Transkript
Symposiumsbericht
9. Symposium Kinder- und Jugendgynäkologie und Kontrazeption der GYNEA – Pfäffikon/SZ, 10. März 2016
Kontrazeption bei Jugendlichen
Antiandrogene Pillen im Vergleich
Bei Hirsutismus und Akne, die bei Mädchen im Pubertätsalter häufig auftreten, besteht eine Therapieoption mit antiandrogen wirkenden, kombinierten oralen Kontrazeptiva (COC). Doch welche Gestagene eignen sich im Rahmen einer COC-Therapie besonders für betroffene Teenager? Prof. Petra Stute, Bern, gab auf dem GYNEASymposium einen Überblick über die Studienlage und aktuelle Empfehlungen.
Mit «schöner Haut» und «schönen Haaren» durch die «richtige» Pille wird seitens der Industrie vielfach geworben. «Auf der Seite der Verordner ist das potenzielle Risiko für eine venöse Thromboembolie (VTE) immer abzuwägen, das auch vor der Anwendung individuell abzuklären ist», sagte Prof. Petra Stute, Leitende Ärztin, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Inselspital Bern. Teilweise werde die Indikation für COC bei Akne/Hirsutismus vom Hersteller bereits eingeschränkt und «erst nach Versagen topischer/systemischer Antibiotika» empfohlen. Von den zahlreichen Gestagenen stehen vier Substanzen als Bestandteile von COC (kombinierte Pille) zur Therapie bei androgenen Störungen (v.a. Hirsutismus, Akne, Gewichtszunahme) und bei Verhütungsbedarf besonders im Zentrum: L Dienogest (DNG; Pillen z.B.: Valette®,
Qlaira®) L Drospirenon (DRSP; z.B. Yasmin®, Yas-
minelle®, Yaz® bzw. Generika mit 30 bzw. 20 µg EE + 3 mg DSP) L Chlormadinonacetat (CMA; z.B. Belara®, Belarina® bzw. Generika mit 30 bzw. 20 µg EE + 2 mg CMA) L Cyproteronacetat (CPA; z.B. Diane35® bzw. Generika mit 35 µg EE + 2 mg CPA).
Das antiandrogene Wirkprinzip
Neben ihrer kontrazeptiven Wirkung blockieren die antiandrogen wirkenden COC die androgenen Faktoren durch die Kombination von Ethinylestradiol (EE) mit diesen Gestagenen. Je mehr sexualbindendes Hormon (SHBG) bei der Patientin vorhanden ist, desto mehr freie Androgene können grundsätzlich ge-
bunden werden. Die im Tiermodell nachgewiesene antiandrogene Potenz von 20% (CMA), 40% (DNG, DRSP) und 100% (CPA) der Gestagene sei allerdings als experimentell zu betrachten und stimme mit der Klinik nicht überein, so Stute. Viel relevanter für die Bewertung der antiandrogenen Wirkpotenz (bzgl. klinischer Wirkung v.a. bei Hirsutismus und Akne) seien Metaanalysen und grosse randomisierte Studien.
Wirksamkeit bei Hirsutismus
Prof. Stute stellte die Resultate einer aktuellen Cochrane-Analyse von 2015 vor (1), welche 157 randomisierte, kontrollierte Studien zur Behandlung des Hirsutismus mit COC einbezog. Insgesamt 10 550 Frauenjahre, ein mittleres Alter von 25 Jahren und eine Behandlungszeit von 6 bis 12 Monaten bildeten die Grundlage für die Analyse. Primäre Endpunkte waren die Verbesserung des Hautbildes aus Patientinnensicht (26/157), die Lebensqualität und Begleitwirkungen. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Verbesserung des Hirsutismus aus Arztsicht (135/157), die Androgen-Konzentration im Serum (140/157), der BMI (49/157) und Verbesserungen weiterer Androgenisierungen (56/157). Wegen der sehr unterschiedlichen Studienkonzepte war die Bewertung schwierig. Die meisten Verbesserungen bezüglich des Hirsutismus (v.a. aus Sicht der betroffenen Frauen, zudem der Ärzte) zeigten sich unter Diane® und Yasmin®/Yasminelle® sowie Belara®; die anderen COC zeigten aber ebenfalls Wirksamkeit. Als weitere Effekte wurden ein Rückgang der Akne unter quasi allen untersuchten COC, ein insgesamt etwa gleich bleiben-
der BMI (mit leichten Veränderungen nach oben/unten) und minimale SHBGAnstiege im Serum festgestellt.
