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ASCO GI
Gastrointestinal Cancers Symposium 2022, 20. bis 22. Januar 2022, San Francisco und online
Neuroendokrine Tumoren
Besseres Verständnis der Prognose von Patienten mit GEP-NET
Beim Gastrointestinal Cancers Symposium der American Society of Clinical Onco logy (ASCO) standen Fortschritte bei der Therapie von gastrointestinalen Tumor entitäten im Fokus. Bei den neuroendokrinen Tumoren geht es zunächst einmal auch darum, Wissenslücken zu schliessen und zur besseren Awareness beizutragen.
Für die Diagnose und Behandlung neuroendokriner Tumoren (NET) besteht noch ein hohes Mass an Wissenslücken, die einzelne Zentren zu schliessen versuchen. Gastroenteropankreatische neuroendokrine Tumoren (GEP-NET) bilden die grösste Gruppe der neuroendokrinen Tumoren (NET) und die zweitgrösste Gruppe der Tumoren des Verdauungssystems. Die Prognose der Patienten ist, abhängig von der Lage des Primarius, häufig gut. Zum besseren Verständnis der Erkrankung werteten Wissenschaftler die Daten von 2067 Patienten aus, die von 1986 bis 2015 am MOFFITT Cancer Center, Florida (USA), behandelt wurden (1). Die Patienten waren median 60,7 Jahre alt und wurden im Median über 12,4 Jahre nachbeobachtet. 69,2% der Patienten präsentierten sich mit einer metastasierten Erkrankung und 65,5% waren vor der Präsentation bereits an einem anderen Zentrum behandelt worden. Das mediane OS der Patienten betrug 11,0 Jahre. Patienten, die mit bestehender Metastasierung vorstellig wurden, lebten median 9,0 Jahre und Patienten ohne Metastasierung 20,5 Jahre. Patienten mit unbekannter Lokalisation des Primarius zeigten mit median 4,6 Jahren OS die schlechteste Prognose, gefolgt von Patienten mit Primarius im Rektum (8,25 Jahre), Kolon (8,6 Jahre), Pankreas (9,3 Jahre) und Dünndarm (13,0 Jahre). Patienten mit Metastasierung, die einer Operation zugeführt wurden, hatten mit einem medianen OS von 13,0 Jahren einen Vorteil gegenüber Patienten ohne Operation (medianes OS: 8,2 Jahre).
Unabhängigkeit ist aus Patientensicht höchstes Ziel der Therapie
In einer US-amerikanischen Studie am City of Hope Comprehensive Cancer Center, Kalifornien, füllten 60 Patienten mit gut differenzierten Grad 1–2 fort
geschrittenen NET, die eine neue sys temische Therapie erhielten, von März 2019 bis August 2020 4 Fragebögen aus (2). Zur Anwendung kamen das Health Outcomes Tool, die Attitude Scale, das Now versus Later Tool und
das Prognosis and Treatment Percep
tions Questionnaire. Das Ziel der Analyse bestand darin, den Wert von Therapiezielen aus Patientensicht zu beschreiben sowie die Erwartungen an die aktuelle versus eine zukünftige Gesundheit einzuordnen. Das mediane Alter der Patienten betrug 64,5 Jahre und 96,7% der Patienten befanden sich im Stadium IV. Bei 30,0% der Patienten befand sich die primäre Tumorlokalisation im Pankreas, bei 26,7% im Dünndarm und bei 21,7% in der Lunge. Bei einem Viertel der Tumoren handelte es sich um funktionelle und bei 75% um nicht funktionelle NET. 40,0% der Patienten gaben an, dass ihnen ihre Lebensqualität in 5 Jahren wichtiger sei als ihre derzeitige Lebensqualität. 42,3% der Patienten empfanden ihre Lebensqualität in einem Jahr als wichtiger als die Lebensqualität zum Zeitpunkt der Befragung. Nur 6,7% der Patienten gaben an, dass ihnen ihre Lebensqualität in 1 Jahr und in 5 Jahren ebenso wichtig war wie die derzeitige Lebensqualität. Der Aussage «Am wichtigsten ist es für mich, so lange wie möglich zu leben, egal mit welcher Lebensqualität» stimmten 36,7% der Patienten zu und 45,0% widersprachen. Was Lebensqualität für die Patienten bedeutet, spiegelt sich in der Platzierung von diversen Aussagen wider: Der «Erhalt der derzeitigen Möglichkeiten, den Lebensalltag zu bewältigen» wurde von 46,7% der Patienten auf Platz 1 und von 26,7% auf Platz 2 gesetzt. «Eine Verlängerung des Überlebens mit egal welcher Gesundheit » landete bei 33,3% der Patienten auf Platz 2
und bei 30,0% auf Platz 1. Auf Platz 3 wurde die Aussage «Reduktion der Schmerzen» von 41,7% der Patienten am häufigsten gesetzt. Auf Platz 4 landete bei 40% der Patienten die «Reduktion von Symptomen, die mich schlecht fühlen lassen, wie Schwindel, Atemnot und Fatigue». Die Autoren schlussfolgerten, dass Patienten ihre Unabhängigkeit höher werten als das Überleben. Die Kommunikation zwischen NET-Patienten und Ärzten müsse zum Ziel haben, die Patientenpräferenz besser in den Therapieplan zu integrieren.
