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Im Fokus: Hautmalignome
Hyperthermie und Radiotherapie bei Hauttumoren
Grundlagen, Anwendung, Studienlage beim Melanom, Angiosarkom und Merkelzellkarzinom
Als Hyperthermie wird eine kontrollierte intratumorale Übererwärmung auf > 39 °C bis 43 °C definiert. In Kombination mit einer darauffolgenden Bestrahlung wird eine erhebliche Radiosensibilisierung erreicht. In diesem Artikel werden Grundlagen der Therapiestrategien, Anwendung, Evidenz und Evaluierung bei rezidivierten, erneut zu bestrahlenden oder primär wenig strahlensensitiven Hautmalignomen beschrieben.
MARKUS NOTTER
SZO 2019; 1: 9–13.
Markus Notter
Die Thermoradiotherapie wird vor allem bei rezidivierenden, bereits einmal bestrahlten oder bei primär als wenig strahlenempfindlich einzustufenden Tumoren eingesetzt. Randomisierte Studien zum Melanom älteren Datums liegen vor. Neuere Daten, die die Wirksamkeit dieser Methode bei einem Hautbefall belegen, stammen aus der Erfahrung von lokal rezidivierenden Mammakarzinomen. Für primäre oder sekundäre Angiosarkome und lokal fortgeschrittene Merkelzellkarzinome könnte diese Methode vielversprechend sein. Für andere primäre Hauttumoren und insbesondere ihre Lokalrezidive liegen noch kaum oder gar keine Literaturdaten vor.
die Hyperthermie bis in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts eine Randerscheinung. In den späten Siebziger-, frühen Achtzigerjahren wurden erste Grundlagen für eine Kombination mit Radiotherapie (RT) erarbeitet. Weitere technische Entwicklungen in der Applikation, der Planung und der Thermometrie erlauben heute eine reproduzierbare Erwärmung. Dadurch kann der Effekt der HT objektiv evaluiert und optimiert werden. Sie wird als eine kontrollierte Erwärmung des Gewebes auf eine Temperatur von 39 bis 43 °C definiert und wirkt vor allem als Radiosensitizer bei strahlenresistenten Zellen (1).
Historisches zur Hyperthermie bei Krebserkrankungen
Wissenschaftlich beschrieben wurde die Behandlung mit Übererwärmung – die sogenannte Hyperthermie (HT) – erstmals im 19. Jahrhundert. Beobachtungen zeigten, dass Fieberzustände zu Tumorremissionen führen können. So kam es zu ersten Versuchen, den Krebszellen mit künstlich erzeugtem Fieber beizukommen. Trotz Erfolg versprechender Ansätze blieb
ABSTRACT
Hyperthermia and radiotherapie in skin cancers
Hyperthermia is defined as a controlled intratumoral temperature increase up to 39 °C to 43 °C. In combination with following radiotherapy radiosensivity will be enhanced in important way. In this review bases of therapeutic strategies, application, evidence and evaluation are presented in the treatment of recurrent preirradiated or primary radioresistent skin cancers.
Keywords: hyperthermia, re-irradiation, radiosensibilisation, thermography-controlled wIRA-hyperthermia.
