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Im Fokus: Prostatakarzinome
Systemische Therapien beim Prostatakarzinom
Hormonablative und chemotherapeutische Optionen
In der Therapie des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms hat sich neben verschiedenen Formen der antihormonellen Behandlung, welche jetzt auch neoadjuvant und adjuvant eingesetzt werden, die Chemotherapie bei hormonrefraktären Karzinomen etabliert. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten mit Schwerpunkt auf Indikation und Nebenwirkungen.
RICHARD CATHOMAS
Das hormonsensitive Prostatakarzinom
Bereits 1941 wurden erstmals die positiven Effekte einer Kastration oder Injektion von Östrogenpräparaten bei Patienten mit metastasiertem Prostatakrebs beschrieben und somit die ausgeprägte Testosteronabhängigkeit dieses Karzinoms festgestellt (1). Die systemische hormonablative Therapie (im Weiteren auch als ADT = Androgen Deprivation Therapy bezeichnet) stellt nach wie vor die wichtigste systemische Behandlung beim Prostatakarzinom dar. ADT wurde lange Zeit erst in der metastasierten oder lokal fortgeschrittenen Situation angewandt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die Population der Patienten mit Prostatakarzinom sehr verändert. Durch vermehrtes opportunistisches PSAScreening werden in der westlichen Welt immer mehr Prostatakarzinome diagnostiziert. Dabei werden deutlich weniger primär metastasierte Fälle diagnostiziert, wohingegen die Anzahl Patienten mit lokalisierten Tumoren zunimmt. Dem gegenüber steht ein Anstieg von Tumoren mit höherem Gleason-Score (= Gradierung für das Prostatakarzinom) (2). Ab Gleason-Score 7 besteht ein erhöhtes Rezidivrisiko. Neue Studien zeigen, dass für Patienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom und höherem Gleason-Score eine adjuvante ADT nach Radiotherapie sinnvoll sein kann (3–5). Insgesamt hat dies zu einer deutlichen Zunahme an durchgeführten hormonablativen Therapien geführt. Im Folgenden wird auf die möglichen hormonablativen Behandlungen, die unterschiedlichen Indikationen sowie auf die Nebenwirkungen dieser Behandlung eingegangen.
Formen der Androgen Deprivation Therapy (ADT) In Tabelle 1 sind die aktuellen Therapieprinzipien einer hormonablativen Therapie zusammengefasst (6). Die Behandlung mit LHRH-Agonisten oder die bilaterale subkapsuläre Orchiektomie stellen dabei die Standardtherapien dar. Es ist dabei wichtig zu beachten, dass zu Beginn der Behandlung mit LHRH-Agonisten ein markanter Anstieg des Testosterons (flare phenomenon) auftritt, was initial zu einer Verschlechterung des Prostatakarzinoms führen kann. Dies muss mittels einer zusätzlichen kurzzeitigen (2 Wochen vor Beginn der mit LHRH-Agonisten eingeleiteten) Therapie mit einem Antiandrogen (z.B. Bicalutamid) verhindert werden. Das Antiandrogen soll zwei Wochen nach Einsatz des LHRH-Agonisten wieder abgesetzt werden. Eine einfache und kostengünstige Massnahme ist die bilaterale subkapsuläre Orchiektomie. Oft wird diese Massnahme von den Patienten abgelehnt, wohl in erster Linie aus psychologischen Gründen, da es sich dabei um eine nicht reversible Massnahme handelt. Kosmetisch ist ein Unterschied zum früheren Status jedoch kaum zu erkennen. Interessanterweise zeigt eine Studie, die die Anwendung von LHRH-Agonisten und Orchiektomie vergleicht, dass Patienten nach Orchiektomie ein signifikant besseres körperliches Befinden sowie deutlich weniger Angst bezüglich ihres Prostatakarzinoms haben, und zwar bei gleicher Wirksamkeit beider Therapien (7). Die neu entwickelte Medikamentenklasse der GnRHAntagonisten führt nicht mehr zu einem «flare phenomenon». Die Einführung dieser neuen Medikamente war bisher infolge gehäuft auftretender Anaphylaxien (bis 5%) verzögert. Ketokonazol (in sehr
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hohen Dosen) wird manchmal als hormonelle Zweitlinientherapie bei Patienten eingesetzt, die eine Chemotherapie ablehnen oder nicht dafür qualifizieren. Die früher oft eingesetzten Östrogenpräparate und deren Abkömmlinge (z.B. Diethylstilbestrol, DES) werden aufgrund von stark gehäuft auftretenden kardiovaskulären Komplikationen und thromboembolischen Ereignissen nicht mehr routinemässig verwendet.
