Transkript
ASH 2022
64th ASH Annual Meeting and Exposition, 10.–13. Dezember 2022, New Orleans
Chronische myeloische Leukämie
Therapien für Patienten mit fortschreitender Erkrankung
Die Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) hat die Prognose für Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie (CML) drastisch verbessert. Die Optimierung des Einsatzes von Erst-, Zweit- und Drittgenerations-TKI, neue Wirkmechanismen sowie der Umgang mit der fortschreitenden Erkrankung waren Themen bei der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH).
Zweitlinien-TKI bei genetischen Aberrationen effektiver als Imatinib
Das Auftreten zusätzlicher genetischer Aberrationen bei CML-Diagnose ist assoziiert mit einer schlechteren Prognose. Ob auch ein Einfluss auf den Therapieerfolg mit Imatinib oder einem Zweitlinien-TKI besteht, wurde in einer australischen Studie untersucht (1). Mit der Diagnose wurden dazu bei CML-Patienten, die in Upfront-Studien mit Imatinib, Nilotinib und Dasatinib eingeschlossen wurden, auch die RNA-Sequenzen von Tumorgenen erhoben. Bei den Aberrationen handelte es sich um Tumorgenvarianten und Philadelphia-assoziierte Rearrangements. Retrospektiv wurde die Korrelation von bei Diagnose identifizierten genetischen Aberrationen mit dem Therapieerfolg analysiert. In der Studie wurden die Daten von 200 mit Imatinib sowie 91 mit Nilotinib und 72 mit Dasatinib behandelten Patienten analysiert. Bei 31% der mit Imatinib sowie 34% der mit einem Zweitgenerations-TKI behandelten Patienten wurden genetische Aberrationen festgestellt, mit ASXL1 als häufigstem mutiertem Gen. Ebenfalls wiederholt identifiziert wurden Mutationen von TET2, RUNX1 und DNMT3A. In der mit Imatinib behandelten Kohorte lag die Gesamtüberlebens-(OS-)Rate nach 48 Monaten bei 81% für Patienten ohne versus 69% mit genetischen Aberrationen (p = 0,03). Bei Patienten, die mit Zweitgenerations-TKI behandelt wurden, lag die 4-Jahres-OS-Rate bei 83 versus 68% (p = 0,04). Dies bestätigt eine schlechtere Prognose für Patienten mit zusätzlichen genetischen Aberrationen bei Diagnose, unabhängig vom gewählten TKI. Die kumulative Inzidenz eines
guten molekularen Ansprechens (MMR) lag für die Imatinib-Kohorte nach 48 Monaten bei 86% (ohne Aberrationen) versus 72% (mit Aberrationen) (p = 0,007) und für die Zweitgenerations-TKI-Kohorte bei 88 versus 80% (p = 0,25). Unter einem Zweitgenerations-TKI wurde ein MMR schneller als unter Imatinib erreicht, unabhängig vom Vorhandensein genetischer Aberrationen. Ein MR4-Ansprechen erreichten in der Imatinib-Kohorte 67% der Patienten ohne versus 37% mit Aberrationen gegenüber 70 und 57% der Patienten unter Zweitgenerations-TKI. Auch das MR4-Ansprechen wurde mit Zweitgenerations-TKI schneller erreicht als mit Imatinib.
Schnelles, tiefes Ansprechen mit Asciminib bei neu diagnostizierter Erkrankung
Asciminib ist ein BCR::ABL1-Inhibitor, der die ABL-Myristoyl-Tasche (STAMP) besetzt. In der ASCEMBL-Studie wurde für Asciminib bei Patienten mit CML-CP bereits die Wirksamkeit und Sicherheit in der dritten Therapielinie gezeigt. Nun wurde Asciminib in der prospektiven Phase-II-Studie ALLG CML13(ASCENDCML) für die Behandlung von neu diagnostizierten CML-CP-Patienten geprüft (2). Insgesamt 100 Patienten wurden innerhalb von 24 Monaten in 14 australischen und neuseeländischen Zentren rekrutiert und 98 mit Asciminib in Abhängigkeit des Ansprechens nach den molekularen ELN-Kriterien behandelt. Die Patienten erhielten Asciminib (40 mg bid für drei Monate), bei moderatem Ansprechen konnte die Dosierung auf 80 mg bid erhöht werden. Bei nicht ausreichendem Ansprechen konnte Asciminib mit Nilotinib, Dasatinib oder Imatinib kombiniert werden.
