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SCHWERPUNKT GYNEA – Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendgynäkologie
Endokrinologische Auffälligkeiten in der jugendgynäkologischen Sprechstunde
Hyperandrogenämie: wann abklären und therapieren?
Grob zusammengefasst haben endokrinologische Störungen in der Adoleszenz einen gemeinsamen Nenner: Blutungsstörungen. Um unterscheiden zu können, welche Ursache den Störungen zugrunde liegt, ist eine Hormonanalyse wegweisend. Die Gefahr besteht aber, junge Mädchen mit einer Diagnose zu stigmatisieren oder sie zu übertherapieren. Zur medizinischen Orientierung sollten die neuesten Guidelines bekannt sein. Dieser Artikel zeigt wichtige Eckpfeiler auf.
Anja Wüest
Während der frühen Adoleszenz ist es herausfordernd, Erkrankungen und Störungen einer Hyperandrogenämie zu diagnostizieren. Welche Auffälligkeiten (Zyklusverläufe, Hormonwerte, Klinik) sind schon früh wegweisend für mittelschwere und schwere Erkrankungen? Differenzialdiagnosen der häufigsten Erscheinungen und die besonderen Herausforderungen der Diagnostik in der Adoleszenz werden vorgestellt und neuere wissenschaftliche Erkenntnisse dazu resümiert.
Merkpunkte
n Bis 3 Jahre nach der Menarche sind Zyklusunregelmässigkeiten physiologisch.
n Bei einer Hyperandrogenämie sollte man an das PCOS, aber auch an die Differenzialdiagnosen NCAH, Cushing-Syndrom, Tumore der NNR oder des Ovars und CAIS denken.
n Der Begriff «at risk für PCOS» kann bei Jugendlichen, welche nicht alle Kriterien für die Diagnose eines PCOS erfüllen, verwendet werden und beinhaltet regelmässige klinische und laborchemische Verlaufskontrollen beim Mädchen.
n Die Beurteilung der Ovarmorphologie durch einen transabdominalen Ultraschall gehört zur Diagnostik in der Adoleszenz – die Beschreibung der Ovarien als «PCO-like» sollte allerdings in der frühen Jugend vermieden werden, da dies physiologisch ist.
Ab wann sind Zyklusstörungen nach der Menarche pathologisch?
Innerhalb des ersten Jahres postmenarchal sind unregelmässige Zyklen normal. Bis 3 Jahre nach der Menarche gilt ein Zyklus mit Dauer zwischen 21 und 45 Tagen auch weiterhin als unauffällig, da die Gonadenachse noch nicht ganz ausgereift ist. Bestehen danach aber Zyklen von weniger als 21 oder mehr als 35 Tagen oder treten weniger als 8 Zyklen pro Jahr auf, wird das nicht mehr als physiologisch bezeichnet und sollte abgeklärt werden (Tabelle 1). Um Blutungsstörungen abzuklären, ist als nächster Schritt eine laborchemische Hormonanalyse durchzuführen. Eine Blutuntersuchung sollte nur veranlasst werden, wenn das Mädchen nicht unter kombinierter hormoneller Kontrazeption steht. Wird die Pille eingenommen, sollte diese für 3 Monate pausiert werden, bevor ein Hormonstatus angeordnet wird (Tabelle 2).
Hyperandrogenämie
Eine Hyperandrogenämie wird entweder durch einen erhöhten Testosteronwert (freies/Gesamttestosteron) und/oder durch erhöhte DHEA-S-Konzentrationen diagnostiziert. Da die DHEA-Konzentration im Serum stark schwankt, wird die Messung der DHEA-S-Konzentration bevorzugt. Der Androstendionwert korreliert stark mit dem Testosteronwert, da Testosteron aus Androstendion entsteht; dieser hat deshalb keine grosse zusätzliche Aussagekraft. Bereits um die Menarche haben adoleszente Mädchen die gleichen Androgenspiegel wie adulte Frauen.