ADT in der adjuvanten Therapie Da bei lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinomen (T2c oder höher, positive Lymphknoten) sowie erhöhtem GleasonScore (Gleason ≥ 7) auch nach optimaler lokaler Therapie ein Rezidivrisiko von bis zu 50% vorliegt, wurden in den letzten Jahren verschiedene Studien mit adjuvanter hormonablativer Therapie durchgeführt. Dabei konnte gezeigt werden, dass eine mit der Radiotherapie konkomittierend und nachher adjuvant weitergeführte ADT einen signifikanten Vorteil sowohl für das progressionsfreie Überleben als auch für das Gesamtüberleben aufweist (3–5). Die 2002 publizierte EORTC-Studie 22863 (3) zeigte, dass eine zur Radiotherapie konkomittierend durchgeführte ADT, gefolgt von drei Jah-
ren adjuvanter ADT das Fünf-JahresÜberleben von 62% auf 78% verbessern konnte. D’Amico zeigte 2004, dass auch eine sechsmonatige adjuvante ADT einen signifikanten Überlebensvorteil bringt (4). Als letzte dieser grossen Studien wurde am ASCO-Jahresmeeting 2007 in Chicago die neueste EORTCStudie 22961 vorgestellt: Dabei zeigte sich, dass eine sechsmonatige adjuvante ADT nach konkomittierender Radiotherapie der adjuvanten ADT über drei Jahre unterlegen ist (5). Ein Kritikpunkt dieser Studien ist, dass die Radiotherapie mit etwas niedrigeren Dosen durchgeführt wurde, als heute Standard ist. Möglicherweise handelt es sich beim nachgewiesenen Vorteil also nur um eine Verbesserung von ungenügender Bestrahlung. Zudem wurde nicht zwischen einzelnen Risikogruppen unterschieden. Somit ist es schwierig, aufgrund der Datenlage aktuelle Empfehlungen abzugeben. Insgesamt scheint aber eine konkomittierende ADT mit Radiotherapie sowie eine adjuvante ADT über sechs Monate für Patienten mit mindestens T2c und GleasonScore 7 indiziert. Bei Gleason-Score ≥ 8 oder initialem PSA > 20 µg/l sollte eine adjuvante Hormontherapie während
insgesamt drei Jahren durchgeführt werden. Für Patienten, bei denen eine radikale Prostatektomie wegen eines lokalen Prostatakarzinoms durchgeführt wurde, fehlen klare Daten für eine adjuvante Behandlung mit hormonablativer Therapie. Die einzige positive Studie wurde vor acht Jahren publiziert; daran nahm allerdings nur ein kleines Kollektiv von Patienten mit positiven Lymphknoten teil (8). Die Tumoren dieser Männer müssen aber eigentlich wegen des positiven Lymphknotenstatus als metastasierte Prostatakarzinome angesehen werden; die Therapie kann somit nicht als adjuvant gelten. Demgegenüber konnte eine gross angelegte Studie bei Patienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom (T1b-4, N0-Nx; N+ nicht eingeschlossen) keinen Vorteil einer adjuvanten Therapie mit Antiandrogenen nach radikaler Prostatektomie aufzeigen (9). Eine ADT nach radikaler Prostatektomie wird daher aufgrund mangelnder Daten nicht empfohlen.
