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Neue Therapien / Kongressbericht
Glioblastom (GBM WHO-Grad IV)
Tumortherapiefelder – eine neueTherapie in Kombination mit TMZ-Chemotherapie
Für die Behandlung des Glioblastoms stehen seit über 10 Jahren keine neuen Therapieoptionen zur Verfügung. Innovative Perspektiven eröffnen sich nun durch den Einsatz sogenannter Tumortherapiefelder (TTFields, Optune®) – elektrische Wechselfelder niedriger Intensität und intermediärer Frequenz – in Kombination mit Temozolomid. Die Langzeitdaten der EF-14-Studie zeigten jetzt signifikante Verbesserungen der medianen OS- und PFS-Daten.
Das Glioblastom ist der häufigste primäre maligne Hirntumor mit jährlicher Inzidenz von zirka 3/100 000 erwachsenen Einwohnern. Dr. med. Andreas Hottinger, Neuroonkologe am Universitätsspital CHUV in Lausanne, erläuterte auf einem MedienRoundtable* bisherige Therapiestrategien und die neue Option.
Die Primärtherapie des Glioblastoms
Das Glioblastom (WHO-Grad IV) geht mit sehr schlechter Prognose einher: Trotz intensiver Therapie liegt die mediane Lebenserwartung der Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom bei etwa
15 Monaten (und lag vor zirka 15 Jahren noch bei gerade einem Jahr). Im Jahr 2005 führte die Einführung des Alkylanz Temozolomid (TMZ), konkomitant und adjuvant zur lokalen Radiotherapie, bei neu diagnostizierten Glioblastom-Patienten in einer klinischen Studie von Stupp und Kollegen zur Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens (OS) von 12,1 auf 14,6 Monate (1, 2). «Die heutige Primärtherapie dieser Patienten beinhaltet die grösstmögliche Resektion des Tumorgewebes, gefolgt von lokaler Bestrahlung und begleitender TMZ-Gabe. Im Anschluss wird die adjuvante TMZ-Chemotherapie gegeben.» Unter dieser Behandlung verbessere sich zwar die Prognose, sie bleibe aber insgesamt bescheiden: Die 2-Jahres-Überlebensrate lag in der Studie von Stupp 2005 (1) trotz dieser multimodalen Therapie bei 26,5%. In der Rezidivsituation ist bisher keine Standardtherapie definiert. Angewandt werden, sofern möglich, die erneute Operation, die Radio- und die Chemotherapie (meist Procarbazin, Nitrosoharnstoffe oder erneut TMZ) (3).
Abbildung 1: Wirkweise der Tumortherapiefelder: TTFields interferieren mit der Ausbildung der intrazellulären Mikrotubuli, was den Aufbau des Spindelapparates stört. Dies kann unter anderem zu einer abnormalen Chromosomenverteilung auf die Tochterzellen, zu einem Anhalten des Zellzyklus oder zur Einleitung der Apoptose führen (5).
Neue Perspektiven mit Tumortherapiefeldern (TTFields)
Eine verbesserte Therapie bietet sich nun mit TTFields, welche in der Schweiz bereits im klinischen Alltag eingesetzt werden können. Die innovative Technologie (TTFields, Optune®) arbeitet mit lokal erzeugten elektrischen Wechselfeldern niedriger Intensität (1–3 V/cm) und intermediärer Frequenz (100–300 kHz) (4). In der verwendeten Frequenz wirken TTFields auf den Zellteilungsapparat (Spindelapparat) der Tumorzellen. Dieser ist während der Zellteilung für die Trennung der Chromatidenpaare sowie für deren gleichmässige Verteilung auf beide Tochterzellen verantwortlich. TTFields stören unter anderem die Ausbildung des Spindelapparates; dies kann in den Tochterzellen zu ungleichmässigen Chromosomenzahlen,
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zu einem Zellzyklusarrest oder zur Apoptose führen (Abbildung 1). Die TTFields werden lokal und nicht invasiv über Keramikgelpads, sogenannte Transducer-Arrays, die auf die Kopfhaut aufgeklebt werden, an den Tumor abgegeben (Abbildung 2). Die gezielte lokale Therapie wirkt auf die sich teilenden Tumorzellen im Gehirn und lässt die gesunden, teilungsinaktiven Zellen unbeschädigt.
