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SCHWERPUNKT
Hormontherapie – «endokriner Jungbrunnen»?
Argumente für eine individualisierte Gabe zur Verbesserung der Lebensqualität
Die Wirksamkeit einer menopausalen Hormontherapie (MHT) zur Linderung klimakterischer Symptome ist heute unbestritten. Bei Frauen unter 60 Jahren oder innerhalb von 10 Jahren nach der Menopause («günstiges Fenster») ist die MHT wieder Therapie der ersten Wahl zur Prävention von Fragilitätsfrakturen. Heute ist es gesichert, dass bei einer gesunden Frau der Nutzen einer individualisierten MHT die Risiken überwiegt. Doch darf sie deshalb als «Jungbrunnen» bezeichnet werden?
MARTIN BIRKHÄUSER
Die Menschheit jagt dem Traum der ewigen Jugend seit jeher nach. Die zauberhafte Vorstellung eines Jungbrunnens ist im Orient und im Okzident seit der Antike verwurzelt. Zu den bekanntesten erhaltenen Darstellungen zählen das spätgotische Fresko, das die Markgrafen von Saluzzo um 1440 in ihrer Burg von Manta/Piemont anbringen liessen, und das Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahre 1546 (Abbildung 1). Während im Schloss Manta sich Männer und Frauen im Jungbrunnen zusammen verjüngen und sich zu zärtlichen Paaren formieren, stellt Lucas Cranach nur alte, kränkelnde, invalide
Merkpunkte
I Beim klimakterischen Syndrom bleibt die MHT die wirksamste Behandlung. Die MHT verbessert die gesundheitsbezogene Lebensqualität signifikant.
I Zur Behebung von vegetativen Symptomen wie vasomotorischen Beschwerden und Schlafstörungen ist oft eine niedrigere als die früher übliche mittlere Dosierung ausreichend.
I Zur Prävention von Fragilitätsfrakturen ist die MHT in der mittleren Dosierung eine Therapie der ersten Wahl (2 mg 17β-Estradiol per os/Tag oder 50 μg 17β-Estradiol transdermal als Pflaster/Tag resp. 1,0–1,5 mg 17β-Estradiol als Gel pro Tag*).
I Bei erhöhten Risiken für zerebrovaskuläre/thromboembolische Ereignisse kann eine transdermale MHT die Risiken senken.
I Bei gegebener Indikation und individualisierter Gabe von Estrogenen innerhalb des «günstigen Zeitfensters» überwiegt der Nutzen die Risiken und gilt bei gesunden Frauen als sicher.
I Die Behandlungsdauer ist nicht nach oben fest begrenzt. I Die Alterung kann partiell verzögert, aber nicht verhindert werden. Somit
ist die MHT keine moderne Variante des alten Traums vom Jungbrunnen.
* Zur niedrig und ultraniedrig dosierten MHT fehlen Frakturdaten, ebenso wie Langzeitdaten zu den kardiovaskulären und onkologischen Nutzen und Risiken.
Frauen dar, die nach dem Bad wieder jung und schön dem Wasser entsteigen. In seiner Vorstellung verjun̈ gen sich die alten Männer beim Zusammensein mit den im Jungbrunnen verjun̈ gten Frauen danach ihrerseits von selbst. Später übernahmen die eleganten Bäderstädte Europas die Aufgabe des Jungbrunnens. Heute ist diese Hoffnung zur «Anti-Aging-Medizin» mutiert. Wie passt nun die MHT in diesen Traum vom Jungbrunnen? Ist die postmenopausale Estrogengabe vielleicht ein Jungbrunnen im ub̈ ertragenen Sinn, da ja Sexualhormone ub̈ er die ganze Lebenszeit fur̈ das körperliche und das seelische Wohlbefinden sowie den Stoffwechsel eine entscheidende Rolle spielen?
Was kann die MHT?
Durch den postmenopausalen Mangel an Estrogenen und anderen Sexualsteroiden kann es zum klimakterischen Syndrom, zur Abnahme der Trophik des Bindegewebes, zu einer Beeinträchtigung der Sexualität, zu Stoffwechselveränderungen mit Folgeerkrankungen wie postmenopausaler Osteoporose, Diabetes mellitus Typ II, kardiovaskulären Erkrankungen, zu Störungen des vegetativen und zentralen Nervensystems und als Summe davon zur Abnahme der Lebensqualität mit subjektiv empfundenem frühem Altern kommen. Die MHT verbessert durch eine Linderung oder Verzögerung dieser Prozesse signifikant die gesundheitsbezogene Lebensqualität (5–13), das wichtigste Kriterium für eine erfolgreiche Estrogen-Gabe. Wenn dies die Women’s Health Initiative Study (WHI) nicht zeigen konnte, so allein deshalb, weil nur rund 10% der Studienteilnehmerinnen überhaupt an menopausalen Beschwerden litten.