ADT bei PSA-Anstieg nach radikaler lokaler Therapie Nach radikaler Prostatektomie, kurativ intendierter perkutaner Radiotherapie oder Brachytherapie kommt es je nach
Tabelle 1:
Formen der hormonablativen Therapie (ADT) beim Prostatakarzinom
Wirkstoff/Eingriff Medikamente bilaterale Orchiektomie –
Wirkungsort subkapsuläre Hodenentfernung
LHRH-Agonisten
Goserelin (Zoladex®) Leuprorelin (Lucrin®, Eligard®)
Hypophysenvorderlappen
GnRH-Antagonisten
Abarelix
Hypophysenvorderlappen
AndrogenRezeptorAntagonisten Ablation der Nebennieren
Bicalutamid (Casodex®) Prostata Flutamid (Flucinom®)
Ketokonazol (Nizoral®) Nebenniere
5-␣-ReduktaseInhibitoren
Finasterid (Proscar®) Prostata
Wirkmechanismus vollständige Entfernung des testosteronprod. Hodengewebes Reduktion der LHAusschüttung über Downregulation von GnRHRezeptoren direkte Hemmung der GnRHRezeptoren Blockade des Androgenrezeptors über kompetitive Bindung
vermindert Androgensynthese aus Steroidvorläufern durch Hemmung von CYP-450-Enzymen verhindert Bildung von Dihydrotestosteron (DHT) aus Testosteron durch Hemmung der 5-␣-Reduktase
Besondere Risiken operativer Eingriff Psychologie? initialer Anstieg des Testosterons (flare phenomenon)
Anaphylaxie
Gynäkomastie und Mastodynie; Leberenzymanstieg
Cortisonsubstitution notwendig infolge Nebenniereninsuffizienz Verwendung in Prophylaxe eines Prostatakarzinoms? keine gesicherte Rolle beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom
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Stadium und Gleason-Score in bis zu 50% zu einem Wiederanstieg des prostataspezifischen Antigens PSA (PSA failure). Dies ist heutzutage die häufigste Indikation für den Beginn einer hormonablativen Therapie. Möglicherweise wird diese Indikation aber etwas zu früh und zu häufig gestellt. Es hat sich gezeigt, dass nicht bis zum Auftreten von Symptomen zugewartet werden soll. Demgegenüber können jedoch der absolute PSA-Wert, die PSA-Kinetik (PSA-Verdoppelungs-Zeit) und der Gleason-Score bestimmen, ob bei einem Patienten mit «PSA failure» ein erhöhtes Mortalitätsrisiko besteht oder nicht (10). So schwankt die Zehn-Jahres-Mortalität bei Patienten mit «PSA failure» von 2% bis 99% je nach Gleason-Score und PSA-VerdoppelungsZeit. Folgende Richtlinien wurden kürzlich aufgestellt und sollten bei der Entscheidungsfindung helfen (11): ▲ Bei Patienten mit einer PSA-Verdop-
pelungs-Zeit von < 1 Jahr oder einem Gleason-Score ≥ 8 und einem PSA von 10 bis 20 µg/l sollte eine hormonablative Therapie begonnen werden. (Diese stellen insgesamt die Minderheit dar.) ▲ Bei den übrigen Patienten mit «PSA failure» sollte eine ADT erst ab einem PSA-Wert von > 20 µg/l (für Patienten < 70 Jahren) oder ab einem PSAWert von > 50 µg/ml (für Patienten > 70 Jahre) durchgeführt werden.
