Transkript
SCHWERPUNKT
Phytotherapie bei urogenitalen Beschwerden
Eine Auswahl erprobter Pflanzenwirkstoffe
Harnwegsinfekte und Reizzustände im Urogenitalbereich treten besonders häufig auf und können sehr belastend sein. Phytotherapeutische Substanzen können, insbesondere bei Beschwerden ohne komplizierende Begleitsituationen, hilfreich sein, auch wenn die Datenlage meist nur auf empirischen Untersuchungen beruht. Prophylaktisch und therapeutisch eingesetzte Wirkstoffe werden beschrieben.
ANNETTE KUHN
Urogenitale Beschwerden zählen zu den häufigsten Frauenleiden. An einer einfachen Blasenentzündung erkranken innerhalb eines Jahres I rund 10% der jungen Frauen I rund 20% der Frauen im Postmenopausenalter
und I über 60% der Frauen, die im Pflegeheim leben. Die Beschwerden können sich als Harnwegsinfekte, als urethrale und als vulvovaginale Reizzustände äussern. Da Harnwegsinfekte und entzündliche Intimbeschwerden gehäuft nach körperlichen und psychischen Belastungen und nach Intimverkehr auftreten, können sie die Sexualität und die Lebensqualität erheblich einschränken. Darüber hinaus können sie zu Verunsicherung, zur sozialen Isolation und zu Partnerschaftskonflikten führen. Auch wenn die Datenlage bei den meisten phytotherapeutischen Substanzen schwach ist, kann besonders bei milden Symptomen ohne komplizierende Begleitsituationen wie neurogene Erkrankungen, Harnabflusstörungen und Urosepsis eine Phytotherapie diskutiert werden.
Harnwegsinfekte
In Zeiten zunehmender Antibiotikaresistenzen stellt sich oft die Frage, auf welche therapeutischen und
Merkpunkte
I Phytotherapeutische Ansätze können insbesondere bei milden und/oder
chronischen urogenitalen Reizzuständen hilfreich sein, auch wenn die Da-
tenlage spärlich ist und meist auf Beobachtungsstudien beruht.
I Zum Einsatz kommen desinfizierende, beruhigende und diuretische Sub-
stanzen.
I Zusätzlich kann eine lokale Wärmebehandlung die Beschwerden lindern.
I Die Wirkung von prophylaktisch eingesetzten Wirkstoffen beruht darauf,
die Anhaftung der Bakterien am Urothel zu verhindern.
prophylaktischen Massnahmen wir ausweichen können, die nicht antibiotisch sind. 30 bis 44% der Betroffenen erfahren ein Rezidiv der Infektion; dabei bestehen Unterschiede in der Häufigkeit bei prä- und postmenopausalen Patientinnen. Wenn bereits zwei aufeinanderfolgende Infektionen stattgefunden haben, liegt die Wahrscheinlichkeit, einen dritten Rückfall innerhalb von wenigen Wochen zu erleiden, bei 50%. Eine Kostenanalyse aus Kanada hat kürzlich gezeigt, dass rezidivierende Harnwegsinfektionen innerhalb von zwei Jahren zirka 1950 kanadische Dollar an Kosten verursachen (5).
Cranberry- und Preiselbeersaft Gemäss Cochrane Database kann Cranberry zur Prophylaxe nicht wirklich empfohlen werden; man darf allerdings nicht vergessen, dass in den Cochrane Reviews (2) nur randomisierte Studien analysiert werden. Inhaltsstoffe in Cranberry- und Preiselbeersaft enthalten blockierende Stoffe (Proanthocyanidine), die das Anheften der Bakterien an die Blasenwand verhindern. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass viele Patientinnen den eher sauren Saft nicht unbedingt trinken möchten. Für diese Patientinnen eignen sich Cranberrykapseln, die übrigens auch Diabetikerinnen gegeben werden dürfen.
