Transkript
Im Fokus: Schilddrüsen- und Kopf-Hals-Karzinome
Das Schilddrüsenkarzinom
Molekulare Grundlagen und systemische Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren
Das Schilddrüsenkarzinom, grundsätzlich eine kurativ behandelbare Erkrankung, wird je nach histologischer Untergruppe chirurgisch und zusätzlich mit Radio-Jod (RJT) behandelt. Bei medullären Schilddrüsenkarzinomen (MTC) gibt es die Option der RJT nicht; bei Rezidiv oder Fernmetastasierung ist eine Kuration meist ausgeschlossen, ebenso bei jodrefraktären DTC* (rDTC). Der Artikel durchleuchtet die molekularen Eigenheiten des papillären Schilddrüsenkarzinoms (PTC) und die zugelassenen TyrosinkinaseInhibitoren (TKI) bei rDTC und MTC.
MARCO SIANO
Das Schilddrüsenkarzinom kennt viele Untergruppen. Die WHO/IARC klassifiziert diese entsprechend in ihrer aktuellsten Ausgabe, welche aus dem Jahre 2004 datiert. 2017 wird die neue Ausgabe erwartet. Darin wird für eine genauere Klassifizierung die Berücksichtigung vieler molekularer Eigenschaften erwartet. Neue Erkenntnisse sollten berücksichtigt Marco werden, um die Behandlung der Patienten besser an Siano die Tumorentität anpassen und genauere Aussagen bezüglich Prognose machen zu können (1). Wie bei anderen Tumorentitäten, wie zum Beispiel dem Mamma- oder Prostatakarzinom, kommt es auch bei den Schilddrüsenkarzinomen zu Überdiagnosen, und zwar vor allem aufgrund gehäufter Ultraschallanwendungen, welche zu klinisch nicht relevanten Befunden führen und entsprechend zu weiteren Abklärungen und Prozeduren (2). Die aktuellen Guidelines der ATA (American Thyroid Association) werden weltweit als die wichtigsten angesehen und umfassen diverse histologische Untergruppen (3).
ABSTRACT
Thyroid cancer – molecular properties and systemic treatment
Whereas years ago, there was no proven benefit for systemic agents in DTC and MTC, the armamentarium grew with the advent of novel multi kinase targeting agents. We discuss in this article molecular properties mostly for papillary thyroid cancer (PTC) with the two subgroups of BRAF-like and RAS-like tumors, trying to understand the rationale for the application of TKIs in DTC and MTC. Approved agents for DTC (Sorafenib, Lenvatinib) and MTC (Vandetanib, Cabozantinib) treatment are shortly summarized.
Keywords: DTC, PTC, molecular properties, multi kinase targeting agents
SZO 2017; 1: 6–10
.
Differenziertes Schilddrüsenkarzinom (DTC; rDTC)
Die schwierige Gruppe der DTC, deren Initial- und Weiterbehandlung immer wieder Fragen aufwirft, wird in diesen Guidelines umfangreich abgehandelt und mit Evidenz belegt. Zu beachten ist, dass diese Entität in überwiegendem Masse kurativ behandelt wird und die Prognose überaus günstig ist (4). Je nach Literatur bestehen fortgeschrittene und/oder metastasierte Stadien in 7 bis 23% der Fälle (5). In Letzteren tritt im weiteren Verlauf in zirka 58% der Fälle eine Jodrefraktärität auf. Dies stellt einen seltenen Zustand dar und definiert eine Gruppe von Schilddrüsenkarzinomen, welche nicht mehr kurativ behandelt werden können. Die jodrefraktären, differenzierten Schilddrüsenkarzinome (rDTC) haben eine Inzidenz von rund 3–5/100 000/Jahr und können somit als «rare cancers» angesehen werden. Bei Letzteren gilt es, eine Systemtherapie zu evaluieren und vor allem den richtigen Zeitpunkt hierfür nicht zu verpassen. Somit gilt der medizinische Onkologe im Vergleich zu den Kollegen, welche die Primärbehandlung betreuen (Nuklearmediziner, Endokrinologen, Chirurgen), als «Sekundärbehandler». In Zukunft könnte die Rolle der medizinischen Onkologen auch die Primärbehandlung miteinbeziehen, wenn man aktuelle Daten berücksichtigt, in welchen «targeted therapies» (MEK- und BRAF-Inhibitoren) erfolgreich eine Jodwiederaufnahme in rDTC bewerkstelligen konnten (6, 7). Dies würde den Patienten die Möglichkeit eröffnen, die wohl am besten be-
* DTC = differenziertes Schilddrüsenkarzinom (differentiated thyroid carcinoma).