Kombination von Wärme und Strahlung – Basis der Therapie
Man unterscheidet zwischen Ganzkörper-HT und regionaler HT. Die Ganzkörper-HT kann Temperaturen von 39 bis 41 °C erreichen, wird ab diesen Temperaturen dann aber belastend; die Methode wird hauptsächlich bei generalisiertem Krebsleiden versucht. In der Radioonkologie kommt primär die regionäre HT zum Einsatz, sei es als Tiefen- oder Oberflächen-HT. Diese zielt auf oberflächennahe Tumoren, welche bis in eine Tiefe von maximal 3 Zentimetern reichen. Das Zielgebiet wird auf 42 bis 43 °C während 45 bis 60 Minuten erwärmt und so für eine schwach dosierte Bestrahlung vorbereitet. Die sogenannte Kombinationstherapie – der simultane Einsatz von HT und RT – ist äusserst wirksam, weil sie eine Kaskade sich verstärkender Vorgänge auslöst. So aktiviert die Temperaturerhöhung in den Tumorzellen Stoffwechselprozesse, welche die Wirkung der Bestrahlung verstärken. Die Produktion von Reparaturenzymen wird gehemmt und je nach Histologie
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Tabelle 1:
Studienresultate zur Thermoradiotherapie im Vergleich zur alleinigen Radiotherapie bei oberflächlichen Hauttumoren
Autor, Jahrgang
Perez et al., 1991 Overgaard et al., 1996 Jones et al., 2005
Tumorentität
Oberflächliche Tumoren (inkl. Melanome) Primäre/rezidivierende Melanome Oberflächliche Tumoren (inkl. Melanome)
CR RT (%) 35/117 23/65 22/52
CR RT und HT (%) 38/119 39/63 37/52
p-Wert
p = 0,737 p = 0,05 p = 0,014
Abbildung 1a: 29.3.2018: rezidivierendes Melanom superficial spreading mit nodulären Komponenten. St. n. 60 Gy 30 KV (6/2017): Zu erkennen ist das depigmentierte ehemalige Bestrahlungsfeld in der Bildmitte.
Abbildung 1b: 12.6.2018: 3 Wochen nach niedrig dosierter Rebestrahlung mit 5 x 4 Gy 1x/w und thermografiegesteuerter wIRA-HT.
des Zelltyps eine Apoptose (2) eingeleitet. Gleichzeitig können über die Produktion von Heat-Shock-Proteinen (z.B. HSP70) immunologische Aktivitäten provoziert werden, zum Beispiel durch Anregung von «natural killer cells» und antigenpräsentierenden, dendritischen Zellen. Das kann zu einer vermehrten Aktivierung von CD8+-T-Lymphozyten und somit zu einer immunsystemvermittelten, spezifischen Antitumorantwort führen. Somit könnte die Hyperthermie zusätzlich zur lokalen auch eine systemische Wirkung entfalten (3). Begünstigend wirkt weiter, dass grosse Wucherungen (Neoplasien) Wärme schlecht abtransportieren können, weil sie weniger durchblutet sind. Die Erwärmung führt dazu, dass der Gefässkreislauf des Tumors weiter zusammenbricht. So verstärkt sich die Wirkung der HT weiter. Letzteres ist insbesondere in einer radiogen vorbelasteten, fibrosierten und somit kapillär schlechter versorgten Haut von Nutzen (4). Kontrovers dazu ist allerdings die Beobachtung, dass bei kleineren Läsionen die Mikroperfusion gesteigert werden soll, womit hypoxische und somit radioresistente Tumorzellen besser oxygeniert würden. Durch die Anwesenheit von Sauerstoff werden durch die RT vermehrt HO2-Radikale produziert, welche in den Tumorzellen unter der Strahlung vermehrte DNA-Einzel- und -Doppelstrangbrüche verursachen (5). Möglicherweise führen die unterschiedlichen physiologischen Mechanismen auf verschiedenen Niveaus zu den gewünschten Effekten, ohne sich gegenseitig zu behindern. Wichtig bei der Kombinationstherapie ist, dass der zeitliche Abstand zwischen Erwärmung und Bestrah-
lung der Tumoren möglichst gering gehalten wird (1). Die Strahlendosis kann dadurch massiv reduziert werden (4). Ideal ist, wenn das Oberflächen-HT-Gerät deshalb in unmittelbarer Nähe zum Strahlenbeschleuniger steht. Die Patientinnen werden während 45 bis 60 Minuten «erwärmt», der Transport zum Beschleuniger benötigt weniger als 3 Minuten. Der Beschleuniger wird im Voraus mit den Parametern der Patientin programmiert, sodass die Bestrahlung sofort beginnen kann.
