Transkript
SCHWERPUNKT
Zytomegalievirus-Infektion und Schwangerschaft
Neues zu Risiken, Prävention, Diagnostik und Therapie
Eine Zytomegalievirus-Infektion während der Schwangerschaft kann zu schwerwiegenden fetalen Schäden führen. Neue Erkenntnisse zur Diagnostik, Prognoseeinschätzung und Behandlung erfordern eine Neubeurteilung der Möglichkeiten für eine frühzeitige Erkennung und Beratung sowie möglicher Optionen in der Prophylaxe und der Behandlung.
LEONHARD SCHÄFFER
Leonhard Schäffer
Das der Familie der Herpesviren angehörende Zytomegalievirus ist die häufigste Ursache kongenitaler Infektionen und führende Ursache für sensoneuronalen Gehörverlust und schwere neurokognitive Entwicklungsstörungen. Eine frühe mütterliche Primärinfektion während der perikonzeptionellen Phase und während des ersten Trimenons ist hierbei der Hauptrisikofaktor. Eine vor der Schwangerschaft durchgemachte CMV-Infektion schützt im Gegensatz zu einer Reihe anderer viraler Infektionen nicht sicher vor einer fetalen Schädigung durch Reinfektionen mit unterschiedlichen CMV-Stämmen und intrinsischen Reaktivierungen, wenngleich das Risiko für eine plazentare Transmission vermutlich deutlich geringer ist als bei einer Primärinfektion. In Westeuropa geht man von einer Seroprävalenz bei Frauen im gebärfähigen Alter von etwa 50% aus, was bedeutet, dass zirka die Hälfte aller Schwangeren ein Risiko für eine Primärinfektion trägt (1). Die Serokonversionsrate ist abhängig von der Prävalenz und wird für die Schweiz auf 0,5 bis 1% geschätzt. Im Falle einer mütterlichen Primärinfektion ist das Risiko für eine transplazentare fetale Infektion abhängig vom
Schwangerschaftsalter und kann bereits bei einer präkonzeptionellen Infektion (bis ca. 3 Monate) in etwa 5% der Fälle zu einer fetalen Transmission führen. Das Risiko steigt mit zunehmendem Gestationsalter. Perikonzeptionell (4 Wochen vor bis ca. 6 WochennachKonzeption)beträgtdasTransmissionsrisiko zirka 21%, im ersten Trimenon zirka 37% und steigt bis auf 66% im letzten Trimenon an (2). Gleichzeitig sinkt mit zunehmendem Gestationsalter das Risiko für eine fetale Schädigung signifikant. Während bei einer fetalen Infektion in der perikonzeptionellen Phase und im ersten Trimenon mit einer Rate von 30% respektive 20% für relevante Schädigungen gerechnet werden muss, fällt das Risiko auf unter 1% bei Infektionen nach dem ersten Trimenon (2, 3). Die Rate an vertikalen Transmissionen bei nicht primären CMV-Infektionen ist schwierig zu beziffern, da nicht primäre Infektionen diagnostisch schwer einzuordnen sind. Es werden aber deutlich geringere intrauterine Infektionsraten zwischen 0,2 und 3,4% vermutet, wenngleich man diese Zahlen eventuell unterschätzt (4, 5). Das Schädigungspotenzial im Falle einer Infektion ist hingegen mit demjenigen bei Primärinfektionen vergleichbar (6).
Merkpunkte
n Eine CMV-Infektion im ersten Trimenon oder perikonzeptionell führt in bis zu 40% der Fälle zu einer fetalen Infektion und in bis zu 30% der Fälle zu relevanten Schädigungen.
n Eine Aufklärung und Hygienemassnahmen zum Schutz vor einer CMV-Infektion sind einfach und effektiv. Sie sollten unbedingt bei allen Frauen mit Kinderwunsch und bei allen Frauen in der Frühschwangerschaft durchgeführt werden.
n Die Möglichkeit zur Bestimmung des CMV-Serostatus, optimalerweise präkonzeptionell bzw. in der Frühschwangerschaft, sollte insbesondere bei Vorliegen von Risikofaktoren unter Berücksichtigung der möglichen Konsequenzen bei einer positiven oder unklaren Serologie besprochen und angeboten werden.
n Bei mütterlicher Serokonversion im ersten Trimenon sollte eine Behandlung mit Valaciclovir bzw. ggf. mit Hyperimmunglobulinen angeboten werden.