Erstes Fazit «Man kann aus der Analyse tatsächlich nicht folgern, dass eine Pille viel besser wirkt als eine andere, und ein Präparat explizit empfehlen», konstatierte Stute. In der Cochrane-Analyse von 2015 wurde abschliessend festgehalten, dass für milden Hirsutismus Evidenz für die Wirksamkeit mit COC besteht: «For mild hirsutism there is evidence of limited quality that COC are effective.» Auch internationale Fachgesellschaften äusserten sich in diesem Sinne, so Stute: Die PCOS-Society empfiehlt niedrig dosierte, neutrale oder antiandrogen wirkende COC als Erstlinientherapie bei Hirsutismus, und zwar als Monotherapie bei Frauen mit mildem Hirsutismus und begleitend zur Antiandrogentherapie bei Frauen mit mittelschwerer bis schwerer Behaarung. Die Endocrine Society empfiehlt allgemein die hormonale Kontrazeption (COC, Patch/Evra®, Ring/ NuvaRing®) zur Behandlung bei Blutungsstörungen und Hirsutismus/Akne (infolge PCOS) und betont, dass mehrere Störungen durch die Hormongabe gleichzeitig behandelt werden können – neben der kontrazeptiven Wirkung.
Wirksamkeit bei Akne
Stute erläuterte die wichtigsten Vergleichsstudien, die im Rahmen einer Cochrane-Analyse 2012 (2) zur Wirkung bei Akne ausgewertet wurden. In diese Analyse flossen 31 randomisierte, klinische Studien mit 12 579 Frauenjahren und einer Behandlungsdauer von 3 bis 13 Monaten ein. 6 Studien prüften die Wirkung von COC (EE + mehrere Gestagene, darunter LNG, NETA, NMG, DRSP, DNG, CMA) versus Plazebo: Alle Studien ergaben unter den COC einen signifikanten Rückgang der Akne. Eine Studie untersuchte die Wirkung einer Pille mit CPA versus Antibiotika und fand keinen Unterschied bezüglich der Verbesserung des Hautbildes. 17 Studien führten Head-
42 GYNÄKOLOGIE 3/2016
Symposiumsbericht
9. Symposium Kinder- und Jugendgynäkologie und Kontrazeption der GYNEA – Pfäffikon/SZ, 10. März 2016
to-head-Vergleiche mit COC durch: Hier wurden bessere Ergebnisse unter den COC mit den enthaltenen Gestagenen CMA, CPA und Drospirenon erreicht.
Ist das VTE-Risiko der COC neu zu bewerten?