ADT bei lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Prostatakarzinom Die von der amerikanischen Gesellschaft für Klinische Onkologie (ASCO) publizierten Richtlinien (12, 13) beziehen sich detailliert auf die Frage, ob eine frühzeitige ADT (early ADT) oder ein abwartendes Vorgehen bis zum Auftreten von Symptomen (deferred ADT) bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Prostatakarzinom sinnvoll ist. Dabei kann keine klare Empfehlung für die frühzeitige Durchführung einer hormonablativen Therapie abgegeben werden. Zwei kürzlich publizierte, grosse, randomisierte Studien haben diese Frage untersucht (10, 14). In der EORTC-Studie 30891 (10) wurden Patienten mit T1-4N0-2 M0-Prostatakarzinom ohne vorangehende Lokalthera-
Tabelle 2:
Nebenwirkung von hormonablativer Therapie (ADT)
Nebenwirkung Libidoverlust
Häufigkeit 60–70%
erektile Dysfunktion 70–80%
Hitzewallungen 70–80%
Besonderes weniger bei Antidandrogenen PDI-Typ 5 nur bei erhaltener Libido wirksam bessert nicht im Verlauf
Gynäkomastie
10–80%
LHRH-Agonisten selten
Bicalutamid bis 80%
Müdigkeit (Fatigue) 10–20%
oft mit Depression
multifaktoriell
Anämie
90% Abfall von 10% beginnt nach 1 Monat,
15% Abfall 25%
niedrigster Wert nach
6 Monaten
Osteopenie/-porose 40% mit Orchiektomie vor ADT 30% mit
haben nach 15 Jahren Osteopenie und 5% mit
Fraktur (15% erwartet) Osteoporose
metabolisches
50–60%
muss aktiv gesucht
Syndrom
werden
Behandlung Beratung/Gesprächstherapie
mechanische Hilfen Beratung/Gesprächstherapie
Antidepressiva Vermeiden von Auslösern bei Bicalutamid 150 mg/Tag prophylaktische Radiatio andere Ursachen suchen Antidepressiva andere Ursachen suchen, wenn symptomatisch allenfalls Epoietin erwägen Baseline Osteodensitometrie Kalzium und Vitamin D3
Behandlung gemäss internistischen Richtlinien
pie in zwei Gruppen randomisiert: sofortige ADT oder ADT erst bei Auftreten von Symptomen. 26% der Patienten in der «watchful waiting»-Gruppe verstarben, ohne jemals eine Therapie erhalten zu haben. Insgesamt konnte nur ein nicht signifikanter Überlebensvorteil für die Gruppe mit frühzeitiger ADT gefunden werden. Dieser Vorteil war nur bezüglich nicht prostatakarzinombedingter Mortalität zu sehen. Eine SAKK-Studie zeigte ähnliche Resultate: kein Überlebensvorteil für eine frühzeitige hormonablative Therapie (14). Eine MRC-Studie (= Medical Research Council) zeigte, dass eine frühzeitige ADT eine signifikante Reduktion von schwerwiegenden Komplikationen wie Spinalkanalkompression, Urethraobstruktion und extraskelettalen Metastasen mit sich bringt. Zudem war das krankheitsspezifische Überleben verlängert, nicht jedoch das Gesamtüberleben (15). Alle erwähnten Studien haben die inzwischen bekannten Risikofaktoren nicht berücksichtigt. Heute ist es empfehlenswert, den Beginn einer ADT beim lokal fortgeschrittenen und metastasierten Stadium von den gleichen Kriterien wie oben beschrieben (PSA-Verdoppelungs-Zeit, Gleason-Score, PSA-Wert) abhängig zu machen.
