Transkript
Im Fokus: Urologische Tumoren
Das metastasierte Nierenzellkarzinom
Offene Fragen in der Therapie
In den letzten Jahren haben zielgerichtete Therapien die Prognose beim metastasierten Nierenzellkarzinom deutlich verbessert. Patienten mit chronischem Verlauf über mehrere Jahre sind heute klinische Realität. Eine Herausforderung bleiben die Frage nach der idealen Therapiesequenz, die Behandlung von Patienten mit hohem Risiko sowie die Therapie nicht klarzelliger Karzinome.
DANIEL REDING, OLIVER GAUTSCHI
SZO 2013; 3: 10–14.
Daniel Reding
Beim hellzelligen Nierenzellkarzinom – früher Hypernephrom genannt – sind konventionelle Chemotherapien kaum effektiv. Über viele Jahre bestand die onkologische Systemtherapie fortgeschrittener Karzinome aus immunmodulierenden Substanzen wie Interferon-alpha oder Interleukin-2, das Überleben der Patienten lag zumeist bei etwa 15 Monaten (1). In den letzten Jahren wurden viele neue Medikamente verfügbar gemacht. Diese haben die Prognose unserer Patienten inzwischen verbessert, und Verläufe über einige Jahre sind heute Realität. Der molekulare Wirkmechanismus dieser neuen Medikamente ist weitgehend unbekannt und betrifft den vaskulärendothelialen Wachstumsfaktor-(VEGF-)Signalweg und damit die Angiogenese. Dennoch fehlen bis heute prädiktive Biomarker, die den individuellen Einsatz der verschiedenen Medikamente erleichtern würden. So haben die Onkologen heute eine immer grösser werdende Auswahl an wirksamen Substanzen, die sich in folgende Gruppen klassifizieren lassen: L VEGF-Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) (Sunitinib,
Pazopanib, Sorafenib, Axitinib) L Inhibitoren des «mammalian target of rapamy-
cin» (mTOR) (Everolimus, Temsirolimus)
ABSTRACT
Metastatic renal-cell carcinoma – open clinical questions
During the last years targeted agents have revolutionized the treatment of metastatic renal cell carcinoma and improved outcomes. VEGF-tyrosinkinase-inhibitors and bevacizumab are the most common used agents in firstline, whereas mTOR inhibitors are used in poor risk and further lines of treatment. Ongoing clinical trials are addressing the role of cytoreduction surgery in patients with advanced disease.
Keywords: metastatic renal cell carcinoma, treatment strategies, poor risk, non-clear histology.
L Anti-VEGF-Antikörper Bevazicumab in Kombination mit Interferon-alpha (Tabelle).
Bezüglich Indikation und Einsatz verweisen wir auf die bekannten Empfehlungen und Richtlinien (u.a. ESMO Clinical Practice Guidelines 2012, NCCN). Wir wollen uns im Folgenden auf einige offene Fragen beschränken.
Welche Erstlinientherapie ist die beste?
In Europa und der Schweiz sind bei «favourable/intermediate risk»-Patienten Sunitinib, Pazopanib und Bevazicumab plus Interfon-alpha formal zur Behandlung zugelassen. Im metastasierten Stadium ist von einer palliativen Erkrankung auszugehen, und da es sich um eine Dauertherapie handelt, ist die Verträglichkeit ein entscheidendes Kriterium. Bezüglich Effektivität verglich die COMPARZ-Studie (2) erstmals direkt Sunitinib und Pazopanib. Diese Studie bewies die Nichtunterlegenheit von Pazopanib gegenüber Sunititib bezüglich PFS und Gesamtüberleben, die Ansprechrate war unter Pazopanib besser. Die PISCES-Studie (3) untersuchte die Präferenz der Patienten zwischen Pazopanib und Sunitinib in Bezug auf Toxizität: 70% der Patienten bevorzugten Pazopanib, 22% gaben Sunitinib den Vorzug. Die Gründe für die verbesserte Lebensqualität liegen vor allen in der geringeren Fatigue, weniger Geschmacksveränderungen und weniger Übelkeit/Erbrechen unter Pazopanib. Aus Sicht vieler Onkologen stellt Pazopanib deshalb eine bevorzugte Therapieoption dar, falls keine Kontraindikationen vorliegen. Bevazicumab/Interferon-alpha wurde in den Zulassungsstudien jeweils gegen Interferon-alpha getestet (4, 5), ein direkter Vergleich mit den Tyrosinkinase-Inhibitoren steht aus.
