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Update: «Primary Therapy of Early Breast Cancer»
14th St. Gallen International Breast Cancer Conference, Wien, März 2015
Medikamentöse Prävention des Mammakarzinoms
Rückblick und Update 2015
Im Sinne einer erweiterten primären Brustkrebsprävention für Risikopatientinnen werden prophylaktische Massnahmen durch möglichst einfache, gut verträgliche Strategien erforscht und diskutiert. Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Aspekte des Pre-Conference-Workshops zum «Medical Prevention of Breast Cancer: Update 2015» zu Beginn der 14. St. Gallen International Breast Cancer Conference zusammen.
HANS-JÖRG SENN1,2, AGNES GLAUS1,2, MANGESH THORAT3, POWEL BROWN4
1 Tumor- und Brustzentrum ZeTuP, Rorschacher Str. 150, 9006 St. Gallen. 2 Stiftung St. Gallen Oncology Conferences (SONK), c/o ZeTuP, 9006 St. Gallen. 3 Wolfson Institute for Cancer Research, Queen Mary University, London/UK. 4 Cancer Prevention Center, MD Anderson Cancer Hospital and Institute, Houston/USA.
SZO 2015; 2: 40–42.
Hans-Jörg Senn Agnes Glaus
In den meisten Ländern der westlichen Hemisphäre und neuerdings auch in den bevölkerungsmässig grossen Ländern des Fernen Ostens (China, Indien, Indonesien) steigt die Inzidenz des Mammakarzinoms mit zunehmender mittlerer Lebenserwartung und vermutlich auch als Folge veränderter Bewegungs- und Ernährungsgewohnheiten kontinuierlich (1). Während jedoch im Westen die Mortalität seit Jahren sinkt, ist dies in anderen Teilen der Welt leider (noch) nicht der Fall – vermutlich als Folge der fehlenden konsequent durchgeführten adjuvanten Therapie sowie wohl auch einer qualitätskontrollierten sekundären Vorsorge (Mammografiescreening). Auch bei uns im «Screening-gewohnten Westen» lassen sich durch diese regelmässige technische, sekundäre Vorsorge nicht sämtliche Probleme der angestrebten Senkung der Morbidität und der Mortalität des Mammakarzinoms aus der Welt schaffen, abgesehen vom leidigen Umstand, dass sich ein beträchtlicher Teil der weiblichen Bevölkerung aus un-
Merkpunkte
L Die aktive Chemoprävention des Mammakarzinoms drängt sich auf ange-
sichts der weltweiten Zunahme dieses häufigsten bösartigen Tumors der Frau – in Anbetracht steigender Lebenserwartung und auch in den bevölkerungsreichen Ländern des Fernen Ostens.
L Mehrere in grossen Studien erprobte, orale Antihormone für die Verringe-
rung der Inzidenz hormonrezeptorpositiver Mammakarzinome könnten verfügbar sein. Die Akzeptanz für die jahrelange, präventive, antihormonale Behandlung (mit einigen Nebenwirkungen) ist vonseiten der Risikopatientinnen derzeit sehr eingeschränkt.
L Die medikamentöse Prävention hormonrezeptornegativer Mamma-
karzinome bietet spezielle Probleme: In prä-/klinischen Studien wird derzeit intensiv nach wirksamen, verträglichen neuen Substanzen gesucht.
terschiedlichen Gründen der regelmässigen technikbezogenen Brustkrebsvorsorge (v.a. Mammografie und weitere bildgebende Verfahren wie Brustsonografie und Brust-MRI) entzieht. Ungeachtet des grossen Engagements für die Verbesserung der kurativen onkologischen Therapie und zugunsten einer erweiterten sekundären Brustkrebsprävention drängen sich daher auch zusätzliche Massnahmen zur Etablierung der medikamentösen (primären) Brustkrebsprophylaxe durch möglichst einfache, gut verträgliche und damit von grossen Teilen der weiblichen Bevölkerung akzeptierte medikamentöse Massnahmen auf. Wie bisherige Erfahrungen aus dem präventivmedizinischen Vorzeigeland, den USA, erkennen lassen, wird dies auch anderswo nicht ohne grössere juristische und Akzeptanzprobleme bei der betroffenen Bevölkerung möglich sein.
Chemoprävention des östrogenrezeptorpositiven Mammakarzinoms
Basierend auf den frühen Erfolgen der adjuvanten antihormonellen Therapie bei Patientinnen mit hormonrezeptorpositivem Mammakarzinom – zuerst mittels Ovarektomie, später mittels oral verabreichter Antiöstrogene (v.a. Tamoxifen) –, wurden über mehr als 20 Jahre in den USA mehrere Mammakarzinom-Verhütungsstudien mit dem Antiöstrogen Tamoxifen durchgeführt. Diese verliefen – wie die «Mutterstudien» zur postoperativen Mammakarzinom-Rezidivprävention – durchwegs positiv (2, 3).