Klinische Bilder in Korrelation zur Adoleszenz Eine exakte Anamnese und eine klinische Untersuchung bezüglich Androgenisierungserscheinungen – schwere Akne, Hirsutismus, Alopezia androgenica sowie Seborrhö – sollten vor der Blutuntersuchung durchgeführt werden. Werden eine Klitorishypertrophie (Klitorislänge > 10 mm), eine Stimmveränderung (tiefere Stimme) sowie eine Zunahme der Muskelmasse bemerkt, spricht man von Virilisierung. Diese tritt erst nach länger bestehendem, exzessiven Androgenüberschuss auf. Unter Hirsutismus versteht man eine Zunahme der terminalen Körperbehaarung an denjenigen Hautpartien, deren Haarfollikel androgenabhängig sind, wie Oberlippe, Kinn, Wangen, Brust- und Sternalregion, Schamregion, Unterbauch und Oberschenkel. Abzugrenzen davon ist eine nicht Androgen-abhängige Verstärkung der Körperbehaarung im Sinne einer Hypertrichosis. Hirsutismus bei Adoleszenten kann mit dem modifizierten Ferriman-GallweyScore (mFG) überprüft werden. Ein Score von ≥ 4 bis 6 ist hinweisend für einen Hirsutismus (1). Vor dem klinischen Assessment müssen die Jugendlichen nach vorgängigen Enthaarungstherapien gefragt werden, was natürlich limitierend für eine korrekte Beurteilung sein kann. Eine milde Acne comedonica ist häufig in der Pubertät, und zwar aufgrund einer temporär erhöhten Empfindlichkeit der Talgdrüsen gegenüber den Androgenen. Dagegen können komedogene oder papulopustulöse Akne mit mehr als 10 Gesichtsläsionen in der frühen Pubertät oder eine schwere Akne (Acne conglobata, Acne inversa) auf eine Hyperandrogenämie hindeuten (2). Bezüglich Alopezie aufgrund einer Hyperandrogenämie oder eines PCOS bei Jugendlichen gibt es keine Studien. Die androgene Alopezie führt zu einer Ausdünnung der Haare, vor allem im Bereich des Scheitels und des Hinterhauptes. Der negative psychosoziale Effekt einer Androgenisierungserscheinung bei adoleszenten Mädchen sollte immer berücksichtigt und eine Abklärung wie auch gegebenenfalls eine Therapie eingeleitet werden.
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Tabelle 1:
Definition unregelmässiger Zyklen bei Adoleszentinnen entsprechend der Zeitspanne nach der Menarche (adaptiert nach [1])
schen Zeichen sind Gewichtszunahme mit Stammfettsucht, Vollmondgesicht, Büffelnacken sowie eine dünne Haut mit Striae distensae und gegebenenfalls zu-
Weniger als 1 Jahr nach Menarche 1 bis 3 Jahre nach Menarche > 3 Jahre nach Menarche
Unregelmässige Zyklen sind im pubertären Übergang normal Zyklus < 21 oder > 45 Tage < 21 oder > 35 Tage oder < 8 Zyklen pro Jahr nehmende Akne. Als Morbus Cushing hingegen wird eine adrenale Hypercortisolämie durch einen Mehr als 1 Jahr nach der Menarche > 90 Tage in einem Zyklus
ACTH-produzierenden Tumor der Hypo-
Primäre Amenorrhö = Alter von 15 Jahren oder > 3 Jahre nach
physe bezeichnet. M. Cushing ist unter
der Thelarche (Brustentwicklung)
den endogenen Cushing-Syndrom-
Fällen die häufigste Ursache und ist bei
Kindern über 7 Jahre für etwa 75% der
Das Androgen, welches vor allem aus lase-Aktivität vor, und der Salzverlust Fälle verantwortlich.
der Nebennierenrinde ausgeschüttet fehlt, da die Aldosteron- und Cortisol- Eine definitive Diagnose kann bei klini-
wird (DHEA-S), ist insbesondere deswe- spiegel normal sind. Der Androgenüber- schem Verdacht und Hypercortisolämie
gen wichtig, damit andere Differenzial- schuss kann zu vermehrten Androgeni- mittels Dexamethason-Hemmtest ge-
diagnosen ausgeschlossen werden kön- sierungserscheinungen vor oder in der stellt werden.