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legte zielgerichtete Therapie beim Schilddrüsenkarzinom, nämlich die Radiojodtherapie (RJT), wieder zu erhalten. Inwiefern eine Kuration hiermit bewerkstelligt werden kann, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt unklar und wird in weiteren Studien evaluiert werden.
Wann sollten wir den Tumor analysieren?
Medulläres Schilddrüsenkarzinom (MTC)
Das MTC hat mit den C-Zellen eine andere Ursprungszelle als das DTC. Eine RJT ist hier nicht möglich, und bei Versagen der Initialtherapie und/oder im metastasierten Stadium ist direkt eine palliative Systemtherapie zu evaluieren. Damit eine zielgerichtete Therapie ausgewählt werden kann, gilt es, molekulare Grundeigenschaften dieser Tumoren zu verstehen. Die molekularen Grundlagen der MTC werden im Abschnitt der Behandlung mit den entsprechenden TKI kurz beschrieben, und im nächsten Abschnitt wird vor allem auf diejenigen der DTC und speziell auf die PTC fokussiert.
Diagnose Diagnose eines DTC eines
refraktären DTC
erneute Therapie
Diagnose eines
metastasierten DTC
Abbildung 1: Gründe für eine differenzierte Diagnostik des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms (DTC) gemäss Krankheitsstadium.
Molekulare Grundlagen
Diverse Konsortien, darunter auch der TCGA (siehe: The Cancer Genome Atlas), konnten diverse Tumorentitäten molekulargenetisch genauer analysieren und auf diese Weise zum besseren Verständnis der Erkrankungen beitragen. Die Entwicklung neuer Therapieansätze gelang vor allem mit der Definition von Zielstrukturen, die mittels zielgerichteter Proteine angegangen werden können (targeted therapies). Im Falle der Schilddrüsenkarzinome gelang dies unter anderem beim papillären Schilddrüsenkarzinom (PTC) und beim anaplastischen Subtyp (1, 8). Mutationsanalysen wurden davor bereits durchgeführt und gewisse Konstellationen bei einzelnen Schilddrüsenkarzinomen eingehend beschrieben. Sie dienten auch als Rationale in der Anwendung und Entwicklung moderner TKI, beispielsweise von Sorafenib (Nexavar®), einem Multikinase-Inhibitor, welcher unter anderem auch BRAF hemmt. BRAF ist eine Mutation, die bekannterweise in der Entwicklung der DTC als frühes Ereignis eintritt und auch in der Karriere der Entdifferenzierung zu rDTC eine wichtige Rolle spielt (9). Eine Patientenselektion erfolgte initial bei den wichtigsten TKI-Studien bei Schilddrüsenkarzinomen nicht; vor allem auch deshalb, weil eine weitere Selektion der Patienten im Kontext eines seltenen Malignoms grössere Studien (v.a. Phase-III-Studien) kaum realisierbar machen würde.
Analysen beim papillären Schilddrüsenkarzinom (PTC) Eine grosse Analyse des TCGA erfolgte bei Erstdiagnose der PTC (1). Dabei muss berücksichtigt werden, dass es sich um eine Momentaufnahme einer
Abbildung 2: Ausgedehnte Mutationsanalyse von knapp 500 papillären Schilddrüsenkarzinomen (analog 1).
spezifischen Kohorte handelt und dass der Zeitpunkt einer solchen Analyse vor allem hinsichtlich des bestmöglichen Therapieansatzes auch anders gewählt werden könnte oder müsste. Abbildung 1 zeigt, dass eine differenzierte Diagnostik sinnvoll ist, denn: Bei Erstdiagnose oder Eintreten einer Jodrefraktärität dürften unterschiedliche oder neue Alterationen erwartet werden, ebenso in der weiteren «Entdifferenzierungskarriere» oder bei Indikationsstellung für die Therapie. Was wurde in dieser Studie genau analysiert? 496 Tumorproben eines PTC unter Ausschluss der entdifferenzierten Varianten «poorly differentiated thyroid
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Tabelle 1: Derzeit zugelassene Tyrosinkinase-Inhibitoren bei Schilddrüsenkarzinomen (FDA; EMEA)
Tyrosinkinase-Inhibitoren Sorafenib (Nexavar)1 Lenvatinib (Lenvima)2
DTC
Vandetanib (Caprelsa)3 Cabozantinib (Cometriq)4
MTC
1 DECISION. Brose MS. Lancet 2014; 384: 319–28 2 SELECT. Schlumberger M. N Engl J Med 2015; 372: 621–30 3 ZETA. Wells SA. JCO 2012; 30(2): 134–41 4 EXAM. Elisel R. JCO 2013; 31(29): 3639–46 und ASCO 2015
sache, dass die Expression von Genen und entsprechenden Proteinen, welche eine wichtige Rolle in der Differenzierung der Schilddrüsenfollikelzelle und somit des Jodmetabolismus und entsprechend der Jodaufnahme spielen, reduziert ist. Dies bestätigt die Beobachtung, dass die BRAFV600E-Mutation für die verminderte Jodaufnahme bei Entdifferenzierung des Tumors verantwortlich gemacht werden kann (9). Mittels Hemmung des entsprechenden Signalwegs mit einem BRAF-Inhibitor (Dabrafenib oder Vemurafenib) oder einem MEK-Inhibitor (Selumetinib) konnte in präliminären Studien Jodavidität wiederhergestellt werden (6, 7).