10 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3/2013
Im Fokus: Urologische Tumoren
Tabelle:
Zugelassene zielgerichtete Substanzen in der Erstlinientherapie: Resultate der Zulassungsstudien
Substanz Sunitinib vs. IFN-a a)
Beva + INF-a vs. INF-a b)
Pazopanib vs. Plazebo c)
n 750
649
435
«poor risk»-Patienten Temsirolimus vs IFN-a d)
626
PFS (Monate) 11 vs. 5 p < 0,001 10,2 vs. 5,4 p < 0,0001 11,1 vs. 2,8 p < 0,0001 5,5 vs. 3,1 p < 0,001 OS (Monate) 26,4 vs. 21,8 p = 0,0051 23,3 vs. 21,3 p = 0,1291 22,9 vs. 20,5 p = 0,224 10,9 vs. 7,3 p = 0,224 a) Mother und Molina, 2009; b) Escudier et al., 2010; c) Sternberg et al., 2007; d) Hudes et al., 2007 ORR (%) 47 vs. 12 p < 0,001 31 vs. 13 p = 0,0001 30 vs. 3 p < 0,001 8,6 vs. 4,8 p < 0,001 Welches ist die optimale Therapiesequenz? Die am ASCO-Kongress 2013 präsentierte RECORD3-Studie (6) untersuchte in der Erstlinie Everolimus versus Sunitinib mit Wechsel des Therapieregimes im Fall von Therapieversagen. Das PFS (primärer Endpunkt) unter Erstlinientherapie mit Sunitinib war signifikant länger als mit Everolimus (10,7 vs. 7,9 Monate). Die Studie bestätigte damit die aktuellen Richtlinien, den mTOR-Inhibitor nach Sunitinib-Versagen einzusetzen. Die allermeisten Patienten werden früher oder später unter Erstlinientherapie resistent. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stellt sich die Frage nach der besten Zweitlinienbehandlung. Nach heute üblicher VEGFgerichteter Therapie ist Everolimus wirksam und in dieser Indikation zugelassen (6). Verschiedene Studien wiesen darauf hin, dass TKI-vorbehandelte Patienten wiederum auf eine TKI-Behandlung ansprechen können (7, 8). In der AXIS-Studie (9) waren die meisten Patienten mit TKI vorbehandelt und erhielten entweder Axitinib oder Sorafenib. Es zeigte sich dabei ein deutlicher PFS-Vorteil für Axitinib (Abbildung 1). Zum jetzigen Zeitpunkt ist also die optimale Wahl der Zweitlinientherapie bezüglich TKI oder mTOR nicht abschliessend geklärt. Es stehen sowohl Axitinib, Sorafenib als auch Everolimus zur Verfügung. Im klinischen Alltag muss das optimale Medikament individuell festgelegt werden: 1. anhand des Tumoransprechens auf die vorange- gangene Therapie; 2. im Hinblick auf Kontraindikationen und mögliche Nebenwirkungen und 3. im Einklang mit der aktuellen Zulassungssituation. Es sind neben einer onkologischen Ausbildung auch vertiefte internistische Kenntnisse nötig, weil diese Substanzen ein breites Nebenwirkungsspektrum haben. Abbildung 1: Axitinib ist Sorafenib in der Zweitlinientherapie überlegen. «poor risk»-Patienten respektive nicht klarzelliges Nierenzellkarzinom Die optimale Therapie für «poor risk»-Patienten respektive nicht klarzelliges Nierenzellkarzinom ist weniger gut erforscht. Etwa 20% aller Patienten mit Nierenzellkarzinomen gehören in die «poor risk»-Kategorie gemäss MSKCC-Kriterien (10). Temsirolimus ist die einzige Substanz, welche in einer grossen «poor risk»-Population (n = 626) getestet wurde (11). Verglichen mit Interferon-alpha zeigte sich eine deutliche Verbesserung von PFS und Gesamtüberleben (Abbildung 2). Die Effektivität der TKI in dieser Patientenpopulation ist kaum geprüft. Allerdings bewies auch Sunitinib in einer kleinen Kohorte einen moderaten PFS-Benefit (12). Insbesondere in Kenntnis der RECORD-3-Daten, welche die inferiore Wirkung des mTOR-Inhibitors nachgewiesen haben, erscheint der gegenwärtige Standard – mTOR – in dieser schwierigen Patientengruppe nicht ideal, sodass hier in der ersten Therapielinie immer öfter ein TKI zum Einsatz kommt. Weitere Studien zur Verbesserung der Resultate und insbesondere zur Identifikation neuer, prädiktiver Biomarker sind dringend nötig. SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3/2013 11 Im Fokus: Urologische Tumoren Medianes OS (2) Vergleich mit IFN HR for death p-Value IFN-a 7,3 Temsirolimus 10,9 0,73 (0,58–0,92) 0,008 IFN-a + Temsirolimus 8,4 0,96 (0,76–1,20) 0,70 Abbildung 2: Temsirolimus ist bei «poor risk»-Patienten effektiv. Abbildung 3: Phase-III-Studie: Nephrektomie plus Sunitinib versus