor R0 reseziert werden. Die mediane Zeit von der ersten Dosis Nivolumab plus Ipilimumab bis zur Operation betrug 5,4 Wo-
chen. Operationsbezogene Nebenwirkungen traten bei 21% der Patienten auf, von Grad ≥ 3 bei 13% der Patienten. Eine Wundinfektion oder eine Anastomoseninsuffizienz wurden bei 5% der Patienten beobachtet. 98% der Patienten konnten pünktlich operiert werden und erfüllten damit den primären Ko-Endpunkt. Ein pathologisches Ansprechen wurde bei 95% der Patienten beobachtet, eine pathologische Komplettremission bei 67% der Patienten. Die Immuntherapie wurde gut vertragen, immunvermittelte Nebenwirkungen Grad 3–4 traten nur bei 4% der Patienten auf. Bisher kam es noch nicht zu einem Krankheitsrezidiv. Die 3-Jahres-DFS-Daten werden für 2023 erwartet.
Etablierte Substanzen zeigen im Wesentlichen vergleichbare Ergebnisse In der CAIRO5-Studie wurden prospektiv und randomisiert etablierte systemische Regime bei Patienten mit einem Kolorektalkarzinom mit initial nicht resektablen Lebermetastasen verglichen (2). Die Ergebnisse für die Studienarme, die Chemotherapie plus entweder Bevacizumab oder Panitumumab bei RAS/ BRAF-Wildtyp und linksseitigem Primarius miteinander verglichen, wurden beim ESMO-Kongress vorgestellt. Primärer Studienendpunkt war das PFS. Insgesamt wurden 230 Patienten mit einem medianen Alter von 59–60 Jahren eingeschlossen. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 44 Monaten wurde kein Unterschied bezüglich des PFS gesehen (Hazard Ratio [HR]: 1,12; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,84–
1,50; p = 0,44). Im Median lebten die Patienten 10,6 (Bevacizumab) versus 10,3 Monate (Panitumumab) ohne Progress. Ein Ansprechen wurde mit 52 versus 76% häufiger bei Patienten unter Panitumumab-haltiger Therapie gesehen (p < 0,001). 68 versus 67% der Patienten konnten einer Resektion zugeführt werden. Eine R0/1-Resektion mit oder ohne Ablation wurde bei 58 versus 56% der Patienten erreicht. In Subgruppenanalysen zeigte sich in beiden Studienarmen ein PFS-Vorteil für Patienten mit versus ohne lokale Therapie: Im Bevacizumab-Arm wurde das mediane PFS von 9,9 auf 11,3 Monate und im Panitumumab-Arm von 6,6 auf 12,1 Monate verlängerte. Nebenwirkungen Grad ≥ 3 zeigten 52 versus 69% der Patienten (p = 0,01). Unter Bevacizumab trat häufiger Bluthochdruck (18 vs. 7%), unter Panitumumab häufiger Hauttoxizität (25 vs. 1%) und Diarrhoe (16 vs. 4%) auf. Adagrasib plus Cetuximab bei Patienten mit KRASG12C-Mutation Kolorektalkarzinompatienten mit einer KRASG12C-Mutation haben eine schlechtere Prognose als Patienten mit KRASWildtyp. Die Therapie mit einem KRASG12C-Inhibitor könnte diese schlechtere Prognose und auch ein schlechteres Ansprechen auf Cetuximab überwinden. In der Phase-Ib/II-Studie KRYSTAL-1 wurden 32 Patienten mit Adagrasib plus Cetuximab (Phase Ib) und 44 Patienten mit einer Adagrasib-Monotherapie (Phase II) behandelt (3). Die Patienten wiesen eine nicht resektable oder metastasierte Erkrankung auf. Zu den Einschlusskriterien gehörte auch, dass keine weitere Therapie mit kurativer Intention und keine weitere Standardtherapie zur Verfügung standen. Die Patienten waren median 59–60 Jahre alt und hatten bereits 1–9 Vortherapien, im Median 3 vorangegangene Therapien, erhalten. Auf die Adagrasib-Monotherapie sprachen 19% der Patienten 34 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2023 ESMO 2022 ESMO Congress 2022, 9.–13. September 2022, Paris und virtuell an und die Krankheitskontrollrate betrug 86%. Die mediane Zeit bis zum Ansprechen lag bei 1,5 Monaten und die mediane Dauer des Ansprechens bei 4,3 Monaten. Nach 6 Monaten lebten 47% und nach 12 Monaten 15% der Patienten ohne Progress, mit einem medianen PFS von 5,6 Monaten (95%-KI: 4,1–8,3). Das mediane OS betrug 19,8 Monate (95%KI: 12,5–23,0), 6 Monate überlebten 93%, 12 Monate 69% der Patienten. Die Adagrasib-Monotherapie wurde gut vertragen, mit Therapie-assoziierten Nebenwirkungen Grad 3 bei 30% der Patienten und ohne Therapieabbrüche aufgrund von Therapie-assoziierten Nebenwirkungen. Die Kombination von Adagrasib mit Cetuximab führte bei 46% der Patienten zu einem Ansprechen und einer Krankheitskontrollrate von 100%. Die Zeit bis zum Ansprechen war mit median 1,4 Monaten ebenfalls kurz und die mediane Dauer des Ansprechens mit 7,6 Monaten gegenüber der Monotherapie verlängert. Im Median betrug das PFS 6,9 Monate (95%-KI: 5,4–8,1) und das OS 13,4 Monate (95%-KI: 9,5–20,1). Nach 6 Monaten lebten 84% der Patienten und 60% waren progressionsfrei, nach 12 Monaten lebten 61 und 24% ohne Progress. Auch die Kombination