cancers» (PDTC) und eines «anaplastic thyroid carcinoma» (ATC) wurden einer ausgedehnten Mutationsanalyse unterzogen. Es wurden unter anderem Alterationen der Genkopiennummern untersucht und mRNA sowie Proteinexpressionen gemessen. Aufgrund dieser Analysen konnten ein BRAFV600E-RASScore erstellt werden. Zudem wurde aus dem Differenzierungsgrad der Tumoren und vieler schilddrüsenspezifischer Proteinexpressionen und Mutationen ein Thyroiddifferenzierungswert erstellt (Abbildung 2).
Analysen beim medullären Schilddrüsenkarzinom (MTC) Bei MTC, unabhängig davon, ob sporadisch oder familiär auftretend, wurden vor allem RET-Mutationen für die Karzinogenese verantwortlich gemacht (10), auch wenn andere Alterationen wie die ALK-Translokation beschrieben werden und somit eine Therapie mit bekannten ALK-Inhibitoren (Crizotinib u.v.m.) naheliegend wäre. RET-Inhibitoren sind für die Therapie der MTC zugelassen und haben gute Resultate gezeigt.
Wichtige Erkenntnisse Diese Analyse führte zur Definition und genaueren Charakterisierung zweier Subgruppen, nämlich eines RAS-like-PTC-Subtyps und eines BRAFV600E-like-PTCSubtyps. Innerhalb des Letzteren konnten weitere Subtypen mittels Clusteranalyse identifiziert werden, welche diverse klinische Beobachtungen stützen, vor allem, dass BRAF-mutierte DTC eine heterogene Tumorgruppe darstellen mit unterschiedlichem Krankheitsverlauf und unterschiedlicher Prognose. Diese Tatsache könnte teilweise die weiterhin bestehende Kontroverse erklären, inwiefern die BRAF-Mutation ein prognostischer Biomarker ist. Zudem konnten in dieser Analyse neue, davor für Schilddrüsenkarzinome unbekannte Treibermutationen wie die EIF1AX-, die PPM1D- und die CHEK2Mutationen nachgewiesen werden. Auch bekannte Mutationen konnten quantifiziert werden wie die NTRK1/3-Mutationen, für die derzeit neue, zielgerichtete Moleküle in Studien untersucht werden. Genfusionen wurden in unerwartet hoher Anzahl gefunden, was ebenfalls neue Möglichkeiten und Rationale für Therapien ermöglicht (ALK-, RET-, BRAF-, NTRK3-Fusionen). Der Anteil der PTC, bei denen bis anhin keine molekularen Treiber identifiziert werden konnten (in ca. 25% der Fälle), konnte auf 3,5% reduziert werden. Wie erwähnt, konnten für die BRAFV600ETumoren vier Cluster definiert werden, welche für zukünftige Klassifikationen interessant sein könnten. Eine weitere, meines Erachtens sehr interessante Beobachtung in der BRAF-like-Gruppe betrifft die Tat-
Die Systemtherapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI)
Im Folgenden werden die für die Schilddrüsenkarzinome zugelassenen oder im Rahmen von grossen Phase-III-Studien untersuchten TKI erläutert (Tabelle 1). Auch andere Agenzien wie spezifische BRAF- und Multikinase-Inhibitoren wurden/werden in Studien untersucht; jedoch finden sie derzeit nur in Therapieversuchen Anwendung.