Prof. Stute wies auf ein aktuelles, Ende Februar 2016 begonnenes Studienreview der European Medicines Agency (EMA) hin, welches die Anwendung von Dienogest-enthaltenden COC (2 mg Dienogest, 0,03 mg EE) zur Behandlung von Akne bei Frauen prüft. Die britische Arzneimittelbehörde verlangt eine Prüfung der Medikamentenwirkung bei der Indikation Akne hinsichtlich des Risikos für eine venöse Thromboembolie, welches ihrer Ansicht nach nicht sicher geklärt ist. Die EMA wird also alle verfügbaren Daten zu Nutzen und Risiko unter dieser COC-Therapie bei Akne neu prüfen und danach ihre Meinung herausgeben, ob die Marktzulassung bei dieser Indikation beizubehalten, zu variieren oder gar aufzuheben ist. Die Berner Referentin gab eine Stellungnahme aus ihrer Sicht: Die Studienlage zeige ein «mässig erhöhtes Risiko für VTE» unter COC mit < 50 µg EE (mit z.B. 15–22 VTE/10 000 Frauenjahre bei 40- bis 49-Jährigen vs. z.B. 3–4 VTE bei < 19Jährigen; Kollektiv insgesamt: Alter 15 bis 49 J.: 6–14 VTE/10 000 Frauenjahre). Das Risiko für VTE der neueren Gestagene wie Dienogest wird dabei demjenigen des älteren Levonorgestrel (LGN) gegenübergestellt, welchem das niedrigste VTE-Risiko zugeteilt wird. Reine Gestagen-Pillen gehen mit einem VTE-
Risiko von 3–4/10 000 Frauenjahre (Alter: 15–49 J.) einher. Gesunde, nicht schwangere Frauen im reproduktiven Alter ohne hormonale Kontrazeption (als Referenz) besitzen das gleiche VTE-Risiko. Dienogest-haltige COC werden von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und Fertilität und vom deutschen Berufsverband der Frauenärzte wie folgt bewertet: Es bestehe «kein höheres VTERisiko als mit LNG-haltigen Kombinationspillen; ein geringgradig erhöhtes Risiko ist jedoch nicht auszuschliessen». Zum Vergleich: Schwangere (15–49 Jahre) besitzen ein VTE-Risiko von 20 bis 30/10 000 Frauenjahre.
Zusammenfassung und Ausblick
Prof. Stute folgerte: Unter Berücksichtigung des VTE-Risikos gelte für antiandrogen wirkende kombinierte orale Kontrazeptiva: L Alle untersuchten Mikropillen verrin-
gern Hirsutismus und Akne. L Bezüglich Hirsutismus zeigt die Studi-
enlage tendenziell bessere Wirkungen unter EE + CPA (> EE + DRSP) und EE + Drospirenon (> EE + CMA). L Bezüglich Akne wirkten alle COC gleich gut. L Mikropillen mit LNG, CMA und DNG haben (soweit bekannt) ein niedrigeres VTE-Risiko als Mikropillen mit DSG, GSD, CPA und DRSP. L Internationale Fachgesellschaften favorisieren keine bestimmten COC bei Androgenisierungen. In der anschliessenden Diskussion am Symposium wurde gefordert, dass eine
Stellungnahme auch der Swissmedic im
Sinne einer Entwarnung zum VTE-Risiko
erfolgen sollte und hierzu die Diskussion
der Gynäkologen mit der Behörde zu
verstärken sei.
In der Praxis sollte das informierende Ge-
spräch mit der jungen Patientin und der
begleitenden Mutter zur Entscheidungs-
findung einer Therapie zentral sein.
Auf der anderen Seite wurde deutlich,
dass praktische Fragen, beispielsweise
bei (mittel-)schwerer Akne, auch interdis-
ziplinär mit Dermatologen zu klären sei-
en, etwa welche kombinierte Pille vor-
zugsweise mit Ruaccotan® zu kombinie-
ren sei.
Schliesslich: Warum nicht bei Jugendli-
chen und Frauen mit Akne androgen wir-
kende COC in der Erstlinientherapie ver-
ankern?
L
Bärbel Hirrle
Quelle: 9. Symposium «Kinder- und Jugendgynäkologie und Kontrazeption – Ein Update» in Zusammenarbeit mit Gynea, der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendgynäkologie. Pfäffikon/SZ, 10. März 2016. Stute, P.: Antiandrogene Pillen im Vergleich.
Ich bedanke mich bei Prof. Stute herzlich für die Durchsicht.
Referenzen: 1. van Zuuren EJ, Fedorowicz Z, Carter B, Pandis N.: In-
terventions for hirsutism (excluding laser and photoepilation therapy alone). Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 4. Art. No.: CD010334. DOI: 10.1002/14651858.CD010334.pub2. 2. Arowojolu AO, Gallo MF, Lopez LM, Grimes DA.: Combined oral contraceptive pills for treatment of acne. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 7. Art. No.: CD004425. DOI: 10.1002/ 14651858.CD004425.pub6.
GYNÄKOLOGIE 3/2016
43