nen, darunter die nicht klassische, adre- Pubertät sowie zu einer prämaturen Pu- Bei einem stark erhöhten Testosteron-
nale Hyperplasie (NCAH, late-onset AGS) barche bei prämaturer Adrenarche füh- wert und einem klinisch nicht hirsutem
oder auch Androgen-sezernierende Tu- ren. In diesem Fall sollte eine Bestim- Mädchen sollte eine Karyotypisierung
moren der Nebennierenrinde. Bei erhöh- mung des Knochenalters durchgeführt zum Ausschluss einer kompletten Andro-
ter Konzentration von DHEA-S muss man werden, um eine Akzeleration der Ske- genresistenz erfolgen.
in der Follikelphase morgens und nüch- lettreifung auszuschliessen, was zu einer
tern auch das 17-Hydroxyprogesteron (17-OHP) sowie das Cortisol bestimmen.
verschlechterten Endgrössenprognose führt. Falls die Androgene mehr als zweifach
Die komplette Androgenresistenz (CAIS)
CAIS ist die häufigste Ursache einer
Nicht klassische, adrenale Hyperplasie (NCAH)
Die NCAH ist in zirka 6% der Fälle die
erhöht sind, ist eine Bildgebung der Nebennieren und des Ovars indiziert, um ein Tumorgeschehen auszuschliessen
46XY-DSD-Variante (DSD, disorder of sex
Ursache für eine Hyperandrogenämie. Die NCAH wird durch eine kongenitale Enzymstörung verursacht, meistens durch 21-Hydroxylase, das aufgrund einer hete-
(z. B. Sertoli-Leydig-Tumor, Kortisol-produzierendes Adenom). Ebenfalls ist dann die Bestimmung von Cortisol im Serum wichtig (morgens zwischen 7 und 9 Uhr),
Tabelle 2:
Basishormonanalyse (frühzyklisch, morgens)
rozygoten Mutation des CYP21-Gens. Das führt zu einer Störung der Steroidbiosynthese in der Nebennierenrinde. Die Inzidenz liegt bei 0,1% bis 0,2% in unserer Bevölkerung (in bestimmten ethnischen Gruppen ist sie höher, z. B. bei Ashkenazi-Juden 1:100 bis 1:200). Neben
um so ein adrenales Cushing-Syndrom auszuschliessen.
Adrenales Cushing-Syndrom
Beim adrenalen Cushing-Syndrom liegt ein Cortisol-produzierendes Adenom oder eine knotige Vergrösserung der
Messung von: n FSH n LH n E2 n Prolaktin n TSH n Freies Testosteron und Gesamttestosteron n SHGB
der Klinik ist die Bestimmung von 17- Nebennierenrinde mit Überproduktion n DHEA-S
OHP ausschlaggebend und beweisend. von Cortisol vor (Tabelle 3). Die klini-
Die Diagnose einer NCAH wird bei einer
17-OHP-Konzentration von > 200 ng/dl (> 6 nmol/L) vermutet und durch den ACTH-Test bestätigt, falls die 17-OHPKonzentration sich auf > 35 nmol/L (1000–
Tabelle 3:
Symptome bei nicht klassischer, adrenaler Hyperplasie und adrenalem Cushing-Syndrom (Differenzialdiagnose)
1500 ng/dl) nach 60 Minuten nach Gabe Klinische Merkmale
von 250 μg Synacthen erhöht. Ergänzend wird eine molekulargenetische Untersuchung empfohlen. Der nicht klassische 21-HydroxylaseMangel ist häufiger als der klassische Hydroxylasedefekt und verursacht eine weniger schwere Form der Erkrankung. Es
Nicht klassische, adrenale Hyperplasie
Adrenales Cushing-Syndrom
Ggf. prämature Pubarche/Adrenarche
Ggf. Akzeleration des Knochenalters mit vorzeitigem Gewichtszunahme, Wachstumsstörungen,
Wachstumsschub, aber verminderte Endgrösse
Muskelschwäche, arterielle Hypertonie
Hirsutismus, schwere Akne, Virilisierung
Dünne Haut, Striae distensae, Akne
Stammfettsucht, Büffelnacken, Vollmondgesicht,
Hirsutismus
Zyklusunregelmässigkeiten, Amenorrhö
liegen noch 20 bis 50% der 21-Hydroxy-