Primärprävention ist essenziell
Eine mütterliche Infektion erfolgt über den Kontakt mit infizierten Körperflüssigkeiten, vor allem Speichel, Urin, Tränenflüssigkeit oder Samenflüssigkeit. Insbesondere Kleinkinder sind ein Reservoir für CMV. So haben Mütter mit einem in der Krippe betreuten Kleinkind ein etwa 10-fach erhöhtes Risiko für eine Serokonversion (7). CMV-negative Frauen in der ersten Schwangerschaft zeigten zum Zeitpunkt der Folgeschwangerschaft eine Serokonversionsrate von 15,8%, bei einem Drittel lag eine frische Infektion perikonzeptionell oder im ersten Trimenon mit entsprechendem Risikopotenzial vor (8). Kleinkindbetreue-
12 GYNÄKOLOGIE 3/2021
SCHWERPUNKT
IgG– IgM–
CMV IgG und IgM Bestimmung < 14 SSW IgG– IgM+ IgG+ IgM– IgG+ IgM+ Hygienemassnahmen Verlaufsserologie nach 10 bis 14 Tagen St. n. CMV-Infektion Hygienemassnahmen IgG-Aviditätstest IgG– IgM+ Unspezifische Reaktion Hygienemassnahmen IgG+ IgM+ CMV-Primärinfektion Option Valaciclovir/HIG Amniozentese 18. bis 21. SSW, Ultraschall Geringe IgGAvidität Abbildung: Algorithmus für die CMV-Diagnostik in der Schwangerschaft rinnen zeigen ein etwa 4-fach erhöhtes Risiko für eine Serokonversion. Für Medizinalpersonen konnte trotz relevantem Expositionsrisiko in Studien bisher keine signifikante Risikoerhöhung objektiviert werden, was mit einer grösseren Routine bei den Hygienemassnahmen zusammenhängen könnte. Somit kommt der Primärprävention mittels Aufklärung und Hygienemassnahmen eine ganz entscheidende Rolle zu (Kasten). Verschiedentlich konnte gezeigt werden, dass das Bewusstsein für das Risiko einer CMV-Infektion sowohl bei den medizinischen Versorgern als auch bei den Schwangeren begrenzt ist, was dazu führt, dass Hygienemassnahmen nicht oder zu spät durchgeführt werden und somit das Risiko für eine mütterliche Serokonversion steigt. Dass Hygienemassnahmen effektiv sein können, haben verschiedene Studien gezeigt (9). So konnte beispielsweise in einer randomisierten Studie mit seronegativen Schwangeren das Risiko für eine Infektion um 85% gesenkt werden (10). Neue Erkenntnisse zur Sekundärprävention bei mütterlicher Primärinfektion Wenn es zu einer mütterlichen Serokonversion gekommen ist, stehen derzeit 2 Substanzen zur Verfügung, mit deren Hilfe eine transplanzentare Übertragung verhindert werden soll. Es handelt sich n einerseits um das Virostatikum Valaciclovir, ein Prodrug von Aciclovir mit spezifischer Inhibition der Herpesviren, und n andererseits um Hyperimmunglobulin, eine Immunglobulinpräparation aus Plasma von Spendern mit hohem CMV-Antikörpertiter. Beide Substanzen werden «off-label» in der Schwangerschaft angewendet, und eine Kostengutsprache ist empfehlenswert. Studien und Therapie mit Valaciclovir Nach vielversprechenden, nicht randomisierten Studien mit Valaciclovir folgte im letzten Jahr eine randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studie mit Schwangeren mit einer perikonzeptionell oder im ersten Trimenon durchgemachten CMV-Serokonversion als Zeichen einer Primärinfektion. Der Einschluss in die Studie und die Randomisierung erfolgten vor der 16. Schwangerschaftswoche (SSW). Die Schwangeren erhielten entweder hoch dosiert Valaciclovir (2 × 4 g/Tag per os) oder ein Plazebopräparat bis zur Durchführung einer Amniozentese in der 21. bis 22. SSW, die Behandlung dauerte so mindestens 6 Wochen. Insgesamt wurden 100 Frauen in die Studie eingeschlossen, von 90 Frauen konnten die Resultate analysiert werden (45/45). Während in der Plazebogruppe 30% der Amniozentesen positiv für CMV waren, gab es in der Valaciclovir-Gruppe nur 11% positive Amniozentesen, das entsprechend einer statistisch signifikanten, 70%igen Reduktion für eine vertikale Transmission (11). Kasten: Hygieneempfehlungen zum Schutz vor mütterlicher CMV-Infektion ■ Händehygiene mit Wasser und Seife nach Kontakt mit kindlichen Körpersekreten (Urin, Speichel, Tränenflüssigkeit, Nasensekret), Windeln. ■ Vermeiden einer Inokulation mit kindlichem Speichel (Nuggi, Essen, Besteck/Geschirr, Waschlappen/Handtücher, Küssen auf den Mund). ■ Reinigung von Gegenständen und Oberflächen, die in Kontakt mit kindlichem Urin und Sekreten kommen. ■ Bei beruflichem Kontakt mit Kleinkindern oder Personen mit hohem Risiko für CMV-Ausscheidung (z. B. immunsupprimierte Patienten) strikte Einhaltung der Hygieneregeln, Verwendung von Handschuhen beim Wickeln, Desinfektionsmittel. ■ Die Hygieneempfehlungen gelten ebenfalls für den Partner, da dieser sonst Überträger der Infektion werden kann. GYNÄKOLOGIE 3/2021 13 SCHWERPUNKT Ein möglichst kurzes Intervall zwischen dem vermuteten Zeitpunkt der Infektion und dem Behandlungsbeginn ist dabei von Vorteil. Da von der mütterlichen Virämie über die plazentare Infektion und Transmission des Virus bis zur fetalen Virämie zirka 7 Wochen vergehen (12), ist das plausibel und bedeutet, dass eine Infektion so früh wie möglich erkannt werden muss, damit eine effektive Transmissionsprophylaxe erfolgen kann. Die Nebenwirkungen der Valaciclovir-Behandlung waren im Vergleich zur Plazebogruppe nicht signifikant erhöht. Wenngleich Valaciclovir seit Jahren für andere Indikationen in der Schwangerschaft eingesetzt wird (z. B. bei akuter Varizelleninfektion), keine Teratogenität festgestellt wurde und die Substanz als schwangerschaftskompatibel eingestuft ist, wurden doch erheblich höhere Dosen für die CMV-Transmissionsprophylaxe verwendet (8 g/Tag), als üblicherweise in der Schwangerschaft für die Behandlung einer Varizelleninfektion oder Herpes genitalis (2–3 g/Tag) gebraucht werden, sodass die Datenlage zur Hochdosistherapie noch begrenzt ist. Ferner gibt es noch unpublizierte Hinweise, dass aufgrund der Nierenbelastung des Valaciclovir eine Dosierung von 4 × 2g/Tag gegenüber 2 × 4g/Tag möglicherweise zu bevorzugen ist. Studien und Therapie mit Hyperimmmunglobulin Nach zunächst vielversprechenden Daten zur Transmissionsprophylaxe bei der Anwendung von Hyperimmmunglobulin (HIG) konnten diese in 2 randomisierten, plazebokontrollierten Studien mit den gleichen Dosierungen und Dosisintervallen nicht bestätigt werden. So zeigte eine europäische Studie mit Schwangeren mit Primärinfektion zwischen der 5. und der 26. SSW und einer 4-wöchentlichen Verabreichung von HIG mit einer Dosierung von 100 IE/kg Körpergewicht an 123 Schwangeren mit Serokonversion zwar eine Reduktion der Transmissionsrate von 44% auf 30%, das war aber statistisch nicht signifikant (p = 0,13) (13). Ebenfalls konnte eine zweite randomisierte, plazebokontrollierte amerikanische Studie von Huges und Kollegen mit 394 Schwangeren mit gleichem Dosierungsregime keinen signifikanten Effekt nachweisen (Transmissionsrate von 22,7% in der HIGGruppe vs. 19,4% in der Plazebogruppe [RR: 1,48; 95%-KI: 0,81–2,67; p = 0,2]). In der Folge wurden unter anderem einerseits die Dosierung und das Dosierungsintervall kritisiert, da die Halbwertszeit des HIG zu kurz ist (ca. 10 Tage) und damit stabil hohe Antikörpertiter nicht erreicht werden können. Andererseits wurde das lange Intervall zwischen Randomisierung und Therapiebeginn kritisiert, beides entscheidende Bedingungen für eine effektive Transmissionsprophylaxe. In einer nicht randomisierten Beobachtungsstudie mit 149 Patientinnen, bei welchen im Rahmen eines Screeningprogramms im ersten Trimenon eine Primärinfektion diagnostiziert wurde, konnte bei Beginn einer Behandlung vor der 14. SSW (Median 10,6 SSW) mit einer höheren Dosierung von 200 IE/kg Körpergewicht und mit einem Dosierungsintervall von 2 Wochen bei der Amniozentese in der 20. SSW nur in 6,5% der Fälle eine fetale CMV-Infektion nachgewiesen werden, was erheblich seltener war als bei einem historischen Kontrollkollektiv mit 35,2% (14). Eine erhöhte Rate an Frühgeburtlichkeit, Wachstumsretardierung und Eklampsie, wie in der randomisierten Studie beschrieben (13), konnte in dieser und auch in anderen Studien nicht festgestellt werden. Diese Daten sind vielversprechend, allerdings handelt es sich