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UPDATE
S3-Leitlinie Hepatozelluläres Karzinom und biliäre Karzinome – Was ist neu?
Das Leitlinienprogramm Onkologie hat eine aktualisierte Fassung der S3-Leitlinie «Diagnostik und Therapie des Hepatozellulären Karzinoms (HCC) und der biliären Karzinome» herausgegeben. Zu den wesentlichen Neuerungen gegenüber der Version vom Juni 2021 gehören Empfehlungen zu seltenen Erkrankungen als Risikofaktoren für ein HCC sowie eine Erweiterung der chemotherapeutischen Optionen bei der Zweitlinientherapie biliärer Karzinome.
Weltweit gelten Infektionen mit dem Hepatitis-BVirus (HBV) und die Leberzirrhose als bedeutsamste Risikofaktoren für die Entwicklung eines HCC. In den westlichen Industrieländern ist die HCC-Inzidenz aufgrund Hepatitis-C-bedingter Leberzirrhosen sowie einer Zunahme der nicht alkoholischen Fettleber (NAFLD) und der nicht alkoholischen Fettleberhepatitis (NASH) mit fortgeschrittener Fibrose oder Zirrhose erheblich angestiegen. Eine Leberzirrhose ist bei allen Betroffenen, unabhängig von den Ursachen, mit einem erhöhten HCC-Risiko verbunden. Auch eine HBV ist immer − selbst bei antiviraler Therapie − mit einem erhöhten HCC-Risiko assoziiert. Deshalb empfehlen die Leitlinienexperten für Patienten mit einer Leberzirrhose (Child-Pugh A und B) oder einer chronischen Hepatitis-B (ab einem PAGE-B Score von 10) regelmässige Untersuchungen zur Früherkennung.
Seltene Erkrankungen als neue HCCRisikofaktoren
Aus neueren Untersuchungen geht hervor, dass neben den bereits bekannten Risikofaktoren auch seltenere Erkrankungen wie die akute intermittierende Porphyrie, Glykogenosen, Morbus Gaucher und Tryrosinanämie Typ 1 mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines HCC assoziiert sind. Diese Entitäten wurden daher neu als HCCRisikofaktoren in die aktualisierte Fassung aufgenommen. Für die betroffenen Patienten empfehlen die Leitlinien-Experten eine HCC-Früherkennung.
Sequenztherapie beim HCC
Als systemische Therapie der ersten Wahl wird für HCC-Patienten eine Kombination aus dem PDL1-Hemmer Atezolizumab (Tecentriq®) und dem Vascular-Endothelial-Growth-Factor-(VEGF)-Inhibitor Bevacizumab (Avastin®) empfohlen. Zu den weiteren zugelassenen Optionen gehören die
Atezolizumab + Bevacizumab
Kontraindikation Unverträglichkeit Progress
Lenvatinib oder Sorafenib
Progress
Sorafenib
AFP > 400
Regorafenib oder Cabozantinib oder Ramucirumab
Progress AFP > 400
Regorafenib oder Cabozantinib oder Ramucirumab
Sequenztherapie beim HCC innerhalb der zugelassenen Indikationen
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2022
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UPDATE
S3-LEITLINIE «DIAGNOSTIK UND THERAPIE DES HEPATOZELLULÄREN KARZINOMS (HCC) UND DER BILIÄREN KARZINOME»
Herausgeber: Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG) und der Stiftung Deutsche Krebshilfe (DKH).
Federführende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e. V. (DGVS)
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Tyrosinkinase-Inhibitoren Sorafenib (Nexavar®) oder Lenvatinib (Lenvima®, Kisplyx®). Nach Versagen von Sorafenib stehen Regorafenib (Stivarga®) oder Cabozantinib (Cabometyx®) als weitere Tyrosinkinase-Inhibitoren zur Verfügung. Für Patienten mit einem Alpha-Fetoproteinwert von ≥ 400 ng/ml ist nach Sorafenib auch der VEGFR-2-Antikörper Ramucirumab (Cyramza®) eine geeignete Option (Abbildung).