Natürliche Antibiotika gegen Blasenentzündung Sehr effektiv ist dagegen die Behandlung einer akuten Zystitis mit Bärentraube, verfügbar als Tee oder Tablette. Der Tee wird eher als bitter empfunden und sollte in der Tagesmenge 500 ml nicht überschreiten. Der Wirkstoff Arbutin benötigt hier aber einen alkalischen Harn, der bei pflanzenreicher Ernährung besteht. Auch Birnen,- Preiselbeer- und Bergenienblätter enthalten den Inhaltsstoff und können genutzt werden. Arbutin sollte allerdings nicht über eine län-
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gere Zeit genommen werden, sondern höchstens 10 Tage pro Monat. Auch Senföle aus der Brunnen-/Kapuzinerkresse oder Meerrettich gehen in den Harn über und wirken gegen ein weites Spektrum von Bakterien. Eine Kombination von Goldrute, Bärentraubenblättern und Birkenrinde stellen «Hänseler Nieren- und Blasendragees» dar. Die genaue Zusammensetzung einer Filmtablette ist wie folgt: I 108–120 mg Trockenextrakt aus Bärentrauben-
blättern (DEVnativ: 4,0–5,0:1), entsprechend Arbutin (24–30 mg), Auszugsmittel gereinigtes Wasser I 46,25 mg Trockenextrakt aus Birkenblättern (DEVnativ: 4,5–5,5:1), Auszugsmittel gereinigtes Wasser I 40 mg Trockenextrakt aus Goldrutenkraut (DEVnativ: 4–6:1), Auszugsmittel Ethanol 50% (m/m). Die übliche Dosierung für Erwachsene beträgt 2 Dragees 2- bis 3-mal täglich, nicht mehr als 10 Tage pro Monat. Weniger bekannt ist der Bucco-Strauch aus Südafrika – ebenfalls eine traditionelle Heilpflanze zur Behandlung von Blasenentzündungen mit antibiotischem sowie harntreibendem Effekt. Verfügbar ist der Pflanzenauszug in Tropfenform. Die Heimat von Bucco (oder auch Bucho agathosma betulina) ist Südafrika, hier speziell die Kapregion. Die Blätter des Strauches besitzen viele drüsenartige Ausgänge, die ein ätherisches Öl enthalten. Aus den Blättern zubereitete Tees oder Tinkturen werden wegen ihrer entzündungshemmenden Wirkung seit je in der traditionellen Medizin eingesetzt. Die Wirksamkeit von Bucco ist in der traditionellen Medizin erprobt, aber noch nicht durch publizierte wissenschaftliche Nachweise untermauert. Im Handel sind Teeblätter oder Tropfen erhältlich.
Blumenwiese im Sommer: Gegen viele Beschwerden ist ein Kraut gewachsen.
Die Kombination von Xyloglucan-Gelatine passiert das saure Milieu des Magens und gelangt unverändert in den Darm, um dort seine primäre Wirkung (mechanischer Ansatz) zu entfalten. Die Substanz Xyloglucan bildet in Verbindung mit Gelatine einen Biofilm, der die Oberfläche der Darmschleimhaut bedeckt und dadurch das Anhaften von Bakterien und deren Vermehrung und Ausbreitung in die Harnwege erschwert. Die Datenlage ist hier ebenfalls spärlich, es sind keine Nebenwirkungen bekannt. Utipro kann entweder beim Auftreten erster Symptome mit 2 Kapseln pro Tag über 5 Tage eingenommen werden oder zur Prävention wiederkehrender Infektionen während mindestens 15 Tagen pro Monat mit 1 Kapsel pro Tag. Die Tabelle gibt eine Übersicht über weitere Phytotherapeutika, die bei urogenitalen Beschwerden zum Einsatz kommen (1).
«Blasenspülung» Je besser die Blasenspülung, umso weniger Gelegenheit haben die Bakterien, sich festzusetzen. Bei Blasenentzündung sollten mindestens 2 Liter am Tag getrunken werden. Die Phytotherapie sorgt dafür, dass Wasser zügig wieder ausgeschieden wird. Gefördert wird dies durch Tees mit entwässernden («harntreibenden») Wirkstoffen: Birkenblätter, Schachtelhalmkraut, Petersilie, Hauhechelwurzel, Wacholderbeeren, schwarze Johannisbeerblätter, Liebstöckel (nicht bei Nierenentzündung oder Nierenschäden) oder Spargel. Neben der harntreibenden Eigenschaft wirken Brennnessel, Goldrute oder Orthosiphonblätter zusätzlich entzündungshemmend.