nicht um eine randomisierte, kontrollierte Studie. Diese Therapieform kommt ggf. in sehr frühen Stadien erkannten Primärinfektionen eine potente Alternative zu. Wie aus all den Studien deutlich wird, sind eine frühzeitige serologische Diagnose der Primärinfektion und ein zeitnaher Behandlungsbeginn von entscheidender Bedeutung für eine erfolgreiche Transmissionsprophylaxe. Serologische Diagnosestellung und weitere Abklärungen Weil aufgrund der aktuellen Studien die Evidenz für eine mögliche effektive fetale Transmissionsprophylaxe deutlich zugenommen hat und dadurch mögliche Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen, wird eine frühzeitige Diagnostik im ersten Trimenon zunehmend diskutiert. Da 90% der primären CMV-Infektionen asymptomatisch respektive oligosymptomatisch verlaufen, können diese praktisch nur mittels serologischer Testung diagnostiziert werden. Nachweis mittels Serologie Typischerweise kann die Primärinfektion durch eine Serokonversion des CMV-IgG diagnostiziert werden. Da aber das knappe Zeitintervall zwischen der perikonzeptionellen Phase und dem Ende des ersten Trimenon entscheidend ist, gibt es eine Reihe von Immunglobulinkonstellationen, die auftreten können. Wenn deshalb ein Serostatus erfolgen soll, wird dieser optimalerweise so früh wie möglich bei der ersten Schwangerschaftskontrolle oder bereits präkonzeptionell erhoben. Bei negativem Serostatus (IgG+IgM negativ) kann dann zum Zeitpunkt des Ersttrimestertests (ETT) eine zweite Serologie erfolgen, um das erste Trimenon vollständig abzudecken. Nach 14 SSW ist ein Serostatus in Sinne eines Screenings nicht empfohlen und nur bei klinischem Verdacht oder zur Ausschlussdiagnostik sinnvoll. Zu beachten ist, dass der alleinige Nachweis von CMV-IgM nicht diagnosesichernd für eine frische CMV-Infektion ist, da unspezifische 14 GYNÄKOLOGIE 3/2021 SCHWERPUNKT Kreuzreaktionen vorliegen können. In diesen Fällen ist eine Verlaufsserologie nach 10 bis 14 Tagen notwendig, um zu erkennen, ob es zu einem CMV-spezifischen IgG-Nachweis kommt, was erst dann beweisend für eine CMV-Primärinfektion ist. IgM-Titer können noch lang nach einer Primärinfektion nachweisbar sein. Wenn deshalb sowohl IgM als auch IgG positiv sind, muss mithilfe der IgG-Avidität als Mass für den Maturitätsgrad des IgG-Antikörpers eine Einschätzung darüber erfogen, wann ungefähr die Primärinfektion stattgefunden hat. Eine tiefe Avidität spricht für eine kürzlich durchgemachte primäre CMV-Infektion. Bei intermediären Aviditäten ist eine Einschätzung erschwert. Hier kann im Zweifelsfall durch eine weitere Diagnostik mit dem Nachweis des Antiglykoproteins B-IgG, welches erst etwa 12 Wochen nach Primärinfektion nachweisbar ist, eine Eingrenzung vorgenommen werden. Im Zweifel sollte bei einer intermediären Avidität von einer Risikokonstellation ausgegangen werden. Ein CMV-Nachweis in mütterlichem Blut, Urin oder Vaginalsekret durch PCR kann in manchen Fällen ebenfalls weiterhelfen. Trotzdem gibt es Fälle, bei denen die zeitliche Eingrenzung schwierig bleibt. Bei positivem IgG-Titer und negativem IgM-Titer ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer bereits früher durchgemachten CMV-Infektion auszugehen. Allerdings ist zu beachten, dass bei zirka 11% der Schwangeren mit Primärinfektion fehlleitende Serologien vorliegen können. So gibt es sehr rasche Abfälle des IgM oder überdurchschnittlich schnelle Anstiege der IgG-Avidität. Bei begründetem Verdacht kann eine Testung auf CMV-Virämie in diesen Fällen manchmal hilfreich sein (15). Falls der klinische Verdacht auf eine Reinfektion oder Reaktivierung besteht, können Titerverläufe und der Virusnachweis im Blut oder Urin manchmal Hinweise geben (wobei eine Einschätzung in diesen Fällen schwierig ist). Nachweis mittels Amniozentese und Chorionzottenbiopsie Wenn eine intrauterine Infektion ausgeschlossen werden soll, kann das mittels Amniozentese und CMV-Nachweis im Fruchtwasser durch PCR erfolgen. Diese sollte in einem