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SCHWERPUNKT
Endometriumkarzinom im fortgeschrittenen Alter
Empfehlungen für eine adaptierte Diagnostik und Therapie
Von den gynäkologischen Erkrankungen im Senium ist das Endometriumkarzinom als häufigster genitaler Tumor zu thematisieren. Niedergelassene Gynäkologen sehen sich mit der Erkrankung konfrontiert, sobald eine Frau sie wegen einer Postmenopausenblutung konsultiert. Die Therapieentscheidungen bei bestätigter Diagnose müssen Komorbiditäten sowie Fragen der Patientin nach dem Sinn erweiterter Eingriffe «noch in ihrem Alter» einbeziehen.
SILKE JOHANN, MICHAEL D. MUELLER
Das mittlere Erkrankungsalter bei Endometriumkarzinom (syn.: Korpus-/Uteruskarzinom) liegt bei 64 Jahren. Grundsätzlich handelt es sich um zwei Tumortypen: ■ den klassischen Typ I, der sich bei 80% der er-
krankten Frauen findet, und ■ den Typ II, unter dem serös-papilläre, klarzellige
und G3-Tumoren zusammengefasst werden. Insbesondere die älteren Frauen (ab Mitte sechzig) erkranken meist am Typ I, zu dem das gut und mittelgradig differenzierte endometrioide Adenokarzinom zählt. Es ist überwiegend hormonsensibel, im Sinn einer wachstumsfördernden Wirkung der Östrogene. Der Typ II ist dagegen wenig differenziert und hormonunabhängig. Er betrifft meist jüngere Frauen oder tritt im Rahmen eines erblichen HNPCC-Syndroms auf. Aufgrund ihres aggressiven Verhaltens sollten die Tumoren dieser Kategorie in Analogie zu einem Ovarialkarzinom behandelt werden. Dieser Artikel beschreibt schwerpunktmässig das Management bei Typ I.
Häufigkeit
Das Korpuskarzinom ist in der Schweiz der häufigste genitale Tumor der Frau. Durch die zu erwartende steigende Lebenserwartung und die Zunahme der Risikofaktoren (v.a. metabolisches Syndrom) wird die Inzidenz noch weiter zunehmen. Derzeit liegt sie bei 24 bis 25/100 000 Frauen pro Jahr und geht mit einer Sterberate von 3,4/10 000 Erkrankungen jährlich einher. Das mittlere Erkrankungsalter liegt in der 7. Dekade. Mehr als 75% der Patientinnen sind zum Zeitpunkt der Diagnose postmenopausal. Das Kardinalsymptom ist eine abnorme uterine Blutung; die postmenopausale Blutung bedarf unbedingt einer histologischen Abklärung. Viele der Patientinnen suchen nach dem ersten Auftreten einer Blutung zügig
einen Arzt auf. Daher werden heute etwa 75% der Diagnosen im FIGO-Stadium I und II gestellt.
Risikofaktoren
Die Risikofaktoren für Typ-I-Endometriumkarzinom sind gut bekannt. Erhöhte Östrogenspiegel jedweder Ursachen tragen zur Entstehung eines endometrioiden Adenokarzinoms bei. Sie können zum Beispiel durch frühe Menarche, späte Menopause, nicht opponierte reine Östrogen-Hormonersatztherapie, östrogenproduzierende Tumoren, aber auch durch metabolisches Syndrom, Infertilität, Nulliparität, erhöhtes Lebensalter, hohen sozioökonomischen Status und die Einnahme von Tamoxifen verursacht sein. Auch die Herkunft spielt eine Rolle: Frauen aus Europa und den USA haben ein erhöhtes Risiko, an einem endometrioiden Adenokarzinom zu erkranken, wohingegen Frauen aus Afrika und Afroamerikanerinnen eher an einem Typ-II-Endometriumkarzinom, besonders dem klarzelligen Subtyp, erkranken. Vorstufe des Karzinoms ist die Endometriumhyperplasie mit Atypien, die in bis zu 30% zum Karzinom entarten kann.
