Transkript
2022 ASCO
Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology, 3. bis 7. Juni 2022, Chicago und online
Gastrointestinale Tumore
Neue Erkenntnisse zur personalisierten Behandlung
Die Patientenselektion ist eine der Kernkompetenzen in der onkologischen Behandlung. Innovative Therapien erlauben eine effektive Behandlung, die im Idealfall nebenwirkungsarm sind und die Notwendigkeit für weitere Therapieoptionen minimieren. So konnte zum Beispiel bei Rektalkarzinom und Mismatch-Reparatur-Defizienz mit einer Immuntherapie auf Chemotherapie, Bestrahlung und Resektion weitestgehend verzichtet werden. Auch weitere Erkenntnisse zu gastrointestinalen Tumoren wurden beim diesjährigen ASCO-Kongress präsentiert.
Rektalkarzinom
Dostarlimab bei Mismatch-ReparaturDefizienz hoch effektiv Bei etwa 5 bis 10% der Patienten mit Rektalkarzinom liegt eine MismatchReparatur-Defizienz vor. Diese Tumore sind häufig resistent gegenüber einer Chemotherapie, aber es wurde bereits über hohe Raten an Komplettremissionen bei Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren berichtet. In einer Phase-IIStudie wurde daher der Hypothese nachgegangen, ob mit einer PD-1-gerichteten Blockade möglicherweise die Chemotherapie, Chemotherapie und Bestrahlung oder sogar Chemotherapie, Bestrahlung und Operation nicht mehr notwendig sind (1). Laut Studienprotokoll sollten 30 Patienten mit Rektalkarzinom in den Stadien II und III mit Mismatch-Reparatur-Defizienz über die Dauer von 6 Monaten
Dostarlimab in einer Dosierung von 500 mg alle 3 Wochen erhalten. Entsprechend der radiologischen und endoskopischen Bewertung würden Patienten mit residualer Erkrankung mit einer Chemoradiotherapie behandelt und bei weiter bestehender Resterkrankung einer Operation zugeführt werden. Patienten mit klinisch kompletter Remission sollten alle 4 Monate kontrolliert werden, aber keine weitere Behandlung erhalten. Primärer Studienendpunkt war die Ansprechrate mit oder ohne Chemoradiotherapie. Es wurden 18 Patienten mit einem medianen Alter von 54 Jahren eingeschlossen. Bei 78% der Patienten lag ein Tumorstadium T3–4 vor, bei 94% waren die Lymphknoten involviert. Bisher waren alle 14 Patienten, die die 6-monatige Studienmedikation komplettierten, in Komplettremission (siehe
Abb.). Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 6,8 Monaten wurde noch kein Krankheitsprogress beobachtet. Die Therapie war gut verträglich, es wurden keine Nebenwirkungen von Grad 3–4 berichtet.