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development). Die CAIS ist die Folge einer X-linked-Genmutation des Androgenrezeptors, welche in über 95% der Fälle gefunden wird. Die Pubertät der CAIS-Mädchen wird aufgrund einer Aktivierung der Gonaden mit darauf folgender Testosteronausschüttung induziert, sie erfolgt in der Regel etwas später als bei Gleichaltrigen. Infolge peripherer Aromatisierung von Testosteron zu Estradiol ist die Brustentwicklung unauffällig – bei jedoch fehlender Pubarche aufgrund der Androgenresistenz und der ausbleibenden Menarche aufgrund des fehlenden inneren weiblichen Genitales. Laborchemisch zeigt sich ein typisches Hormonprofil mit erhöhten Testosteronund LH-Werten bei unauffälliger FSH-Konzentration infolge regelrechter Inhibin-Ausschüttung aus den Gonaden. Die erhöhte LH-Konzentration erfolgt aufgrund eines ebenfalls veränderten Androgenrezeptors in der Hypophyse mit daraus resultierender Androgenresistenz und somit fehlendem negativem Feedback. Gemäss Literatur ist eine Gonadektomie vor oder während der Pubertät nicht indiziert, da ein (sehr) niedriges Risiko für eine maligne Entartung der Gonaden in diesem Lebensabschnitt besteht und wegen des Benefits einer spontanen Pubertätsentwicklung (3). Die Inzidenz des Gonadoblastoms steigt mit zunehmendem Alter an (ca. 22% im Erwachsenenalter), deshalb sind halbjährliche bis jährliche Verlaufskontrollen mit Bildgebung (US/ MRI) zur Darstellung der Gonaden sowie laborchemische Kontrollen der Tumormarker (Alpha-Fetoprotein, HCG, LDH) und der Hormone (LH, FSH, Gesamttestosteron, Inhibin B) empfohlen (4). Eine Gonadektomie sollte auf jeden Fall nach der Pubertät diskutiert werden, da das immer noch der Goldstandard ist, um eine maligne Entartung histologisch auszuschliessen.
Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS)
Die häufigste Ursache einer Hyperandrogenämie ist das PCOS. Die Diagnose bei adoleszenten Mädchen stellt eine Herausforderung dar. Bei adulten Frauen wird die Diagnose gemäss Rotterdam-
Kriterien bei Vorliegen von zumindest 2 der 3 Kriterien gestellt: n Oligoamenorrhö n Hyperandrogenämie und/oder Andro-
genisierungserscheinungen n PCOM (polycystic ovarian morpho-
logy): > 20 Antralfollikel und/oder ein Ovarvolumen > 10 ml. Diese Kriterien lassen sich nur bedingt bei jungen Mädchen anwenden, weil: n Zyklusunregelmässigkeiten aufgrund der Unreife der Gonadenachse physiologisch sind n vermehrt Hautunreinheiten in der Pubertät auftreten n in diesem Alter oft kein transvaginaler Ultraschall zur Evaluation der Ovarmorphologie durchgeführt werden kann n Mangel an Evidenz besteht, da es in der Literatur nur eine limitierte Anzahl an Studien mit Adoleszenten gibt.
Neue Guideline für adoleszente Patientinnen Pena und Kollegen (2) haben eine aktualisierte, internationale, evidenzbasierte Guideline für die Diagnosestellung des PCOS bei Adoleszentinnen publiziert, dabei wurde zusätzlich die Terminologie «at risk for PCOS» eingebracht. Bei Mädchen mit starken Androgenisierungserscheinungen (mittelschwere bis schwere Akne, Hirsutismus) und/oder Hyperandrogenämie mit persistierend unregelmässigen Zyklen > 1 Jahr postmenarchal (siehe Tabelle 1) sowie unter Ausschluss von Differenzialdiagnosen (NCAH, Cushing-Syndrom, Hyperprolaktinämie, Schilddrüsenpathologien) kann die Diagnose gestellt werden. Adoleszente mit Risiko für PCOS, auf welche nicht beide Kriterien zutreffen, sollten regelmässig untersucht werden. Auf jeden Fall sind eine Reevaluation des Zyklus 3 Jahre nach Menarche und eine Ultraschalluntersuchung 8 Jahre nach Menarche bei diesen Mädchen indiziert. In der Pubertät wird die Steroidbiosynthese angekurbelt, sodass es zu dementsprechend gesteigerter Bildung von DHEA und DHEA-S und klinisch bemerkbarer Schambehaarung kommt. Eine vermehrte adrenale Androgenausschüttung kann ein signifikanter Faktor in der Pathogenese des PCOS sein. Mädchen
mit prämaturer Pubarche infolge einer vorzeitigen Bioaktivierung der adrenalen Androgenproduktion (prämature Adrenarche) scheinen ein erhöhtes Risiko zu haben, später eine ovarielle Hyperandrogenämie und eine Insulinresistenz zu entwickeln (5, 6).