Diagnostische Massnahmen
Eine klare Strategie zur Früherkennung des Endometriumkarzinoms existiert derzeit nicht. Screeningmethoden, vergleichbar dem regelmässig empfohlenen Papanicolau-Abstrich für das Zervixkarzinom, sind nicht evidenzbasiert. Dennoch kann eine regelmässige jährliche Transvaginalsonografie und Endometriumbiopsie, insbesondere bei Frauen mit erblicher Disposition, einen Vorteil in der Früherkennung bieten (1). Verdächtig ist in der Routine-Sonografie eine einfache Endometriumdicke von mehr als 4 mm bei postmenopausalen Patientinnen. Eine histologische Abklärung sollte in diesem Fall unbedingt
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durchgeführt werden. Bei Patientinnen, die aufgrund eines vorbestehenden Mammakarzinoms Tamoxifen einnehmen, kann eine Endometriumdicke bis 15 mm toleriert werden, so lange keine Blutungen auftreten. Erst danach ist eine histologische Abklärung erforderlich. Eine Blutung unter Tamoxifen bedarf aber unter jeden Umständen einer weiteren Diagnostik, wenn das Endometrium sonografisch mehr als 5 mm hoch aufgebaut ist. Die histologische Abklärung kann mittels Endometriumbiopsie, beispielsweise mit der Pipelle de Cornier, als ambulanter Eingriff ohne Anästhesie in der Praxis (bei einer Erstkonsultation) durchgeführt werden. Die hierzu publizierten Daten zeigen, dass die histologische Diagnose sehr sicher mit diesem minimalinvasiven diagnostischen Instrument gestellt werden kann (2). Eine Hysteroskopie, gefolgt von einer Kürettage, ist bei abnormen Blutungen und/oder verdächtigem sonografischem Befund des Endometriums durchzuführen, wenn die Endometriumbiopsie technisch nicht ausführbar oder das Ergebnis nicht konklusiv ist. Bei dringendem Verdacht auf Endometriumkarzinom kann direkt eine Kürettage erfolgen, um eine potenzielle transtubale Tumorzelldissemination nach intraperitoneal zu verhindern. Weitere bildgebende Verfahren sind meist nicht notwendig. Präoperativ genügt eine konventionelle ThoraxRöntgenaufnahme. Bei Verdacht auf organüberschreitendes Wachstum im kleinen Becken erfolgt eine Zysto- und eine Rektoskopie zur Bestätigung oder zum Ausschluss der Diagnose. Die Aussagekraft einer CT des Abdomens in Bezug auf nodale Metastasierung und Infiltrationstiefe ist mangelhaft. Die Indikation für eine MRT besteht bei jüngeren Patientinnen, wo ein fertilitätserhaltendes Vorgehen diskutiert werden kann, sicher aber nicht bei älteren Patientinnen.
Tumorbiologie/-ausbreitung
Die lokale Ausbreitung erfolgt vor allem in die Ovarien. Eine pelvine Ausbreitung und ein kontinuierliches Wachstum in die Parametrien oder peritoneale Metastasen sind eher selten,
Laparoskopische Lymphadenektomie
aber möglich. Die Fernmetastasierung erfolgt vor allem in die Vagina sowie in Lunge, Knochen und Hirn. Die häufigste Tumordissemination erfolgt auf lymphogenem Weg. 10% aller Patientinnen haben zum Zeitpunkt der Operation Lymphknotenmetastasen. Zwei Drittel der Lymphknotenmetastasen treten im Becken auf, aber bei über 10% der Patientinnen sind positive Lymphknoten isoliert paraaortal zu finden (3). Für die Prognose ist – neben dem histologischem Typ, der Infiltrationstiefe ins Myometrium und der Tumorgrösse – die extrauterine Ausbreitung entscheidend, insbesondere der Befall regionärer Lymphknoten.