Erzeugung der Hyperthermie
Bösartige Tumoren werden im Rahmen der HT mit unterschiedlichen Techniken erwärmt. Jede hat Vorund Nachteile. Bisher haben sich Mikro- und Radiowellentechniken am besten durchgesetzt. Allerdings sind sie für den Einsatz im Oberflächenbereich durch ihre maximale Feldgrösse und die Temperaturkontrolle begrenzt. Die Temperaturmessung erfolgt durch aufgelegte und teilweise implantierte Messfühler, sodass nicht die gesamte Fläche erfasst werden kann. Implantierte Port-a-Cath-Systeme oder Herzschrittmacher sind eine Kontraindikation für die Mikrowellen-HT, teilweise ebenso ulzerierte, offene Tumoren, da die Wärmekoppelung mittels eines aufgelegten Wasserkissens erfolgt. Eine neuartige Technik stellt die thermografiekontrollierte, wassergefilterte Infrarot-A-HT dar – eine Technologie, welche viele der bisherigen Problematiken eliminiert (6). Dieses Oberflächen-HT-Gerät ermöglicht es, grossflächige Tumoren kontrolliert und kontaktfrei zu erwärmen. Die Temperaturkontrolle und die Geräteansteuerung können durch eine Thermografiekamera wesentlich vereinfacht werden. Kritische Strukturen wie Operationsnarben (u.a.) können erfasst werden. Verbrennungen, Blasenbildungen sowie Nekrosen (das Absterben gesunder Zellen) gehören damit der Vergangenheit an. Hingegen ist die Eindringtiefe auf zirka 2 cm begrenzt, was für die häufigsten Applikationen im Hautbereich keine Einschränkung bedeutet. Grosse Tumorknoten, begleitet von einer diffusen Infiltration der umgebenden Haut, müssen unter Umständen mit beiden HT-Techniken angegangen werden. Auch aus diesen Gründen werden die Indikationen am schweizerischen HT-Tumorboard besprochen.
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Gibt es eine thermale Dosis?
Seit Langem wird eine gut beschriebene Temperaturdosis in Analogie zur eingebrachten RT-Dosis, die klar definiert ist, gefordert. Da die meisten Erfahrungen auf Mikro- oder Radiowellengeräten basieren, war die Temperaturkontrolle im Zielgebiet bis heute nicht einfach. Interferenzen mit der Messelektronik sowie das Anbringen unterhalb des bereits erwähnten Wasserbolus zur Wärmekoppelung erschweren den Zugang. Aus einzelnen Messpunktreihen wurde eine Art Temperaturisodose (z.B. T90) definiert, die in diesem Beispiel die Temperatur in °C innerhalb 90% des Tumors (Zielgebiet) angibt. Es ist verständlich, dass aus den primär unzulänglichen Messdaten eine klinische Korrelation nie einwandfrei gelang. Für die Tiefen-HT wäre eine Kernspinntomografie eine technische Alternative, nicht invasiv die Temperaturen zu erfassen, das Verfahren ist aber unverändert sehr aufwendig und teuer. Arbeitsgruppen der ESHO (Europäische Gesellschaft für Hyperthermie) arbeiten daran, Qualitätskriterien für die einzelnen HT-Methoden festzulegen. Darauf basierend können moderne Planungssysteme eine Annäherung an die effektiven Temperaturen berechnen; physiologische Veränderungen wie Zu- und Abnahme der Durchblutung im gesunden und Tumorgewebe lassen sich allerdings nicht voraussagen. Dennoch sind in der Planung und der Durchführung der HT wesentliche Fortschritte zu verzeichnen. Die Thermografie als weitere Kontrollmöglichkeit wurde bereits erwähnt. Schliesslich wird die Durchsetzung der HT-Methode mit der einwandfreien Dokumentierung der erreichten Temperaturen und der entsprechenden Qualitätskriterien gelingen oder fallen, nur so kann sich die HT aus dem Schatten der sogenannten alternativmedizinischen Therapien lösen und wissenschaftlichen Überprüfungen besser standhalten.