Nebenwirkungen der ADT Aufgrund des vermehrten Einsatzes der antihormonellen Therapien beim Mann sind auch deren Nebenwirkungen in den vergangenen Jahren vermehrt in den Vordergrund gerückt. Die obigen Ausführungen zeigen, dass in gewissen Situationen nur geringe Vorteile einer frühzeitigen ADT bestehen; deswegen sollte im Gespräch mit dem Patienten immer eine Risikoabwägung bezüglich der zu erwartenden Vor- und Nachteile einer ADT stattfinden. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Für den Patienten stehen sicherlich primär die auch «big three» genannten Nebenwirkungen – Libidoverlust, erektile Dysfunktion und Hitzewallungen – im Vordergrund (16). Dabei ist jedoch interessant zu wissen, dass zwar in bis zu 80% eine Impotenz unter ADT besteht (in 30% aber auch ohne ADT!), dass sich jedoch nur etwa 20% der Patienten dadurch beeinträchtigt fühlen (17). In diesem Zusammenhang ist das offene Gespräch mit dem Patienten zu suchen und allenfalls eine Beratung anzubieten. Zu beachten ist, dass Phosphodiesterase-Typ5-Inhibitoren (z.B. Sildenafil) in dieser Situation aufgrund des Libidoverlusts
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meist nicht wirksam sind. Weitere für den Patienten sehr störende Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Energielosigkeit, muskuloskelettale Beschwerden und vor allem körperliche Veränderungen (Gewichtszunahme, Gynäkomastie, Muskelschwund, Verkleinerung von Hoden und Penis) sollten mit dem Patienten vor Beginn einer Therapie besprochen werden. Zudem leiden Patienten unter ADT in bis zu 13% an Depression. Ob auch kognitive Veränderungen auftreten, ist umstritten, da in dieser meist älteren Population eine Unterscheidung zwischen ursächlich durch die ADT bedingten kognitiven Defiziten und durch Komorbidität bedingten Defiziten sehr schwierig ist. Die Gynäkomastie und Mastodynie tritt vor allem unter einer Therapie mit höher dosierten Antiandrogenen (bei Bicalutamid 150 mg/Tag bis zu 80%) auf. Vor einer derartigen Therapie sollte daher eine prophylaktische Radiotherapie durchgeführt werden. Bei Bicalutamiddosen von 50 mg/Tag kann vorerst zugewartet werden, eine allfällige Radiotherapie sollte aber vor Auftreten einer ausgeprägten Gynäkomastie durchgeführt werden, da diese dann irreversibel ist und nur die Mastodynie auf die Bestrahlung anspricht. In den letzten Jahren sind auch bisher weniger beachtete Nebenwirkungen wie Osteoporose und das metabolische Syndrom in den Vordergrund getreten. Bezüglich der Osteoporose wird empfohlen, vor geplanter längerfristigen Gabe einer ADT (> 6 Monate) eine Osteodensitometrie als Ausgangsbefund durchzuführen (16). Zudem sollte eine Substitution mit Vitamin D3 und Kalzium erfolgen. Zum metabolischen Syndrom gehören arterielle Hypertonie, Dyslipidämie (Triglyzeride erhöht, HDL erniedrigt) und erhöhter Nüchternblutzucker. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigte, dass das metabolische Syndrom bei Patienten unter ADT signifikant gehäuft ist (19). Diese Blutwerte sowie der Blutdruck sollten bei Patienten unter ADT daher regelmässig kontrolliert werden; allenfalls sollte behandelt werden, um das kardiovaskuläre Risiko zu mindern.
Kontroversen in der ADT Immer wieder wird die kombinierte Androgenblockade (CAB), die Kombination