Operative Therapie
Therapie der Wahl im Frühstadium ist die Operation, auch aus Gründen der Stadieneinteilung nach FIGO, welche dann im Weiteren über die Notwendigkeit einer adjuvanten Therapie entscheidet. Die minimalinvasive Chirurgie durch laparoskopischen Zugang stellt heute die Methode der Wahl dar (4, 5). Aufgrund des Risikoprofils für die Erkrankung sind viele der Patientinnen adipös und leiden an Diabetes mellitus mit den entsprechenden Folgen. Insgesamt haben die Betroffenen sehr oft ein hohes Narkose- und Operationsrisiko aufgrund des fortgeschrittenen Alters und der kardialen und allgemeininternistischen Nebendiagnosen. Dennoch sollte eine Operation, wann immer möglich, durchgeführt werden. Einen Meilenstein in der Chirurgie des Endometriumkarzinoms bildet daher die Laparoskopie. Gerade die älteren, adipösen Patientinnen profitieren deutlich von diesem Zugangsweg. Nach einer Lernkurve des Operateurs ist die Operationszeit nicht verlängert und der Blutverlust geringer bei sogar besserer onkologischer Radikalität, wie wir an einem eigenen Kollektiv zeigen konnten (6). Der postoperative Verlauf ist meist problemloser, die Pati-
Tabelle 1:
FIGO-Klassifikation des Endometriumkarzinoms
Stadium TX T0 Tis T1 T1a T1b T1c T2 T2a T2b T3 T3a T3b N1 T4
FIGO
I Ia Ib Ic II IIa IIb III IIIa IIIb IIIc IVa
M1 IVb
Beschreibung Unklarer Primärtumor Primärtumor nicht darstellbar Carcinoma in situ Tumor auf Corpus uteri begrenzt Tumor auf das Endometrium begrenzt Tumor infiltriert weniger als 50% des Myometriums Tumor infiltriert mehr als 50% des Myometriums Tumor infiltriert die Cervix uteri, aber ist nicht organüberschreitend Endozervikaler Drüsenbefall Infiltration des Zervixstromas Lokale oder regionale Ausbreitung Tumor infiltriert die Serosa oder die Adnexe und/oder positive Spülzytologie Infiltration der Vagina Pelvine oder/und paraaortale Lymphknotenmetastasen Tumor infiltriert Blasenmukosa oder Darmmukosa (bullöses Ödem reicht zur Definition nicht) Fernmetastasen, exkl. Vaginalmetastasen, peritonealer Metastasen, oder Adnexen, inkl. intraabdominaler Lymphknotenmetastasen ausser paraaortal, und/oder inguinaler Lymhknotenmetastasen
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Tabelle 2:
Stadiengerechte operative Therapie
Stadium pT1a, G1 pT1a, pT1b, G1, G2 pT1a, pT1b, G3, pT1c G1–G3, pT2a pT2b
pT3a
pT3b (Vag-Befall)
pT3b (übrige Ausbreitung) pN1 (= FIGO IIIc) pT4 (= FIGO Iva)
M1 (= FIGO IV B)
Operation HE, BSO, Lymphonodektomie fakultativ HE, BSO, pelvine Lymphonodektomie HE, BSO, pelvine und paraaortale Lymphonodektomie Erweiterte rad. HE, BSO, pelvine und paraaortale Lymphonodektomie Totale HE, BSO, pelvine und paraaortale Lymphonodektomie, Omentektomie, Debulking Bei gutem AZ und Operabilität: Totale HE +/+, partielle/ komplette Kolpektomie, pelvine und paraaortale Lymphonodektomie, Omentektomie, Debulking HE, BSO, ggf. Lymphonodektomie Totale HE, BSO, pelvine und paraaortale Lymphonodektomie Bei isoliertem Blasen- oder Rektumbefall ggf. vordere/hintere Exenteration, beidseitige Adnexektomie, pelvine und paraaortale Lymphonodektomie Individualentscheid am Tumorboard, bei lokaler Operabilität HE und intraabdominales Debulking zur Verbesserung der Effizienz der systemischen und strahlentherapeutischen palliativen Massnahmen
HE: Hysterektomie; BSO: bilaterale Salpingooophorektomie
entinnen sind schneller mobil und können früher wieder entlassen werden im Vergleich zum offen-chirurgischen Vorgehen. In erfahrener Teamzusammenarbeit mit den Anästhesisten stellen meist auch die extreme Trendelenburglagerung und die notwendigen hohen Beatmungsdrücke aus unserer eigenen Erfahrung kein Hindernis für die Laparoskopie dar. Zum operativen Ablauf gehört eine Spülzytologie nach Eingehen in das Abdomen. Nach Exploration des Abdomens wird eine totale extrafasziale Hysterektomie und beidseitige Adnexektomie durchgeführt. Eine Schnellschnittuntersuchung zur Bestimmung der Infiltrationstiefe sollte durchgeführt werden. Dies bestimmt darüber, ob eine Lymphadenektomie notwendig ist oder nicht.