wurde gut vertragen. Bei 9% der Patienten traten Grad-3-Nebenwirkungen auf. Bei 16% der Patienten führten Therapie-assoziierte Nebenwirkungen zum Absetzen von Cetuximab, während die Therapie mit Adagrasib nicht aufgrund von Nebenwirkungen abgebrochen wurde. Auch Sotorasib plus Panitumumab effektiv bei KRASG12C-Mutation Als weiterer KRASG12C-Inhibitor wurde Sotorasib in Kombination mit Panitumumab bei 40 Patienten mit chemorefraktärem KRASG12C-mutierten Kolorektalkarzinom in der Phase-Ib-Studie CodeBreaK 101 untersucht (4). Das mediane Alter der Patienten betrug 58 Jahre, bei zwei Dritteln der Patienten war der Primarius im linken Kolon lokalisiert und bei 68% der Patienten bestand eine Lebermetastasierung. Die Kombination wurde gut vertragen, es kam nicht zu einem Therapieabbruch aufgrund von therapieassoziierten Nebenwirkungen. Ein Ansprechen wurde bei 30% der Patienten beobachtet, eine Krankheitskontrolle bei 93% erreicht. Die mediane Dauer des Ansprechens lag bei 4,4 Monaten. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 11,0 Monaten betrug das mediane PFS 5,7 Monate. Das mediane Gesamtüberleben war noch nicht erreicht. Erfolgreiche Kombinationsthe- rapie beim Leberzellkarzinom Zum ersten Mal konnte eine internationale Phase-III-Studie signifikante PFS- und OS- Ergebnisse mit einer Kombination aus ei- nem PD-1-gerichteten Checkpoint-Inhibi- tor und einem Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) gegenüber Sorafenib beim nicht re- sektablen oder metastasierten Leberzell- karzinom (HCC) gezeigt werden (5). In die Studie eingeschlossen waren insgesamt 543 Patienten im BCLC-Stadium B mit ei- nem Child-Pugh A. Mit Camrelizumab plus Rivoceranib (Apatinib) wurde ein medianes PFS von 5,6 Monaten versus 3,7 Monaten im So- rafenib-Arm beobachtet (HR: 0,52; 95%- KI: 0,41–0,65; p < 0,0001). Dieser Vorteil setzte sich in ein signifikant verlängertes Gesamtüberleben um. Im explorativen Arm betrug das mediane OS 22,1 Mo- nate versus 15,2 Monate im Kontrollarm (HR: 0,62; 95%-KI: 0,49–0,80; p < 0,0001). Nach 12 Monaten lebten 76,5% der Pati- enten unter Camrelizumab plus Rivoce- ranib versus 60,8% unter Sorafenib und nach 18 Monaten 60,9 versus 45,2% der Patienten. Subgruppenanalysen zeigten sowohl den PFS- als auch den OS-Vorteil für alle untersuchten Subgruppen. 25,4 versus 5,9% der Patienten sprachen auf die Studienmedikation an, die mediane Dauer des Ansprechens betrug 14,8 ver- sus 9,2 Monate. n Ine Schmale Auf einen Blick Kolorektalkarzinom ■ In einer akademisch initiierten nicht-rando- misierten Studie wurde mit der neoadjuvanten Gabe von Nivolumab plus Ipilimumab eine hohe Ansprechrate bei Patienten mit einem dMMR-Kolonkarzinom erreicht. Die Operation wurde durch die Immuntherapie nicht beeinflusst. ■ Patienten mit linksseitigem Primarius und initial nicht resektablen Lebermetastasen erzielen mit einer Chemotherapie plus entweder Bevacizumab oder Panitumumab ein vergleichbares progressionsfreies Überleben. ■ Die Kombination eines KRASG12C-Inhibitors mit einem EGFR-gerichteten Antikörper ist effektiv bei Patienten mit KRASG12C-Mutation. In den Studien KRYSTAL-1 und CodeBreaK 101 wurden mit Adagrasib plus Cetuximab sowie Sotorasib plus Panitumumab vielversprechende Ergebnisse erreicht. Leberzellkarzinom ■ In einer internationalen Phase-III-Studie wurden mit Camrelizumab plus Rivoceranib (Apatinib) signifikante PFS- und OS-Ergebnisse gegenüber Sorafenib beim nicht resektablen oder metastasierten Leberzellkarzinom (HCC) gezeigt. Referenzen: 1. Chalabi M et al.: Neoadjuvant immune checkpoint inhibition in locally advanced MMR-deficient colon cancer: The NICHE-2 study. ESMO Congress 2022, Abstr. #LBA7. 2. Bond MJG et al.: FOLFOX/FOLFOXIRI plus either bevacizumab or panitumumab in patients with initially unresectable colorectal liver metastases and left-sided and RAS/BRAFV600E wild-type tumour. ESMO Congress 2022, Abstr. #LBA21. 3. Klempner SJ et al.: KRYSTAL-1: Updated efficacy and safety of adagrasib (MRTX849) with or without cetuximab in patients with advanced colorectal cancer harboring a KRAS G12C mutation. ESMO Congress 2022, Abstr. #LBA24. 4. Kuboki Y et al.: Sotorasib in combination with panitumumab in refractory KRAS G12C-mutated colorectal cancer: safety and efficacy for phase 1b full expansion cohort. ESMO Congress 2022, Abstr. #315O. 5. Qin S et al.: Camrelizumab plus rivoceranib vs. sorafenib as first-line therapy for unresectable hepatocellular carcinoma: a randomized, phase 3 trial. ESMO Congress 2022, Abstr. #LBA35. SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2023 35