Intervall von 6 bis 8 Wochen nach der mutmasslichen Infektion durchgeführt werden, um der Latenz von mütterlicher Infektion und plazentofetaler Transmission Rechnung zu tragen. Während bisher empfohlen wurde, den Eingriff frühestens ab der 21. SSW durchzuführen, zeigt eine neue Analyse, dass eine vergleichbare Sensitivität von 87% bereits ab der 18. SSW erreicht werden kann, sofern das Intervall zur Infektion > 8 Wochen beträgt, sodass in diesen Fällen eine frühzeitigere Diagnostik in Betracht gezogen werden kann (16). Ein neuer, noch experimenteller Ansatz ist, eine plazentare Infektion durch den Nachweis von CMV mittels
PCR in Chorionzotten im Rahmen einer Chorionzottenbiopsie im ersten Trimenon zu diagnostizieren – mit hohem positiven und negativen Vorhersagewert bezüglich des Resultats der Fruchtwasseranalyse zum späteren Zeitpunkt (17). Hierdurch könnte bei fehlendem Nachweis eine durch CMV verursachte Embryopathie mit potenzieller Schädigung ausgeschlossen, könnten die Eltern beruhigt, eine individuelle weitere Betreuung angeschlossen und unnötige, voreilige Abbrüche vermieden werden.
Screening auf CMV in der Frühschwangerschaft?
Ein generelles Screening auf CMV aller Schwangeren im ersten Trimenon ist international umstritten und bis anhin in keiner nationalen Guideline empfohlen (18). Argumente gegen ein generelles Screening sind die begrenzte Datenlage hinsichtlich der therapeutischen Optionen für eine Transmissionsprophylaxe (Virustatika, HIG s. o.), eine zum Teil schwierige Interpretation bei Seropositivität im Hinblick auf Primärversus Nichtprimärinfektion beziehungsweise auf den Zeitpunkt der Primärinfektion und damit in Bezug auf die Risikoeinschätzung und die Tatsache, dass auch seropositive Schwangere (ca. 50% der Schwangeren) ein, wenn auch geringes Risiko durch Reaktivierung und Reinfektion für eine intrauterine Transmission haben. Ein systematisches Screening könnte vor allem in Populationen mit geringer Seroprävalenz, wie sie in Zentraleuropa vorliegt, sinnvoll sein. Ein weiteres Argument ist, dass ein Screening zu vermehrten Schwangerschaftsabbrüchen führen könnte, da eine Prognoseeinschätzung hinsichtlich Transmission und fetaler Schädigung insbesondere im ersten Trimenon schwierig ist. Zudem wird argumentiert, dass unklare Serologien dazu führen könnten, dass die Schwangerschaft zum Ausschluss dieser Eventualitäten zu einem frühen Zeitpunkt (ohne eine weitere konfirmatorische Diagnostik [Verlaufsserologie, Fruchtwassertestung] abzuwarten) unnötig abgebrochen wird, was unbedingt zu vermeiden ist und ein Hauptargument gegen ein generelles Screening ist. Deshalb gibt es verschiedene Empfehlungen, den Fokus auf die Primärprävention zu legen. Da allerdings Schwangerschaften häufig ungeplant entstehen und eine erste Schwangerschaftskontrolle in der Regel erst zwischen der 7. und der 9. SSW erfolgt, greift zumindest die vom Gynäkologen durchgeführte Aufklärung zur Primärprävention häufig zu spät. Ein Grossteil der vulnerablen Phase ist dann bereits durchlaufen. Für eine Bestimmung des Serostatus im ersten Trimenon sprechen deshalb die zunehmende Evidenz effektiver therapeutischer Behandlungsoptionen zur Transmissionsprophylaxe bei frühzeitiger Erkennung eines Primärinfekts sowie eine verstärkte Sensibilisierung für die Primärprophylaxe durch Hygienemass-
16 GYNÄKOLOGIE 3/2021
SCHWERPUNKT
nahmen. Das gilt insbesondere auch für die Hauptrisikopopulationen wie Schwangere mit Kleinkindern und Betreuerinnen in Kindertagesstätten. Nicht ausser Acht zu lassen ist auch das Recht der Schwangeren auf eine informierte Entscheidung im Sinne der Patientenautonomie, ob ein Serostatus erhoben werden soll, das vor dem Hintergrund einer möglichen Risikokonstellation, der diagnostischen Möglichkeiten, der potenziell auftretenden Unsicherheiten sowie der Optionen im Falle des Verdachts beziehungsweise des Nachweises einer Primärinfektion. Das setzt ein entsprechendes Hintergrundwissen des Aufklärenden voraus.