Klinische Studien: Ergebnisse
Die Evidenzlage basiert hauptsächlich auf Metaanalysen, während qualitativ gute, gross angelegte, randomisierte Phase-III-Studien weiterhin fehlen. Eine sehr hohe Evidenz der Kombinationstherapie besteht beim lokal rezidivierenden Mammakarzinom (u.a. cancer en cuirasse) mit Hautbefall.
Melanome Randomisierte Studien wurden beim primären/rezidiverenden Melanom durchgeführt (7). Tabelle 1 zeigt einen Überblick der Ergebnisse der Thermo-RT im Vergleich zur alleinigen RT bei oberflächlichen Hauttumoren. Vor allem bei lokal fortgeschrittenen Tumoren ist der Benefit der Thermor-RT mit verbessertem komplettem Ansprechen (complete response; CR) und damit erhöhter lokaler Kontrolle (local control; LC) belegt. So konnten Overgaard und Kollegen (7) beim Melanom eine von auf 28 auf 37% verbesserte 2-Jahres-Kontroll-
Abbildung 2a: 11.1.2018: Strahlenassoziiertes Angiosarkom (RAAS), mässig differenziert (3. Rezidiv).
Abbildung 2b: 18.4.2018: 6 Wochen nach niedrig dosierter Rebestrahlung mit 5 x 4 Gy 1x/w und thermografiegesteuerter wIRA-HT.
Abbildung 3a: 20.9.2018: rezidiverendes ausgedehntes Merkelzellkarzinom, progredient unter palliativer Chemotherapie. St. n. RT mit 45 Gy vor 1 Jahr. Die abgebildeten Knöpfe sind die mechanischen Distanzhalter des Oberflächen-HT-Gerätes.
Abbildung 3b: 9.10.2018: nach 3 Therapien vor 4. Applikation: 3 x 4 Gy 1x/w und wIRA-Oberflächen-HT. Praktisch vollkommene Rückbildung der zahlreichen Tumorknoten.
rate zeigen (p = 0,03). Eine tumorentitätenübergreifende Metaanalyse von randomisierten und nicht randomisierten Studien zeigte eine 15%ige Verbesserung der CR durch die konkomitierende Anwendung der HT mit Bestrahlung von 39,8 auf 54,9% (3). Allerdings werden primäre Melanome kaum der Radioonkologie zugewiesen. Standard ist heute die Resektion mit zusätzlicher Sentinel-Lymphknotenmarkierung und -entfernung, gefolgt von einer Systemtherapie, da diese Tumorentität abhängig von der Infiltrationstiefe (Breslow-Index) sehr frühzeitig eine hämatogene Aussaat aufweist. Zusätzlich sind gerade mit den Immuntherapien in letzter Zeit spektakuläre Erfolge berichtet worden. Deshalb liegen neuere Untersuchungen über die Wertigkeit einer zusätzlichen Hyperthermie zur Radiotherapie nicht vor, es sind schlicht zu wenig Fallzahlen für eine entsprechende Studie zu erwarten. Vereinzelte Rezidivsituationen können aber durchaus von der Kombinationstherapie profitieren (Abbildungen 1a und 1b). In Zukunft könnte aber die Kombination HT und Immuntherapie sehr Erfolg versprechend sein – in dem Sinne, dass durch die HT die Immunantwort getriggert wird.
Primäre oder sekundäre Angiosarkome Das strahlenassoziierte Angiosarkom (RAAS) ist derart selten, dass es keine prospektiven Studien gibt. Deshalb beruhen alle bisherigen Erkenntnisse auf retrospektiven Fallserien und Case Reports.