Das molekulare Ansprechen nach 3 Monaten war für 76 Patienten auswertbar. 92% der Patienten zeigten ein frühes molekulares Ansprechen (EMR; BCR::ABL1 ≤ 10%), 84% ein MR2 (BCR::ABL1 ≤ 1,0%), 47% ein MMR (BCR::ABL1 ≤ 0,1%) und 13% ein MR4 (BCR::ABL1 ≤ 0,01%). Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 11 Monaten (0–22 Monate) hatten insgesamt 10 Patienten die Medikation abgebrochen, 3 davon aufgrund einer Resistenz, die sich als Übergang in die Blastenkrise bzw. den Verlust der guten molekularen Remission (MMR) ohne sowie mit A337T-Mutation äusserte. An Nebenwirkungen wurden Thrombozytopenie (alle Grade: 14%; Grad 3–4: 5,4%), Neutropenie (6,5%; 6,5%), Anämie (8,5%; 2,2%), Lipase-Erhöhungen (16,1%; 6,5%) und eine Erhöhung der Leberenzyme (6%; 1%) berichtet. Arterielle Verschlusskrankheiten wurden bisher nicht beobachtet.
Intensiv vorbehandelte Patienten profitieren von Olverembatinib
Olverembatinib ist ein Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) der dritten Generation mit starker Wirksamkeit gegenüber multiplen Kinasen, wie KIT, PDGFR, SRC, FGFR und FLT3 sowie BCR-ABL1-Wildtyp und BCRABL1-T315I-Mutation. In einer Phase-IStudie wurden 3 Dosierungen (30 mg, 40 mg und 50 mg, jeweils qd) bei insgesamt 51 Patienten untersucht (3). Zu den Einschlusskriterien gehörte die Resistenz oder Intoleranz gegenüber ≥ 2 BCRABL1-gerichteten Substanzen. 3:3:2-randomisiert erhielten 38 Patienten mit CML und 13 mit Ph+ ALL Olverembatinib. Etwa die Hälfte der Patienten befand sich in der mindestens dritten Salvage-Therapielinie und weitere 27% in der zweiten Salvage-Linie. 52,6% der CML-Patienten und 80,0% der Ph+ ALL-Patienten hatten bereits Ponatinib erhalten und 70 bzw. 87,5% dieser Patienten waren resistent gegenüber Ponatinib. Eine T315I-Mutation wiesen mehr als ein Drittel der Patienten auf (36,8 bzw. 38,5%).
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ASH 2022
64th ASH Annual Meeting and Exposition, 10.–13. Dezember 2022, New Orleans
Unter 23 auswertbaren CML-CP-Patienten wurde ein komplettes zytogenetisches Ansprechen (CCyR) bei 77,8% und ein gutes molekulares Ansprechen (MMR) bei 43,5% der Patienten beobachtet. In Bezug auf die Vortherapie mit Ponatinib zeigten 77,8 bzw. 50,0% der resistenten und 100 bzw. 25% der intoleranten Patienten ein CCyR bzw. MMR. CML-CP-Patienten mit T315I-Mutation sprachen in 87,5% (CCyR) bzw. 55,6% (MMR) der Fälle auf Olverembatinib an, unmutierte Patienten in 70 bzw. 35,7% der Fälle. Bei 2 von 7 auswertbaren Patienten (28,6%) mit Ph+ ALL wurde ein CCyR sowie ein MMR erreicht. Olverembatinib wurde bis zu einer Dosierung von 50 mg qd gut vertragen. An hämatologischen Toxizitäten Grad 3–4 traten innerhalb der Gruppe der CMLPatienten Thrombozytopenie (18,9%), Neutropenie (16,2%) und Leukopenie (13,5%) am häufigsten auf. Nicht hämatologische Nebenwirkungen Grad 3–4 wurden hauptsächlich als erhöhte Laborparameter (Kreatin-Kinase: 13,5%; ALT: 5,4%; AST: 5,4% und Lipase: 8,1%) wahrgenommen.