Fehldiagnosen und späte Diagnose sind zu häufig
In der Analyse SCAN wurde weltweit untersucht, welche Behandlung Patienten mit NET zugutekam. Eingeschlossen wurden 2359 Patienten, von denen 71% GEPNET aufwiesen (3). Die GEPNET-Patienten stammten aus Australien (7%), Kanada (9%), China (7%), F rankreich (8%), Deutschland (9%), Grossbritannien (11%) und den USA (19%). Am häufigsten war der Primarius im Dünndarm lokalisiert, am zweithäufigsten im Pankreas. Die Diagnose wurde häufig falsch gestellt und ebenfalls häufig kam es mehrfach zu Fehldiagnosen (Deutschland: 47%). Am häufigsten wurde bei GEPNET-Patienten ein Reizdarm-Syndrom oder eine Gastritis diagnostiziert. In fast allen Ländern wiesen mehr als die Hälfte der Patienten bei Präsentation bereits ein Stadium IV auf, in Deutschland war dies bei etwa einem Viertel der Patienten der Fall. Im Durchschnitt waren 3 Ärzte am Prozess der Diagnosefindung beteiligt. In Deutschland wurde die Diagnose in 34% der Fälle von Gastroenterologen gestellt und bei 51% in Krankenhäusern ohne NET-Spezialisten. Die Autoren kamen zum Schluss, dass die Awareness bei Gastroenterologen, Hausärzten und Krankenhäusern ohne NET-Spezialisten gesteigert werden sollte, um der Verzögerung einer Diagnose entgegenzuwirken.
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Gastrointestinal Cancers Symposium 2022, 20. bis 22. Januar 2022, San Francisco und online
Real-World-Daten für die (177)Lu-Dotatate-Therapie
Die Peptid-Rezeptor-Radionuklid-Therapie (PRRT) mit (177)Lu-Dotatate wurde für die Behandlung von SomatostatinRezeptor-positiven NET durch die FDA 2018 zugelassen. In klinischen Studien wurde eine Verbesserung der Prognose durch den Einsatz des Radionuklids festgestellt, die finale OS-Analyse in der NETTER-Studie zeigte allerdings keinen signifikanten Vorteil. Nichtsdestotrotz vermuteten die Autoren mit einer 11-monatigen Verlängerung des medianen OS eine klinische Relevanz durch die Therapie. Nun führte das University of Kansas Cancer Center eine retrospektive Evaluation von Patienten durch, die von Juni 2018 bis September 2021 mit (177)LuDotatate behandelt wurden (4). Die Analyse wurde auf Patienten mit Somatostatin-
Rezeptor-positiven gastroenteropankreatischen NET, detektiert durch einen Gallium-68-Dotatate PET-Scan, begrenzt. Insgesamt wurden die Daten von 65 Patienten evaluiert, von denen 58 die Therapie komplettiert hatten und in die retrospektive Auswertung aufgenommen wurden. 7 Patienten waren noch unter Therapie und wurden bei der präsentierten Analyse nicht berücksichtigt. Die Patienten waren im Median 61,5 Jahre alt und wiesen in der Mehrheit einen Primarius des Dünndarms oder des Pankreas auf. In Bezug auf das Tumor-Grading wurde für 21 Patienten Grad 1, für 25 Patienten Grad 2 sowie für 4 Patienten Grad 3 angegeben. Bei 81% der Patienten war der Tumor gut differenziert. Als bestes Ansprechen nach 4 Zyklen Radionuklid-Therapie wurde bei 27% der Patienten ein partielles Ansprechen (PR), bei 60% eine stabile Erkrankung
Merkpunkte
■ Bezüglich der neuroendokrinen Tumoren (NET) bestehen noch grosse Wissenslücken. Studien einzelner Zentren bemühten sich um ein besseres Verständnis zur Prognose, zu den Zielen einer Therapie aus Patientensicht und dem Missstand der Awareness bei Gastroenterologen, Hausärzten und Krankenhäusern ohne NET-Spezialisten.
■ Real-World-Daten mit (177)Lu-Dotatate wiesen bei der Behandlung von Somatostatin-Rezeptor- positiven NET auf höhere Ansprechraten bei nicht funktionellen Tumoren hin.
(SD) und bei 13% ein Tumorprogress (PD)
beobachtet. Für das PFS und das OS war
der Median noch nicht erreicht. Eine Sub-
gruppenanalyse unter Unterscheidung
von funktionellen und nicht funktionellen
Tumoren zeigte höhere PR-Raten bei nicht
funktionellen Tumoren (42,3 vs. 11,5%; p =
0,0147). Die Krankheitskontrollrate betrug
96 versus 78% (p = 0,042). Falls dieser Un-
terschied in grösseren Kohorten validiert
würde, so schlossen die Autoren aus den
Ergebnissen, könnte dies möglicherweise
zu einer Patientenselektion für (177)Lu-
Dotatate führen.
n
Ine Schmale
Referenzen: 1. Powers BD et al.: The natural history of gastroenter-
opancreatic neuroendocrine tumors evaluated at a tertiary cancer center: A retrospective cohort study of 2,067 cases. ASCO GI 2022, Abstr. #508. 2. Daneng L et al.: Patient-defined goals and preferences among adults with advanced neuroendocrine tumors. ASCO GI 2022, Abstr. #509. 3. McDonnell M et al.: Survey of challenges in access to diagnostics and treatment for neuroendocrine tumor patients (SCAN): The diagnostic process of GEP-NETs in Australia, Canada, China, France, Germany, the United Kingdom, and the United States of America. ASCO GI 2022, Abstr. #502. 4. Hentzen S et al.: Real world outcomes in patients with neuroendocrine tumor receiving peptide receptor radionucleotide therapy. ASCO GI 2022, Abstr. #504.
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