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FOKUS BRONCHIALKARZINOM: KONGRESSBERICHT
2022 World Conference on Lung Cancer, 6. bis 9. August, Wien
Oligometastasen beim NSCLC
Welche Patienten profitieren von einer lokalen Therapie?
Im Falle einer Metastasierung galt ein Lungenkarzinom (NSCLC) bis vor kurzem als prinzipiell nicht mehr kurativ behandelbar. Doch dieses Dogma gilt nicht mehr. Mittlerweile konnten bei oligometastatischer Erkrankung (OMD) in klinischen Studien durch eine Lokaltherapie der Metastasen gute Erfolge bis hin zur vollständigen Heilung dokumentiert werden.
Bereits vor mehr als zehn Jahren hielten Weichselbaum und Hellman in einem Statement fest, dass offenbar nicht jeder Tumor das gleiche Potenzial zur Metastasierung habe und dass daher manche Patienten auch mit metastasierter Erkrankung noch kurativ behandelt werden können, so Prof. Dr. Anne-Marie Dingemans vom Erasmus Medical Center in den Niederlanden (1). Dass dies nicht nur ein Postulat ist, sondern mit radikaler Lokaltherapie auch bereits Realität, konnte 2019 erstmals in einer klinischen Studie demonstriert werden. In dieser Arbeit erreichte das Gesamtüberleben von Patienten mit oligometastastatischem NSCLC nach Lokaltherapie nach 36 Monaten ein Plateau auf dem Niveau von rund 50% der Patienten. In dieser Gruppe gab es zwischen den Monaten 36 und 60 (also bis zum Ende des Follow Ups) keine Todesfälle mehr (2). Die Frage sei allerdings, so Dingemans, was als oligometastatische Erkrankung (OMD) zu werten sei. In der zuvor zitierten Studie wurden Patienten eingeschlossen, die nach der initialen Chemotherapie maximal drei nicht progrediente Metastasen aufwiesen. Lymphknoten im Thorax wurden dabei als eine Metastase gezählt. Die Patienten wurden nach Einschluss randomisiert und erhielten anschliessend entweder eine Erhaltungstherapie gemäss Leitlinien oder eine Lokaltherapie ihrer Metastasen mittels Chirurgie oder Strahlentherapie. Auch in anderen Studien, die zum Teil Patienten mit bis zu sechs Metastasen einschlossen, wurden vergleichbare Erfolge erzielt (3, 4). Dingemans: «Wir haben also drei randomisierte Studien mit drei unterschiedlichen Definitionen von oligometastatisch. Und ich denke, wir brauchen eine einheitliche Definition.»
Einheitliche Definition gesucht
Im Rahmen der EORTC wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die in einem Konsensusdokument die oligometastatische Erkrankung definieren sollte. Die Arbeit begann mit einer Expertenbefragung, die ergab, dass eine Mehrheit der Befragten die Obergrenze bei maximal drei Metastasen in maximal zwei Organen ansetzte und die Möglichkeit einer Heilung als Hintergrund der Definition ansah (5). Ein Review sämtlicher Studien zur Therapie des oligometastatischen NSCLC zeigte, dass in den verschiedenen Studien zwar bis zu 5 und mehr Metastasen erlaubt waren, dass tatsächlich aber praktisch ausschliesslich Patienten mit 1 bis 2 Metastasen eingeschlossen wurden (6). Letztlich entschied man sich, in der Konsensusdefinition nicht von Heilung, sondern von einer langfristigen Krankheitskontrolle zu sprechen, die mit akzeptabler Toxizität erreicht werden soll. Die Zahl der Metastasen richtet sich nach deren Behandelbarkeit, wobei maximal 5 Metastasen in maximal 3 Organen als Obergrenze vorgeschlagen werden. Knochenmetastasen und diffuse Serosa-Metastasen sind ausgeschlossen. Ein Befall der mediastinalen Lymphknoten gilt als lokale Erkrankung, soll jedoch berücksichtigt werden, wenn es um die Frage der Behandelbarkeit geht. Für das Staging wird ein 18FDG-PET und eine Abklärung auf Gehirnmetastasen empfohlen (7). Neben Fernmetastasen trägt auch der nodale Status zur Prognose bei. Im klinischen Alltag gehe es nicht selten darum, das technisch Machbare gegen das klinisch Sinnvolle abzuwägen. Dies erfordere eine multidisziplinäre Zusammenarbeit und gemeinsame Entscheidungsfindung mit dem Patienten, so Dingemans.