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Standard ist eine chirurgische R0-Resektion im Rahmen einer Mastektomie oder lokalen Brustwandresektion mit grosszügigen Sicherheitsabständen, wobei trotz einer R0-Radikalität das Risiko eines Lokalrezidivs mit bis zu 66% beträchtlich ist. Verschiedene Ansätze zur Reduktion des Lokalrezidivrisikos wurden mit noch ausgedehnteren Resektionen (superradikal/wide-margins) mit den entsprechenden Funktionsdefiziten und Mutilationen beschrieben. Es wurde gezeigt, dass eine R0-Resektion sowohl bei der Erstoperation als auch im Falle eines Rezidivs prognosebestimmend ist, hingegen trotz einer R0-Resektion aus mikroskopisch disseminierten Zellen erneute Rezidive entstehen können. Inwiefern der Resektionsabstand im Gesunden mitbestimmend ist, bleibt unklar. Es gibt Berichte, die keinen prognostischen Unterschied zwischen einem freien Resektionsrand < 1 cm und > 1 cm darlegen konnten, andere betonen die Wichtigkeit der Entfernung der gesamten ehemals bestrahlten Haut mit dem Risiko von vermehrten Wundkomplikationen. Schliesslich scheint vor allem die Kontrolle der okkulten mikroskopischen Metastasen in der «area at risk» als Basis für das darauffolgende Rezidiv prognosebestimmend zu sein. Somit drängt sich die Frage auf, ob diese Kontrolle der grossflächigen «area at risk» zwingend chirurgisch oder nicht weniger mutilierend erfolgen könnte. Eine Option wäre daher sowohl eine neoadjuvante als auch adjuvante Chemotherapie (ChT). Es wird zwar über ein verbessertes lokalrezidivfreies Überleben berichtet, aber über keine Verbesserung der Überlebenszeit. Basierend auf diesen Daten kann leider keine sichere Empfehlung zur ChT abgegeben werden, da einerseits kein einheitliches ChT-Regime verwendet wurde und andererseits eine Subgruppenanalyse aufgrund der zu geringen Fallzahl nicht möglich ist. Zusätzlich einschränkend ist in Betracht zu ziehen, dass sehr viele Patentinnen aufgrund ihres Alters und des Allgemeinzustandes kaum aggressive ChT ertragen würden. Darf trotz erheblicher Vorbelastung eine erneute RT (re-RT) angeboten werden? Für diverse Kliniken und Tumorboards gilt eine Vorbelastung wegen möglicher Toxizitäten fälschlicherweise immer noch als Kontraindikation. Wie am Beispiel der re-RT (mit HT) bei Mamma- und Brustwandrezidiven gezeigt werden konnte, ist dies nicht begründet. Das Nebenwirkungsprofil ist von der Fraktionierung, der totalen Dosis und der Latenz zwischen der Primär-RT und der geplanten re-RT abhängig. Bisherige Daten scheinen für eine Verwendung einer re-RT beim RAAS zu sprechen (9). Interessant ist analog den klassischen Brustwandrezidiven die Kombination einer re-RT mit Oberflächen-HT (10). In einer Übersicht von 222 Patienten mit RAAS erzielte die OP mit adjuvanter re-RT eine bessere lokale Kontrolle als die OP allein. Dabei
wurde aber in 30% der Fälle zusätzlich HT zur re-RT gegeben (11) (Abbildungen 2a und 2b). Zusammenfassend spricht vieles beim RAAS der Brust/Brustwand für eine interdisziplinäre Therapie mit Resektion und adjuvanter semiprophylaktischer Grossfeld-HT-RT, während der Wert der zusätzlichen neo- oder adjuvanten Systemtherapie weiter zu prüfen ist.
Merkelzellkarzinome Bisher sind in der Literatur keine Mitteilungen über den Einsatz einer HT zur RT bekannt. Diese aggressiv einzustufenden kleinzelligen Tumoren der Haut treten häufig beim älteren Menschen auf, metastasieren sehr früh in die regionären Lymphknoten (ca. 30–50% bei Diagnosestellung) und auch sehr früh hämatogen (ca. 20–30% bei Diagnosestellung). Sie breiten sich zudem auch «flohsprungartig» in der Haut aus. Deshalb ist eine grosszügige Entfernung teilweise gar nicht mehr möglich oder zu belastend. Das notwendige ergänzende RT-Feld sollte umfassend auch die regionären Lymphknotenstationen mit einschliessen. Dies ist gerade bei älteren Patienten teilweise nicht mehr möglich respektive zu belastend. Wegen der frühzeitigen hämatogenen Metastasierung wird heute häufig primär eine Chemotherapie oder neuerdings Immuntherapien versucht; die lokoregionären Therapien sind gleichzeitig eher in den Hintergrund geraten. Bei Rezidiven und vorbestehender Bestrahlung sind die Aussichten begrenzt, der Einsatz der HT hat aber im eigenen Krankenklientel zu hervorragendem lokalem Ansprechen zusammen mit geringen Strahlendosen geführt (Abbildungen 3a und 3b).