Schwangere sind kaum informiert In einer kanadischen Studie konnte gezeigt werden, dass drei Viertel aller Schwangeren das Risiko für eine CMV-Infektion nicht bekannt ist und diese nach Aufklärung ein CMV-Screening im ersten Trimenon wünschten. Hauptfaktoren für die Entscheidung waren das wahrgenommene Risiko für eine Infektion und der mögliche Schweregrad einer fetalen Schädigung. Im Sinne einer informierten Entscheidung liessen letztlich 50% ein Screening durchführen, 30% entschieden sich gegen ein Screening (19). Auch andere Studien zeigen, dass das Thema CMV und Schwangerschaftsrisiken bei Frauen überwiegend unbekannt ist und diese mehrheitlich nach Information zu CMV ein Screening angeboten bekommen möchten (20). Zentral sind eine korrekte Interpretation der Serologieresultate und eine hohe Expertise bei der Besprechung auffälliger Resultate, was zu einer signifikanten Reduktion voreiliger Abbrüche führen kann (21).
Tertiärprävention/ Prognoseeinschätzung
Wenn durch die Amniozentese eine fetale Infektion nachgewiesen wurde, ergibt sich für die Beratung der Eltern die Schwierigkeit, die Prognose hinsichtlich möglicher Entwicklungsstörungen des Kindes einzuschätzen und wie weiter vorzugehen ist. Ein wichtiges Kriterium bei der Beratung ist die differenzierte sonografische Feindiagnostik zum Zeitpunkt der Diagnose. Während bei unauffälligem Ultraschall der negative Vorhersagewert für ein symptomatisches Neugeborenes bei über 90% liegt (22), gibt es Fälle, bei denen erst im Laufe des dritten Trimenons relevante zerebrale Auffälligkeiten manifest werden, die teilweise nur durch ein fetales MRI erkannt werden können (23), sodass diese Bildmodalität im Verlauf mit einbezogen werden sollte. Trotzdem können auch bei unauffälliger Bildgebung kindliche Schädigungen nicht ausgeschlossen werden: So wurden in einer prospektiven Kohortenstudie Einschränkungen des Hörvermögens bei 13,7% und milde neurologische Beeinträchtigungen bei 6,8% festgestellt (24). Bei definierten milden sonografischen Auffälligkeiten
führte zudem eine Behandlung mit Valaciclovir im Sinne einer Tertiärprävention in einer nicht randomisierten Studie zu einer signifikanten Steigerung der Rate an asymptomatischen Neugeborenen (das im Vergleich zu einem historischen Kontrollkollektiv von 43%) auf 82% (25).
Neue Therapieansätze/ Impfstoffentwicklung
Ob eine Kombination von Valaciclovir und HIG eine additive Wirkung haben könnte, ist unbekannt. In einer kleinen Studie mit Feten mit hoher Viruslast und/ oder zerebralen Auffälligkeiten war die mütterliche Verträglichkeit gut, und eine Progression zerebraler Läsionen konnte verhindert werden (26). Aktuelle Kandidaten sind die neueren Virustatika Letermovir und Maribavir, für die es bereits eine Zulassung bei der Behandlung von Transplantationspatienten gibt und die in In-vitro-Untersuchungen an Plazentamodellen vielversprechende Ergebnisse zeigen sowie im Tiermodell nicht toxisch sind (27). Auch wenn seit mehr als 40 Jahren an der Entwicklung einer CMV-Impfung gearbeitet wird, ist ein effektiver Impfschutz im Moment noch nicht absehbar.