Algorithmus zur Charakterisierung und Klassifikation einer oligometastatischen Erkrankung
Prof. Dr. Mathias Guckenberger vom Universitätsspital Zürich wies auf die ausgeprägte Heterogenität der Patientenpopulation mit Oligometastasen hin – und auf die beträchtliche Häufigkeit dieses Krankheitsbildes. Das Screening von mehr als 7000 PET-Scans an seiner Abteilung zeigte in 55% ein Maximum von 5 extrakraniellen Metastasen. Wobei allerdings nicht nur die Zahl dieser Metastasen für die Prognose relevant ist, sondern auch deren Grösse und Lage. Auch könne man eine oligometastatische Erkrankung bei Diagnose nicht mit einem oligometastatischen Zustand vergleichen, der nach einer systemischen Therapie erreicht wird. In Abhängigkeit von den genannten Faktoren bewegt sich das Fünf-Jahres-Überleben bei oligometastatischer Erkrankung zwischen 8,3 und 86% (8). Dies zeige, dass allein das Zählen von Metastasen nicht die beste Methode ist, um zu einer geeigneten Behandlungsstrategie zu gelangen. Auf Basis dieser Erkenntnisse publizierten die European Society for Radiotherapy and Oncology und die European Organisation for Research and Treatment of Cancer ein gemeinsames Konsensuspapier zu Charakterisierung und Klassifikation der oligometastatischen Erkrankung (9). Ergebnis ist ein Entscheidungsbaum basierend auf fünf klinischen Fragen: 1. Hatte der Patient zu irgendeinem Zeit-
punkt eine polymetastatische Erkrankung? 2. Hatte der Patient bereits eine oligometastatische Erkrankung, die mit Lokaltherapie behandelt wurde? 3. Wurde die oligometastatische Erkrankung mehr als sechs Monate nach der primären Krebs-Diagnose diagnostiziert? 4. Steht der Patient zum Zeitpunkt der Diagnose der OMD unter einer systemischen Therapie? 5. Zeigt zumindest eine der Metastasen im Imaging Anzeichen von Progression?
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2022
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Dass die sich daraus ergebende Differenzierung prognostischen Wert hat, konnte mittlerweile in Studien gezeigt werden. So erwies sich eine durch systemische Therapie induzierte OMD im Vergleich zu einer de novo OMD oder auch einer wiederholten OMD als prognostisch ungünstiger (10). Guckenberger wies auch darauf hin, dass sich der in den zuvor erwähnten Studien von Gomez und Iyengar gezeigte Überlebensvorteil durch Lokaltherapie auf synchrone OMD bezieht, bei der die Metastasen also gleichzeitig mit dem Primärtumor entdeckt worden waren. Aktuelle Daten zeigen, dass dies auch auf Patienten mit EGFR-Mutationen zutrifft (11). Ob das auch auf andere Treibermutationen extrapoliert werden kann, ist unklar. Neue Daten aus der SABR-COMET-Studie zeigen, dass auch Patienten mit metachroner OMD, also einer Diagnose von Metastasen mehr als sechs Monate nach Diagnose des Primärtumors, von einer Lokaltherapie der Metastasen profitieren. In dieser Studie blieb bei rund einem Viertel der Patienten im lokaltherapierten Arm die Progression aus, während es im Kontrollarm bei allen Patienten zur Progression kam (4).
Prädiktoren gesucht: Nicht nur die Zahl der Metastasen zählt
Wenn man annimmt, dass manche Patienten mit Oligometastasen von einer Lokaltherapie profitieren, andere jedoch nicht, so muss das Ziel sein, die Patienten zu identifizieren, die von der Therapie einen Vorteil haben werden, so Dr. John Heymach vom MD Anderson Cancer Center der University of Cancer. Auf dieser Basis schlägt Heymach zwei Hypothesen vor: Der OMD-Status bei Diagnose sagt nicht sicher voraus, wer einen Vorteil von einer Lokaltherapie haben wird. Manche Patienten mit Polymetastasierung werden profitieren, manche trotz weniger Metastasen nicht. Der Therapieerfolg wird also von mehreren Variablen wie dem Ansprechen auf die systemische Therapie und den Erfolgen der Lokaltherapie abhängen. Auch sei fraglich, wie gut man sich auf die initiale Metastasen-Diagnostik verlassen könne. Es sei möglich, dass die sofort sichtbaren (Makro)Metastasen tatsächlich das gesamte
Geschehen abbilden (low propensity) es sei aber auch möglich, dass bereits eine fortgeschrittene Mikrometastasierung vorhanden ist und man damit nur die Spitze eines Eisbergs sähe (high propensity). Insgesamt sei das lange bestehende Dogma, dass Lokaltherapien im metastasierten Stadium keinen Vorteil bringen, nun abgelöst worden von der pragmatischen Sichtweise, dass bei bis zu drei Metastasen eine Lokaltherapie doch vorteilhaft sein könne. Heymach: «Aber ist drei eine magische Zahl? Sollten nicht auch andere Parameter wie das Gesamtvolumen des Tumors oder das Ansprechen auf die systemische Therapie in die Überlegungen einbezogen werden?» Es würden also grosse, randomisierte Studien benötigt, in die auch Patienten mit Polymetastasierung eingeschlossen werden, um Prädiktoren für einen Therapieerfolg zu definieren.