Komplettiert wird das Staging durch Biopsien an suspekten Stellen und maximale Zytoreduktion bei uterusüberschreitendem Tumorwachstum. Die retroperitoneale Lymphadenektomie wird von den meisten Experten empfohlen, das Ausmass derselben ist jedoch nicht festgelegt. Jüngst publizierte Daten zeigen, dass eine pelvine Lymphonodektomie oft nicht ausreichend ist, da ein erheblicher Prozentsatz von Patientinnen positive paraaortale Lymphknoten auch bei negativen pelvinen Lymphknoten aufweisen kann, sogar in den frühen Tumorstadien (3). Letztendlich bleibt aber der intraoperative Entscheid zur ausgedehnten Lymphadenektomie dem Operateur vorbehalten, der zum einen entscheiden muss, wie
stabil die Patientin intraoperativ ist, und zum anderen, wie hoch ihr Metastasierungsrisiko in Relation zu ihren allgemeinen Nebendiagnosen und der Morbidität eines solchen Eingriffes ist. Dies ist sicher eine besondere Situation im Senium und gilt im Allgemeinen nicht für die jüngere gesunde Patientin. Eine stadienadaptierte operative Therapie sollte, wenn möglich, analog Tabelle 2 durchgeführt werden.
Nichtoperative Therapien
Wie erwähnt, stellt die Operation die Therapie der Wahl dar. Es gibt Situationen, in denen eine operative Intervention nicht möglich oder sinnvoll ist. Dies können ausgeprägte allgemeininternistische Nebendiagnosen oder aber auch ein weit fortgeschrittenes Tumorstadium sein. Daneben gibt es eine Indikation für Radiotherapie (RT) und Chemotherapie in der adjuvanten Situation. Eine Hormontherapie wird derzeit nur in der palliativen Situation bei der älteren Frau eingesetzt. Die Patientinnen können anhand der histologischen und klinischen Befunde, welche im Rahmen des Stagings erhoben werden, in Gruppen mit niedrigem, mittlerem oder hohem Risiko für ein Lokalrezidiv eingeteilt werden.