Trotz positiver Ergebnisse mit präventivem Tamoxifen/Aromatasehemmer wenig Akzeptanz Dennoch setzte sich selbst im präventionsfreudigen Umfeld der USA diese medikamentöse Form der Mammakarzinomprävention bisher nicht auf breiter
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Front durch, obwohl die in diesen Dingen aufgeschlossene amerikanische Zulassungsbehörde FDA sowohl Tamoxifen als auch Raloxifen jeweils bereits nach den ersten positiven Zwischenergebnissen für die breite Anwendung bei entsprechender familiärer Brustkrebsdisposition zugelassen hatte. In den europäischen Ländern, selbst in Westeuropa, herrschte dagegen – mit Ausnahme Grossbritanniens – grössere Skepsis, einerseits wegen der auch in den USA enttäuschend geringen Akzeptanz dieser neuen medikamentösen Brustkrebsverhütungsmöglichkeit, andererseits wegen nicht unerheblicher medizinischer Bedenken bezüglich möglicher Langzeitnebenwirkungen dieser jahrelangen Antiöstrogenexposition auf die körperliche und reproduktive Integrität der Frauen. Zu bedenken gilt es, dass diese Antihormone bei familiärer Tumorbelastung jahrelang und in relativ frühem Lebensalter eingenommen werden sollten, um einen tumorpräventiven Einfluss ausüben zu können.
Abbildung: Preventing all forms of breast cancer: Targeting «oncogenic drivers» (Powel Brown et al., MDACC Houston/TX, USA: aus Referat am Workshop «Medical Breast Cancer Prevention: Update 2015», im Rahmen der 14th St. Gallen International Breast Cancer Conference 2015, Wien). Mit freundlicher Erlaubnis des Koautors.
Angst vor Langzeitnebenwirkungen überwiegt Selbst eine weitere grosse (kürzlich publizierte, vorwiegend ausserhalb den USA durchgeführte) Primärpräventionsstudie mit dem Aromatasehemmer Exemestan über fünf Jahre bei familienanamnestisch brustkrebsbelasteten Probandinnen (4) hat bisher (noch) nicht zu einem präventionsfreudigeren Umdenken in der behördlichen und auch persönlichen Akzeptanz dieser medikamentösen Prävention in (West-)Europa geführt. Immer noch überwiegen bei uns die Bedenken gegenüber möglichen unbekannten Langzeitnebenwirkungen die Sorge um eine Senkung der bedrohlich hohen Morbidität und Mortalität bei Brustkrebs, dies insbesondere bei uns in der Schweiz, dem Land mit der (unerklärlicherweise) höchsten Mammakarzinomrate in Europa. Vielleicht wird sich diese Haltung in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion um die mammografische Früherfassung etwas bewegen. Zudem ist zu hoffen, dass in Zukunft verträglichere Substanzen, beispielsweise neuere nebenwirkungsärmere Antihormone oder neuere zielgerichtete Substanzen, den Weg in die Primärprävention des Mammakarzinoms bei familiär besonders gefährdeten Frauen finden. Bisher erfreulich positive präklinische Vorstudien und einige laufende klinische Untersuchungen lassen darauf hoffen.
Chemoprävention des östrogenrezeptornegativen Mammakarzinoms
Viel schwieriger als die sowohl pharmakologisch wie auch compliancemässig bereits komplexe Situation bei Frauen mit hormonrezeptorpositivem Mammakarzinom ist die präventivtherapeutische Lage bei Frauen mit potenziellen hormonrezeptornegativen Brustmalignomen, bei welchen sich die Antihormone
(SERM wie Tamoxifen und Raloxifen, Aromatasehemmer wie Anastrozol und Exemestan) in sämtlichen klinisch-präventiven Studien als grundsätzlich unwirksam erwiesen haben. Bei diesen Probandinnen wird mit grossem Einsatz nach präventiv-therapeutischen Alternativen gesucht.
Zahlreiche Substanzen in der Forschungspipeline Die Abbildung zeigt einige der möglichen weiteren Wirkungsmechanismen (ausser den bekannten Angriffspunkten der Antihormone) für potenzielle weitere nicht hormonale brustkrebspräventive Medikamente auf, vor allem: IGFR-Inhibitoren, Bisphosphonate, Cox-2-Inhibitoren (vielversprechende Versuche damit wurden wegen unerwarteter Nebenwirkungen abgebrochen!), Retinoide und Rexinoide, Metformin, PARP-Inhibitoren, Statine. Bereits ein kurzer Blick auf die Abbildung genügt, um zu erahnen, welche komplexen Probleme die medikamentöse Prävention bei Frauen mit hormonrezeptornegativen oder gar tripelnegativen Mammakarzinomen in Zukunft umfasst. Dennoch laufen in verschiedenen Zentren und Forschungsgruppen weltweit zahlreiche wegleitende präklinische sowie bereits klinischpräventive Studien zur möglichen Verhütung hormonrezeptornegativer Mammakarzinomfälle bei noch gesunden Frauen mit erhöhtem Karzinomrisiko (5). Eine ganz neue Forschungsrichtung in der Krebschemo- (besser: Bio-)Prävention tut sich auf in der Entwicklung von «Antibrustkrebsvakzinen», wie sie derzeit in den USA in präklinischen Modellen von einer renommierten Forschungsgruppe um Mary L. Disis in Seattle/USA entwickelt werden (6). Entsprechende klinisch-präventive Studien sind im Aufbau.