Erfolgsparameter definieren
Dabei sei zu beachten, dass Heilung nicht der einzige mögliche Erfolg ist. So hätten Erfahrungen in den bisher durchgeführten Studien gezeigt, dass die lokale Behandlung bestehender Metastasen das Auftreten neuer Metastasen, so es sie nicht verhindern könne, zumindest verzögere. Damit stelle sich die Frage, ob eine frühere oder eine spätere Konsolidierung von Vorteil ist. Für die frühe Behandlung spricht die Chance, Metastasen zu entfernen, bevor es zu Progression und möglicherweise der Ausbildung von Resistenzen kommt. Auch verpasse man anderenfalls möglicherweise ein Zeitfenster, weil zu einem späteren Zeitpunkt eine Lokaltherapie an der Progression des Tumors scheitern kann. Für diese Annahme spricht eine exploratorische Analyse der Studie von Gomez et al., die keine Erfolge für eine «Salvage Lokaltherapie» bei Patienten aus dem Kontrollarm zeigte (2). Für eine spätere Konsolidierung spricht, dass man bei nicht progredienten Metastasen möglicherweise auf die Lokaltherapie verzichten und so den Schaden minimieren könne. Besonders gute Kandidaten für eine Lokaltherapie bei OMD könnten Patienten sein, die unter Tumoren mit Treibermutationen leiden, da Tyrosinkinase-Inhibitoren in diesen Fällen eine gute Kontrolle
der Mikrometastasierung erlauben,
mehr als 90% der Tumorzellen töten und
Tumoren mit EGFR- oder ALK-Mutatio-
nen durch gezielte Therapie häufig in ei-
nen oligometastatischen Status ge-
bracht werden können (12). Mehrere
laufende, grosse Studien (Northstar, Lo-
nestar, Brightstar) sollen nun zeigen, ob
auch Patienten mit polymetastatischer
Erkrankung unter bestimmten Umstän-
den von einer Lokaltherapie ihrer Metas-
tasen profitieren können. Heymach: «Ich
persönlich glaube, dass ein multivariater
Prädiktor die Zahl der Patienten, die von
einer Lokaltherapie profitieren, vergrös-
sern wird.»
n
Reno Barth Quelle: WCLC 2022, Plenary 2: «Multidisciplinary Approach to the Oligo Paradigm», am 7. August in Wien
Referenzen: 1. Weichselbaum RR et al.: Oligometastases revisited.
Nat Rev Clin Oncol. 2011;8(6):378-82. 2. Gomez DR et al.: Local Consolidative Therapy Vs.
Maintenance Therapy or Observation for Patients With Oligometastatic Non-Small-Cell Lung Cancer: Long-Term Results of a Multi-Institutional, Phase II, Randomized Study. J Clin Oncol. 2019;37(18):15581565. 3. Iyengar P et al.: Consolidative Radiotherapy for Limited Metastatic Non-Small-Cell Lung Cancer: A Phase 2 Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol. 2018;4(1):e173501. 4. Palma DA et al.: Stereotactic Ablative Radiotherapy for the Comprehensive Treatment of Oligometastatic Cancers: Long-Term Results of the SABR-COMET Phase II Randomized Trial. J Clin Oncol. 2020;38(25):2830-2838. 5. Levy A et al.: EORTC Lung Cancer Group survey on the definition of NSCLC synchronous oligometastatic disease. Eur J Cancer. 2019;122:109-114. 6. Giaj-Levra N et al.: Defining Synchronous Oligometastatic Non-Small Cell Lung Cancer: A Systematic Review. J Thorac Oncol. 2019;14(12):2053-2061. 7. Dingemans AC et al.: Definition of Synchronous Oligometastatic Non-Small Cell Lung Cancer-A Consensus Report. J Thorac Oncol. 2019;14(12):21092119. 8. Ashworth A et al.: Is there an oligometastatic state in non-small cell lung cancer? A systematic review of the literature. Lung Cancer. 2013;82(2):197-203. 9. Guckenberger M et al.: Characterisation and classification of oligometastatic disease: a European Society for Radiotherapy and Oncology and European Organisation for Research and Treatment of Cancer consensus recommendation. Lancet Oncol. 2020;21(1):e18-e28. 10. Willmann J et al.: Evaluation of the prognostic value of the ESTRO EORTC classification of oligometastatic disease in patients treated with stereotactic body radiotherapy: A retrospective single center study. Radiother Oncol. 2022;168:256-264. 11. Wang XS et al.: Randomized Trial of First-Line Tyrosine Kinase Inhibitor With or Without Radiotherapy for Synchronous Oligometastatic EGFR-Mutated NSCLC. J Natl Cancer Inst. 2022;djac015.
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FOKUS BRONCHIALKARZINOM: KONGRESSBERICHT
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12. Elamin YY et al.: Local Consolidation Therapy (LCT) After First Line Tyrosine Kinase Inhibitor (TKI) for Patients With EGFR Mutant Metastatic Non-small-cell Lung Cancer (NSCLC). Clin Lung Cancer. 2019;20(1):43-47.
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