Kolorektalkarzinom
Panitumumab als Erstlinientherapie bei selektierten Patienten Beim Kolorektalkarzinom wurde mit der KRAS-Mutation ein erster molekularer Marker für die Patientenselektion identifiziert. Inzwischen sind die RASMutation, die BRAF-Mutation, eine Mikrosatelliteninstabilität und die Seitigkeit des Tumors weitere Entscheidungskriterien. Die japanische Studie PARADIGM untersuchte in dieser Thematik head-to-head und prospektiv die Erstlinientherapie mit Panitumumab plus mFOLFOX6 versus Bevacizumab plus mFOLFOX6 bei Patienten mit RASWildtyp-Tumoren (2). Als primärer Endpunkt wurde das Gesamtüberleben (OS) bei linkseitigen Tumoren und – im Fall der signifikanten Überlegenheit für die Subgruppe – auch in der gesamten Studienpopulation definiert. Eingeschlossen wurden insgesamt 823 Patienten mit nicht resektabler Erkrankung,
Patientenidentifikation
Behandlung mit Dostarlimab
1 3 4 2 6 7 5 9 8 11
12 Medianer Follow-up 6,8 Monate 10 (95%-KI: 0,7–23,8)
13
14 Klinisch komplettes Ansprechen 15 Ansprechen 16 Zeitpunkt des klinisch kompletten Ansprechens
17 18
0 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30
Zeit seit Beginn der Behandlung (Monate)
Abb. 1: Ansprechverhalten von Patienten unter Dostarlimab-Therapie (mod. nach [1])
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einem ECOG PS 0-1 und einer Lebenserwartung ≥ 3 Monate. In die Analyse der Wirksamkeit bei linksseitiger Erkrankung wurden 312 Patienten aus dem Panitumumab-Arm und 292 Patienten aus dem Bevacizumab-Arm eingeschlossen, für die gesamte Studienpopulation waren dies 400 und 402 Patienten. Die Studie erreichte ihren primären Endpunkt. Mit einer Hazard Ratio [HR]: von 0,82 (96%-Konfidenzintervall [KI]: 0,68–0,99; p = 0,031) war das OS der linksseitigen Population im Panitumumab-Arm gegenüber Bevacizumab signifikant verlängert. Die Kaplan-Meier-Kurven ver liefen etwa 28 Monate lang parallel, bevor sich der Überlebensvorteil im Panitumumab-Arm zeigte. Nach 36 Monaten lebten 53% der Patienten im Panitumumab-Arm versus 47% im Bevacizumab-Arm, nach 48 Monaten 42 versus 33% und nach 60 Monaten 32 versus 21% der Patienten. Ebenfalls unter Panitumumab signifikant verlängert zeigte sich das OS der gesamten Studienpopulation (HR: 0,84; 95%-KI: 0,72–0,98; p = 0,030), mit Überlebensraten von 50 versus 42% nach 36 Monaten, 38 versus 30% nach 48 Monaten und 29 versus 20% nach 60 Monaten. In Subgruppenanalysen zum OS wurde ein Vorteil für alle Subgruppen bestätigt, ausgenommen Frauen und Patienten ohne Tumorresektion, die von beiden Studienmedikationen gleich zu profitieren scheinen. Auch bei Patienten mit rechtsseitigen Tumoren wurde kein Unterschied zwischen den beiden Therapieregimen gesehen. Das progressionsfreie Überleben (PFS) war konsistent zu früheren Studien, die EGFR- gegen VEGF-gerichtete Therapieregime verglichen, nicht verschieden. Mit median 13,7 versus 13,2 Monaten für die linksseitige Erkrankung (HR: 0,98; 95%-KI: 0,82–1,17) und 12,9 versus 12,0 Monaten in der gesamten Studienpopulation (HR: 1,01; 95%-KI: 0,87–1,18) war das PFS allerdings länger als in früheren Studien. Ein Ansprechen wurde bei 80,2% der linksseitigen Population unter Panitumumab plus mFOLFOX6 versus 68,6% unter Bevacizumab plus mFOLFOX6 beobachtet. Für die gesamte Studienpopulation betrug die Ansprechrate 74,9 versus 67,3%. Die Re-
missionen waren tiefer unter Panitumumab verglichen mit Bevacizumab und die Dauer des Ansprechens verlängert (linksseitige Population: 13,1 vs. 11,2 Monate; gesamte Studienpopulation: 11,9 vs. 10,7 Monate). Im PanitumumabArm wurde zudem häufiger eine R0-Resektion ermöglicht (linksseitige Population: 18,3 vs. 11,6%; gesamte Studienpopulation: 16,5 vs. 10,9%). Es wurden für beide Regime keine neuen Sicherheitssignale beobachtet. 23,8 versus 18,4% der Patienten brachen die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen ab.