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Auf welchem Weg erreicht die MHT eine bessere Lebensqualität? Dabei sind die sieben folgenden Punkte entscheidend: 1. Psychisches Wohlbefinden: Bei menopausalen
Estrogen-Mangel-Beschwerden ist die MHT unbestritten die wirksamste Behandlung (1–4). Die Leitsymptome Hitzewallungen, Schwitzen und Palpitationen verschwinden unter einer MHT. Sie sind oft von Schlafstörungen und einer erhöhten Inzidenz von psychischen Symptomen wie Angstzuständen und Depressivität bis hin zu Erschöpfungszuständen begleitet. Auch diese Symptome bessern sich unter einer Estrogen-Gabe signifikant (1–4), sofern nicht andere von den Hormonveränderungen unabhängige Ursachen dahinterstehen. Diese zusätzlichen nicht hormonalen Ursachen können primär endogen (wie monopolare oder bipolare depressive Störungen) oder sekundär durch Schwierigkeit am Arbeitsplatz, Stellenverlust, Partnerschaftskonflikte, soziale Spannungen und Ähnliches ausgelöst werden. Sie müssen kausal angegangen werden. 2. Hydriertes Hautbild: Zum «Sich-alt-Fühlen» führt auch das Bild, das eine Frau von sich selbst hat, wenn sie in den Spiegel schaut. Der postmenopausale Estrogen-Mangel bringt eine Dehydrierung der Haut und damit einen Verlust an Hautturgor mit sich. Schlaffe Haut und vermehrte Runzelbildung ergeben einen älteren Eindruck als eine kollagenreichere Haut mit gutem Turgor. Eine MHT fördert die Rehydrierung und verbessert die Kollagenbildung, sodass sich die Haut qualitativ verbessert und wieder jünger aussieht – sofern sie nicht durch frühen Nikotinabusus und exzessive Sonnenexposition irreversibel geschädigt ist (14–17). 3. «Rheumatische Schmerzen»: Auch dauernde Schmerzen in Rücken, in Gliedern und Gelenken werden subjektiv als Symptome des Alterns empfunden. Die wenigsten Frauen realisieren, dass diese Beschwerden aus den gleichen Ursachen wie bei der Haut eine direkte Folge des Estrogen-Mangels sein können. Eine MHT senkt diese unspezifischen Schmerzzustände signifikant (Abbildung 2; [1–4]) – ausser, sie sind durch eine eigentliche rheumatische Erkrankung oder durch die osteoporotische Fraktur eines Wirbelkörpers verursacht. 4. Frakturpävention: Eine MHT senkt die Inzidenz osteoporosebedingter Fragilitätsfrakturen bei mittlerer Dosierung an allen Lokalisationen signifikant um 25 bis 40%. Auch bei asymptomatischen Frauen ist die MHT daher eine wirksame, sichere und kosteneffektive Therapie der ersten Wahl (NNT = 7; [1–4, 17]). Die Senkung der Inzidenz von Wirbelkörperfrakturen trägt durch das Vermeiden chronischer invalidisierender Schmerzen, wie sie bei Wirbelkörperfrakturen typisch sind, zur Ver-
Abbildung 1: «Der Jungbrunnen» (Lucas Cranach, 1546): Cranach stellt alte, kränkelnde und invalide Frauen dar, die nach dem Bad als junge, schöne Frauen dem Wasser entsteigen. In seiner Vorstellung verjüngen sich alte Männer beim Zusammensein mit den verjüngten Frauen von selbst ... (?!?)