Behandlung von Patienten mit Blastenkrise in Europa
Trotz der Verbesserungen bei der CMLBehandlung mit Einführung der TKI kommt es bei einer wichtigen Minderheit
der Patienten zu einem Fortschreiten in die Blastenkrise (CML-BP). Diese Patienten haben selbst in der TKI-Ära eine schlechte Prognose – auch deshalb, weil durch das Fehlen von klinischen Studien weder Standardtherapien noch Empfehlungen zur Verfügung stehen. Um die Biologie und die Heterogenität der Blastenkrise besser zu verstehen, wurde ein europäisches Register geschaffen. Ausgewertet wurden die Daten von 224 Patienten, die nach der chronischen Phase (CML-CP) oder de novo eine CML-BP-Diagnose nach Januar 2015 erhalten hatten (4). Einschlusskriterien waren zudem eine BCR::ABL-positive Erkrankung und ein Alter ≥ 18 Jahre. Das Alter der eingeschlossenen Patienten betrug bei CML-Diagnose median 45 Jahre (13–86) und bei Auftreten der Blastenkrise median 49 Jahre (18–86). Der Übergang in die Blastenkrise aus der chronischen Phase erfolgte median 29 Monate (1–378) nach der Diagnose. Betroffen waren in ähnlichem Masse Patienten mit – laut ELTS-Score – niedrigem (37%), intermediärem (35%) und hohem Risiko (28%) bei Diagnose der CML-CP. Bei 36% der Patienten trat die Blastenkrise de novo auf. Als Therapie erhielten die Patienten im Wesentlichen konventionelle Chemotherapien, TKI und allogene Stammzelltransplantationen. Individuell wurden Kombi-
nationen eingesetzt, mit dem Ziel, die
Blasten zu eradizieren. Die Therapieent-
scheidung wurde vom Alter, vom Verlauf
der CML-CP, vom Phänotyp der CML-BP
und von den BCR::ABL1-Mutationen be-
einflusst. So erhielten jüngere Patienten
häufiger Dasatinib, eine Chemotherapie
und eine Stammzelltransplantation. Pa-
tienten mit vorangegangener CML-CP
erhielten häufiger Ponatinib, bei kürzerer
Dauer der CML-CP häufiger Dasatinib
und bei de novo CML-BP häufiger Imati-
nib.
Bei weniger als einem Drittel der Patien-
ten kam es innerhalb von median 27 Mo-
naten Nachbeobachtungszeit nicht zu
einem Ansprechen. Bei 74% der Patien-
ten wurde ein Rückgang in die chronische
Phase verzeichnet. Von 91 Patienten mit
einem Ansprechen innerhalb von 6 Mo-
naten erhielten 40 eine Stammzelltrans-
plantation. Das Gesamtüberleben der
Patienten des Registers betrug median
21,8 Monate.
Aus dem Register abgeleitete Empfeh-
lungen sind die Blasteneradikation mit
TKI und/oder Cytarabin und Anthrazykli-
nen und die sofortige allogene Stamm-
zelltransplantation. Im Gegensatz zur
AML sei eine Erholung der normalen Hä-
matopoese nicht zu erwarten, so die Au-
toren. Eine langanhaltende Zytopenie
sollte daher vermieden werden.
n
Ine Schmale
Auf einen Blick
■ Zusätzliche genetische Aberrationen bei D iagnose gehen mit einer schlechteren Prognose einher, unabhängig vom gewählten TKI. Unter einem Zweitgenerations-TKI wurde ein gutes molekulares Ansprechen schneller als unter Imatinib erreicht, unabhängig vom Vorhandensein genetischer Aberrationen.
■ In der prospektiven Phase-II-Studie ALLG CML13 (ASCEND-CML) wurde mit dem STAMP-Inhibitor Asciminib bei Patienten mit neu diagnostizierter CML in der chronischen Phase (CML-CP) eine gute Wirksamkeit bei bekanntem vielversprechenden Sicherheitsprofil gezeigt.
■ Olverembatinib zeigt Antitumoraktivität bei chronisch myeloischer Leukämie (CML) und Philadelphia-Chromosom-positiver akuter lymphatischer Leukämie (Ph+ ALL). In einer Phase-I-Studie wurden vielversprechende Ergebnisse bei intensiv vorbehandelten Patienten mit Resistenz gegen Ponatinib beobachtet.
■ Ergebnisse aus den Beobachtungen des e uropäischen LeukemiaNet Blastenkrise-Registers deuten auf die Blasteneradikation mit TKI und/oder Cytarabin und Anthrazyklinen und sofortiger allogener Stammzelltransplantation als beste angewandte O ption hin. Eine langanhaltende Zytopenie sollte vermieden werden.
Referenzen: 1. Shanmuganathan N et al.: Additional mutational
events at diagnosis of CML confer inferior failurefree survival and molecular response for patients treated with frontline imatinib but not for patients treated with frontline second-generation tyrosine kinase inhibitors. ASH 2023, Abstr. #331. 2. Yeung D et al.: Early and deep molecular responses achieved with frontline asciminib in chronic phase CML – Interim results from ALLG CML13 ASCENDCML. ASH 2022, Abstr. #79. 3. Jabbour E et al.: Olverembatinib (HQP1351) overcomes ponatinib resistance in patients with heavily pretreated/refractory chronic myeloid leukemia (CML) and Philadelphia chromosome-positive acute lymphoblastic leukemia (Ph+ ALL). ASH 2022, Abstr. #82. 4. Brioli A et al.: Treatment and disease characteristics of chronic myeloid leukemia in blast crisis: The european leukemianet blast crisis registry. ASH 2022, Abstr. #336.
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