Andere Hauttumoren Ergebnisse über die kombinierte Thermoradiotherapie sind bekannt; vereinzelte Berichte bei rezidivierenden Plattenepithelkarzinomen zeigen, dass die Anwendung in solchen Situationen durchaus zu evaluieren ist – insbesondere wenn bereits eine erhebliche radiogene Vorbelastung vorliegt und erneute chirurgische Massnahmen zu risikoreich oder mutilierend sind oder gar nicht mehr zugemutet werden können.
Nebenwirkungen
Falls die HT qualitativ hochwertig und unter Temperaturmessung und -kontrolle durchgeführt wird, sollte dies zu keinen relevanten HT-induzierten Spättoxizitäten führen (8). Bei Rezidiven im vorbestrahlten Gebiet erlaubt die begleitende HT zudem eine schonendere und wirkungseffizientere Rebestrahlung. In dieser Situation wäre ohne HT die Applikation einer für die Tumorkontrolle suffiziente Dosis nicht mehr möglich (4). Das bedeutet, dass die kombinierte HT-RT-Anwendung in der Regel sehr gut und ohne
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Tabelle 2:
Indikationen für Oberflächenhyperthermie (kostenpflichtige Leistungen nach BAG-Entscheid) und Tiefenhyperthermie bei den erwähnten Leistungen (bis 2020 provisorische Leistungspflicht)
Indikationen für Oberflächenhyperthermie
Tumorsituation
Spezifizierung
Mammakarzinom
Inoperable Lokalrezidive in vorbestrahltem Areal
HNO-Tumoren
Inoperable Lympknotenmetastasen oder Lokalrezidive mit/ohne Vorbestrahlung
Malignes Melanom
Oberflächliche Lymphknotenmetastasen oder Lokalrezidive mit/ohne Vorbestrahlung
Alle Tumorlokalrezidive mit Kompressionsysmptomatik mit/ohne Vorbestrahlung
Indikationen für Tiefenhyperthermie
Tumorsituation
Spezifizierung
Zervixkarzinom
Kontraindikation für Chemotherapie oder lokal vorbestrahlt
Rektumkarzinom
Funktionserhalt und/oder Kontraindikation für Chemotherapie, Lokalrezidiv im vorbestrahlten Areal
Weichteilsarkome
Funktionserhalt und/oder Kontraindikationen für Chemotherapie
Pankreaskarzinom
Lokal fortgeschrittener, primär inoperabler Tumor
Blasenkarzinom
Funktionserhalt und/oder Kontraindikation für Chemotherapie
Ossäre Metastasen
Schmerzhafte Skelettmetastasen der Wirbelsäule/Becken, Herdtiefe > 5 cm
zusätzliche Langzeitnebenwirkungen ertragen wird. Mangels grossflächiger Temperaturkontrolle werden bei der Mikrowellenhyperthermie > Grad-2-Toxizitäten im Bereich von 10 bis 23% angegeben; bei der niedrig dosierten Wiederbestrahlung mit der thermografiegesteuerten wIRA-HT sind keine solchen beobachtet worden (4).