Abbildung 2: Rücken-, Gelenk- und Gliederschmerzen als Folge einer Dehydrierung bei Estrogen-Mangel werden durch eine MHT signifikant gebessert. E transdermal: 50 μg 17β−Estradiol/Tag E/G transdermal: 50 μg 17β-Estradiol + 250 μg Norethisteronazetat/Tag
besserung der Lebensqualität und damit zum aktiven Jungbleiben bei. Zudem erhält eine MHT Höhe und Turgor der Zwischenwirbelscheiben (1–4, 17). Dies vermindert wegen der erhaltenen «Stossdämpferfunktion» zusätzlich das Frakturrisiko und verlangsamt die altersbedingte Grössenabnahme. Da für niedrig und ultraniedrig dosierte MHT-Präparate Frakturdaten fehlen, sollte zur Frakturprävention die mittlere Dosierung (2 mg
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17β-Estradiol per os/Tag oder 50 µg 17β-Estradiol transdermal als Pflaster/Tag resp. ca. 1,0–1,5 mg 17β-Estradiol als Gel pro Tag) bevorzugt werden (1). Tibolon senkt ab einer Dosis von 1,25 mg/Tag bei Frauen über 60 Jahre signifikant das Risiko, vertebrale und nicht vertebrale Frakturen zu erleiden (1). 5. Vaginale und urologische Beschwerden: Vaginalatrophie und gynäkologisch-urologische Beschwerden beeinträchtigen die Lebensqualität stark. Eine vaginale oder systemische MHT kann hier eine wesentliche Besserung bringen (1–4). Va-
Die MHT verbessert signifikant die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Wenn dies die WHI nicht zeigen konnte, so deshalb, weil nur rund 10% der Teilnehmerinnen überhaupt
an menopausalen Beschwerden litten.
ginale Estrogene reduzieren die Inzidenz von rezidivierenden Harnwegsinfektionen. Lokalvaginale und systemische MHT vermindern die Symptomatik der hyperaktiven Blase, nicht aber diejenige der Stressinkontinenz. Für Frauen mit symptomatischer vaginaler Atrophie (Trockenheit, Juckreiz, Fluor, Dyspareunie, vaginale Infektionen) ist die vaginale niedrig dosierte Estrogen-Therapie der systemischen MHT überlegen und daher vorzuziehen (1–4, 17). Eine zusätzliche Gestagen-Gabe ist nicht notwendig. Das American College of Obstetricians and Gynecologists erlaubt seit März 2016 bei über Nutzen und Risiken gut informierten Frauen eine vaginale Estrogen-Gabe auch nach Mammakarzinom (18), wenn die niedrigste noch wirksame Dosis nur so lange eingesetzt wird, als sie zur Verbesserung der Lebensqualität notwendig ist. 6. Verbessertes Sexualleben: Eine befriedigend gelebte Sexualität ist Teil der Lebensqualität. Eine MHT verbessert das Sexualleben, wenn dessen Verschlechterung durch den postmenopausalen Mangel an Sexualsteroiden bedingt ist. Tibolon ist unter Umständen einer Estrogen-Gestagen-Gabe überlegen. Steht die Dyspareunie im Vordergrund, genügt oft eine lokale Estrogen-Gabe (1–4). Häufig stehen allerdings andere, von den menopausalen Hormonveränderungen unabhängige Ursachen wie Partnerprobleme hinter einem Libidoverlust oder einem unbefriedigenden Sexualleben (siehe oben, unter 1.) und sind kausal zu behandeln. 7. Kardiovaskuläre Risiken: Die MHT senkt die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Es ist heute erwiesen (1–4), dass eine Estrogen-Monotherapie in mittlerer Dosierung das Risiko für koronare Herzkrankheiten und die Gesamtmortalität signifikant reduziert, wenn die MHT vor dem Alter
von 60 Jahren beziehungsweise innerhalb von 10 Jahren nach der Menopause begonnen wird. Eine kombinierte Estrogen-Gestagen-Gabe (E+G) mit Beginn innerhalb des «günstigen Fensters» zeigt abhängig vom eingesetzten Gestagen einen neutralen bis positiven Effekt (1–4, 17). Eine Langzeitgabe von Medroxyprogesteron-Azetat sollte vermieden werden. 8. Kognitive Fähigkeiten: Eine gute Lebensqualität setzt einen wachen und aktiven Geist voraus. Eine um die Menopause begonnene und bis zu 10 Jahre weitergeführte MHT könnte mit einem verminderten Risiko für M. Alzheimer verbunden sein (1). Hingegen sind die Langzeitkonsequenzen einer in der Peri- oder frühen Postmenopause begonnenen MHT für Kognition und Demenz noch weitgehend unbekannt. Eine spät (Alter > 65 Jahre) begonnene MHT könnte sich auf die Kognition ungünstig auswirken (1). Die beschriebenen durch Estrogen-Mangel bedingten Veränderungen überschneiden sich mit den «normalen» Folgen des Alterns. Die erfolgreiche Behandlung der durch Estrogen-Mangel bedingten Anteile des Altersprozesses führt neben der Linderung der Beschwerden auch dazu, dass sich eine Frau subjektiv wieder jünger fühlt.