Risikoadaptierte Therapiewahl Für Patientinnen mit sehr niedrigem Risiko (IA/B G1, IA G2) ist es internationaler Konsens, dass keine weitere Therapie indiziert ist. Die alleinige, sorgfältig durchgeführte Operation ist kurativ. Bei niedrigem Rezidivrisiko (IB G2, IC, G1/2) und intermediärem Risiko (IA/B G3 sowie IIA G1/2 und IIB G1) sollte den Patientinnen eine Brachytherapie vorgeschlagen werden. Sie müssen aber insbesondere über die Nebenwirkungen, wie postradiogene Trockenheit der Vagina, welche sich insbesondere im Se-
Tabelle 3:
Vorschlag für eine Tumornachsorge bei Endometriumkarzinom-Typ I
Monate nach Abschluss der Therapie Gyn. u. intern. Untersuchung + Zytologie der Vagina Transvaginale Sonografie Ultraschall des Oberbauchs (Leber/Niere) Röntgen Thorax
3 6 9 12 15 18 21 24 30 36 42 48 54 60 XXXXXXXXXXXXXX XXXX X XXXXX X XXXX XXXX
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nium mit der schon hormonell bedingt schlechten trophischen Situation der Vaginalhaut potenziert, aufgeklärt werden. Dazu kommt, dass die evidenzbasierte Datenlage gering ist. Randomisierte Studien fehlen, und einheitliche Therapiekonzepte existieren nicht. Ältere Studien deuten auf einen Vorteil der zusätzlichen endovaginalen Strahlentherapie hin, neuere Ergebnisse können dies nicht bestätigen (7). Derzeit gibt es keine klare Evidenz für einen Vorteil im rezidivfreien Überleben. Dass keine Verlängerung des Gesamtüberlebens erreicht wird, ist bereits bekannt (8). Ebenso ist für die Gruppe der Patientinnen mit dem höchsten Rezidivrisiko bei auf den Uterus begrenzter Erkrankung (Tumorstadium IC G3) die Datenlage für Therapien unklar. Wahrscheinlich sind dies die Patientinnen, die von einer Brachytherapie am ehesten sowohl bezüglich Lokalrezidivrisiko als auch bezüglich Gesamtüberleben profitieren könnten (9). Für Patientinnen mit hohem und sehr hohem Risiko für ein Lokalrezidiv ist die kombinierte Radiotherapie Standard. Bei fehlender oder unzureichender Lymph-
adenektomie ist ab dem intermediären Risiko zusätzlich zur Operation eine kombinierte RT durchzuführen. In der palliativen Situation ist eine RT unter üblichen Gesichtspunkten (Schmerztherapie, lokale Tumorkontrolle) indiziert.
Indikationen für adjuvante und palliative Therapien Die Indikation für eine adjuvante Chemotherapie kann ab Stadium IC G2/G3 bis zum Stadium IVA gestellt werden. Trotz vieler getester Substanzen werden derzeit vorwiegend Carboplatin, kombiniert mit Paclitaxel oder Doxorubicin, in Kombination mit Cisplatin eingesetzt. Die Patientinnen für diese Therapien müssen sorgfältig ausgewählt werden, gerade im höheren Alter, da zwar ein Vorteil im rezidivfreien und Gesamtüberleben erzielt werden kann, die Nebenwirkungen aber nicht zu unterschätzen sind. Die noch laufende PORTEC-3-Studie wird zeigen, ob eine kombinierte Radiochemotherapie für Patientinnen der Hochrisikogruppe von weiterem Vorteil ist. Auch hier ist die Datenlage in der Literatur noch uneinheitlich.
Die Hormontherapie ist keine Option als adjuvante Therapie. Bei gut differenzierten, PR- oder ER-positiven Endometriumkarzinomen kann in der Palliativsituation ein Gestagen (z.B. Medroxyprogesteronacetat 250 mg p.o. täglich) eingesetzt werden. Die Ansprechrate ist mit > 35% zufriedenstellend. Tamoxifen als Präparat ist hierzu gleichwertig. Generell sollte bei allen Patientinnen, gerade im Senium, mit Rücksicht auf Alter, Gesamtgesundheitszustand und die Lebenserwartung aufgrund der internistischen Nebendiagnosen eine umfassende Therapieentscheidung an einem interdisziplinären Tumorboard getroffen werden.
Nachsorge
Die Fünf-Jahres-Überlebensraten im Stadium I und II sind mit 91% (IA) bis 71% (IIB) beschrieben. Selbst im Stadium IIIC liegen sie noch über 50%. Für einen Grossteil der Erkrankten bedarf es daher eines Nachsorgekonzeptes. Ziel ist die möglichst frühzeitige Erkennung des lokalen Rezidivs. Gerade bei der älteren Frau sollte der Aufwand dieser Nach-
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sorge möglichst wenig physisch belastend sein. In Zeiten von Spardruck und Rationalisierung sollte generell eine Nachsorge kosteneffektiv und ubiquitär anbietbar sein (10). Routine-Nachuntersuchungen beim Endometriumkarzinom bieten keinen Überlebensvorteil für die Patientin (11). Der psychologische Effekt einer regelmässigen Nachsorge ist auch nach Abschluss der definitiven Therapie nicht zu unterschätzen (12). Sollte die Patientin in der Verfassung für regelmässige Nachkontrollen sein, bietet sich folgendes Schema an: ■ in den ersten drei Jahren vierteljährli-
che gynäkologische Kontrollen inklusive Kolposkopie und Zytologie, ■ ab dem vierten Jahr nur noch halbjährliche Kontrollen und ■ ab dem 5. Jahr jährliche Kontrollen. Tumormarkerkontrollen und andere bildgebende Verfahren bringen keinen therapeutischen Vorteil (10).