Therapien bei rDTC Bei rDTC sind derzeit zwei Medikamente zugelassen – Sorafenib und Lenvatinib. Zwei pivotale Phase-IIIStudien prüften Plazebo versus Sorafenib (mit der empfohlenen Dosierung von 400 mg zweimal täglich) sowie Plazebo versus Lenvatinib (Dosierung 24 mg einmal täglich) (5, 11). Ein Cross-over war in beiden Studien vorgesehen (Daher wird die Analyse des Gesamtüberlebens [OS] häufig «verwässert»): Statistische Analysen, die dieser Tatsache Rechnung tragen, zeigen aber bereits einen Trend respektive eine Separierung der OS-Kurven. Jedoch sind die OS-Daten noch zu «unreif» (der Unterschied ist statistisch nicht signifikant).
Sorafenib konnte aber einen klinisch relevanten und signifikanten Unterschied des progressionsfreien Überlebens (PFS) zeigen, welcher zur Zulassung des Medikaments führte. Das PFS gilt bei langsam progredienten Erkrankungen allerdings oft als schwieriger End-
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Tabelle 2:
Das Spektrum der TKI im Rahmen aktueller Phase-III-Studien
Rot umrahmt die mittleren Hemmkonzentrationen von Sorafenib und Lenvatinib an den jeweiligen Targets. Blau umrahmt die mittleren Hemmkonzentrationen von Vandetanib und Cabozantinib.
TKR
VEGFR-I VEGFR-2 VEGFR-3 PDGFRβ c-KIT RET RET/PTC BRAF Others (IC50)
IC50 (nmol/l) Motesanib Axitinib 2 0,1 3 0,2 6 0,29 84 2 8 1,7 59 1,2 -– –– ––
Sorafenib 26 90 20 57 68 47 50 25 –
Sunitinib 10 10 10 39 1–10 100 224 – –
Pazopanib 10 30 47 84 74 – – – –
Vandetanib Cabozantinib Lenvatinib
––
22
40
0,035
4
110 –
5,2
––
39
––
–
130 4
35
100 –
–
––
–
EGFR (500) c-MET (1,8) FGFR-1 (1,8)
Abbreviations: EGFR: epidermal growth factor receptor; FGFR: fibroblast growth factor receptor; VEGFR: vascular endothelial growth factor receptor; PDGFR: platelet-derived growth factor receptor; TKR: tyrosine kinase receptor; RET: rearranged during transfection tyrosine kinase receptor.
punkt. In diese Studie (DECISION trial) wurden Patienten eingeschlossen, die jodrefraktär waren und innerhalb der 14 vorangegangenen Monate eine Progression nach den RECIST-1.0-Kriterien zeigten. Die Vergleichsgruppe in der Studie verdeutlichte, dass Patienten eingeschlossen wurden, welche unmittelbar einer Therapie bedurften und symptomatisch waren oder unmittelbar geworden wären. Eine Vorbehandlung war im Studienprotokoll nicht erlaubt. Sorafenib zeigt Toxizitäten, denen man die Patienten potenziell für mehrere Monate im Therapieverlauf aussetzt; daher ist der richtige Zeitpunkt des Beginns einer Therapie eminent wichtig. Patienten, welche noch über Wochen bis Monate asymptomatisch bleiben, sollten weiter beobachtet werden, und der Therapiebeginn sollte verzögert werden.
Lenvatinib zeigte in einer pivotalen Phase-III-Studie (SELECT trial) sehr hohe und eindrückliche Ansprechraten. Berücksichtigt man das Wirkprofil, erstaunt es, dass praktisch keine inhibitorische BRAF-Aktivität besteht und die Hauptwirkung am ehesten auf den antiangiogenetischen Eigenschaften beruht (Tabelle 2; rot eingerahmt die mittleren Hemmkonzentrationen von Sorafenib und Lenvatinib an den jeweiligen Targets). Eine beträchtliche Toxizität geht mit der empfohlenen Dosierung einher. Auch behandlungsassoziierte fatale Ereignisse werden in grosser Zahl beschrieben (8%). Es scheint, dass die Dosisfindung aufgrund des althergebrachten Phase-I-Studiendesigns diesem TKI nicht gerecht wird und dass die Initialdosis zu hoch gewählt wurde. Die mittlere Dosierung, die den Probanden in der Studie zugemutet werden konnte, lag bei 18 mg. Die Patienten in der SELECT-Studie durften vorbehandelt sein und waren es in 25% der Fälle (sie wurden also in der ersten oder auch zweiten
Linie behandelt). Dies öffnet bei der Anwendung im Alltag eine weitere Tür. Zudem scheint Lenvatinib vor allem bei «entdifferenzierteren» DTC wirksam zu sein, während Sorafenib in diesen Fällen kaum Wirkung entfaltet. Signale einer recht guten Wirkung konnten für Lenvatinib bei PDTC und sogar ATC gezeigt werden.