Zusammenfassung
Obwohl die kongenitale CMV-Infektion ein erhebli-
ches Schädigungspotenzial hat, ist das Gefahrenbe-
wusstsein in der Bevölkerung im Gegensatz zu deut-
lich selteneren Erkrankungen gering. Eine Aufklärung
und frühzeitige kompetente Beratung – optimaler-
weise vor oder zu Beginn der Schwangerschaft – kön-
nen einen grossen Beitrag zum Schutz vor einer pri-
mären CMV-Infektion leisten. Neue Erkenntnisse zur
Risikodynamik und Behandlungsoptionen haben die
Diskussion über ein CMV-Screening neu entfacht. Für
die Schweiz mit einer verhältnismässig niedrigen Se-
roprävalenz von geschätzten 40 bis 50% könnte das,
im Gegensatz zu Hochprävalenzregionen, sinnvoll
sein. Insbesondere Risikopopulationen würden von
einer frühzeitigen Bestimmung des Serostatus profi-
tieren. Diese Möglichkeit sollte Schwangeren im Rah-
men einer CMV-Aufklärung angeboten werden. Der
Expertenbrief der SGGG zur CMV-Infektion in der
Schwangerschaft wurde dementsprechend überar-
beitet.
n
Prof. Dr. med. Leonhard Schäffer Klinik für Geburtshilfe und Pränataldiagnostik Kantonsspital Baden 5404 Baden E-Mail: leonhard.schaeffer@ksb.ch
Interessenkonflikte: keine.
GYNÄKOLOGIE 3/2021
17
SCHWERPUNKT
Quellen: 1. Manicklal S, Emery VC, Lazzarotto T, Boppana SB, Gupta RK.: The «silent» global burden of congenital cytomegalovirus. Clin Microbiol Rev. 2013;26(1):86–102. 2. Chatzakis C, Ville Y, Makrydimas G, Dinas K, Zavlanos A, Sotiriadis A.: Timing of primary maternal cytomegalovirus infection and rates of vertical transmission and fetal consequences. Am J Obstet Gynecol. 2020;223(6):870-883.e11. 3. Faure-Bardon V, Magny J-F, Parodi M, Couderc S, Garcia P, Maillotte A-M et al.: Sequelae of Congenital Cytomegalovirus Following Maternal Primary Infections Are Limited to Those Acquired in the First Trimester of Pregnancy. Clin Infect Dis Off Publ Infect Dis Soc Am. 2019;69(9):1526–32. 4. Britt WJ.: Congenital Human Cytomegalovirus Infection and the Enigma of Maternal Immunity. J Virol. 2017;91(15). 5. Simonazzi G, Curti A, Cervi F, Gabrielli L, Contoli M, Capretti MG et al.: Perinatal Outcomes of Non-Primary Maternal Cytomegalovirus Infection: A 15-Year Experience. Fetal Diagn Ther. 2018;43(2):138–42. 6. Mussi-Pinhata MM, Yamamoto AY.: Natural History of Congenital Cytomegalovirus Infection in Highly Seropositive Populations. J Infect Dis. 2020;221(Suppl 1):S15–22. 7. Hyde TB, Schmid DS, Cannon MJ.: Cytomegalovirus seroconversion rates and risk factors: implications for congenital CMV. Rev Med Virol. 2010;20(5):311–26. 8. Leruez-Ville M, Guilleminot T, Stirnemann J, Salomon LJ, Spaggiari E, Faure-Bardon V et al.: Quantifying the Burden of Congenital Cytomegalovirus Infection With Long-term Sequelae in Subsequent Pregnancies of Women Seronegative at Their First Pregnancy. Clin Infect Dis Off Publ Infect Dis Soc Am. 2020;71(7):1598– 603. 9. Vauloup-Fellous C, Picone O, Cordier A-G, Parent-du-Châtelet I, Senat M-V, Frydman R et al.: Does hygiene counseling have an impact on the rate of CMV primary infection during pregnancy? Results of a 3-year prospective study in a French hospital. J Clin Virol Off Publ Pan Am Soc Clin Virol. 2009;46 Suppl 4:S49-53. 10. Revello MG, Tibaldi C, Masuelli G, Frisina V, Sacchi A, Furione M et al.: Prevention of Primary Cytomegalovirus Infection in Pregnancy. EBioMedicine. 2015;2(9):1205–10. 11. Shahar-Nissan K, Pardo J, Peled O, Krause I, Bilavsky E, Wiznitzer A et al.: Valaciclovir to prevent vertical transmission of cytomegalovirus after maternal primary infection during pregnancy: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Lond Engl. 2020;396(10253):779–85. 12. Revello MG, Gerna G.: Pathogenesis and prenatal diagnosis of human cytomegalovirus infection. J Clin Virol Off Publ Pan Am Soc Clin Virol. 2004;29(2):71–83. 13. Revello MG, Lazzarotto T, Guerra B, Spinillo A, Ferrazzi E, Kustermann A et al.: A randomized trial of hyperimmune globulin to prevent congenital cytomegalovirus. N Engl J Med. 2014;370(14):1316–26. 14. Kagan KO, Enders M, Hoopmann M, Geipel A, Simonini C, Berg C et al.: Outcome of pregnancies with recent primary cytomegalovirus infection in first trimester treated with hyperimmunoglobulin: observational study. Ultrasound Obstet Gynecol Off J Int Soc Ultrasound Obstet Gynecol. 2021;57(4):560–7. 15. Sarasini A, Arossa A, Zavattoni M, Fornara C, Lilleri D, Spinillo A et al.: Pitfalls in the Serological Diagnosis of Primary Human Cytomegalovirus Infection in Pregnancy Due to Different Kinetics of IgM Clearance and IgG Avidity Index Maturation. Diagn Basel Switz. 2021;11(3).