von LHRH-Agonisten mit einem Antiandrogen, diskutiert. Die Daten dazu wurden in einer grossen Metaanalyse zusammengetragen (20) und zeigen einen kleinen Fünf-Jahres-Überlebensvorteil für CAB von 2 bis 3%. Dabei besteht jedoch eine Unsicherheit von 0 bis 5% über den wirklichen Benefit einer derartigen Therapie, wie in der Metaanalyse ausgeführt wird. Insgesamt muss gesagt werden, dass aufgrund der Datenlage die Monotherapie mit LHRH-Agonisten oder die bilaterale Orchiektomie den Standard darstellt. Die Monotherapie mit Antiandrogenen hat ein günstigeres Nebenwirkungsprofil als die Standardtherapien. Insbesondere treten weniger Hitzewallungen sowie sexuelle Dysfunktionen auf, und das Osteoporoserisiko ist geringer. Wegen mangelnder Wirksamkeit sollte von einer Monotherapie mit steroidalen Antiandrogenen (z.B. Cyproteronacetat) abgesehen werden. Von den nichtsteroidalen Antiandrogenen stellt Bicalutamid (Casodex®) aufgrund des besseren Nebenwirkungsprofils die Therapie der Wahl dar. Beim lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinom findet sich kein Unterschied bezüglich Tumorprogression oder Gesamtüberleben. Beim metastasierten Prostatakarzinom aber ist die Monotherapie mit Antiandrogenen der Standardbehandlung unterlegen (12). Ein Konzept, das in Zukunft wohl vermehrt angewendet werden wird, ist die intermittierende hormonablative Therapie. Dabei wird die ADT nach Absinken des PSA auf < 4,0 µg/l abgesetzt und erst nach Wiederanstieg auf 10 bis 15 µg/l wieder begonnen. Verschiedene Studien zur intermittierenden ADT in der metastasierten Situation mit über 1000 Patienten sind mittlerweile publiziert, die letzte am ASCO-Meeting 2007 (21). Alle diese Untersuchungen zeigen, dass die intermittierende ADT der kontinuierlichen Behandlung nicht unterlegen ist. Zudem kommen die Patienten, welche ein Ansprechen zeigen, während langer Zeit ohne ADT aus. Das progressionsfreie wie auch das Gesamtüberleben sind identisch. Mehrere Studien bei sehr verschiedenen Indikationen werden in den nächsten Jahren publiziert; der Stellenwert der intermit- tierenden ADT wird wohl deutlich zunehmen. Das hormonrefraktäre Prostatakarzinom Systemische Chemotherapie Initial sprechen etwa 75% der Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom auf eine ADT an. Nach durchschnittlich 18 Monaten kommt es unter dieser Therapie jedoch zu einem erneuten PSA-Anstieg respektive zur Tumorprogression und somit zu einem hormonrefraktären Prostatakarzinom (hormone refractory prostate cancer: HRPC). In dieser Situation kann primär durch Zugabe eines Antiandrogens in etwa 45 bis 65% der Fälle ein Ansprechen des PSA für sechs bis neun Monate beobachtet werden. Danach kann durch erneutes Absetzen des Antiandrogens (androgen withdrawal syndrome) in 20 bis 30% nochmals für drei bis fünf Monate eine PSA-Reduktion erreicht werden. Spätestens dann stellt sich jedoch die Frage nach einer systemischen Chemotherapie. Diese wird aufgrund der vor wenigen Jahren publizierten Resultate heute vermehrt früher gestellt. Tannock et al. konnten 2004 in der TAX-327-Studie erstmals zeigen, dass eine Chemotherapie beim metastasierten Prostatakarzinom zu einem Überlebensvorteil führt (22). Die Therapie mit Docetaxel (Taxotere®) in Kombination mit niedrig dosiertem Prednison führt dabei gemäss einem kürzlichen Update (23) zu einer Verbesserung des Überlebens von 16,3 Monaten (mit Mitoxantrone/Prednison) auf 19,2 Monate (Docetaxel alle 3 Wochen) und von 17,8 Monaten bei wöchentlicher Gabe von Docetaxel. Eine Reduktion des PSA um > 50% konnte in 45% (unter Docetaxel alle 3 Wochen), 48% (unter Docetaxel wöchentlich) und 32% (unter Mitoxantron) beobachtet werden. Eine signifikante Schmerzreduktion zeigte sich bei 35% der Patienten mit Docetaxel alle drei Wochen (31% unter Docetaxel wöchentlich), wohingegen unter Mitoxantron nur in 22% der Fälle eine Schmerzreduktion erzielt werden konnte. Zudem, und dies muss betont werden, konnte unter der Chemotherapie mit Docetaxel eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität beobachtet werden. Eine gleichzeitig publizierte Studie mit