Diskussionen bezüglich Therapiesequenz Über die richtige Sequenz in der Applikation dieser Medikamente wird eingehend diskutiert. Ohnehin finden im Verlauf einer Erkrankung oft beide TKI Anwendung, dies auch in Anbetracht der limitierten Möglichkeiten. Lenvatinib kann in der ersten oder zweiten Linie eingesetzt werden und sollte bei Patienten mit einem dynamischen Tumorwachstum und/oder symptomatischer Erkrankung bevorzugt werden. Dies gilt ebenso bei Histologien, welche eine ausgeprägte Entdifferenzierung vorweisen (PDTC) und mit hoher Proliferationsrate oder erhöhtem Uptake in der FDGPET einhergehen. Sorafenib kann bei Patienten mit geringer Tumordynamik eingesetzt werden (wobei ein immediates Ansprechen nicht zwingend ist) und sofern (noch) keine ossäre Metastasen bestehen. Dabei sind auch die Nebenwirkungsprofile dieser beiden TKI (z.B. Hypertonie bei Lenvatinib vs. HandFuss-Syndrom bei Sorafenib) mit zu berücksichtigen. Dosisanpassungen sind wesentlich, damit diese Therapien über eine längere Zeit im Sinn einer guten Wirkung-Verträglichkeits-Balance tolerabel bleiben.
Therapien bei MTC Vandetanib und Cabozantinib sind von der FDA und der EMEA für die Behandlung des fortgeschrittenen MTC zugelassen (12, 13) (Tabelle 1). Beide Medikamente hemmen RET, wobei vor allem Cabozantinib
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dies mit einer sehr tiefen mittleren Hemmkonzentra-
tion bewerkstelligt (Tabelle 2, blau umrahmt). Beide
Substanzen wurden in grossen Phase-III-Studien ge-
prüft und konnten signifikante PFS-Verbesserungen
zeigen.
In der ZETA-Studie mit Vandetanib war ein Cross-
over erlaubt, weswegen auch hier ein OS-Benefit
eher schwierig nachzuweisen ist. In der EXAM-Studie
mit Cabozantinib war ein Cross-over nicht erlaubt.
Deswegen und in Anbetracht der im Vorfeld gezeig-
ten Aktivität hätte ein OS-Benefit eher erwartet wer-
den können. Dieser fiel jedoch für die Gesamtheit
der Patienten in der Intention-to-treat-Analyse nicht
signifikant aus (Cabozantinib 26,6 vs. 21,1 Monate
OS, Hazard Ratio [HR]: 0,85; 95%-KI: 0,64–1,12;
p = 0,241).
Betrachtet man hingegen eine spezifische Unter-
gruppe der eingeschlossenen Patienten, nämlich die
Träger einer RET-M918T-Mutation (vorhanden in ca.
25% der MTC), dann zeigen die mit Cabozantinib be-
handelten Patienten einen OS-Benefit von 44,3 Mo-
naten (vs. 18,9 Monate unter Plazebo) (HR: 0,6;
p = 0,026)! (14). Dieses Ergebnis begründet die Be-
stimmung einer RET-Mutation bei fortgeschrittenem
MTC.
L
Dr. med. Marco Siano Klinik für Onkologie/Hämatologie Kantonsspital St. Gallen 9007 St. Gallen E-Mail: marco.siano@kssg.ch
Interessenkonflikte: keine.
Quellen: 1. Agrawal et al.: Cell 2014; 159: 676–690. 2. Vaccarella et al.: N Engl J Med 2016; 375: 614–617. 3. Haugen et al.: Thyroid 2016; 26: 1–133. 4. Sciuto et al.: Ann Oncol 2009; 20: 1728–1735. 5. Brose et al.: Lancet 2014; 384: 319–328. 6. Alan et al.: N Engl J Med 2013; 368: 623–632. 7. Rothenberg et al.: Clin Cancer Res 2015; 21: 1028–1035. 8. Kunstman et al.: Hum Mol Gen 2015; 24: 2318–2329. 9. Xing et al.: Nat Rev Cancer 2013; 13: 184–199. 10. Ji et al.: PLoS Genet 2015; 11: e1005467. 11. Schlumberger et al.: N Engl J Med 2015; 372: 621–630. 12. Wells et al.: J Clin Oncol 2012; 30(2): 134–141. 13. Elisei et al.: J Clin Oncol 2013; 31(29): 3639–3646. 14. Sherman et al.: Cancer 2016; 122: 3856–3864.
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