EF-14-Studie: Kombinationstherapie TTFields und TMZ beim Glioblastom
Die Wirksamkeit und die Sicherheit der TTFields in Kombination mit TMZ wurden in der grossen, prospektiven, randomisierten, multizentrischen EF-14-Studie untersucht; die Resultate zur Langzeitüberlebensanalyse wurden auf der Jahrestagung der Society of Neurooncology (SNO) im November 2016 vorgestellt (4). Hottinger fasste die wichtigsten Daten zusammen: 695 Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom wurden nach Ende der konkomitanten Radiochemotherapie mit Temozolomid randomisiert im Verhältnis 2 zu 1. Sie erhielten entweder TMZ in Kombination mit TTFields (n = 466) oder TMZ als Monotherapie (n = 229) in 6 Zyklen. Die Patientencharakteristika in beiden Gruppen waren vergleichbar, 35% der Patienten (42% im Kontrollarm) wiesen MGMT-Promoter-Methylierungen** auf. Die Langzeitanalyse, die Daten über 4 Jahre (48 Monate) einbezog, zeigte ein signifikant verlängertes medianes Gesamtüberleben um 4,8 Monate. Das mediane OS (jeweils in der ITT-Population) betrug 20,8 Monate unter der TTFieldsplus TMZ-Behandlung (vs. 16,0 Monate unter der TMZ-Monotherapie; HR: 0,65; p < 0,0006). Die 1- bis 4-Jahres-Überlebensraten waren in der Studiengruppe alle signifikant verlängert (1. Jahr: 73% vs. 65%; 2. Jahr: 43% vs. 30%; 3. Jahr: 24% vs. 16%; 4. Jahr: 17% vs. 10%). Auch das mediane PFS war signifikant verlängert mit 6,7 versus 4,0 Monate (jeweils ITT-Population). Die Ergebnisse waren in allen Subgruppen zugunsten der Studiengruppe. Die Verträglichkeit
** MGMT: O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase
Abbildung 2: Die Therapie mit TTFields wird gezielt über 4 Haftpflaster mit Keramik-Gelpads («Transducer-Arrays») an das Glioblastom abgegeben. Sie werden direkt auf die rasierte Kopfhaut platziert und sind mit dem Gerät (hier in der Tasche) verbunden, das die Tumortherapiefelder erzeugt. Die Therapie sollte mindestens 18 Stunden am Tag angewandt werden, um ein bestmögliches Ansprechen zu erreichen. Die Behandlung kann auch während des Schlafs erfolgen.
war gut; abgesehen von Hautirritation zeigte sich keine signifikante Erhöhung von systemischen Nebenwirkungen. Bei 2% traten gut behandelbare Grad-3-Hautirritationen unter den Transducer Arrays auf. «Für mich ist besonders wichtig, dass sich das Langzeitüberleben unter der Kombination verbessert. Zum Zeitpunkt 4 Jahre nach Therapiebeginn zeigt sich in der Studie eine 70%ige Verbesserung der Überlebensrate», betonte der Neuroonkologe aus Lausanne.
Aktuelles Fazit: neue Standardtherapie beim Glioblastom?
«Die Kombination aus TMZ-Chemotherapie und den TTFields sollte integraler Bestandteil der Standardtherapie bei neu diagnostiziertem Glioblastom sein», schlussfolgerte Hottinger. Die TTFields sind unter dem Handelsnamen Optune zur Therapie des neu diagnostizierten und rezidivierenden Glioblastoma multiforme zugelassen. «Weil Optune® ein Medical Device ist, wird es wegen des Schweizer Krankenversicherungsgesetzes trotz der vorlie-
genden Daten nicht von den Kranken-
kassen übernommen», erklärte Dr. Tho-
mas Hefti, Geschäftsführer der Herstel-
lerfirma Novocure. «Wir sehen die Pati-
enten im Mittelpunkt unseres Handelns.
Eine noch fehlende Erstattbarkeit sollte
den Zugang zu dieser lebensverlängern-
den Therapie nicht verhindern. Aus die-
sem Grund stellen wir das Gerät Patien-
ten in der Schweiz vorläufig ohne Kos-
tenbeteiligung zur Verfügung.» Es ist ge-
plant, 2017 eine Kassenzulässigkeit zu
erhalten. In Deutschland wird die Thera-
pie nach Einzelfallantrag von einigen
Krankenkassen bereits erstattet.
Die neue Technologie ist vielverspre-
chend auch bei weiteren Malignomen.
Wie diverse präklinische Studien zeigten,
sprechen die verschiedenen Tumorzell-
typen auf unterschiedliche Frequenzen
an (z.B. bei Glioblastom 200 kHz, bei
NSCLC [Nichtkleinzelliges Lungenkarzi-
nom] 150 kHz, bei SCLC [Kleinzelliges
Lungenkarzinom] 240 kHz). Aktuell wird
die Wirksamkeit von TTFields in Phase-II-
oder Phase-III-Studien beim Lungenkar-
zinom, Mesotheliom, Ovarialkarzinom,
Pankreaskarzinom und bei Hirnmetasta-
sen des NSCLC untersucht.
L
Bärbel Hirrle
Quelle: * Medien-Roundtable am CHUV, Lausanne, 12. Dezember 2016 (Firma Novocure), anlässlich des Jahreskongresses der Society for NeuroOncology (SNO), Arizona 2016.
Referenzen: 1. Stupp R, Mason WP, et al.: Radiotherapy plus con-
comitant and adjuvant temozolomide for glioblastoma. N Engl J Med 2005; 352: 987–996. 2. Hegi ME, Diserens AC, et al.: MGMT gene silencing and response to temozolomide in glioblastoma. N Engl J Med 2005; 352: 997–1003. 3. Weller M et al.: DGN Leitlinie – Gliome LL76. Stand: März 2014; http://www.dgn.org/leitlinien/2977-ll-76gliome. 4. Stupp R, Idbaih A, et al.: Prospective, multi-center phase III trial of tumor treating fields together with temolozomide compared to temolozomide alone in patients with newly diagnosed glioblastoma. Annual Meeting of the Society for Neurooncology (SNO), November 17th–20th, 2016, Scotsdale, AZ; Abstract LTBK-01 and Oral Presentation. 5. Giladi M, Schneiderman RS, Voloshin T, et al.: Mitotic Spindle Disruption by Alternating Electric Fields Leads to Improper Chromosome Segregation and Mitotic Catastrophe in Cancer Cells. Sci Rep 2015; 5:18046. (doi: 10.1038/srep18046).
PO-Nr. 450011378
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