Sunitinib ohne Nephrektomie beim metastasierten Nierenzellkarzinom Formal existieren keine randomisierten, prospektiven Studien zur Behandlung von nicht klarzelligen Nierenkarzinomen. Limitierte Evidenz liegt vor für die Wirksamkeit von Sunitinib und Sorafenib in Form von «expanded-access»- sowie Phase-II-Studien (13, 14). Die Daten zeigen eine signifikant reduzierte Wirksamkeit dieser Substanzen im Vergleich zur Behandlung des klarzelligen Nierenzellkarzinoms. Die Effektivität von Pazopanib oder Axitinib wurde bisher in dieser Histologie nicht geprüft. Basierend auf Extrapolation könnten diese Substanzen bei Patienten mit rezidivierendem nicht klarzelligem Karzinom eingesetzt werden. Bei Sammelrohrkarzinomen und Nierenbeckenkarzinomen wird jedoch weiterhin eine platinbasierte Chemotherapie empfohlen. Osteoprotektive Therapie Die Bisphosphonattherapie ist bei Nierenzellkarzinom mit osteolytischen Knochenmetastasen – je nach kalkulierter Überlebenszeit – fest etabliert. Die Behandlung mit Zoledronsäure reduziert in klinisch signifikanter Weise skelettassoziierte Komplikationen (15). Eine kürzlich publizierte Studie verglich die Wirksamkeit von Zoledronsäure mit dem RANKLigand-Inhibitor Denosumab (16). Es wurden 1776 Patienten eingeschlossen, inklusive 6% mit Nierenzellkarzinom. Es zeigte sich eine signifikante Verlängerung bis zur ersten skelettassoziierten Komplikation (Hazard Ratio: 0,84), sämtliche soliden Tumorentitäten profitierten. ESMO und NCCN empfehlen alternativ Zoledronsäure oder Denosumab zur Osteoprotektion. Wichtig sind die vorgängige zahnärztliche Untersuchung und gegebenenfalls die Sanierung zur Prophylaxe der Kieferosteonekrose sowie die Gabe von Kalzium zur Prophylaxe der Hypokalzämie. Palliative Tumornephrektomie In der Ära der Immuntherapie stellte die palliative Tumornephrektomie basierend auf randomisierten Phase-III-Daten eine viel diskutierte Option dar (17, 18). Eine kombinierte Analyse genannter Studien er- gab ein medianes Gesamtüberleben von 13,6 versus 7,8 Monaten (19). Eine Studie von Choueiri und Kollegen deutete auch den Stellenwert der Nephrektomie im Zeitalter der zielgerichteten Therapie an (20). Prospektive, rando- misierte Studien zu dieser Frage werden derzeit durchgeführt (CARMENA, EORTC30073), um diese Frage definitiv zu klären (Abbildung 3). Bis dahin er- achten die internationalen Guidelines eine palliative Tumornephrektomie bei gutem Allgemeinzustand und akzeptabler technischer Resektabilität nach wie vor als eine Option; insbesondere wenn keine ausge- dehnte Metastasierung besteht und die Haupt- tumorlast damit beseitigt werden kann. Zudem kann eine palliative Tumornephrektomie bei rezidivieren- der oder anämisierender Makrohämaturie sowie bei starken Tumorschmerzen erwogen werden. L Merkpunkte L Beim metastasierten Nierenzellkarzinom stehen heute verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung: VEGF-Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI), Bevacizumab plus Interferon sowie mTOR-Inhibitoren. In der ersten Linie wird heute oft ein TKI eingesetzt. L Die mTOR-Inhibitoren werden meist bei «poor risk»- Konstellation und in weiteren Therapielinien verwendet. L Nicht klarzellige Nierenzellkarzinome sprechen we- niger gut auf diese neuen Medikamente an, limitierte Evidenz existiert für den Einsatz gewisser TKI. Sammelrohrkarzinome und Urothelkarzinome werden mit einer platinbasierten Chemotherapie behandelt. L Die Frage nach dem Stellenwert der palliativen Tumornephrektomie im Zeitalter der TKI- und mTORTherapien wird noch untersucht. 12 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3/2013 Im Fokus: Urologische Tumoren Dr. med. Daniel Reding E-Mail: daniel.reding@luks.ch und PD Dr. med. Oliver Gautschi E-Mail: oliver.gautschi@luks.ch Department Medizinische Onkologie Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16 Quellen: 1. Coppin C, Porzolt F, Awa A, Kumpf J, Coldman A, Wolt T.: Immunotherapy for advanced renal cell cancer. Cochrane Database Syst Rev 2005; 3. 2. 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