Wie lange darf eine MHT eingesetzt werden?
Eine individualisierte MHT kann über das 60. Lebensjahr hinaus fortgesetzt werden, sofern die möglichen langfristigen Vorteile und Risiken im Vergleich zu den alternativen nicht hormonellen Therapien berücksichtigt sind. Einer Frau, welche Estrogene zum Erhalt ihrer Lebensqualität benötigt, soll ihre individualisierte MHT nicht entzogen werden. Die Anwendungsdauer einer MHT darf nicht willkürlich beschränkt werden (1–4)! Bei früher Menopause (vor 45 Jahren) und bei prämaturer Ovarialinsuffizienz (vor 40 Jahren) kann eine MHT in mittlerer Dosierung die Knochendichte erhalten, ein erhöhtes Frakturrisiko verhindern, das kardiovaskuläre Risiko senken und die Lebensqualität erhalten. Die MHT ist hier ein «Muss» und soll mindestens bis zum durchschnittlichen natürlichen Menopausenalter fortgeführt werden (1–4, 17, 19).
Welchen «Preis» (welche potenzielle Risiken) hat die MHT?
Die Auswertung der heutigen Datenlage zeigt, dass sich Risiken und Nutzen einer MHT bei Frauen während der menopausalen Übergangszeit und der früheren Postmenopause von jenen bei älteren Frauen in der späteren Postmenopause unterscheiden. Bei einem Beginn der Estrogen-Gabe innerhalb des «günstigen Zeitfensters» überwiegt der Nutzen die Risiken. Die vorliegenden Studiendaten (1–4, 17, 21,
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Tabelle:
Kumulative 13-Jahres-Daten* aus der Gruppe der 50 bis 59 Jahre alten Teilnehmerinnen an der Women’s-Health-Initiative-Studie** unter alleiniger Gabe von oralen konjugierten
Estrogenen (CEE)
Erkrankung
Koronare Herzkrankheit Herzinfarkt Diabetes mellitus 1, 2 (neu aufgetreten) Frakturen (Schenkelhals) 1 Schlaganfall Lungenembolie Brustkrebs Alle Karzinome Totale Mortalität
Hazard Ratio
0,65 0,60 0,66
0,91 0,96 1,06 0,76 0,80 0,78
95%-Vertrauensintervall
0,44–0,96 0,39–0,91 0,93–1,12
0,72–1,15 0,60–1,55 0,52–1,11 0,52–1,11 0,64–0,99 0,59–1,03
Absolute Veränderung pro 10 000 Frauenjahre –11 –11 –10
–2 –1 +1 –7 –18 –12
* aus: Manson et al., JAMA 2013; 310: 1353–1368. ** Die kumulativen Daten erfassen alle Ereignisse, die während der Interventions- und der Postinterventionsphase beobachtet wurden. 1 Gesamtkollektiv (Subanalyse nach Altersgruppen nicht möglich). 2 selbst berichtet.