Kostenübernahmepflicht für die Hyperthermie
Die HT in Kombination mit einer RT ist durch das Bundesamt für Gesundheit für definierte Situationen anerkannt (Tabelle 2). Es besteht eine Kostenübernahmepflicht in der Grundversicherung für diese Indikationen. Als Voraussetzungen muss die Indikation am Tumorboard des Swiss Hyperthermia Networks (SHN) geprüft werden. Die Leistungspflicht für die Tiefen-HT ist vorerst bis 2020 beschränkt. 2018 wurden 40 Tumorboards abgehalten, 122 Patientenfälle besprochen und in 101 (83%) Fällen die Indikation bestätigt. In 73 Fällen handelte es sich um die Oberflächen-HT.
Potenzial noch nicht ausgeschöpft
Die Entwicklungsmöglichkeiten der Hyperthermie scheinen noch lange nicht abgeschlossen zu sein. Verbesserte Heilungschancen werden mit der präoperativen Kombination mit Radio- oder Radio-Chemotherapie erwartet. Die Interaktion mit Immunmodulatoren der neuesten Generation ist vielversprechend. Entsprechend dürfen wir noch mehr Erfolge erwarten. Die bereits erreichten Verbesserungen der HT-Planung und -Geräte gestatten eine wesentlich präzisere Handhabung der Hyperthermieapplikation, weitere Fortschritte sind zu erwarten. Eine noch bessere Evidenz würde durch die seit Langem geforderten randomisierten Studien erreicht, hier engagiert sich das SHN aktiv an der Diskussion in Kollaboration mit internationalen Fachgesellschaften wie ESHO (usw).
Folgende radioonkologische Kliniken in der Schweiz
bieten die Kombination Hyperthermie – Radiothera-
pie an:
I Mikro-/Radiowellen-Technik: Radio-Onkologie Kan-
tonsspital Aarau KSA
I Radio-Onkologe Universitätsspital Genf HUG
I Thermografiegesteuerte wIRA-Hyperthermie/Mik-
rowellentechnik: Radio-Onkologie Lindenhofspital
Bern.
I
Dr. med. Markus Notter Radio-Onkologie Lindenhofspital 3012 Bern E-Mail: markus.notter@lindenhofgruppe.ch
Interessenkonflikte: keine.
Quellen: 1. Horsman MR, Overgaard J: Hyperthermia: a potent enhancer of radiotherapy. Clin Oncol (R Coll Radiol) 2007, 19; 418–426. 2. Oei AL et al.: Effects of hyperthermia on DNA repair pathways: one treatment to inhibit them all. Radiat Oncol 2015; 10: 165. 3. Datta NR et al.: Local hyperthermia combined with radiotherapy and/or chemotherapy: recent advances and promises for the future. Cancer Treat Rev 2015; 41: 742–753. 4. Notter M et al.: Hypofractionated re-irradiation of large-sized recurrent breast cancer with thermography-controlled, contact free water-filtered infra-red-A hyperthermia: a retrospective study of 73 patients. Int J Hyperthermia 2016, 1–10. 5. Overgaard J: The heat is (still) on – the past and future of hyperthermic radiation oncology. Radiother Oncol 2013; 109: 185–187. 6. Vaupel P et al.: Biological and photobiological basis of water-filtered infra-redA hyperthermia of superficial tumors. Int J Hyperthermia 2018; 1–11. 7. Overgaard J et al.: Randomised trial of hyperthermia as adjuvant to radiotherapy for recurrent or metastatic malignant melanoma. Lancet 1995; 345, 540–543. 8. Van der Zee J et al.: The Kadota Fund International Forum 2004 – clinical group consensus. Int J Hyperthermia 2008; 24: 111–120. 9. Ghareeb ER et al.: Primary and Radiation-induced Breast Angiosarcoma: Clinicopathologic Predictors of Outcomes and the Impact of Adjuvant Radiation Therapy. Am J Clin Oncol 2016; 39: 463–467. 10. Stutz E et al.: Strahlenassoziertes Angiosarkom der Brust. InFo Onkologie & Hämatologie, 2017, Vol 4, 28–32. 11. Depla AL et al.: Treatment and prognostic factors of radiation-associated angiosarcoma (RAAS) after primary breast cancer: a systematic review. Eur J Cancer 2014; 50: 1779–1788.
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