16. Enders M, Daiminger A, Exler S, Enders G.: Amniocentesis for prenatal diagnosis of cytomegalovirus infection: challenging the 21 weeks’ threshold. Prenat Diagn. 2017;37(9):940–2. 17. Faure-Bardon V, Fourgeaud J, Guilleminot T, Magny J-F, Salomon LJ, Bernard J-P et al.: First-trimester diagnosis of congenital cytomegalovirus infection after maternal primary infection in early pregnancy: feasibility study of viral genome amplification by PCR on chorionic villi obtained by CVS. Ultrasound Obstet Gynecol Off J Int Soc Ultrasound Obstet Gynecol. April 2021;57(4):568–72. 18. Hui L, Shand A.: Is it time to adopt routine CMV screening in pregnancy? No! Am J Obstet Gynecol MFM. 2021;100355. 19. Beaudoin ML, Renaud C, Boucher M, Kakkar F, Gantt S, Boucoiran I.: Perspectives of women on screening and prevention of CMV in pregnancy. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2021;258:409–13. 20. Tastad KJ, Schleiss MR, Lammert SM, Basta NE.: Awareness of congenital cytomegalovirus and acceptance of maternal and newborn screening. PloS One. 2019;14(8):e0221725. 21. Guerra B, Simonazzi G, Banfi A, Lazzarotto T, Farina A, Lanari M et al.: Impact of diagnostic and confirmatory tests and prenatal counseling on the rate of pregnancy termination among women with positive cytomegalovirus immunoglobulin M antibody titers. Am J Obstet Gynecol. 2007;196(3):221.e1-6. 22. Leruez-Ville M, Stirnemann J, Sellier Y, Guilleminot T, Dejean A, Magny J-F et al.: Feasibility of predicting the outcome of fetal infection with cytomegalovirus at the time of prenatal diagnosis. Am J Obstet Gynecol. 2016;215(3):342.e1-9. 23. Buca D, Di Mascio D, Rizzo G, Giancotti A, D’Amico A, Leombroni M et al.: Outcome of fetuses with congenital cytomegalovirus infection and normal ultrasound at diagnosis: systematic review and meta-analysis. Ultrasound Obstet Gynecol Off J Int Soc Ultrasound Obstet Gynecol. 2021;57(4):551–9. 24. Lipitz S, Elkan Miller T, Yinon Y, Weissbach T, De-Castro H, Hoffman C et al.: Revisiting short- and long-term outcome after fetal first-trimester primary cytomegalovirus infection in relation to prenatal imaging findings. Ultrasound Obstet Gynecol Off J Int Soc Ultrasound Obstet Gynecol. 2020;56(4):572–8. 25. Leruez-Ville M, Ghout I, Bussières L, Stirnemann J, Magny J-F, Couderc S et al.: In utero treatment of congenital cytomegalovirus infection with valacyclovir in a multicenter, open-label, phase II study. Am J Obstet Gynecol. 2016;215(4):462.e1462.e10. 26. De la Calle M, Baquero-Artigao F, Rodríguez-Molino P, Cabanes M, Cabrera M, Antolin E, et al.: Combined treatment with immunoglobulin and valaciclovir in pregnant women with cytomegalovirus infection and high risk of symptomatic fetal disease. J Matern-Fetal Neonatal Med Off J Eur Assoc Perinat Med Fed Asia Ocean Perinat Soc Int Soc Perinat Obstet. 2020;1–5. 27. Hamilton ST, Marschall M, Rawlinson WD.: Investigational Antiviral Therapy Models for the Prevention and Treatment of Congenital Cytomegalovirus Infection during Pregnancy. Antimicrob Agents Chemother. 2020;65(1).
18 GYNÄKOLOGIE 3/2021