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Docetaxel und Estramustin bestätigte die Resultate der TAX-327-Studie bezüglich Wirksamkeit der Chemotherapie (24). Hingegen traten unter Docetaxel/ Estramustin deutlich mehr Nebenwirkungen auf, insbesondere Übelkeit und Erbrechen sowie thromboembolische Ereignisse. Die Behandlung mit Docetaxel/Prednison stellt daher heutzutage die Standardchemotherapie für Patienten mit progredientem hormonrefraktärem Prostatakarzinom dar. Eine schwierige Frage ist, zu welchem Zeitpunkt idealerweise mit einer Chemotherapie begonnen werden sollte. Dabei sollten klinische Zeichen (Symptome) wie auch die Bildgebung (Progredienz in der Skelettszintigrafie oder im CT) sowie die PSA-Verdoppelungs-Zeit beachtet werden: Auftreten von Symptomen, eindeutige Zeichen der Progression in der Bildgebung sowie eine kurze PSA-Verdoppelungs-Zeit (< 2 Monate) sind Indikatoren, dass eine Chemotherapie begonnen werden sollte. Zu beachten ist, dass zurzeit empfohlen wird, die hormonablative Therapie mit LHRH-Agonisten während der gesamten Dauer der Chemotherapie und darüber hinaus fortzuführen. Wie aus den oben aufgeführten Überlebensraten abzulesen ist, ist mit einem Versagen der Behandlung mit Docetaxel zu rechnen. Für die Zweitlinienchemotherapie bestehen auch im Jahr 2007 keine Empfehlungen, da Daten dazu fehlen. Sicherlich muss in erster Linie der Allgemeinzustand des Patienten und sein Therapiewunsch beachtet werden. Wenn der Abschluss der Therapie mit Docetaxel mehr als drei Monate zurückliegt und in Erstlinientherapie ein Ansprechen beobachtet werden konnte, ist die nochmalige Behandlung mit Docetaxel zu erwägen. Ansonsten wurden verschiedene Medikamente (Mitoxantron, Vinorelbin und andere) eingesetzt, meist jedoch mit mässigem Erfolg. Derzeit laufen vermehrte Forschungsanstrengungen, um für diese Patienten neue Behandlungswege zu suchen. Auch in der Schweiz wird die SAKK (Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung) in Kürze eine Studie für Patienten mit Tumorprogredienz nach Therapie mit Docetaxel beginnen. Bisphosphonate bei Knochenmetastasen In bis zu 90% der metastasierten Prosta- takarzinome finden sich Knochenmetas- tasen. Eine grosse randomisierte dop- pelblinde Studie mit Zoledronat (Zometa®) zeigte (25), dass die Behand- lung mit Zoledronat zu einer signifikan- ten Reduktion von skelettassoziierten Er- eignissen führte (44% vs. 33%). Zudem konnte die Zeit bis zum Auftreten von Skelettkomplikationen signifikant verlän- gert werden. Alle Patienten in der Studie erhielten zusätzlich eine perorale Substi- tution mit Kalzium und Vitamin D. Die Therapie mit Zoledronat stellt daher heute beim ossär metastasierten Prosta- takarzinom eine Standardtherapie dar, wobei die Indikation für das Zoledronat beim Auftreten eines hormonrefraktären Tumors gegeben ist. In den letzten Jahren sind in der systemi- schen Therapie des Prostatakarzinoms viele neue Erkenntnisse gewonnen und signifikante Fortschritte, die für die Pati- enten relevant sind, erzielt worden. Wichtig ist dabei eine gute interdiszi- plinäre Zusammenarbeit zwischen Urolo- gen, Onkologen, Radioonkologen und Hausärzten, um dem Patienten mit Prostatakarzinom die bestmögliche Be- handlung anbieten zu können. ▲ Dr. med. Richard Cathomas Medizinische Onkologie Kantonssspital Graubünden Loestrasse 170 7000 Chur E-Mail: richard.cathomas@ksgr.ch Quellen: 1. Huggins C, Hodges CV.: Studies on prostatic cancer, I: the effect of estrogen and of androgen injection on serum phosphatases in metastatic carcinoma of the prostate. Cancer Res 1941; 1: 293–297. 2. Cooperberg MR, Lubeck DP et al.: Time trends in clinical risk stratification for prostate cancer: implications for outcomes (data from CaPSURE). J Urol 2003; 170: S21–S27. 3. 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