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Blick in die Zukunft
Jährliche, individuelle Mammografie ... Für den Moment bleibt den präventionsinteressierten Frauen mit (bedingtem, statistisch) deutlich erhöhtem Brustkrebsrisiko nichts anderes als der Weg über die regelmässige, durch alle schweizerischen Krankenkassen obligatorisch zu bezahlende und für sämtliche Altersstufen geltende, jährliche, individuelle Mammografie – nicht das zweijährliche «gewöhnliche» Mammografiescreening (!). Diese individuelle Vorsorgemammografie (bei jüngeren Frauen mit optisch dichter Brust zunehmend auch das Mamma-MRI) bei familiär belasteten Frauen wird heute in unserem Gesundheitswesen oft noch falsch kommuniziert: Fälschlicherweise wird häufig dieses Vorsorgeprogramm für Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko mit dem regulären zweijährlichen, flächendeckenden Mammografiescreeningangebot für alle Frauen zwischen 50 und 69 Jahren (ohne familiäre Belastung) in den dafür aufgeschlossenen Kantonen der West- und Ostschweiz verwechselt. (In den bevölkerungsreichen Kantonen des Mittellands müssen die Frauen sich wegen bereits jahrelang andauernder Verzögerungsmanöver gedulden – vermutlich, bis eine national vereinheitlichte Gesamtlösung die Kantone dazu verpflichtet.)
... und/oder auch Teilnahme an Präventionsstudie Darüber hinaus besteht für jüngere Frauen mit familiär erhöhtem Brustkrebsrisiko (invasiver Brustkrebs bei Verwandten ersten Grades oder Brustkrebsvorstufen in einer Brustbiopsie) die Möglichkeit, nach radiologischer Basisabklärung an einer der laufenden (leider derzeit seltenen) internationalen Mammakarzinom-Verhütungsstudien internationaler Forschungsgruppen mit einer der antihormonellen oder gezielt krebshemmenden Substanzen teilzunehmen. Dies bedingt in jedem Fall eine eingehende persönliche Beratung in einem dafür spezialisierten Zentrum für Tumormedizin und Krebsvorsorge, welches idealerweise auch aktiv an internationalen Vorsorgestu-
dien auf diesem Gebiet teilnimmt. Ein solches
Zentrum ist laufend über den gegenwärtigen For-
schungs- und Wissensstand auf internationaler
Ebene informiert. Die Zentren sind in der Schweiz in
der SAKK und deren organbezogenen Arbeitsgrup-
pen zusammengefasst; sie stehen in Kontakt mit in-
ternationalen Forschungsgruppen auf dem Gebiet
der Mammakarzinom-Chemoprävention.
L
Prof. Dr. med. Hans-Jörg Senn (Erstautor; Korrespondenzadresse) Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen Rorschacher Strasse 150 9006 St. Gallen E-Mail: hansjoerg.senn@zetup.ch Internet: www.zetup.ch www.oncoconferences.ch
Quellen:
1. Senn HJ, Morant R, Otto F.: The antihormonal preventive therapy of breast and prostate cancer. Horm Mol biol Clin Invest 2011; 5: 117–23.
2. Fisher B, Costantino JP, Wickerham DL et al.: Tamoxifen for the prevention of breast cancer: report of the NSABP-P1-study. J Nat Cancer Inst 1998; 18: 1371–88.
3. Cuzick J, Forbes JF, Sestak I, et al.: Longterm results of tamoxifen prophylaxis for breast cancer – 96 months follow-up oft he randomised IBIS-I trial. J Nat Cancer Inst 2007; 99: 272–83.
4. Cuzick J, Sestak I, Forbes JF (and IBIS-II Investigators): Anastrazole for prevention of breast cancer in high-risk postmenopausal women (IBIS-II): an international, double- blind, randomised placebo-controlled trial. Lancet 2014; 22; 383: 1040.
5. Goss Paul E, Ingle James N, Al és-Martinez J E et al.: Exemestane for breast cancer prevention in postmenopausal women. New Engl J Med 2011; 364: 2381–91.
6. Uray IP, Brown PH.: Chemoprevention of homone receptor negativ breast cancer: New approaches needed. In: Senn HJ, Otto F.: Clinical Cancer Prevention, Recent Results of Cancer. 2010; Vol. 188: 147–62. (Springer Heidelberg).
7. Disis ML.: The ultimate in cancer prevention: cancer vaccines. Cancer Prev Res 2010; 3: 4.
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