Kausale Faktoren Unklar bleibt, ob der Zusammenhang zwischen prämaturer Adrenarche und dem erhöhten Risiko für ein PCOS aufgrund einer zu früh gesteigerten Androgenproduktion in der Nenennierenrinde oder auch der Ovarien beziehungsweise einer höheren biochemischen Aktivität der Androgene besteht. Gemäss Literatur scheinen insbesondere Kinder mit intrauteriner Wachstumsretardierung und prämaturer Adrenarche ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines PCOS zu haben (7). Es ist also vor allem die Kombination zwischen geringem Geburtsgewicht und Hyperinsulinismus mit einer späteren Entwicklung eines PCOS bei postpuberalen Mädchen mit prämaturer Pubarche assoziiert. Die verminderte Insulinsensitivität/Hyperinsulinämie, welche oft sowohl beim PCOS als auch bei prämaturer Adrenarche vorliegt, spielt gegebenenfalls eine Schlüsselrolle bei der Entstehung des Hyperandrogenismus. Adoleszente haben höhere Level an Wachstumshormonen und Insulin-likeGrowth-Factor 1 (IGF-1), welche beide einen Einfluss auf eine organselektive Insulinresistenz haben. Leber, Fett- und Muskelgewebe sind in diesem Alter weniger insulinsensitiv, die Nebennierenrinde und die Ovarien hingegen schon. Die gesteigerte Insulinaktivität und somit der erhöhe IGF-1 führen zu einer Ankurbelung der Androgensynthese. Die relative Insulinresistenz der Leber führt so zu einer verminderten Bildung von sexualhormonbindenem Globulin (SHBG), woraus wiederum erhöhte freie Androgene im Serum resultieren. Bei Adoleszenten mit PCOS führt die erhöhte LH-Konzentration (aufgrund einer abnormen GnRH-Ausschüttung) zusätzlich zu einer exzessiven Bildung von Androgenen, welche nicht mehr adäquat in Östron und Estradiol umgewandelt werden können. Daraus entsteht in Kombination mit
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der verminderten FSH-Konzentration eine fehlende Follikelreifung, danach folgt die Anovulation, was sich in unregelmässigen Menstruationszyklen widerspiegelt. Die LH/FSH-Ratio ist entsprechend wie bei den adulten PCOS-Frauen erhöht (8). Beschrieben wird, dass eine Hyperinsulinämie bei adoleszenten Mädchen mit Risiko für PCOS oder mit PCOS die Androgenproduktion verstärkt. Deshalb führt eine Senkung der Insulinkonzentration zu einer signifikanten Reduktion der Hyperandrogenämie. Ob aber die physiologische Insulinresistenz in der Pubertät eine ausschlaggebende Rolle bei Mädchen mit einer Prädisposition für PCOS spielt, ist bis anhin unklar. Fällt klinisch eine Acanthosis nigrans auf, ist auf jeden Fall eine Abklärung des Glukosestoffwechsels (Nüchternglukose und Nüchterninsulin) indiziert, da diese gehäuft bei schwerer Insulinresistenz auftritt.
Adipöse Mädchen Adipöse Mädchen haben ein erhöhtes Risiko für Insulinresistenz und Hyperinsulinämie, welche wiederum zu einer Senkung der SHBG-Produktion in der Leber führen und die Hyperandrogenämie verstärken. Kontrolle des Gewichts und Vermeiden einer übermässigen Gewichtszunahme sind bei Adoleszenten mit PCOS oder mit erhöhtem Risiko für PCOS wichtig, denn Adipositas führt zu einer Exazerbation der metabolischen und psychosozialen Komorbiditäten. Das Anbieten und Erläutern von Lifestyle-Interventionen ist Pflicht bei der Betreuung betroffener Jugendlichen.