Hibiskus und Propolis (Utipro® plus) Die beiden natürlichen Inhaltsstoffe Hibiskus und Propolis sind «das Plus» bei Utipro® plus. Sie unterstützen in der Blase, da, wo das Problem entsteht:
Chronische Reizzustände des äusseren Genitales
Bei chronischen Reizzuständen des äusseren Genitales mit empfindlicher Haut durch verschiedene Faktoren können phytotherapeutisch Teebaumöl, Ro-
Tabelle:
Phytotherapeutische Substanzen bei Blasenbeschwerden (1)
Bärentraubenblätter Birkenblätter Brennnesselkraut Goldrutenkraut, echtes u.a. Hauhechelwurzel Johannisbeerblätter, schwarze Kürbissamen Meerrettichwurzel Preiselbeeren, -blätter Wacholderbeeren
D A A A A A
D A
D = Desinfizienzien; A = Aquaretika; R = Reizblase; M = Miktionsfluss
R R
R R
RM R
R
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senöl, Melisse, Granatapfel, Ringelblumenextrakt, Thuja, Lavendel, Kamille, Pestwurz, Rosmarin, Thymian (und andere Extrakte) zum Einsatz kommen. Sitzbäder mit Schachtelhalmextrakt – 10 Minuten im 37 Grad warmen Wasser – können lokale Reizzustände lindern. Zusätzlich sollte – insbesondere bei begleitenden rezidivierenden Harnwegsinfekten – auf eine ausreichende Therapie der Atrophie mittels lokaler Östrogenisierung (Vagifem® Tabletten, Oestro-Gynaedron Creme®, Blissel Gel etc.) geachtet werden. Hierfür liegt eine sehr gute Datenlage vor, und auch die Cochrane Database empfiehlt die lokale Östrogenisierung (2).
Lokale Wärmeanwendung Bei urogenitalen Reizzuständen wird eine Anwendung von lokaler Wärme von den Patientinnen oft als sehr angenehm empfunden. Eine Mischung von Zitronen- und Eukalyptusöl kann entspannend auf die Blase wirken, zum Beispiel bei hyperaktiver Blase oder während/nach Harnwegsinfekten. Das Rezept kann mit zirka 3%-Zitronen-Eukalyptus-Öl vom Apotheker hergestellt werden. Von diesem Öl ist etwas auf eine Longuette oder eine vorgefeuchtete Windel zu träufeln und in den Slip zu schieben. Wärme kann entweder über die klassische Wärmflasche auf die Blasenregion appliziert werden oder lokal mittels Ingwerwickel oder mittels HerbaChaud®Pflaster. HerbaChaud-Pflaster enthalten eine chinesische Pflanzenmischung, welche beim Öffnen des Beutels Wärme entwickelt, die über 12 Stunden anhält. Bei vulvovaginalen Reizzuständen oder Bladder-PainSyndrom kann das Pflaster mit doppelter Unterhose direkt in den Schritt appliziert werden. Für Ingwerwickel werden:
1 bis 2 Teelöffel Ingwerpulver auf eine lauwarm durchgefeuchtete Kompresse oder Windel gebracht. Anschliessend die Kompresse auf die Blase legen, den Körper mit Frottee-, Lein- oder Wolltuch einwickeln und den Wickel eine gute halbe Stunde einwirken lassen.
Ingwer entwickelt eine angenehme Eigenwärme. In seltenen Fällen reizt er die Haut. Nach der Wickelanwendung ruhen, die Reste des Ingwerpulvers entfernen und die Haut gut pflegen (3).
Weitere Applikationen
Intravaginale Heilmoorapplikationen sind weiterhin
möglich. Das Heilmoor kann gewärmt in Präservative
abgefüllt und 20 bis 30 Minuten eingeführt werden.
Besonders bei urethralen Reizzuständen wirkt es be-
ruhigend.
Eine britische Studie berichtet über die positiven Ef-
fekte von Grüntee-Instillationen in die Blase, die die
Zystitisbeschwerden lindern (4). Bei der Studie han-
delt es sich um ein Tiermodell, die Resultate können
möglicherweise auch neue Optionen für Patientin-
nen eröffnen.
I
Prof. Dr. med. Annette Kuhn Leiterin Urogynäkologie Universitätsfrauenklinik Inselspital 3010 Bern E-Mail annette.kuhn@insel.ch
Interessenkonflikte: keine.
Quellen: 1. Eberhard J.: Phytotherapie bei Harnwegsinfekten und urogynäkologischen Beschwerden; Phytotherapie 2007; 1: 23–24. 2. Perrotta C, Aznar M et al.: Östrogens for preventing recurrent urinary tract infection in postmenopausal women. Cochrane Database Syst Rev. 2008 Apr 16;(2):CD005131. doi: 10.1002/14651858.CD005131.pub2. Review. 3. Widmer R.: Urethra, Blase und das Intimleben der Frau. Ars Medici 2005; 10. 4. Rosenberg S, Horowitz R et al.: Intravesical administration of green tea extractattenuates the inflammatory response of bacterial cystitis – a rat model. BJU Int 2014; 114: 601–607. 5. Tu HY, Pemberton J, Lorenzo AJ, Braga LH.: Economic analysis of continuous antibiotic prophylaxis for prevention of urinary tract infections in infants with highgrade hydronephrosis. J Pediatr Urol. 2015; 11(5): 247. (e1-8. doi: 10.1016/j.jpurol.2015.04.031)
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