Immuntherapien beim HCC − Modifizierung der Empfehlung
Für Patienten, bei denen mit den zugelassenen Behandlungsoptionen keine Besserung (mehr) erzielt werden kann, stehen Immuntherapeutika zur Verfügung. Die Empfehlungen zu deren Anwendung wurden in der aktualisierten Fassung modifiziert. In der vorherigen Version vom Juni 2021 hatten die Experten für einzelne immuntherapienaive Patienten entweder eine Immun-Monotherapie mit den anti-PD-1-Antikörpern Nivolumab (Opdiva®) oder Pembrolizumab (Keytruda®) oder eine Kombinationstherapie mit Nivolumab und dem CTLA4-Antikörper Ipilimumab (Yervoy®) empfohlen. In der aktualisierten Fassung formulieren die Experten jetzt allgemein, dass einzelnen immuntherapienaiven Patienten mit erhaltener Leberfunktion (Child-Pugh A) eine Immuntherapie angeboten werden kann, falls Fernmetastasen vorhanden sind, oder eine Tumorlokalisation, die lokoregionär nicht kontrolliert oder reseziert werden kann oder keine zugelassene Behandlungsmöglichkeit mehr zur Verfügung steht. Studienergebnisse weisen darauf hin, dass einzelne HCC-Patienten deutlich von einer PD-1-/PDL1-Hemmung profitieren können. Klinische Charakteristika oder Biomarker, die ein Therapieansprechen vorhersagen könnten, sind bis anhin allerdings nicht bekannt. Deshalb erstellten die Experten in der neuen Leitlinienfassung eine konsensbasierte Empfehlung, die grundsätzlich eine Immuntherapie für geeignete Patienten befürwortet.
Erstlinientherapie bei Cholangiokarzinomen
Bei den Cholangiokarzinomen (CCA) unterscheidet man intrahepatische CCA (iCCA), extrahepa-
tische CCA (eCCA) und das Gallenblasenkarzinom. Die Prognose ist meist ungünstig, und die relative 5-Jahres-Überlebensrate liegt lediglich bei 5–15%. Eine radikale chirurgische Entfernung des gesamten Tumorgewebes stellt derzeit die einzige kurative Behandlungsmöglichkeit dar. Entsprechend der Leitlinie soll eine Resektion vorgenommen werden, wenn keine Fernmetastasen vorliegen und vorrausichtlich eine R0-Resektion erzielt werden kann. Aufgrund des hohen Rezidivrisikos von 40−80% empfehlen die Experten nach der chirurgischen Tumorentfernung (R0, R1) eine adjuvante Systemtherapie mit Capecitabin (Xeloda® und Generika). Bei inoperablen lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Gallenwegs- oder Gallenblasenkarzinomen steht für Patienten mit adäquatem Allgemeinzustand eine palliative systemische Erstlinientherapie mit einer Kombination aus Gemcitabin (Generika; das Original Gemzar® wird in der Schweiz nicht mehr vertrieben) und Cisplatin (Generika; das Original Platinol® wird in der Schweiz nicht mehr vertrieben) zur Verfügung.
Neue Zweitlinientherapie − FGFR2Signalwegblockade mit Pemigatinib
Für Patienten, deren Cholangiokarzinom eine Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor-2-(FGFR2)Fusion oder ein FGFR2-Rearrangement aufweist und deren Erkrankung nach mindestens einer Systemtherapie weiterhin fortschreitet, wird in der aktualisierten Fassung als neue Option eine Zweitlinientherapie mit Pemigatinib (Pemazyre®) empfohlen. Daher soll jetzt bei Patienten mit ECOG 0−2 spätestens nach Versagen der Erstlinientherapie ein Test auf das Vorliegen dieser Tumormerkmale durchgeführt werden.
Erweiterung der chemotherapeutischen Zweitlinientherapie − Irinotecan
Des Weiteren beinhaltet die aktualisierte Fassung
eine Erweiterung des chemotherapeutischen Spek-
trums für biliäre Karzinome. Für Patienten mit ECOG
0−1 geben die Experten auch weiterhin eine evi-
denzbasierte Empfehlung zur Zweitlinientherapie
mit FOLFOX. (S. 140). Entsprechend einer neuen
konsensbasierten Empfehlung kann Patienten mit
ECOG 0−1 jetzt nach Versagen von mindestens
einer vorherigen Behandlung auch eine Irinotecan-
haltige (Irinotecan: Campto® und Generika) Thera-
pie angeboten werden.
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Petra Stölting
Quelle: Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Hepatozellulären Karzinoms und biliärer Karzinome, Langversion 3.0, 2022, AWMF-Registernummer: 032/053OL, https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/hcc-und-biliaere-karzinome/
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