Auch bei nicht hirsuten Mädchen mit unregelmässigem Zyklen, welche jedoch eine hohe LH-Konzentration aufweisen, sind die Androgene signifikant erhöht, verglichen mit gleichaltrigen Mädchen mit ovulatorischen Zyklen. Das bedeutet, dass Erstere ein höheres Risiko für ein PCOS haben. Gemäss Literatur weisen nicht hirsute Mädchen mit persistierend anovulatorischen Zyklen über 2 Jahre nach der Menarche in 35 bis 63% der Fälle erhöhte LH-Konzentrationen auf (2, 9). Gemäss einigen Autoren stellt der transabdominale Ultraschall keine geeignete Untersuchung zur Diagnosesicherung eines PCOS < 8 Jahre nach der Menarche dar, da eine hohe Inzidenz an multifollikulären Ovarien besteht, welche in diesem Altersabschnitt physiologisch sind und somit keinen klaren Hinweis auf eine endokrinologische Störung geben. Auch ist die Sensitivität der transabdominalen Untersuchung insbesondere bei adipösen Mädchen erniedrigt (1). Jedoch gehört eine transabdominale sonografische Beurteilung auf jeden Fall zur Diagnostik von Blutungsstörungen in der Adoleszenz. Bei erhöhtem Ovarvolumen und/oder stark polyfollikulären Ovarien kann das Label «at risk» für PCOS vermerkt werden und zu einem späteren Zeitpunkt eine sonografische Re-Evaluation erfolgen. Eine laborchemische Bestimmung des Anti-Müller-Hormons wird nicht zur Diagnosesicherung oder zur Überprüfung polyzystischer Ovarien verwendet. Fazit Unsere Aufgabe ist es, Jugendliche mit erhöhtem Risiko für PCOS zu erkennen und regelmässige Verlaufskontrollen zu veranlassen, um eine korrekte Diagnose stellen zu können. Ebenso sollte man die Differenzialdiagnosen der Hyperandrogenämie kennen. Bei Hyperandrogenämie und/oder Androgenisierungserscheinungen sowie einer übermässigen Gewichtszunahme müssen adäquate Therapien eingeleitet werden, um die dadurch entstehenden negativen psychosozialen Effekte in dieser sensiblen Lebensphase zu minimieren und Spätfolgen des PCOS zu reduzieren. Eine Fehl- oder Überdiagnose mit Stigmatisierung der Mädchen sollte aber vermieden werden. n Dr. med. Anja Wüest Oberärztin gyn. Endokrinologie, Reproduktionsmedizin, Kinder-und Jugendgynäkologie Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital 3010 Bern E-Mail:AnjaRebekka.Wueest@insel.ch Interesssenkonflikte: keine. Quellen: 1. Teede HJ et al.: Recommendations from the international evidence-based guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome. Hum Reprod 2018;33:1602–1618. 2. Pena AS et al.: Adolescent polycystic ovary syndrome according to the international evidence-based guideline. BMC Medicine 2020;18(1):72. 3. Lanciotti L et al.: Different Clinical Presentations and Management in Complete Androgen Insensitivity Syndrome (CAIS). Int J Environ Res Public Health 2019;16:1268. 4. Döhnert U et al.: Gonadectomy in Complete Androgen Insensitivity Syndrome: Why and When? Sex Dev 2017;11:171–174. 5. Shayya R et al.: Reproductive endocrinology of adolescent polycystic ovary syndrome. BJOG 2010;117:150–155. 6. Voutilainen R et al.: Premature adrenarche: etiology, clinical findings, and consequences. J Steroid Biochem Mol Biol 2015; 145:226–236. 7. Ibanez L et al.: Precocious pubarche, hyperinsulinism, and ovarian hyperandrogenism in girls: relation to reduced fetal growth. J Clin Endocrinol Metab 1998;83:3558–3562. 8. Nicolaides NC et al.: Polycystic ovarian syndrome in adolescents: from diagnostic criteria to therapeutic management. Acta Biomed 2020;Vol.91,N.3:e2020085 9. Villarroel C et al.: Hirsutism and oligomenorrhea are appropriate screening criteria for polycystic ovary syndrome in adolescents. Gynecol Endocrinol 2015;31(8):625–629. 12 GYNÄKOLOGIE 5/2021