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22; Tabelle) erlauben heute zu den wichtigsten Risiken einer MHT folgende Aussagen: I Brustkrebsrisiko unter alleiniger Estrogen-Gabe:
In der WHI-Studie, welche vor allem Frauen mit einem hohen mittleren Body-Mass-Index untersuchte, sank unter alleiniger Estrogen-Gabe das Brustkrebsrisiko. In anderen US-amerikanischen und europäischen Studien mit normalgewichtigen Frauen blieb es bis zu einer Therapiedauer von 16 bis 19 Jahren unverändert (4, 21, 22). I Das Brustkrebsrisiko unter EE/Gestagen-Kombination: Bei Erstanwenderinnen unter konjugierten equinen Estrogenen (CEE) und Medroxyprogesteron-Acetat (MPA) blieb das Brustkrebsrisiko bis zu einer Dauer von 5,6 Jahren unverändert, um danach zuzunehmen (21). Unter der Gabe von Estradiol und Norethisteronacetat (E2+NETA) stieg es bis zu 16 Jahren nicht an (22). Progesteron und Dydrogesteron scheinen günstiger als MPA zu sein (1). Typ, Anwendungsdauer und Anwendungsform des Gestagens bestimmen somit bei der kombinierten MHT die NutzenRisiko-Bilanz mit. Zuverlässige Daten zum Brustkrebsrisiko unter systemischer E2-Gabe mit transdermaler oder intrauteriner Gestagen-Verabreichung liegen zurzeit nicht vor, der Endometriumschutz ist aber gewährleistet. I Zerebrovaskuläres und thromboembolisches Risiko: Durch eine transdermale Verabreichung des Estrogens kann ein zusätzlicher Risikoanstieg zur normalen altersabhängigen Zunahme von zerebrovaskulären und thromboembolischen Ereignissen vermindert oder vermieden werden. I Ovarialkarzinomrisiko: Das einer Gabe von Estrogenen allein zuschreibbare zusätzliche Risiko ent-
spricht nach den vorliegenden Metaanalysen 0,6 Fällen pro 1000 Frauen pro 5 Einnahmejahre. Die Nachberechnungen in der Studie der Collaborative Group on Epidemiological Studies of Ovarian Cancer ergeben eine zusätzliche Inzidenz an Ovarialkarzinomen von 0,12 pro 1000 Frauen pro Einnahmejahr oder von 0,55 zusätzlichen Fällen pro 1000 Frauen pro 5 Einnahmejahre (Unterschied nicht signifikant; siehe [1]). Unter E+G verändert sich das Risiko nicht. I Kolonkarzinomrisiko: Unter oraler kombinierter CEE+MPA-Gabe, nicht aber unter oraler CEE-Monotherapie, findet sich eine signifikante Reduktion von Kolonkarzinomen. Eine transdermale MHT senkt die Inzidenz von Kolonkarzinomen nicht. I Risiko für weitere Karzinome: Für Karzinome von Zervix, Vulva und Vagina und für Lungenkarzinome bestehen keine Hinweise auf eine Veränderung des Risikos durch eine MHT. I Risiko für Gallenblasenkarzinom: Unter MHT sind keine Veränderungen bei der Inzidenz von Karzinomen bekannt. Hingegen steigt bei oraler (aber nicht transdermaler) MHT das Risiko von Cholelithiasis und Cholezystektomien an. I Mortalitätsrisiko: Unter alleiniger Estrogen-Gabe waren nach 13-jähriger respektive nach 16-jähriger Beobachtungszeit in zwei randomisierten, kontrollierten Studien (WHI, DOPS; siehe [1]) und einer Metaanalyse (21) neben der Gesamtmortalität auch die kardiale Mortalität und die Mortalität in Bezug auf Mammakarzinome signifikant erniedrigert (1–4, 19–22). Die Gesamtmortalität sank auch unter E2+NETA (22). Die Tabelle zeigt Nutzen und Risiken der alleinigen oralen Gabe von CEE nach einer kumulativen Beob-
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achtungszeit von 13 Jahren in der WHI (21). Nicht aufgeführt sind die Auswirkungen auf das klimakterische Syndrom und die Lebensqualität, die in der WHI-Studie keine Studienziele waren. Bezüglich der somatischen Endpunkte überwiegt der Nutzen klar die Risiken.
Fazit: Ist die MHT ein Jungbrunnen?
Die aufgelisteten Fakten zeigen, dass bei gegebener Indikation, unter Berücksichtigung der persönlichen Risikofaktoren und bei optimaler Individualisierung (Substanzen, Dosis, Therapiedauer) der Nutzen einer MHT gross ist und die Risiken klein sind. Die MHT kann insgesamt zu einer besseren Alterung verschie-
Neu: Das American College of Obstetricians and Gynecologists erlaubt, bei informierten Frauen
eine vaginale Estrogen-Gabe auch nach Mammakarzinom einzusetzen – dies in der
niedrigsten, wirksamen Dosis.
dener Organsysteme führen. Dadurch fühlen sich
viele Frauen unter Estrogen-Einnahme jünger, akti-
ver und attraktiver – auch wenn sich weder der Alte-
rungsprozess stoppen noch gar eine Verjüngung er-
reichen lässt.
Die MHT ist somit kein Jungbrunnen gemäss den
märchenhaften mittelalterlichen Vorstellungen, doch
kann sie zu einer subjektiv und objektiv höheren ge-
sundheitsbezogenen Lebensqualität (1–13) und da-
mit zu einem besseren Älterwerden führen.
I
Prof. Dr. med. Martin Birkhäuser Prof. emeritus für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsfrauenklinik Bern Gartenstrasse 67 4052 Basel E-Mail: martin.birkhaeuser@balcab.ch
Interessenkonflikte: keine.
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