Rezidivsituation
Etwas mehr als zwei Drittel der Rezidive treten in den ersten drei Jahren nach Diagnosestellung auf (ca. 70%). Die meisten Patientinnen werden dabei im Untersuchungsintervall mit Blutungen oder Schmerzen symptomatisch. In Abhängigkeit von der erfolgten Primärtherapie und dem allgemeinen Gesundheitszustand der Patientin stehen in der Rezidivsituation verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung. Die Einschränkung der operativen Intervention ist meist nicht durch den Tumor bedingt, sondern durch die multiplen Nebendiagnosen, wenn nicht sogar kontraindiziert. Dennoch zeigen die publizierten Daten, dass die maximale Tumorreduktion in der Rezidivsituation einen deutlichen Überlebensvorteil bringt und daher, wann immer möglich, anzustreben ist (Überlebensrate nach 40 Monaten 54% vs. 0% bei Tumorrest respektive nichtchirurgischer Therapie). Die Überlebensrate in der Rezidivsituation wird unabhängig von der operativen
Therapie auch deutlich durch die Tumorlokalisation bestimmt, wie in der PORTEC-Studie gezeigt werden konnte. Bei einem zentralen Lokalrezidiv, isoliert am Vaginalstumpf, liegt die Drei-JahresÜberlebensrate bei 73%. Im deutlichen Gegensatz dazu stehen die Drei-JahresÜberlebensraten bei nichtzentralem lokalem Rezidiv (mit nur 8%!). Die Prognose ist in diesem Fall äusserst schlecht, die meisten Patientinnen versterben innerhalb weniger Monate nach Diagnosestellung. Das Auftreten von Fernmetastasen als Rezidiv bedeutet eine Drei-Jahres-Überlebensrate von 14%. Dies ist signifikant weniger als bei isoliertem zentralem Vaginalstumpfrezidiv. Aufgrund der Daten aus der PORTECStudie kann man sagen, dass eine Operation mit anschliessender Radiato bei zentralem lokalem Rezidiv sogar unter potenziell kurativem Ansatz als Therapie zur Verfügung steht und daher auch bei der älteren Frau diskutiert werden muss – sofern sie narkosefähig ist. Bei inoperabler Situation ist die primäre Bestrahlung die Therapie der Wahl. ■
merkpunkte
■ Auch bei der älteren Frau sollte, wann immer möglich, eine operative Therapie des Endometriumkarzinoms angestrebt werden, sofern von den internistischen Nebendiagnosen her möglich.
■ Der laparoskopische Zugang ist gerade in den Händen eines erfahrenen Teams eine ideale Alternative (deutlich gesenkte Morbidität bei gleich gutem onkologischem Ergebnis).
■ Auch in der Rezidivsituation gibt es potenziell kurative Ansätze, von denen auch die ältere Frau noch profitieren kann.
■ Im Zentrum jeder Therapieentscheidung sollte der Allgemeinzustand der Patientin stehen, wobei heutzutage auch bei internistischkranken Patientinnen wenige Limitationen bestehen.
Dr. med. Silke Johann (Korrespondenzadresse) Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital Effingerstrasse 102, 3012 Bern E-Mail: Silke.Johann@insel.ch
und
Prof. Dr. med. Michael D. Mueller Chefarzt Gynäkologie und gynäkologische Onkologie Ko-Klinikdirektor Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital Effingerstrasse 102, 3012 Bern E-Mail: michael.mueller@insel.ch
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