Kolonkarzinom
Primarius-Resektion führt nicht zur Überlebensverlängerung Ob der Primarius beim fortgeschrittenen Kolorektalkarzinom reseziert werden sollte oder nicht, ist Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Für eine Resektion des Primärtumors in der Behandlung des Kolorektalkarzinoms im Stadium IV spricht die Prävention von Komplikationen mit dem Primarius, das Verhindern einer Notoperation und eine mögliche Verbesserung der Prognose. Dagegen spricht, dass das OS von den Metastasen bestimmt wird, der Primarius meist asymptomatisch ist, die Chemotherapie auch auf den Primarius wirkt und ein Risiko für Komplikationen des Eingriffs mit Verzögerung der Chemotherapie besteht. In einer randomisierten Studie wurde nun der Effekt der Resektion auf das OS prospektiv geprüft. Eingeschlossen wurden 393 Patienten mit neu diagnostiziertem Kolorektalkarzinom mit einem Abstand von > 12 cm vom Analrand und mit synchronen Metastasen, die eine kurative Therapie verunmöglichten. Der Primarius musste resezierbar sein, ohne Symptome oder diagnostische Gründe für eine dringende Operation. Die Patienten waren median 69 Jahre alt und in zwei Drittel der Fälle männlich. 95% der Patienten wiesen Lebermetastasen auf und 28 bis 29% Lungenmetastasen. Bei 2,9% der Patienten im Chemotherapie-Arm und 87,7% der Patienten im Operation-plus-Chemotherapie-Arm wurde der Primarius entfernt. Keine Chemotherapie erhielten 6,4 versus 24,1% der Patienten. Durch-
Auf einen Blick
■ Mit der alleinigen PD-1-gerichteten Dostarlimab-Therapie wurde bei Patienten mit frühem Rektalkarzinom und Mismatch-Reparatur-Defizienz eine Komplettremission bei allen bisher auswertbaren Studienteilnehmern erreicht. Weitere bei Resterkrankung geplante Behandlungen wurden somit nicht notwendig.
■ Die Studie PARADIGM erreichte ihren primären Endpunkt. Es konnte eine Überlegenheit von Panitumumab gegenüber Bevacizumab als Kombinationspartner von mFOLFOX6 in der Erstlinientherapie des RAS-Wildtyp-Kolorektalkarzinoms für die linksseitige und die gesamte Studienpopulation gezeigt werden.
■ In einer randomisierten klinischen Studie wurde die Resektion versus keine Resektion des Primarius vor systemischer Therapie bei Patienten mit Kolonkarzinom und synchronen nicht resektablen Metastasen verglichen. Durch die Operation konnte das Gesamtüberleben nicht verlängert werden.
schnittlich wurden 7,8 versus 7,4 Che-
motherapiezyklen appliziert. Insgesamt
überlebten die Patienten median 17,8
Monate. Für Patienten mit alleiniger
Chemotherapie betrug das mediane
OS 18,6 Monate, für Patienten mit Re-
sektion des Primarius 16,7 Monate. Als
wichtigster Faktor für ein verbessertes
OS wurde die Administration einer
Chemotherapie identifiziert.
Somit wird durch die Resektion das
Überleben von Patienten nicht verlän-
gert. Im reinen Chemotherapie-Arm
traten allerdings häufiger klinisch rele-
vante Nebenwirkungen auf: 18 vs.
10,2% der Patienten hatten mindestens
eine klinisch relevante und 10,7 versus
4,8% mindestens eine mit dem Gastro-
intestinaltrakt assoziierte klinisch rele-
vante Nebenwirkung.
n
Ine Schmale
Referenzen: 1. Cercek A et al.: PD-1 blockade as curative-intent
therapy in mismatch repair deficient locally advanced rectal cancer. ASCO 2022, Abstract LBA5. 2. Yoshino T et al.: Panitumumab plus mFOLFOX6 versus bevacizumab plus mFOLFOX6 as first-line treatment in patients with RAS wild-type metastatic colorectal cancer: Results from the phase 3 PARADIGM trial. ASCO 2022, Abstract LBA1. 3. Weitz J et al.: Randomized clinical trial on resection of the primary tumor versus no resection prior to systemic therapy in patients with colon cancer and synchronous unresectable metastases. ASCO 2022, Abstract LBA3507.
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